Activision Blizzard Über die sogenannte „Frat Boy Culture“ und einen sinnvollen Umgang

Hannes Letsch8 Minuten Lesezeit

Übersicht

Vor circa zwei Jahren, noch vor den Schlagzeilen rund um Ubisoft im Sommer 2020, initiierte der Staat Kalifornien eine interne Untersuchung, um Vorgänge innerhalb der Belegschaft von Activision Blizzard (Irvine, Kalifornien) auszuleuchten beziehungsweise aufzuklären. Das Ergebnis der staatlichen Behörde resultierte in Anklagen, weil weibliche Angestellte (circa 20% aller Arbeitnehmer) systematisch diskriminiert wurden. Sowohl die Beschäftigungsbedingungen wie auch Vergütungen, Beförderungsmöglichkeiten, die Art der Kündigungen und so weiter stellten sich eindeutig als Teil einer zwei Klassengesellschaft innerhalb des Unternehmens heraus (Calif. Dep’t of Fair Emp. & Housing v. Activision Blizzard Inc., Cal. Super. Ct., No. 21stcv26571, 7/20/21.).

Ähnlich zu Ubisoft scheint auch Activision Blizzard die gleichen Probleme innerhalb der eigenen Führungsriege zu haben: Beide Leitungen haben es konsequent versäumt, interventive und präventive Maßnahmen zur Verhinderung von Diskriminierung und Belästigung zu ergreifen. Die Frage nach der Absicht stellt sich allemal; zum einen aufgrund der über Jahre hinweg praktizierten, systematischen Verfehlungen und zum anderen durch stellenweise Deckungsversuche der Täter durch seltsame, scheinheilige Handlungen.

Wer sich die gesamte Anklage durchliest, wird emotional herausgefordert und muss aufpassen, nicht selbst in individuelle Ursachenforschung oder eine „Schwarze Schafe“ – Argumentation zu verfallen. Weder ist das Geschlecht noch altersbeständige Boshaftigkeit einzelner Mitarbeiter Ursache des Problems. Wie sonst passt etwa die Beobachtung zum Sachverhalt, dass gleichzeitig viele der weiblichen Teammitglieder von Blizzard zu Protokoll geben, dass ihnen nichts aufgefallen sei? Würde man nicht bei Einzelfällen oder klarer Schuldlage zumindest bestätigen, was zur Anklage steht?

Die Erklärung ist eine andere, die einerseits zunächst diffus erscheint, bei genauerer Betrachtung aber viele Beobachtungen schlüssig integriert. Sowohl die Anklageschrift wie auch die vielen zusätzlichen Berichterstattungen zum Vorgang beschreiben eindeutig ein systemisches Problem; eine massive Dominanzproblematik, die aus hierarchisch organisierten Strukturen erwuchs und von höchster Stelle gewünscht ist. Hierarchie wird grob zum Synonym von Dominanz: Die Position im Unternehmen definiert die Gestaltungsfülle, nicht aber das eigene Können. Quer zur formellen Organisation (Organigramm) liegende, soziale Netzwerke durchziehen das Unternehmen und sind Ort der Akkumulation von (Gestaltungs-)Macht, die wiederrum an Minderheiten, in diesem Fall 20% der Belegschaft, demonstriert wird. Dadurch wird Dominanz, das heißt sozialer Status, etabliert und langfristig manifestiert. Und weil die Führung hierarchisch strukturiert wurde, gibt sie jedem Mitglied klar zu verstehen, dass die daraus entstehende Taktung Aggression zu verwenden legitim ist. Zwar könnte auch der Faktor „Kompetenz“ bestimmen, wem Dominanz zugesprochen wird. Aggressives Verhalten steht als Alternative zur Verfügung, wirkt schnell(er), ist effektiv(er) und kann von jedem angewendet werden. Prosozialere Formen wie etwa „Position durch Können“ bauen (utopisch) darauf, dass ausnahmslos alle sich an die geteilten Regeln halten.

Dass viele Mitarbeiterinnen meinen nichts gesehen zu haben, wird somit nachvollziehbar, weil systemische Probleme alle in der jeweiligen Gruppe, Abteilung oder Unternehmen betreffen. Jeder ist involviert und Teil der gleichen Dynamik – ob man will, oder nicht. Der Spruch Erich Kästners, dass an allem Unfug, der passiert, nicht etwa nur diejenigen schuld sind, die ihn tun, sondern auch diejenigen, die ihn nicht verhindern, darf nicht vergessen werden. Andererseits ist in solchen „frat boy culture“, die missverständlich im Geschlecht die Ursache vermuten, taktisches Vorgehen notwendig, um sich berufliche Aufstiegschancen nicht zu verbauen und Falltüren zu verhindern.

