Nina Kiel Sexismus in Videospielen

Hannes Letsch11 Minuten Lesezeit

Übersicht

Nina Kiel lebt und arbeitet als freischaffende Illustratorin und Spielejournalistin in Düsseldorf. 2014 veröffentlichte sie ihr Buch „Gender In Games“ im Hamburger Wissenschaftsverlag Dr. Kovac. Aktuell forscht sie zum Thema Sex in Spielen und ist Autorin einer zweiwöchentlich erscheinenden Sexspielkolumne auf Superlevel.de. Im Gespräch erläutert Nina Kiel die Rolle des Sexismus in Videospielen und warum es wichtig ist gerade darauf ein Auge zu werfen.

Wer spricht hier eigentlich?

Nina Kiel lebt und arbeitet als freischaffende Illustratorin und Spielejournalistin in Düsseldorf. 2014 veröffentlichte sie ihr Buch „Gender In Games“ im Hamburger Wissenschaftsverlag Dr. Kovac. Aktuell forscht sie zum Thema Sex in Spielen und ist Autorin einer zweiwöchentlich erscheinenden Sexspielkolumne auf Superlevel.de.

Hannes Letsch Hannes Letsch Die Begriffe „Videospiel“ und „Sexismus“ bilden zwei getrennte Themenbereiche, die man wohlmöglich nicht sofort miteinander verbindet: Warum hast du dich dieser Verbindung angenommen und nicht etwa "TV" und "Sexismus" näher untersucht?

Nina Kiel Nina Kiel Tatsächlich handelt es sich um eine geläufige Assoziation, die der traditionellen Darstellung gerade von Frauen im Medium geschuldet ist. Seit Jahrzehnten schon ist das Thema in akademischen Diskursen präsent und 2012 wurde ihm dank der Medienkritikerin Anita Sarkeesian (und ihrer „Tropes vs. Women in Video Games“-Videoserie) plötzlich auch öffentliche Aufmerksamkeit zuteil.

Selbst habe ich mich deshalb für diesen Forschungsschwerpunkt entschieden, weil mich Videospiele bereits seit frühester Kindheit begleiten und ich das Medium aufgrund seiner Interaktivität für besonders geeignet halte, alternative (Geschlechter-)Rollenbilder anzubieten, die einen Kontrast zu den in unserer Gesellschaft weit verbreiteten Stereotypen bilden.

Hannes Letsch Hannes Letsch Was bedeutet Sexismus für dich?

Nina Kiel Nina Kiel Sexismus ist eine Form der Ungleichbehandlung und Diskriminierung, die allein auf der (mutmaßlichen) Geschlechtszugehörigkeit eines Menschen basiert. Im Kontext mit Video- und Computerspielen beschreibt dieser Begriff die deutliche Tendenz, Frauen als weniger aktiv, als potenzielle Opfer und erotische Anschauungsobjekte darzustellen – einfach deshalb, weil sie weiblich sind.

Hannes Letsch Hannes Letsch Welche wissenschaftlichen Erkenntnisse gibt es zum Sexismus in Videospielen?

Nina Kiel Nina Kiel Angesichts der schieren Fülle wissenschaftlicher Arbeiten ist es nahezu unmöglich, einen repräsentativen Überblick zu bieten – zumal Studien regelmäßig Thesen be- und widerlegen. Zu den gängigsten Ergebnissen gehören aber Nachweise über die weit verbreitete (sexuelle) Objektifizierung von weiblichen Charakteren in Spielen, Werbemitteln und Fachzeitschriften. Der Erforschung von Sexismus in den traditionellen Medien folgend, haben außerdem Wissenschaftler_innen die kurzfristigen Auswirkungen des Konsums von Spielen erforscht, die stereotype und aufreizende Darstellungen von Frauen enthalten. Das Ergebnis: Gerade männliche Probanden tendierten selbst nach kurzer Spielzeit vermehrt dazu, Frauen zu objektifizieren, ihnen gegenüber aufdringlich zu werden und sexuelle Gewalt zu legitimieren. Langzeitstudien, die sich mit genau diesem Thema befassen, gibt es bislang meines Wissens leider keine; vieles deutet aber darauf hin, dass auch Erfahrungen im digitalen Raum unsere Denkmuster prägen – und mit ihnen die Wahrnehmung von Geschlecht bzw. Geschlechterrollen.

Hannes Letsch Hannes Letsch Ist der Kampf gegen "Sexismus" ein spezieller oder ein Teil des Kampfes für den Humanismus? Gibt es eine gewisse Brisanz, die uns dazu veranlassen sollte, vor allem auf den "Sexismus" im Bereich der Videospiele zu schauen?

