Da Kunst ein Begriff ist, der stark kontextabhängig ist und man nach seiner ursprünglichen Bedeutung als Gegenteil von Natur jegliche menschliche Tätigkeit als Kunst bezeichnen kann, könnte man auch für jedes Spiel auf dem Markt eine Argumentation entwerfen, die das jeweilige als Kunst klassifiziert. Die heute vorherrschende Bedeutung des Begriffs stammt aus der Zeit der Aufklärung, in der die „schönen Künste“ Tätigkeiten umfassen, die grob in bildliche Darstellung, Musik, Literatur und Darstellende Kunst aufgeteilt werden können. Davon ausgehend lässt sich relativ einfach eine Gemeinsamkeit all dieser Künste ausmachen: Die Darstellung von etwas. Bilder, Musik, Texte und Schauspiele zeigen etwas. Gegenstand sind Gefühle, Erlebnisse und Gedanken, die die Schaffenden in sie einarbeiten und gestalten. Den Zuschauenden wird durch die Kunstobjekte, die als Medium fungieren, etwas erzählt, ein Gefühl vermittelt, ein Gedanke dargelegt und zwar dadurch, dass sie jene in den Betrachtenden selbst zu erzeugen versuchen. Dazu gehört ebenso die Verwirrung, die manche bei dem Blick auf ein Bild empfinden. Die drei Ausgangsmedien Bild, Ton und Text ergaben je nachdem, wie man sie verbindet, neue Mittel zur Darstellung: die vertonte Literatur als Hörspiel, die Verbindung der drei als Film. Bis zu diesem Punkt blieben die Strukturen immer gleich: Die Schaffenden auf der einen Seite kreieren Bild, Film und Text, während die Betrachtenden Gefühle und Gedanken aufnehmen, wobei diese Struktur die Entwicklung eigener, vielleicht auch zur Intention der/des KünstlerIn gegenteiligen Gedanken oder Emotionen umfasst, welche sich durch die eigenen Erfahrungen und Ausgangspositionen, also Kontexte der Betrachtenden ergeben.
Es blieb also auf einer Ebene des Sendens und Empfangens, des Kreierens und Reagierens, denn weder Filme noch Texte oder Bilder sind herkömmlicherweise dazu gedacht, dass die ZuschauerInnen nach ihrer Erfahrung selbst neue Teile des Films drehen, den Text weiterschreiben oder an dem Bild weitermalen. Natürlich gibt es hiervon Ausnahmen, jedoch eher aus jüngerer Zeit, wie zum Beispiel online verfasste Fanfictions, bei denen die LeserInnen den weiteren Verlauf der Geschichte mitbestimmen dürfen. Mit dem Format des Videospiels ist es erst seit kurzer Zeit möglich, ZuschauerInnen zu Teilnehmenden am Kunstobjekt selbst zu machen.
Kent stellt in seinem Buch „The Ultimate History of Video Games“ (2010) die These auf, dass die Idee des Videospiels auf dem Spielprinzip von Flipperautomaten beruht, was bei Betrachtung der ersten Spiele wie „Pong“ (Atari, 1972) leicht nachvollzogen werden kann. Das Prinzip von Spieleautomaten ähnelt dabei zahlreichen Spielen: Ein Objekt soll durch Geschick zu einem bestimmten Ort befördert werden oder sich durch das Einwirken der Spielenden in einer gewünschten Art und Weise bewegen. Während man etwa Ballspiele oder „Steinehüpfen“ im weitesten Sinne noch als sportliche Betätigung ansehen kann, stellt die Verwendung eines Spieleautomats die Verlagerung dieser Geschicklichkeitsspiele an einen festen Standort und Rahmen, das Gerät, und zwar innerhalb von Räumlichkeiten im Gegensatz zu den Spielen draußen dar. Gleichzeitig hat man keinen direkten Kontakt mehr zum zu steuernden Objekt, denn dieser wird durch Hebel oder Knöpfe vermittelt. Nach der Digitalisierung dieses Spielprinzips wie bei „Pong“ wird ein weiterer Faktor der Steuerung mittels des eigenen Körpers entfernt, denn es gelten keine physikalischen Gesetze mehr, sondern die Gesetze des Computers beziehungsweise des Programms.
