Manchmal wäre „Green Glass“ einfach genau das richtige – das von Andri Snær Magnason entwickelte Konzept eines Spiels, das eigentlich nur eine Plattform darstellt, eine Plattform, auf der jedermann und –frau jederzeit und jeder Orts spielen kann: „Candy Crush“ in einer kleinen Pause, das ist nun auch im „echten Leben“ möglich, ganz ohne diese nervigen Kinder, die mit ihrer Mutter auf die U-Bahn warten. Zu verdanken ist das natürlich der Virtual Reality meint der findige Spieler sofort.
Oculus Rift, 2014 von Facebook aufgekauft, ist das wohl populärste Beispiel für die Platzierung der eigenen Persönlichkeit in einem so interaktiven Medium wie dem Videospiel, und vermutlich wird (das kündigt zumindest der letzte Nebensatz an) ein so erfolgreiches Remake von „Bejewled“ sogar auf dieser Brille möglich sein. Doch auch andere Mütter haben schöne Töchter, so ein deutsches Sprichwort, und pünktlich zur Veröffentlichung der neuen-alten-neuen Konsolengeneration (sprich: Mindestens ein Jahr danach, wie es halt inzwischen so üblich ist) hat zumindest Sony schon eine Brille in der Pipeline. Das ist sie nämlich, die Next-Gen: Ein schier endloses Warten. Ein Warten auf Spiele, die überhaupt über einen Kauf nachdenken lassen oder zumindest einen bereits geschehenden in besseres Licht stellen, ein Warten aber auch auf Spiele, die funktionieren. Denn wie das Jahr 2014 gezeigt hat, ist Stabilität immer mehr ein Fremdwort – ein „Assassin’s Creed Unity“ oder eine „Halo: The Master Chief Collection“ erscheinen, laden vor dem ersten Start einige Gigabyte aus dem Internet und verneinen ab und an dennoch den Dienst.
Doch eigentlich spricht „Green Glass“ ein gesellschaftliches deutlich breiteres Phänomen an; die Gamification, also das Spiel ohne Spiel, mit der sich schon Jane McGonigal im Jahr 2011 auf etwas mehr als 450 Seiten auseinandergesetzt hat, zeigt immer offenere Möglichkeiten, wie wir in Zukunft das Medium erleben können. Sogar soziale Netzwerke, die trotz der steigenden Unbeliebtheit von Facebook immer stärker an Popularität gewinnen, machen sich solche Mechanismen zu Nutze, denn die Jagd nach Likes und Retweets ist doch eigentlich auch nur ein Spiel, oder?
Aber wenn schon Twitter und Instagram inzwischen als Spiel gelten, muss sich da ein echter Videospieler, man könnte sogar von einem eingefleischten Gamer (man bedenke: Es war dennoch kein Anglizismus unter den Jugendwörten des Jahres) sprechen, nicht irgendwie komisch vorkommen? Da wird er plötzlich auf eine Ebene gestellt mit all diesen Menschen, die sich etwas daraus machen, dass sie nun ein weiteres Feld auf ihrer virtuellen Farm haben. Der männliche Spieler, der sich gegen jegliche Statistik, nach der die Geschlechterverteilung inzwischen bei etwa fünfzig zu fünfzig – der Einfachheit halber wird hier nur das biologische Geschlecht verwendet – stemmt, einfach, weil er am lautesten brüllen kann, lässt so etwas nicht mit sich machen. Besonders aggressiv wird er jedoch nicht, wenn es um Kämpfe zwischen Konsolen und PCs unter dem Hashtag #PCMasterRace geht, auffällig angriffslustig wird der echte Gamer erst im Verbund gegen den gemeinsamen Feind: Die Frau. Polemisch wird argumentiert, dass Videospiele doch gar nicht sexistisch seien – Misogynie? Fehlanzeige. Aber wenn eine Frau anderer Meinung ist, wird natürlich trotzdem mit der Vergewaltigung gedroht, der adoleszente Mann braucht schließlich weiterhin das Gefühl, ein wahrer Held zu sein, der die Prinzessin befreit und dabei einen Haufen böser (ebenfalls zumeist männlicher) Gegner zu ermorden. Dabei ging es Anita Sarkeesian in erster Linie doch gar nicht darum, die Spieler zu kritisieren, sondern vielmehr die Industrie, die dem omnipräsenten Ihm das Spiel auftischt, das er schlussendlich gefälligst auch als zahlender (besonders gerne mehrfach) Kunde konsumieren soll – einmal Autos fahren hier, einmal Lara Crofts Hinterteil bestaunen, das nun noch realistischer beim Erklimmen eines Radioturms, der im Reboot von „Tomb Raider“ übrigens im Gegensatz zu jedem in diesem Jahr von Ubisoft veröffentlichten Spiel einmalig war, wackelt und deren Haare nun noch sexier durch das von Tränen verwischte Gesicht weht.
Sehr gut sichtbar ist diese Intention immer im August eines Jahres in Köln: Die Spieler, aber auch die Spielerinnen, stehen an, während die Frauen als Augenschmaus durch die Messehallen wandern und für Fotos posieren, die am Ende auf jeder größeren Webseite, die ein Nerd im Rest des Monats ansurfen mag, in Galerien zu finden sind – die schnelle Befriedigung der Lust, ganz ohne dass Mama es beim Durchsuchen der Browserverlaufs direkt auffiele (eine Ausnahme bilden hierbei natürlich Mütter, die so agieren wie die im Film „Men, Women & Children“). Doch auch das Ans(t)ehen kostet eben Zeit, Zeit, die auf der Gamescom eigentlich bei den Spielen verbracht werden sollte. Doch bei den großen Titeln, bei den Blockbustern, wächst die spielfreie Zeit von Tag zu Tag exponentiell auf Stunden und an einem Stand im für alle Besucher zugänglichen Bereich wird ein wird gleichzeitig innerhalb von zehn Minuten ein „Batman: Arkham Knight“ in einer Manier vorgestellt, die einer Dauerwerbesendung vielleicht so gerade noch gerecht wird.
„We have to think about our future“, meinte Andri Snær Magnason auf dem Internationalen Literaturfestival in einem Gespräch mit Andreas Lange, Direktor des Computerspielemuseums in Berlin, und im Gedanken an die wenigen kleinen und vielen großen Problemen im vergangenen Jahr lässt das eigentlich nur einen wirklichen Schluss zu: Weniger ist mehr und klein kann auch groß, der Ideenreichtum unabhängiger und kleiner Spieleentwickler wächst immer weiter und die Möglichkeiten der Selbstfinanzierung und vor allem –veröffentlichung ebenso. Und wer weiß, vielleicht wird irgendwann Anita Sarkeesians Idee einer Prinzessin, die gefangen wird und sich aus eigener Kraft befreit, noch einmal umgesetzt. Dann verstehen vielleicht auch die echten Gamer, dass nicht alles schlecht ist, was 2014 für sie noch unmöglich schien. Und vielleicht braucht man dann auch gar keine virtuelle Realität mehr, die den Rassismus abschafft und die persönliche Selektion auf andere Faktoren beschränkt, vielleicht nicht einmal, um das Geschehende auszublenden.