Der Einstieg vom karbonisierten Ausstieg wird seit den 1970er Jahren diskutiert: Wie schafft man es die momentan zu umweltschädliche, menschengemachte Technologie so zu verändern, dass sie einerseits nicht verschwindet aber andererseits nicht die Lebensgrundlage aller Lebewesen dieser Erde zerstört? Diese Frage ist im politisch-gesellschaftlichen Diskurs womöglich im Ansatz geklärt. Gangbare Lösungswege entstehen momentan. „Terra Nil“ schert sich nicht um diese Diskussion, sondern gibt vor, dass die Welt ökologisches Wüstenland bereits geworden ist. Das Schreckensszenario Klimawandel und die damit einhergehende Zerstörung ganzer Landstriche, die eh bereits unter dem Einwirken des technologisierten Menschen ächzten, werden zum Anlass genommen. Das heißt, dass wie in vielen Videospielen der letzten Jahre abermals die Apokalypse bemüht wird. Der Twist ist die Herstellung des ursprünglichen Zustandes. Ödland soll in eine gekannte Biosphäre zurückverwandelt werden.
Erschienen am
28. März 2023
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Spieldauer
„Terra Nil“ ist ein kurzes Puzzlevergnügen, das in zehn Stunden sein Ende finden wird. Der Spieler soll systematisch in einem Dreiklang das vorgegebene, begrenzte Terrain von Schadstoffen säubern, um Klima wie Fruchtbarkeit zu verändern, sodass in einem dritten Schritt Tierarten wieder angesiedelt werden können. Es behandelt das Thema „Solarpunk“; eine eher unbeachtete, dennoch bedeutende künstlerische und literarische Idee, die das Zusammenspiel von Technologie und ökologischer Nachhaltigkeit behandelt.
Vier Klimazonen, das heißt die Gemäßigte, (sub-)Tropische und Polare mit je zwei zu revitalisierenden Leveln stehen als Herausforderung parat. Alle Level werden bis zu einem gewissen Grad prozedural generiert, sodass in jeder Spielrunde ein wenig Abwechslung herrscht. Das Spiel von Free Live Games ist auch spielerisch der Einstieg des Ausstieges, weil es entschleunigt, sowohl visuell wie auditiv. „Terra Nil“ plätschert vor sich hin, ähnlich zur entspannenden Hintergrundmusik. Es setzt keine Fristen, arbeitet mit keinen schrillen Klängen oder Symbolen noch versucht es den Spieler zu drängen, irgendetwas Effektvolles zu kreieren. Pragmatisch, mit wenigen Mitteln aber vielen Klicks schiebt das Spiel dem Spielenden Probleme vor die Linse, die zum Teil menschengemacht sind und zum Teil das Terrain respektive die zur Verfügung stehende Technologie mit sich führen.
Selbst wenn die Strategie für jedes Level die gleiche ist, taktisch ist unterschiedlich vorzugehen. Es gibt keine komplexen Rohstoff- und Produktionsketten und trotzdem müssen Luftfeuchte, Bodenverschmutzung, Temperatur und Radioaktivität als Marker geschickt aufeinander bezogen werden, um möglichst umfassend Flora und Fauna sukzessive erblühen zu lassen. „Terra Nil“ ist ein schier unterkomplexes Aufbauspiel, weil beispielsweise „nur“ kontrolliert Feuer gelegt werden, um anschließend darauf Wälder gedeihen zu lassen, die wiederum Lebensraum für entsprechende Tiere sind. Es ist abgesehen davon katastrophenarm und alles, was passiert, ist vom Spieler initiiert und wird somit klar kontrolliert.
Im Zuge des Aufbaus kann ein Kuddelmuddel aus energiespendenden Windrädern, Entgiftungsanlagen, genutzter Kanalbrenner, Verdampfer, Treibhäuser und so weiter entstehen. Eine Spielrunde ist nicht beendet, sobald das gesamte Areal renaturiert wurde. Alles, was aufgebaut seine Dienste verrichtet hat, muss wieder restlos abgebaut werden. Erst dann, wenn alles zusammengepackt in ein großes Transportflugzeug geladen wurde, ist die Aufgabe abgeschlossen. Der Abbau ist stets die zweite Phase und versucht eine Spielrunde einerseits zeitlich zu strecken, andererseits aber auch zusätzliche Herausforderungen bereitzuhalten, um nicht Monotonie entstehen zu lassen. Vom Transportflugzeug aus müssen hierfür kleine logistische Systeme aufgebaut werden, sodass sukzessive aus dem entlegensten Winkeln recycelt wird, was nicht zur Natur gehört beziehungsweise menschliche Technologie ist. Das heißt, dass der Mensch nicht nur den selbstverursachten Schaden begradigt, er macht sich zum Schluss auch überflüssig. Um hierbei spielmechanisch wiederum etwas Abwechslung zu schaffen, werden einmal auf dem Flussweg kleine Boote losgeschickt, um alles abzubauen. Ein anderes Mal muss ein kleines Monorailsystem angelegt werden. Aber auch dieses muss selbstverständlich zum Schluss zurückgebaut werden, denn „restlos“ meint rigoros, dass wirklich nichts übrigbleibt.
Es wäre ein Einfaches aufgrund der geringen Komplexität das Spiel zu kritisieren. Allerdings ist „Terra Nil“ zum einen eher Puzzle- als Aufbauspiel. Und zum anderen ist die beschriebene Charakteristik von den Entwicklern genauso gewollt: „Terra Nil“ will leichte Kost sein und trotzdem unterhalten. Die eher spärliche Anzahl an Biomen und Level ist tatsächlich ein Manko. Ansonsten ist das Spiel zumindest für den PC auf Steam konzeptionell „rund“ und macht Spaß. Niedrige Systemanforderungen sprechen ebenso für „Terra Nil“ wie die Möglichkeit für Netflix-Abo Besitzer dem Spiel eine kostenlose Chance zu geben. Dass sich das Spiel derart ruhig und auch verzeihend gegenüber der Person vor dem Bildschirm gibt, ist überraschend. Die spielbare Version auf der Gamescom 2022 ließ noch kleine Fragezeichen bestehen, inwiefern das Videospiel Komplexität favorisieren wird. Es symbolisiert ein perfektes Szenario zur Rettung der Welt und müht sich um keine realistische Simulation oder Ähnliches. Ist es schade, dass nicht mehr Spielzeit existiert? Ja, sicherlich und es wäre wünschenswert, wenn die Entwickler auf Basis des Kaufbaren aufbauen, um inhaltlich zwei oder gar drei Schippen draufzulegen. Heißt das, dass man vom Spiel erstmal noch Abstand nehmen sollte? Definitiv nein. Jeder, der gerne ab und an entspannt ein nicht anstrengendes Puzzlespiel spielen möchte und dabei seinen Ohren und Augen Ruhe gönnen möchte, kann sich gerne „Terra Nil“ näher anschauen.