Das Geschicklichkeitsspiel hat trotz der Unterschiede zwischen den genannten, egal ob mit einem Ball, in Form eines Automaten oder in der digitalisierten Form, den Sinn, Spaß durch Erfolg (oder Misserfolg) der auszuführenden Handlung beziehungsweise Bewegung zu erzeugen. Spielende bedienen eine bestimmte Mechanik mit Regeln oder einer Logik, die etwa auch bei Brettspielen zu finden ist. Insofern sind die ersten Videospiele nach der oben definierten Auffassung keine Kunst, ihre Herstellung lediglich ebenso wie bei Automaten, Brettspielen oder Spielobjekten Handwerkskunst. Nach der gleichen Logik funktionieren auch Shooter wie „Counter-Strike“ (Valve, 1999) aber auch neuere Spiele wie „Overwatch“ (Blizzard, 2016). Betrachtet man die überhaupt erfolgreichsten Spiele, sieht man, dass diese die geschilderten Aspekte behandeln: „Tetris“ (Sega, 1984) ist ein Puzzlespiel, „Minecraft“ (Mojang, 2009) kann man als eine Art digitales Lego betrachten, die Spiele der „Die Sims“- Reihe (Maxis, 2000 - 2017) als digitales Playmobil und die äußerst erfolgreiche „ Super Mario“-Reihe (Nintendo, 1985-2017) ist Geschicklichkeitsspiel durch und durch. Daraus können zwei Kategorien von Videospielen gebildet werden, die sehr wohl Kunst im Sinne ihres Herstellungsprozesses darstellen, jedoch keine Darstellungsfunktion besitzen beziehungsweise die künstlerische Darstellung erst durch das Spielen erzeugt werden kann (etwa eine in Minecraft erstellte Umgebung oder eine „Lebensgeschichte“ der eigenen Sims). Dabei kann man „Tetris“, „Counter-Strike“ und „Super Mario“ als Konzentrationsspiele einordnen, bei denen es um das Bedienen einer bestimmten Mechanik geht. Die Spiele der „Mario“-Reihe enthält zwar beispielsweise eine Hintergrundgeschichte, allerdings rückt sie so fern in den Hintergrund, dass sich die viele SpielerInnen dieser in den Jump& Run’s nicht einmal bewusstwerden, auch weil sie für den Spielspaß an sich keine Rolle spielt. Sie sind das Äquivalent zu Geschicklichkeitsspielen im eigentlichen Sinne.
Minecraft oder Die Sims kann man hingegen als Baukästen bezeichnen, denn sie enthalten ebenfalls keine verarbeiteten Darstellungen, die durch das Medium (das Spiel) zum Betrachtenden (den Spielenden) übertragen werden sollen. Sie stellen vielmehr die Möglichkeit, Kunst in diesen vordefinierten Räumen selbst zu erschaffen und wenn gewünscht durch das Teilen in der Community zu verbreiten. So findet man in den Welten beziehungsweise Städten der Sims Spiele seit jeher dieselbe, bereits in der Welt platzierte Familie Grusel vor, die sich seit dem ersten Teil der Reihe nicht verändert hat, da sie zusammen mit den anderen platzierten Haushalten einen Rahmen und gleichzeitig ein Beispiel für die eigene Schaffung von Haushalten und deren Simulation verkörpern. Auch die, im Gegensatz zu anderen Spielegenres, extrem hohe Verfügbarkeit an Mods sowie die dazugehörige Community verwirklichen dieses Prinzip.
Es gibt jedoch auch die „andere Seite“ der Videospiele, nämlich die, die etwas erzählen oder darstellen. „Grand Theft Auto“ (Rockstar Games, 1997-2013) lässt sich ebenfalls ganz oben in die Statistik der erfolgreichsten Spiele aller Zeiten einreihen: Ein Rollenspiel, bei dem Spielende durch die Übernahme eines Charakters eine Geschichte durchleben. Die Vermittlung einer Story und der damit verbundenen Ideen, Problemstellungen und Emotionen erfolgt also sozusagen „aus erster Hand“, weil man die Rolle des/der ProtagonistIn selbst übernehmen muss. Bei den meisten Rollenspielen ist dieser Aspekt jedoch nicht allzu präsent, da auch Crafting, das Sammeln von Objekten oder Punkten beziehungsweise Benotungen der Spielperformance eine besondere Bedeutung haben. Nicht ohne Grund können Dialoge in Rollenspielen oftmals übersprungen werden, wodurch sich zwei Spielarten mit unterschiedlichen Fokusse ergeben. Die Spiele können dann entweder durch ihre Geschichte mitsamt der Überzeugungskraft der Erzählung, wie es zum Beispiel beim letzten Teil der „The Witcher“ Reihe (CD Projekt Red, 2015) zu beobachten war, oder durch interessante Mechaniken und Aufgaben erfolgreich werden, was Rollenspiele als Kategorie auf die Schwelle zur darstellenden Kunst positioniert. Reduziert man die Linearität der Spiele, was oftmals auch der Wunsch von Spielenden ist, wird die Verbindung mit dem gespielten Charakter und somit das Erlebnis verstärkt.
