Nina Kiels Vortrag, der am 22.12.2015 in der Glockenbachwerkstatt in München stattfand, beschäftigte sich mit der Problematik oder weniger zugespitzt ausgedrückt, mit dem Phänomen des Geschlechts in der in Kontext „Videospiel“. Als Aufhänger ihres Vortrags ging sie der vermeintlich stimmigen Auffassung nach, dass das weibliche Geschlecht und Videospiele nicht wirklich zusammenpassen. Diese Behauptung wurde von ihr sogleich falsifiziert, betrachtet man beispielsweise die Geschlechterverteilung unter den Spielern. Nach dieser sind circa 50 Prozent der Spieler zurzeit weiblich; von einer Randgruppe kann daher keine Rede sein. Trotzdem verbleibt diese Annahme bisweilen hartnäckig in der Videospielwelt, weshalb jene These auch über eine erste Falsifizierung hinaus Zentrum ihres Vortrags blieb. Sie nahm die Rolle eines roten Fadens ein, an dem Nina Kiel sich dem Thema systematisch annäherte.
Historischer Zugang
Mit der Konsole „Magnavox Odyssee“, die in erster Generation 1972 veröffentlicht wurde, begannen Videospiele für die breite Masse tauglich zu werden. Im Vergleich zu heute gab es damals noch keine ausgeklügelten Marktforschungserkenntnisse oder gar daraus herausgeleitete Strategien, die es erlauben würden, Spiele direkt auf eine Zielgruppe zuzuschneiden. Außerdem waren die Videospiele in den Spielhallen nicht auf ein Geschlecht zugeschnitten. Es gab auch keine breite Abnehmerschaft vor dem Jahr 1972, die es nahelegt hätte, Zielgruppen auszuloten. Gleichsam ist festzuhalten, dass die hinter den Videospielen steckende Wissenschaft, etwa die der Informatik, schon damals eine Männerdomäne war.
1983 war der Markt gänzlich übersättigt, der sogenannte „Video Game Crash“ entstand und brachte der gesamten Industrie einen immensen Imageverlust ein. Initiiert wurde dieser Niedergang durch ein Ungleichgewicht zu Gunsten schlecht gemachter, an Qualität mangelnder Spiele. Damit verlor der Videospielinteressierte jegliches Vertrauen. Zusätzlich dazu wusste kaum einer genau, welche Spiele nun wirklich gut sind und von welchen man die Hände eher lassen sollte. Dennoch gaben nicht alle gänzlich auf: Einige Spieleschmieden wie etwa Nintendo versuchten einen neuen Anlauf. Die erste Konsole Nintendos wurde damals nicht als eine Videospielkonsole für Erwachsene verkauft, sondern als Kinderspielzeug beworben. Das „offizielle Nintendosiegel“, das golden auf jedes Spiel gedruckt wurde, sollte ein Versprechen an den Kunden sein, dass er sich sicher sein könne, dass dieses Spiel in jeder Hinsicht Qualität bedeute und damit das Geld wert sei, das dafür auf den Tisch gelegt werden musste.
Erste Marktforschungen wurden sogleich seitens Nintendo betrieben, etwa durch das Austragen von Wettbewerben und dem Publizieren eines eigenen Magazins. Das Ergebnis dieser Forschung war, dass mehr männliche als weibliche Personen Videospiele konsumierten. Der daraus resultierende, folgenschwere Entschluss bestimmte alles andere: Nintendo und dessen Konkurrenten konzentrierten sich ab sofort auf das männliche Geschlecht auf Individualebene. Beispielsweise war der „GameBoy“ konzipiert von Männern für Männer, wie etwa der Name selbst schon vermuten lässt. Etwas zeitlich versetzt dazu nahm das Thema „Sex“ Einzug in die Videospielszene. Frei nach dem Motto „sex sells“ entstanden bisweilen sehr groteske Spielcover oder Werbungen. Allerdings blieb es nicht nur dabei, Verpackungen dem männlichen, heterosexuellen Konsumenten schmackhaft zu machen. Es entstand eine offene Sexualisierung, die sich zum Beispiel heutzutage in den populären, wenn nicht gar beliebten Gamebabes auf der Gamescom zeigt.
