Wandern, Reisen oder gar Urlaub waren sowohl in der Antike wie auch im Mittelalter Unterfangen, die man lieber vermied - egal ob Bildungs-, Erziehungs- oder für Privilegierte der Erholungsurlaub. Ein dichtes, stets befestigtes und gepflastertes Straßennetz, eine Grenzen überschreitende Sicherheit oder das gesicherte Wissen um das Fremde in Kultur und Kartographie gab es nicht. Großreiche konnte zwar eine verbesserte Infrastruktur und eine einheitliche Währung garantieren. Der für das Heilige Römische Reich deutscher Nation gedachte Flickenteppich barg trotz alledem seine Herausforderungen. Wer sich auf den Weg machte, seinen Schutz gebenden Heimatort verließ, hatte unterwegs zwischen den verschiedenen Siedlungen natürliche Unwegsamkeit, Räuber und die Gefahr der Verschleppung zu fürchten. Bewaffnete Schutztruppen als Entourage war ein Soll, aber nur für Betuchte möglich. Tavernen an Weggabelungen oder Kreuzungen waren Sammelpunkte von Reisenden wie örtlich Ansässigen und eine der wenigen schutzgebenden Punkte auf der eigenen Reiseroute. In Geschichten wie Videospielen sind sie Orte, an denen man sich mit Freunden treffen, romantische Begegnungen haben, über Politik streiten und Musik dank einiger Minnesänger hören kann. In „Crossroads Inn“ verwaltet man solch eine Taverne, die zufällig an der Grenze zu drei mittelalterlichen Königreichen steht.
Erschienen am
23. Oktober 2019
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Überzogen heroisch wird ein Gasthaus, das seine besten Tage bereits hinter sich gelassen hat, vom in die Jahre gekommenen Onkel übernommen, um es wieder auf Vordermann zu bringen. Als Sprungbrett soll es im Kampagnenmodus eine von organisatorischen Hürden geprägte Geschichte vom Tavernenwirt zum König erzählen. Notwendige alkoholische Getränke zu brauen ist beispielsweise schwer, weil wirtschaftlich gierige Personen ihre Hände auf allen Ressourcen haben, die zur Herstellung notwendig sind. Um diese Wucherer zu umgehen, hilft Lügen, Schummeln und ein bisschen Stehlen, um Vorräte von Banditen oder Händlern zu bekommen. Eine Lösung des Problems ist etwa die Gründung eines Schmugglerrings, um von Ganoven im Wald gebrauten Alkohol zu kaufen. Das Spiel arbeitet mit Optionen, denn je nachdem, wie man sich entscheidet, zieht man logischerweise unterschiedliche Klientel an: Tagelöhner, Ganoven oder gehobene Kundschaft bis gut betuchte Adelige können zu Gast sein.
Die ersten Stunden der Kampagne dienen eindeutig als Tutorial, das allerdings nicht vollumfänglich ist. Missverständnisse oder Wissenslücken schleichen sich schnell ein, während man eifrig die vielen erklärenden oder die Geschichte vorantreibenden Texteinblendungen liest. Die Geschichte ist mehr oder weniger Standardkost eines Heldenkonzepts und nicht das Herausragende des Spiels. Questbasiert schlängelt man sich durch ein Fantasy-Narrativ mit einigen Rollenspielelementen und sammelt fleißig Fähigkeitspunkte, um unterschiedliche Entscheidungsoptionen pro Problem angeboten zu bekommen. Verschiedene Fraktionen, die Sicherstellung eines guten Rufs und kleine Abenteuermissionen in Iso-Perspektive komplettieren das Kampagnenkonzept. In Retrospektive hätte es dem Spiel womöglich besser gestanden, die eingangs beschriebenen Szenarien zum Thema „Reisen“ ins Zentrum zu stellen, das heißt die Geschichten des kleinen (Hörige, Leibeigene, Knechte, Musikanten, Henker) oder großen (Graf, Vasallen, Äbte), unbekannten Menschen zu erzählen anstatt mit „König“, „Heer“, „Krieg“ und anderen, vielfach benutzten und durchaus verklärten Stereotypen des Mittelalters zu arbeiten. Alltag bedeutet nicht grundsätzlich langweiliges „Grau in Grau“, erst Recht nicht, wenn die den Alltag bestimmende Welt nicht die Gegenwärtige ist.
