In Retrospektive zeichneten sich die letzten zehn Jahre durch einen eindeutigen Dogmenwechsel in vielen führenden Entwicklerstudios wie Blizzard, DICE, BioWare, Bethesda, Treyarch, Bungie, Rockstar Games und so weiter aus. Die nachles- und hörbare Überzeugung, das psychologische Konstrukt „(Spiel)Spaß“ approximativ durch Iterationszyklen einzufangen und im besten Fall über längere Zeit zu konservieren, ist der kostengünstigeren sowie gewinnmaximierenden Idee des Ausnutzens bekannter Mechanismen der menschlichen Psyche gewichen. Lootboxen, Microtransaktionen und andere primär aus wirtschaftlicher Perspektive erstellte Videospielelemente sind die eine Beobachtung.
„Games as a service“ ist die andere, übergeordnete. „Battlefield V“ (DICE, 2018), „World of Warcraft” (Blizzard, 2004) und „Diablo 3” (Blizzard, 2012), „The Division 2” (Massive Entertainment, 2019) oder „Forza Horizon 4” (Turn 10 Studios, 2018), viele neuere Triple-A Videospiele sind teilweise oder vollständig dem Konzept des „Games as a service“ untergeordnet. Im Kern sind sie ein kontinuierliches Einnahmenmodell, das nach einmaligem Verkauf oder als Free-to-Play-Spiel zusätzlich, über Jahre hinweg entwickelte Spielinhalte per Season Passes, DLCs, Mikrotransaktionen und so weiter monetarisiert anbietet. Es soll Interessierte ermutigen, weiterhin für die Unterstützung des Spiels zu zahlen. Updates und Versprechungen per Ankündigungstrailer auf Videoplattformen, Roadmaps und sogenannte „Developer-Streams“ sind die zugehörigen, gängigen PR-Aktionen, um immer wieder Schwungmasse für das nächste Verkaufsjahr zu generieren. Eines solcher Entwickler-Updates fand am 21. März 2019 statt, in dem Blizzard Game Director Ion Hazzikostas folgende Einblicke in die Arbeitsweise eines solchen „Games as a service“ Spiel gab:
Quantitatively and I think there is some value to just how much people are logging in, what’s their overall playtime? How invested are they and how connected are they feeling to world of warcraft right now? I think historically going back we’ve definitely seen a pretty strong correlation between overall levels of player activity, which is separate from subscription numbers, mind you. It’s just how many days a week are you logging in? How much time are you spending when you’re playing the game? We’ve seen strong correlations between that and how the community is feeling, you know. I think comparing, let’s say the middle of “Warlords”, the middle of “Legion” overall engagement levels in in the middle of “Warlords” were much lower because there was less to do. People were feeling less excited about the game, felt less like there were fewer reasons to log in every night. Any we did a lot in “Legion” with steady content updates and deeper systems to try to address that. And so that’s something we can infer. I’m also … we’re looking at how are people engaging in particular types of activity. If they are doing it multiple times beyond the level required just to earn some baseline reward that’s an indication that it’s probably something they are doing because it is just fun.
– Ion Hazzikostas, Live Developer Q/A, 21.03.2019
Die zitierten Aussagen sind bezeichnend für das, was „Life services“ in der Videospielbranche scheitern lässt. Das alte, kostenintensivere Dogma des Approximativen wird nicht zuvor getestet, sondern der Spieler selbst ist Proband. Laut Hazzikostas kann Statistik und Stochastik bestimmen, was Spielspaß ist. Mathematische Analysen werden bemüht, um die Frage, ob das Spiel Vergnügen bereitet, zu beantworten. Man scheint offensichtlich nebulös zu entwickeln, ohne zu wissen, ob das, was implementiert werden soll, Spielspaß bedeutet. Stattdessen sollen die post-hoc durchgeführten Analysen zeigen, ob die Spieler gut beschäftigt sind, denn Zeit, die sie damit verbringen, im Spiel etwas zu tun, sei gleichbedeutend mit Spaß.
Angesichts der Etikettierung, die sich Videospiele gerne anheften, ist die Erwartung an ein solches somit klar vorgeschrieben: Sie sollen Spaß bereiten, und das möglichst langwierig und ungebrochen. Es liegt daher nahe, den Spielspaß als die zentrale Skala eines guten Werkes festzulegen. Seitdem Videospiele die breite Masse erreichen, blieb es nicht allein bei Mundpropaganda, Eindrücken oder gar ganzen Berichten beziehungsweise Blogs, die subjektive Empfindungen in Wort gegossen wiederspiegelten. Die Idee einer Quantifizierung entstand fast parallel zur gesellschaftlichen Durchdringung der neuen Kunstform.