Nina Kiel Nina Kiel Ich ziehe es vor, nicht von einem „Kampf“ zu sprechen, auch wenn die Auseinandersetzung mit diesem Thema – gerade im Kontext mit #GamerGate – bisweilen solche Züge angenommen haben mag. Ein erheblicher Teil des Diskurses wird durchaus sachlich und konstruktiv geführt. Was die Differenzierung zwischen Sexismus und Humanismus betrifft, so erkennt ersterer Begriff eine Benachteiligung von Frauen in vielen gesellschaftlichen Kontexten an, die allein ihrer Geschlechtszugehörigkeit geschuldet ist. Allzu oft wird der Begriff des Humanismus zweckentfremdet, um diesen entscheidenden Punkt auszublenden. Lediglich festzustellen, dass alle Menschen gleich sind, genügt einfach nicht aus, um diesen idealen Zustand herbeizuführen. Wir müssen kritisch reflektieren, wo bzw. inwieweit Gleichheit noch nicht besteht, die Probleme offen benennen und beseitigen. Von selbst werden sie nicht verschwinden.

Sexismus ist ein gesellschaftliches Phänomen, das nicht nur in bestimmten Nischen, in bestimmten Medien, sondern in nahezu allen Lebensbereichen auftritt. Es ist daher nötig, sich mit all seinen Facetten auseinanderzusetzen und an vielen verschiedenen Stellen anzusetzen, um einen sozialen Wandel zu ermöglichen. Videospiele sind in diesem Sinne interessant und relevant, weil das Medium lange als Männerdomäne beworben und entsprechend wahrgenommen wurde, was eine aktive Ausgrenzung von spielenden Frauen zur Folge hatte (die zum Teil bis heute stattfindet). Weil man zunächst behauptete und späterhin unhinterfragt annahm, dass vor allem heterosexuelle Männer spielen, gab es lange so gut wie keine Rollenvorbilder für Frauen. Stattdessen bekleideten ihre digitalen Abbilder vor allem Neben- und Opferrollen und mussten ästhetisch gefallen oder erotisch betören. Die Konsequenzen dieser Entwicklung sind bis heute deutlich spürbar und das Medium öffnet sich erst langsam für spielaffine Menschen, die nicht männlich, weiß und heterosexuell sind. Wichtig ist es deshalb, diesen Prozess zu unterstützen, weil kein Medium in seiner Gänze einer bestimmten Personengruppe vorbehalten sein sollte.

Es gibt etwa Bücher und Filme für Menschen unterschiedlichster Erfahrungshorizonte, Interessen und Geschlechteridentitäten. Genau das wünsche ich mir von Spielen, aber vom Erreichen dieses Ziels sind wir noch weit entfernt.

Hannes Letsch Hannes Letsch Des Teufels Advokat behauptet, dass der "Sexismus" eine Art Opfer-Abo ist, der eine gewisse Immunität und Unantastbarkeit generiert, sodass es einfacher fällt Forderungen durch zu bringen, die ansonsten in einer fairen Diskussion nicht sofort oder gar nicht durchgewunken werden würden. Wieviel Wahrheit steckt in dieser Aussage?

Nina Kiel Nina Kiel Diese Aussage erschließt sich mir nicht. Immunität und Unantastbarkeit sind gewiss keine Privilegien, die Sexismuskritiker_innen zuteil werden – ganz im Gegenteil. Wer den Status Quo hinterfragt, macht sich stets angreifbar und potenziell zum Ziel jener, die diesen Ist-Zustand aus den unterschiedlichsten Gründen erhalten wollen, und das zum Teil gewaltsam. Auch von einer Vereinfachung des „Forderns“ kann keine Rede sein, wenn man sieht, wie lange die Bemühungen um eine Gleichstellung der Geschlechter bereits andauern, und dass dieser Prozess längst noch nicht abgeschlossen ist. Zu guter letzt muss man hinterfragen, was in diesem Kontext unter einer „fairen“ Diskussion zu verstehen ist. Angesichts des systematischen Ausschlusses von Frauen aus Teilbereichen der Gesellschaft, der Politik und des Bildungswesens – insbesondere in technischen Bereichen – kann in der Tat von Fairness nicht die Rede sein. Die wird, eben durch jene Diskussionen, durch gewisse Quoten und eine Sensibilisierung der Öffentlichkeit, erst langsam hergestellt.

Als zu einfach, unfair oder gar benachteiligend empfinden diesen Prozess vor allem jene, die dafür bestimmte Privilegien aufgeben müssen: Privilegien, die aus diesem System der Ungleichheit resultieren und zuungunsten von Frauen von verteilt werden. Sicher schmerzt es, wenn einem bestimmte Vorteile – wie das Medium Spiel als exklusiver Club für Jungen und Männer - genommen werden und man tendiert schnell dazu, diese Umverteilung selbst als Diskriminierung auszulegen. Wichtig ist deshalb eine kritische Reflexion dieser Vorgänge und die Erkenntnis, dass Gleichberechtigung keineswegs nur vorteilhaft für bisher marginalisierte Gruppen ist. Die aktuelle Entwicklung in der Spieleindustrie und insbesondere im Indie-Sektor zeigt, dass personelle Vielfalt tendenziell mehr Ideen und Perspektivreichtum mit sich bringt. Und diese Diversifizierung kann einem Medium, das zuletzt kreativ extrem stagnierte, nur gut tun.