Die Komplexität in Verwaltung und Aufbau eines Gasthofes ist die Stärke des Spiels. Über 200 verschiedene Gegenstände lassen sich gestalterisch oder spielmechanisch aufeinander beziehen. Allein die Zahl 200 deutet bereits darauf hin, dass das Spiel die meiste Langzeitmotivation im sogenannten „Sandbox“-Modus liefert. Die eigene, perfekte Taverne aufzubauen, Zimmer zu vermieten, Glückspiel zu händeln, dadurch angezogenes Gesindel durch bezahlte Wachen in Schach zu halten; „Crossroads Inn“ besitzt genug Potenzial, um ohne Kampagne auszukommen, selbst wenn man nur eine einzige und nicht eine Tavernen-Franchise aufbaut. 77 Rohstoffe ständig nachzukaufen, einen komplexen Markt auf einer großen Karte zu überblicken, die Transportkosten einzuberechnen, um aus verschiedenen Himmelrichtungen die notwendigen Ressourcen liefern zu lassen, sind eine Herausforderung. Zusätzlich muss ständig das eigene Personal intelligent verwaltet werden, um einen reibungslosen Ablauf zu garantieren. Details bedeuten in „Crossroads Inn“ womöglich den Albtraum: Wer nicht bemerkt, dass der eigene Angestellte Raucher ist, sich deshalb oftmals während der Arbeit hinsetzt, um eine Pfeife zu stopfen, anstatt die Tische zu säubern, könnte böse Überraschungen wie von der Hygiene abgeschreckte Gäste erleben. Die Klientel bestimmt vieles.
Die sich im Spiel entspinnende Dynamik ist lobenswert und kann in Gänze kaum textlich abgebildet werden. Allein das Zusammenspiel von Region und Ruf, die daraus resultierende Anzahl an Kunden und die Verfügbarkeit verschiedener Waren aus dieser Region sind nur der Startpunkt für eine weitreichendere Verästelung. Die aus der jeweiligen Region herreisende, aus unterschiedlichen sozialen Schichten stammende Klientel hat zwar seine jeweiligen Ansprüche, gibt aber im Gegenzug Neues hinzu. Beispielsweise werden Rezepte über Dialoge mit Gästen erworben. Hierfür können sogar eigens Angestellte als Interviewer abgestellt werden, um nicht selbst mit den Kunden sprechen zu müssen. Ebenso können durch das Erschließen von neuen Handelsrouten regionsübliche Rezepte auf der großen Weltkarte mit unterschiedlichen Ressourcen erworben werden oder neue Möbel und Dekorationen freigeschaltet werden.
Das alles als Indie-Team zu stemmen, klingt nach Größenwahn. Wenig überraschend somit, dass zur Veröffentlichung das Spiel nahe der Unspielbarkeit war. Die insgesamt zehn Entwickler von Kraken Unleashed arbeiteten die letzten zwei Monate eifrig, fügten Patch um Patch hinzu. Viele der technischen Fehler des Spiels sind seit der Version 2.0.1 behoben worden. Dass die KI sich ab und an verläuft, gegen Wände rennt oder in Objekten feststeckt, passiert immer noch. Wer keine Nachsicht gegenüber solchen Fehlern zeigt, dürfte maximal von holprigem Spielspaß reden. „Crossroads Inn“ besetzt eine sehr schmale Nische, weil es spielmechanisch keinerlei Anstalten macht, Komplexität einzukochen. Im Gegenteil. Dass zu wenig sogenannte „Manpower“ hinter der Entwicklung steckt, sodass einige Funktionalitäten erst nach und nach aus dem Chaos verschiedener Programmierfehler herausgeschält werden müssen, ist offensichtlich. Die interne Konsistenz und Logik der Simulation ist dennoch bemerkenswert.