Sofortige Rufe nach einem Boykott sprechen für impulsive Reaktionen, die zumeist (leider) ins Leere laufen, weil sie weder das Unternehmen kurzfristig die Grenzen wahrnehmen lassen noch langfristig eine Nachricht an die Verantwortlichen herantragen, die die beschriebene systemische Ursache und nicht die Symptome (Boshaftigkeit einzelner, schwarze Schafe usw.) fokussieren. Es macht keinen Sinn einzelne Personen oder Abteilungen zur Verantwortung zu ziehen, wenn das gesamte Unternehmen in seiner sozialen Struktur das Problem ist. Vakante Positionen werden in solch einer Struktur stets neu besetzt, aber sofort von der gleichbleibenden, sozialen Taktung auf das Bisherige synchronisiert. Echte Veränderung kann so nicht entstehen. Die Möglichkeiten des Kunden sind somit stark begrenzt. Gleichzeitig hat er aber keine andere Wahl, wenn Activision Blizzard keine bedeutungsvollen, echten Schritte unternimmt, um die Dinge aufzuarbeiten.

Welche Glaubwürdigkeit besitzt Activision Blizzard noch, wenn die Führung nicht wenigstens offiziell anerkennt, dass man die Probleme, die in der Anklage beschrieben sind, selbst auch gesehen hat? Die Flucht in Zuständigkeitsfragen und scheinheilige Nachrichten an die Belegschaft seitens J. Allen Brack (Präsident) oder Michael Morhaime (Ex-Präsident), versuchen Dinge zu verschleiern und Personen reinzuwaschen. Angesichts der erdrückenden Beweise ist dies zum einen ein aussichtloser Kampf gegen Fakten. Zum anderen – und das ist noch viel schlimmer - zementieren diese Statements das, was zur Anklage geführt hat. Diese Distanzierung von der Realität kann sogar als eine weitere, indirekt wirkende Deckung von „Altehrwürdigen“ innerhalb der eigenen Belegschaft gesehen werden.

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Das PR-Desaster muss anerkannt werden. Beispielsweise dadurch, dass die möglichen Abonnements für „World of Warcraft“ oder Ähnlichem mit der Begründung gekündigt werden, dass derartige Unternehmenskulturen nicht unterstützenswert sind. Weil börsennotierte Unternehmen nur in Währung handeln und prinzipiell jedes politische, soziale oder künstlerische Thema darauf ausrichten (vgl. z.B. „Rainbow Marketing“), sprechen und verstehen die Verantwortlichen nur eine Sprache. Druck aus der Position des Konsumenten geht in solchen Fällen nur über die Währung. Nehmen derartige Unternehmen Verlust wahr, dann werden sie reagieren.

Die Hoffnung stirbt zuletzt, dass die Erkenntnis reift, dass das Problem intern gewachsen ist. Die Strukturierung und somit auch die gelebte (!) Philosophie von Activision Blizzard ist der Nährboden. Vor allem Activisions Geschäftsgebaren sowie die Entscheidung ein börsennotiertes Unternehmen zu sein, sind aus Sicht Blizzards mit Konsequenz zu hinterfragen. Optimierungen, die Activisions CEO Robert Kotick unreflektiert zum Besten gibt, können nur in manchen Branchen funktionieren. Die Herstellung von Werkstücken oder das Anbieten klar planbarer und abgrenzbarer Dienstleistungen können durch Investoren profitieren, selbst wenn diese nicht nur als Förderer, sondern auch als Mitsprechende ohne Fachkenntnis stören. Das Produkt, das Blizzard verkaufen möchte, ist hingegen eine Kunstform, die massiv mehr „Mensch“ in Form von Kreativität und so weiter benötigt. Das bedeutet Freiräume und Zeit zu garantieren, selbst wenn diese nie planbar gewesen sind. Die Praxis guter Videospielentwicklung steht somit diametral dem entgegen, was Kotick vertritt. In diesem Zusammenhang ist es kein Wunder, warum viele der jüngsten Veröffentlichungen von Activision Blizzard derart viele Probleme besaßen, beziehungsweise als Videospiel nur maximal mäßig funktionierten (vgl. z.B. „Warcraft III: Reforged“, 2020; „World of Warcraft: Battle for Azeroth“, 2018; „Call of Duty: Black Ops Cold War“, 2020).

Wer viel verdient, weil er „so viel Verantwortung zu stemmen hat“, der hat zu akzeptieren, dass Verantwortung in gleichem Maße eine einbeschriebene Konsequenz, nämlich Verantwortung ohne „Wenn und Aber“ zu übernehmen, besitzt. Es bleibt zu befürchten, dass Nebelkerzen in Zukunft von der Führung geworfen werden, indem man die eigenen Mitarbeiter auffordert, ihre eigenen Werke dafür zu verbrennen. Der Käufer soll glauben, dass durch das Wegbügeln von „sexistischen“ Inhalten in fiktionalen Welten die tatsächlichen Probleme des Unternehmens automatisch auch gelöst seien. Allerdings: Die Tür nach diesem Vorfall als Konsument endgültig für alle Zeiten zuzuschlagen, ist falsch. Wenn sich ein Unternehmen bessert, sich anschließend beim Kunden eigenständig meldet und darum bittet, dass dieser nachschauen möge; dann soll das jeweilige Unternehmen diese neue Chance bekommen. Der Kunde hingegen hat nicht eigenständig zu warten, bis sich das Unternehmen gebessert hat. Die Bringschuld liegt klar bei Activision Blizzard – und zwar alleinig.

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