Beschaffenheit des Phänomens
Was mit dem „Fake Geek Girl“ Vorurteil beschrieben wird, deutet ebenfalls in die Richtung, dass das weibliche Geschlecht als Akteur nicht wirklich gern gesehen wird. Gutaussehenden, weiblichen Interessierten, die sich im Bereich der Videospiele engagieren, wird dabei unterstellt, dass sie dies nur tun, um sich zu präsentieren, also eben nicht am Inhalt selbst Interesse finden, sondern diesen nur benutzen. Das mitunter unterstellte Zögern seitens des weiblichen Geschlechts, sich an der Videospielgemeinschaft zu beteiligen, wird ebenfalls als Argument ins Feld geführt, um zu belegen, dass Videospiele für Frauen doch eigentlich gar nichts seien. Somit schließt sich ein Teufelskreis, der so konstruiert ist, dass Frauen keine Chance des wirklichen Fußfassens gewährt wird.
„Girl Games“, also Videospiele nur für Mädchen, zeigen letztendlich, dass Frauen und Mädchen auch in den Augen der Entwickler und Publisher nicht in die bestehende Welt integrierbar seien, sondern ihre eigene, parallele Spielsphäre spendiert bekommen. Damit wird die Wahrnehmung der Spieler von der Industrie separiert nach Geschlecht gelenkt, das zugehörige Genre des Spiels wird ignoriert.
Sogenannte „Gender Signifier“ wie etwa Farben, Kleidung oder Schmuckstücke sollen innerhalb eines Spiels klar kenntlich machen, welcher Charakter männlich und welcher weiblich ist. Ein Beispiel hierfür ist Prinzessin Peach aus Nintendos „Super Mario“ Spielen. Neben der Tatsache, dass Peach immer wieder aufs Neue vor dem bösen Bowser gerettet werden muss, wurde dem Charakter ein eigenes Spiel gewidmet: „Super Princess Peach“. Allerdings kämpft die Prinzessin nicht mit den gleichen Waffen, wie etwa Mario. Das Spiel bedient sich stattdessen Emotionen beziehungsweise hysterischer Gefühlsausbrüche als Spielmechaniken, die der Spieler geschickt einzusetzen hat, um zu obsiegen.
Generell ähneln sich weibliche Charaktere stark in Körperbau und Gestik: Jung, meist eher knapp bekleidet und schlank sind Eigenschaften, die für fast jede weibliche Person gelten, während das männliche Pendant signifikant mehr Varianz aufzeigt. Die Spielfigur Lara Croft aus den „Tomb Raider“ Werken wurde in den 1990er Jahren zum ersten digitalen Model, hatte Gastauftritte in Werbungen oder durfte gar in einem Musikvideo der Punkband „Die Ärzte“ zu deren Song „Männer sind Schweine“ mitspielen. Mitunter dürfte ein wesentlicher Grund des sich wiederholenden weiblichen Charakterdesigns darin liegen, dass damit die Sehnsüchte männlicher Spieler befriedigt werden. Wie unterschiedlich weibliche bzw. männliche Charakter designt werden, zeigt sich beispielsweise in Blizzards Werk „Overwatch“ (2015):
Im Wesentlichen sind alle weiblichen Charaktere grazil, schlank, das heißt attraktiv gestaltet. Auf die Kritik dessen reagierte Blizzard nur sehr zögerlich mit einem einzigen Charakter, „Zarya“. Diese muss dementsprechend als eine Ausnahme abseits der Norm betitelt werden. Generell muss implizit somit konstatiert werden, dass weibliche Charakter nur dann akzeptiert werden, wenn sie ansehnlich sind. Dass dies durchaus auch zu Abstrusitäten führt, zeigt etwa das Beispiel „Quiet“ aus „Metal Gear Solid V: The Phantom Pain“ (Konami, 2015). Quiet nimmt im Spiel die Rolle einer Scharfschützin ein, ihre Kleidung ist allerdings mehr als spärlich und kann in keiner Weise als funktional oder sinnig bezeichnet werden. Abseits Kiels Ausführungen zu diesem Charakter könnte man sich nun darum streiten, ob Quiets Krankheit vor dem eigentlichen Design feststand oder nicht. Für die meisten dürfte die Erklärung, dass sie wegen ihrer Erkrankung nur mit ihrer Haut atmen kann und deshalb kaum Kleidung trägt, etwas scheinheilig sein.