Als die darstellende Kunst schlechthin können Adventures verstanden werden. Hier liegt das Augenmerk vollkommen auf der Geschichte, dem Inhalt dessen was man als SpielerIn erfährt und erlebt. Dafür werden Spielende meistens auf eine Ebene (sprichwörtlich) mit den Charakteren gesetzt, um die Identifizierung zu erleichtern: Entweder man spielt in der ersten Person oder man ist an den Körper einer dritten Person geheftet. Die Spielmechanik tritt meistens in den Hintergrund, Point-and-Klick Adventures verzichten sogar völlig auf eine ausgefeilte Steuerung. Diese Umstände brachten dem Genre den zweiten Namen des „interaktiven Films“ und genau dieser Moment erschafft eine neue Kunstform, bei der Betrachtende das Kunstwerk mitgestalten oder zumindest den Eindruck davon haben, was in jenen mit eigener Entscheidungskraft und Konsequenzen der gewählten Handlungen („Life is Strange“ (Dontnod, 2015) , „Heavy Rain“ (Quantic Dream, 2010) seinen Höhepunkt findet.
Ein Beispiel für die künstlerische Verarbeitung eines Themas in einem Videospiel ist „What Remains of Edith Finch“ (Giant Sparrow, 2017). Man steuert die Protagonistin, die in ihr Elternhaus zurückkehrt, um die Historie ihrer Familie zu untersuchen und zu dokumentieren. Das geschieht durch das Aufsuchen einzelner Zimmer, in denen man durch bestimmte Objekte in die Vergangenheit reist, sich in der Rolle eines Familienmitgliedes oder Anwesenden wiederfindet und somit die Geschehnisse durchlebt, die letztlich zu deren Tod führten. Hier setzten die Entwickler auf eine Technik, die bisher in Adventures vernachlässigt wurde: In den Sequenzen wird man ohne Einführung mit einer komplett neuen Steuerungsweise konfrontiert, was das Spielerlebnis stark intensiviert und es zeugt von viel Kreativität seitens der Entwickler, diese an die Geschichten der Charaktere anzupassen. Dieses unmittelbare Hineinversetzen in die verstorbenen Angehörigen von Edith ist letztlich für das erfolgreiche Übertragen der Emotionen verantwortlich und zwar nicht durch Realismus, sondern durch die Wirkung der Gedanken, Gefühle und der Umgebung der gespielten Charaktere. So fließen Fantasie und Wirklichkeit besonders in den Geschichten der Verstorbenen im Kindesalter, die übrigens den Großteil des Spiels ausmachen, ineinander und überzeugen gerade damit, weil sie an die eigene Erlebnisweise als Kind erinnern.
Es ist also interessant zu beobachten, dass die Videospielindustrie und die Spielerschaft versucht, die Wahrnehmung von Spielen als Kunst in der Öffentlichkeit und Politik zu etablieren, was man etwa bei den Auftritten auf Messen mitbekommen konnte. Denn auch wenn Spiele natürlich immer Handwerkskunst sind, erfreuen sich jene, die dem oben definierten und dem heutigen Allgemeinverständnis nahem Kunstbegriff entsprechen, keiner vergleichbar großen Beliebtheit in der Community wie jene, die eigentlich mehr digitalisierte Geschicklichkeitsspiele sind. Teilweise findet sich sogar eine Ablehnung und Entwertung von Adventures durch die Spielerschaft, indem sie diese nicht als Spiele bezeichnen wollen. Allgemein lässt sich sagen, dass die Bandbreite der Genres im Videospielbereich keine einfache Klassifizierung als dargestellte beziehungsweise darstellende Kunst, allerdings immer als Handwerkskunst zulässt.