Weiterführender Artikel öffnenEs erinnerte an „Ultima Online“ (Electronic Arts, 1997) und dessen seltsame Auffassung Spielspaß zu generieren. Die aufgeregten Gemüter einiger Mitschüler in den Schulpausen ließen bereits Jahrzehnte vor dem März 2019 erahnen, was passiert, wenn Beschäftigung dem Spielspaß gleichgesetzt wird. Die Entwickler stellten auf einem eigens dafür eingerichteten Server ein neues System im Videospiel vor. Sie nannten es „siege perilous“, das die Nutzung einer Fertigkeit nur alle 15 Minuten mit dem gewinnen von Erfahrungspunkten für diese Fertigkeit belohnte. Jedes Mal, wenn eine Fertigkeit eingesetzt wurde, erhöhte sich deren Effektivität automatisch um einen Punkt alle 15 Minuten. Zuvor war dies komplett randomisiert. Man war sich nicht sicher, wann ein Aufstieg einsetzen würde.
Resultierend bespielten viele dieses System mit Hilfe eines Countdowns oder einer Eieruhr aus der Küche. Wer seinen Charakter weiterentwickeln wollte, stellte seinen Zeitzähler auf 15 Minuten, um währenddessen irgendwas anderes am PC oder im Haus zu erledigen. Man loggte sich ein, trainierte die Fähigkeit seiner Wahl, loggte sich wieder aus, um die Schleife nach 15 Minuten immer und immer wieder zu wiederholen. Es war die effizienteste Nutzung der eigenen Freizeit zwischen den Schultagen, um gleichzeitig den eigenen Charakter effizient weiterzuentwickeln.
Electronic Arts Design förderte diese Art des Spielerverhaltens. Es war der Anfang vom Ende des Spielspaß, was sich kurze Zeit später in den Gesprächen zwischen den Unterrichtsstunden in der Schule herausstellte. Sobald das Spielverhalten der Mitschüler von dieser Eieruhr-Mentalität, die sich auf häufige, tägliche oder wöchentliche Belohnungen stützt, bestimmt wurde, entstand dadurch ein Spielzyklus, der sich ausschließlich um diese Belohnungsstrukturen drehte. Man spielte nicht mehr, man genoss das Spiel nicht mehr. Stattdessen versuchte man, die Belohnungen pro Zeiteinheit zu maximieren.
Hazzikostas müsste dementsprechend zumindest mit sogenannten Drittvariablenproblematiken argumentieren, weil eine Differenzierung zwischen denjenigen, die sich einloggen und (sehr) lange eigenmotiviert im Spiel verharren und denjenigen, die sich nur aktiv sind, um eine zeitlich begrenzte Belohnung zu er(spielen)arbeiten, nur indirekt mit erheblichen Unsicherheiten möglich ist. Als Außenstehender lässt sich über diese Verteilung sicherlich nur spekulieren, Verkaufsstatistiken (zu digitalen Gütern / Mikrotransaktionen) börsennotierter Publisher sprechen aber deutlich dafür, dass viele nicht spielen, sondern arbeiten. Genauso sicher ist, dass die Sichtweise Hazzikostas eine Art ist, den Spaß aus dem eigenen Spiel systematisch garantiert zu verbannen. Die Maximierung von Belohnungsmomenten ist zumeist mit der Hoffnung verbunden, dass ab einem gewissen Zeitpunkt der Spielspaß zurückkehren und sich die zeitlichen Investitionen auszahlen werden. Genau dies mussten die Mitschüler aufgeben, weshalb sie derart unzufrieden waren. Das System hatte sich verfestigt, die Investitionen zahlten sich nie aus, das Spiel mutierte zum metaphorischen Hamsterrad und zu keinem Zeitpunkt kehrte der Spielspaß zurück. Das Sammeln von Belohnungen in diesem Kontext ist im Grunde genommen sinnlos, weil kaum einer diese Art des Spielerverhaltens in einem Spiel zeigen würde, das man tatsächlich gerne und wiederholt spielt. Man wird durch Maximierung nur solange auf dem Server respektive im Spiel gehalten, wie es nötigt ist, um die Anforderungen des Eieruhr-Designs zu erfüllen.
Die im Zitat präsentierten Analysen zur Definition von Spielspaß können somit nicht Fundament eines Dialogs sein, auf dem Spieledesigner basal über Videospiele sprechen sollten. Die vorgestellte Perspektive ähnelt im Wortlaut der eines Computers, der versucht sich in eine fühlende, künstliche Intelligenz zu entwickeln, um eine emotionale, menschliche Qualität basierend auf Daten zu bestimmen. Die Frage, warum etwas Spaß macht, sollte dagegen im Zentrum stehen. Dialoge und Monologe sollten sich um Spieldesignsysteme drehen, die Engagement und emotionale Erfahrungen schaffen, die im Wesentlichen Spielspaß generieren. Herausforderungen sollten als ein wichtiges Element für Engagement stehen und Scheitern sollte ein wichtiger Teil des Lernprozesses sein, um durch das Meistern langfristiges Engagement und somit Belohnung zu schaffen. Interaktionen mit anderen Menschen, das heißt der sogenannte soziale Aspekt sollte ebenfalls Zentrum sein. Die Schaffung emotionaler Bindungen und Erlebnisse, sodass Momente entstehen, in denen es erforderlich ist, dass Menschen sich online begegnen wollen, um Spaß zu haben, ist Kerngeschäft eines Designers. Datengestützte Analysen sind in diesem Zusammenhang sinnlos, weil sie genau diese Fragen nicht beantworten werden. Sie könne nicht beantworten, ob etwas Spaß macht oder nicht.