Drei Jahre existiert dieses Projekt bereits und noch kein einziges Horrorvideospiel wurde bisher in irgendeiner Art und Weise behandelt: „Agony“ ist die Premiere. Das ist insofern erstaunlich, als dass der Horror nicht nur im Bereich des Films in einer hohen Schlagzahl Werke zu Tage fördert, sondern auch im Segment der Videospiele ähnliches zu beobachten ist. Der Grund für diese vermeintliche „Horror-Blindheit“ ist die oft vorherrschende Einfallslosigkeit, die Horrorspiele mittlerweile so berechenbar machen, sodass der Schock respektive Horror gar nicht mehr erlebt wird. Madminds Studios „Agony“ war Zufall, denn bis zur Gamescom 2017 schlummerte dieser Rohdiamant im Schatten eines bisweilen ordentlich angewachsenen Haufens an verschiedene Titeln, die alle das Dunkle, Gespenstische, Unkontrollierbare zum Thema haben. Nach dem Anspielen in Köln wurde klar, dass es sich nicht um einen erneuten Versuch handelt, Schockmomente zeitlich abgrenzbar aber dennoch am laufenden Band zu produzieren, sondern einen Weg beschreitet, der das gesamte Spiel als einen zusammenhängenden optisch auditiven Schocker zum Ziel hat. Manch einer würde dieser Konzeption recht skeptisch gegenüberstehen, denn das Spielvergnügen resultiert generell nicht aus dem sich Ängstigen per se, sondern aus der physisch-emotionalen Erleichterung, die nach einer beängstigenden Situation in jedem Horrorwerk einsetzt. Wenn „Agony“ ein einziger Schockzustand sein soll, wo existiert dann das Vergnügen? Die Antwort liegt im Detail.
Erschienen am
29. Mai 2018
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Angst und Spaß: Wie entsteht eine Passung?
Seit Jahrtausenden wird der Mensch durch Angst geprägt. Möglicherweise ist die größte Angst immer noch die, dass irgendein wie auch immer geartetes Raubwesen, einen verschlingt, denn unter den frühesten Formen menschlichen Bewusstsein ist die Erkenntnis Fleisch und somit attraktiv, geschmackvoll, ergo vergänglich zu sein. Raubtiere und giftige Reptilien waren und sind seit langer Zeit einer der Hauptgefahren menschlicher Existenz und beeinflussten unsere Wahrnehmung nachhaltig. Nicht umsonst zeigt sich in der Forschung, dass Säuglinge Schlangen schneller erkennen als etwa Pistolen oder Autos. Dieses „vorbereitete“, in die DNA eingebrannte Wissen verharrt in jedem und „Agony“ weiß davon; es nutzt es schamlos aus.
Angst ist aversiv, die stärkste, negative Emotion, die dann entsteht, wenn eine Person sich bedroht fühlt. Dennoch besitzt der Horror, das heißt auch „Agony“ eine gewisse Attraktivität. Spiele dieser Art bieten Identifikationsmomente, die universelle Relevanz beinhalten, wie etwa die Angst vor dem Tod oder dem Unbekannten. Sie sind somit Spiegelbild sozialer Problematiken. Die persönliche Relevanz, die durch die Identifikation mit dem Protagonisten oder der Ablehnung des Antagonisten gegeben ist, bildet den abschließenden Aspekt, der eine fast vollkommene kognitive Beschäftigung während des Spielens nach sich zieht. Der meist eingespeiste Mangel an Plausibilität und Realismus bildet ebenfalls ein wichtiger Faktor, denn obwohl vor allem durch die Grafik versucht wird, Realismus vorzugaukeln, weiß der Spieler zu jedem Zeitpunkt, dass alles, was erlebt, nicht real ist. Der Spieler muss sich sogar sicher fühlen, um Horror genießen zu können. „Agony“ ändert daran wenig und triggert dennoch auf andere Art und Weise Adrenalin, Endorphine und Dopamin. Es fordert dazu auf, die Angst zu suchen. Das Spiel präsentiert diese nicht auf dem Silbertablett. Nicht Raubtiere, sondern mystische Wesen, die allein auf Grund des Designs klar zu verstehen geben, wer vor wem Achtung haben sollte, durchziehen eine düstere Landschaft, die kein Grün und kein Licht kennt. Die in „Agony“ herrschenden Wesen sind überhöhte, frisierte Versionen realistischer Gefahren, die bereits unsere Vorfahren zu fürchten hatten. Sie sind stark, sie sind unkontrollierbar und sehr hungrig.
Der Teufel im Detail: Kompromisslos, handwerklich perfektionistisch
Noch tiefer grabend sind „Agonys“ Monster minimal kontraintuitiv, das heißt sie erfüllen nahezu alle Kriterien für eine bestimmte Kategorie, verletzen aber ein wesentliches Element, das denkwürdig und aufmerksamkeitserzeugend ist. Sie besitzen Körper und wahrscheinlich auch ein Herz aber erscheinen untot, übermächtig in ihren Möglichkeiten. Sie bewegen sich menschenähnlich, aber nicht vollständig korrekt. Sie verhalten sich vermeintlich nach gewissen Schemata. Überlappungseffekte, die auf religiös motivierten Ekelreaktionen bauen, sind allgegenwertig und begünstigen eine tiefsitzende Angst vor einer Infektion. Der Begriff des „psychologischen Immunsystems“ passt auf „Agonys“ Horror gut. Diese Fixierung auf den Tod und die damit verbundene vorangehende Infektion ist das, was „Agony“ fast in jedem Moment versucht zu transportieren, ohne eine Verschnaufpause zuzulassen: Skelette, Sekret absondernde und blutverlierende, zum Teil ausgehungerte Wesen sind in Madmind Studios Werk keine Seltenheit.
„Agony“ beherrscht und besitzt alles Erwähnte, versucht sich am Kompromisslosen unter kritischer Verwendung des kirchlichen Diktats: Die berühmten Ablassbriefe, die bis 1567 Gültigkeit besaßen, hatten ihre innenwohnenden Schrecken, die Gefahr der Sünde und die Furcht vor dem Fegefeuer. Nur deshalb wurden sie gekauft und waren begehrt. Die Entwickler von Madmind Studio haben diese Problematik klar im Subtext des Spiels verankert. Obwohl es optisch nicht das überzeugendste Videospiel der Horrorsparte ist, so ist es als Gesamtwerk nahe der Kunst, weil es wirkt, und das nachhaltig. Bilder brennen sich ein, weil sie bedienen, nach was nicht nur Horrorenthusiasten suchen, sondern die menschliche Neugier füttert: Das Erleben des bedingungslos Beängstigenden im sicheren Wohnzimmer.