Argumentativ könnte man dieser Aussage entgegentreten, indem man beispielsweise den Helden „Kratos“ aus „God of War“ ins Rennen schickt. Dieser ist genauso leicht bekleidet und verkörpert ein überzogenes Bild an „Männlichkeit“ und strahlt eine gewisse Brutalität aus. Die visuelle Beobachtung stimmt zwar, so Kiel, aber Kratos oder andere männliche Protagonisten werden damit nicht per se sexuell konnotiert; er ist von seinem Charakter her nicht einladend gestaltet. Die Persönlichkeiten der männlichen Charaktere werden mit ihrem Aussehen verknüpft, während dies bei ihren weiblichen Pendants nicht der Fall ist. Der „Dude Bro“ in „Call of Duty“ steht beispielsweise für Kraft oder auch Erbarmungslosigkeit als ein Genderstereotyp, das auf verkrustete Denkweisen schließen lässt. Wie sehr man selbst in diesen festgefahrenen Ansichten verankert ist, lässt sich beispielsweise anhand sogenannter Gender-Swap Bilder testen. Dabei werden Ikonen der Videospielwelt von Künstler aufgenommen und mit Ausnahme des Geschlechts nachgezeichnet. Dieses wird, wie der eigentliche Fachbegriff schon sagt, vertauscht. Für Spiele gibt es ebenfalls „Tests“, eher gesagt kleine Bingo Spiele (vgl. etwa Female Armor Bingo), die zumindest der Spur nach identifizieren, wie sehr das vorliegende Videospiel in die zuvor beschriebene Schiene passt.
Dennoch lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt auch ein langsamer Wandel beobachten: Es werden weniger Stereotype reproduziert, denn „Elemental“ (Stardock, 2010), „Shelter“ (Might and Delight, 2013) und andere Spiele belegen dies eindeutig. Das im Jahr 2015 erschienene Spiel „Life is Strange“ des Entwicklerstudios Dontnod ist ein recht prominentes Beispiel dafür, dass auch Entwickler sich gegen Stereotype stellen. Es bedurfte mehrerer Anläufe bis dieses Projekt realisiert werden konnte, denn die meisten Publisher hatten ein Problem, dass die zentrale Person des Spiels weiblich sein sollte. Die Entwickler blieben jedoch bei ihrem Konzept und fanden schlussendlich in Square Enix die Unterstützung, die sie benötigten, um alles konzeptgetreu umsetzen zu können. Auch die Kontroverse um das Cover des Spiels „Last of us“ (Naughty Dog, 2013) kann hier genannt werden. Die Person namens Ellie wurde zunächst vom Spielcover gestrichen. Nach massiven Protesten seitens des Entwicklers Naughty Dog erschien Ellie zur Veröffentlichung doch noch auf dem Cover; die Absichten des Entwicklers hatte sich letztendlich durchgesetzt. Diese Beispiele zeigen aber gleichsam auch, dass sich eine Annahme weiterhin hartnäckig hält: Weibliche Charaktere verkaufen sich nicht als Heldinnen. Seitens der Publisher ist diese Auffassung immer noch weiterverbreitet, was sich auch in Zahlen beziffern lässt, denn Spiele mit weiblichen Protagonisten erhalten im Schnitt circa 40% weniger Budget für Werbung, Promo und so weiter.
Implikationen
In einer Zusammenfassung des zuvor Beschriebenen lassen sich drei Entwicklungen festhalten, die zumindest tendenziell zu beobachten sind:
- Es findet eine Auflösung der Subkultur statt: Der Verlust der „Gamer“ Identität schreitet voran und wird nicht von allen positiv gesehen.
- Es lässt sich eine Offenlegung der Probleme innerhalb der Videospielwelt beobachten. Anregungen von Denkprozessen finden statt, sodass die (kindliche) Naivität an vielen Stellen reduziert wird. Videospiele werden mittlerweile nicht mehr nur als „Spaßmacher“ verstanden, was auch die Angst vor einer Politisierung beziehungsweise vor Veränderungen innerhalb der Spielergemeinschaft schürt.
- Das digitale Spiel ist ein Teil beziehungsweise ein Spiegel der Gesellschaft und damit politisch. Damit sind aber auch Grabenkämpfe einzelner Interessensgruppen zu beobachten, wie etwa der Fall „Gamer Gate“ zeigt. Hier wurde ein durch Angst geschürtes Feindbild geschaffen, gegen das versucht wird anzugehen mit dem Ziel, ihre alte Videospielwelt zu erhalten oder zurückzuführen.
Nina Kiel bezeichnet in diesem Zusammenhang die Aktionen der YouTuber namens „Thunderfoot“ oder „The Amazing Atheist“ als plumpe Versuche den Feminismus in der Gesellschaft und Videospielen zu diskreditieren. Anita Sarkeesian oder Zoey Quinn müssten als Initiatoren für Veränderungen gesehen werden, die bisweilen nicht gewollten werden. In jedem Fall bieten solche doch eher erbitterten Auseinandersetzungen aber immer auch die Chance auf der einen Seite einen vielfältigeren Umgang mit Videospielen zu fördern und auf der anderen Seite die Varianz in beiden Geschlechtern in Spielen einzufordern.