Die Wortkonstellation „Opfer-Abo“ ist übrigens meines Erachtens eine, die auf eine eklatante Empathielosigkeit hinweist. Sie unterstellt benachteiligten Menschen, ihre Diskriminierung und Marginalisierung insgeheim zu genießen, weil sie ihnen vermeintliche Vorteile verschafft. Das ist eine realitätsferne Sicht, die nur ernsthaft vertreten werden kann, wenn man sich selbst noch nie in einer solchen Situation befunden hat.

Hannes Letsch Hannes Letsch Noch so eine Behauptung wäre, dass "Sexismus" mehr eine Strategie zum Mehren eigener, sozialer Dominanz praktiziert wird. Um diesen also zu bekämpfen bedarf es nicht einer Gleichstellung, d.h. eines Aufbaus einer besseren Stellung der Frau, sondern eines Abbaus von Anreizen und (hierarchischer) Strukturen, die das Streben nach sozialer Dominanz begünstigen. Kurz um: Ist der Kampf, wie er gerade bezüglich Videospiele geführt wird ein Kampf gegen Windmühlen?

Nina Kiel Nina Kiel Diese Entwicklung kann nicht vorangetrieben werden, ohne jene einzubeziehen, die aktiv benachteiligt werden. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass die wenigsten Menschen bereitwillig auf Privilegien und eine vorteilhafte Stellung in der Gesellschaft verzichten, weil damit gewisse Verluste verbunden sind. Nur, wenn marginalisierte Gruppen ihren Platz in diesem System selbst einfordern, ist ein Wandel durchsetzbar, denn andernfalls bewegt sich nichts – und dafür braucht es eine aktive Förderung von Frauen in Bereichen, die ihnen bislang weitestgehend vorenthalten wurden, sowie Aufklärungsarbeit, die deutlich macht, inwieweit und warum diese Veränderungen so wichtig sind.

Hannes Letsch Hannes Letsch Hast Du den Eindruck, dass die Videospielbranche stärker von Sexismus betroffen ist als andere Bereiche der Medienlandschaft? Falls ja, warum?

Nina Kiel Nina Kiel Zwar ist Sexismus in allen Medien präsent, in Spielen genießt er jedoch eine lange und zweifelhafte Tradition. Seit man in den 80er Jahren damit begann, sich nahezu exklusiv auf ein männliches Publikum zu konzentrieren, wurden Frauen zunehmend in Form erotischen Anschauungsmaterials und als Belohnungen für bewältigte Aufgaben präsentiert. Die wenigen selbstständig handelnden Nebendarstellerinnen und Protagonistinnen wurden zumeist mit knapper Kleidung versehen, um der Zielgruppe im ästhetischen Sinne zu gefallen. Erst langsam wird das Rollenangebot um Frauen erweitert, die nicht in dieses Schema passen. Filme und, mehr noch, Bücher stellen den dort ebenfalls auftretenden überzeichneten Helden und Sexobjekten hingegen eine viel breitere Auswahl alternativer Konzepte entgegen, auf die man bei Bedarf zurückgreifen kann.

Hannes Letsch Hannes Letsch Die Soziologen Joseph Berger, Morris Zelditch und Kollegen erklären in ihrer Arbeit „Status characteristics and social interaction“ indirekt das Phänomen des "Sexismus" dadurch, dass Menschen anhand von Unterschieden, wie etwa dem Geschlecht, versuchen Vorhersagen zu generieren, wie sich eine bestimmte Person in naher Zukunft verhalten wird. Im Sinne der dadurch entstehenden Sicherheit und nicht mehr ungewissen, nahen Zukunft haben Kulturen dafür bestimmt, wie sich Geschlechter verhalten „sollen“ und wie nicht. Gehen wir davon aus, dass sich der Blickwinkel auf das weibliche Geschlecht in Videospielen erfreulicherweise ändern wird und somit die bestehende Kritik erlischt: Ist dann ein Zustand erreicht, an dem man den Begriff des "Sexismus" im Bereich der Videospiele streichen kann oder erhalten wir dadurch nicht einfach einen anderen Zustand von Geschlechtsstereotypen, der zum vorherigen nur modifiziert wurde?

Nina Kiel Nina Kiel Ganz klar, Geschlechterstereotype bieten ein Gefühl der Sicherheit und gerade deshalb werden sie – nicht nur im Videospielsektor – zum Teil so vehement verteidigt. Es handelt sich aber um eine Scheinsicherheit, die aus meiner Sicht mehr Nach- als Vorteile mit sich bringt, da wir durch diese eng gefassten Kategorien in unserer Entwicklung und unserem Handeln massiv eingeschränkt werden. In Wirklichkeit wissen wir nur bedingt, was von Männern und Frauen zu erwarten ist. Vielmehr fordern wir unsere Mitmenschen auf mal subtile, mal direkte Weise aktiv dazu auf, unseren und den gesellschaftlichen Vorstellungen zu entsprechen und vernachlässigen dabei den eigentlichen Menschen, das Individuum.

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