Sogenannte RTS beziehungsweise „Real Time Strategy Games“, gehören seit Anfang der 1990er bis heute zu den populäreren PC Spiel Genres. Titel wie „Command & Conquer“ (Virgin Interactive 1995) legten das Fundament für sämtliche Strategiespiele, die das „Kommandieren und Erobern“ aus gemütlicher Top-Down Perspektive am heimischen Computersystem ermöglichen. Darauf basierend wurden über die Jahre hinweg neue Titel sogar auf Konsolen vorgestellt, die sich zwischen einzigartigen Kriegsschauplätzen, welche nicht selten wahre historische Ereignisse darstellten und sich in den Kernmechaniken mehr oder weniger unterschieden. Ein neues RTS Spiel markttauglich zu machen, bedeutet somit sich gegen bewährte Systeme durchsetzen zu müssen und sie auf die ein oder andere Art als Inspiration zu nutzen.
Erschienen am
01. September 2020
Entwickler
Plattformen
Das erste Anspielen von „Iron Harvest“ (King Art Games) auf der Gamescom 2019 fühlte sich zumindest in den Spielmechaniken an, wie der große Stiefbruder „Company Of Heroes 2“ (THQ, 2013). Sicherlich profitiert King Arts Games vom Knowhow, das THQ als gewachsene Strategiespielschmiede über ein Jahrzehnt gesammelt hat. Gleichsam konnten aber keine Spielmechaniken festgestellt werden, die sich großartig vom Status Quo abheben. Das Rekrutieren und Befehligen der verschiedenen Einheiten mit Deckungs- und Angriffsbefehlen fühlt sich in „Company Of Heroes“ - Manier (zu) bekannt an. Womöglich wollte man hier zugunsten alteingesessener Strategiespieler viel richtig machen, ohne sich großartig aus dem Fenster zu lehnen.
„Iron Harvest“ besitzt dennoch einen einzigartigen Charakterzug, der im Detail seiner Oberfläche zu finden ist. Der Titelname beziehungsweise übersetzte Begriff „Eiserne Ernte“ steht seit dem Ersten Weltkrieg von 1914 bis 1918 sinngemäß für die Sicht der Bauern auf das eigene verwüstete Land. Wo einst fruchtbarer Boden war, zeugten Schrapnelle, Kugeln und anderes Kriegsgerät von Angst und Zerstörung. Iron Harvest scheint großen Wert auf die Erzählung einer wahren Geschichte zu legen, obwohl es in seiner Oberfläche alles andere als wahrheitsgemäß zu sein scheint. Wo man die ersten klobigen realistischen Panzerwagen erwartet, lässt sich Steampunk-Realismus finden.
Da sich der Begriff Steampunk aus H.G. Wells‘ Zeiten herrührt und sein wohl bekanntestes Werk „Die Zeitmaschine“ (1895) vom Bau einer funktionierenden dampfbetriebenen Zeitmaschine handelt, kann bei King Art Games neuem Titel durchaus von Steampunk gesprochen werden. Die Panzermaschinen im Spiel fahren nicht auf schweren Ketten, sie laufen. Verantwortlich dafür ist Künstler und Illustrator Jakub Różalski, welcher durch sein visuelles Konzept schon lange vor dem Erscheinen von „Iron Harvest“ das Themengebiet festgelegt hat. In älteren Werken des Künstlers lassen sich bereits Sympathien respektive Tendenzen zu polnischer Geschichte erkennen, die sich nicht selten um Erste und Zweite Weltkriegsanekdoten und den damit zusammenhängenden Koryphäen des alten Polens, wie etwa Wojtek dem Bären, drehen. Grob gesprochen war Polen seit dem Mittelalter politische territoriale Verhandlungsmasse der angrenzenden Großmächte und wurde bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs immer wieder zerrissen und wieder fremdbestimmt zusammengesetzt. Zuletzt durch die Sowjet Union der eigenen, nationalen Identität beraubt, gilt der ehemals von Krieg zerrüttete Zankapfel Polen daher als interessantes Medium für Różalskis Storytelling.
Weil im Kriegsszenario die Grenzen zwischen Sympathie und Realität verschwimmen und es realistisch rational gesehen nur Verlierer gibt, liefert „Iron Harvest“ als Strategiespiel durchaus Diskussionsstoff zur eigenen Rahmenthematik. Der Trailer zum Spiel zeugte leider nicht gerade von sozial-historischem Tiefgang. Es handelte sich lediglich um historische Aufnahmen, denen Computergrafiken hinzugefügt wurden, um schnell und simpel zu erklären, dass futuristisch anmutende Weltkriegsmaschinen auf Soldaten und andere Maschinen im Spiel ballern werden. Offensichtlich soll durch echte Aufnahmen eine bedrückende Weltkriegsszenerie initiiert werden, die wie so oft als Stilmittel im ethisch moralischen Graubereich dahindümpelt, ohne wirkliche Aussagen dem Spieler zu vermitteln. Vermutlich handelt es ich um reines, effizientes Marketing. Dabei sollte gerade der Fokus auf den Sachverhalt gelegt werden, dass „Iron Harvest“ Spielmechaniken zwischen bekannten an Weltkriegsszenarien anlehnenden Videospielen, keinen Fokus auf den gewissen Realismus in der Grausamkeit der Schlacht legt, sondern durch seinen eigenen künstlerischen und spekulativ-realistischen Look gepaart mit strategischer Action sogar das ein oder andere Spielerauge für politisch-soziale Zeitgeschichte öffnen könnte.
In der Testversion des Spiels war es beispielsweise möglich die Protagonistin und Scharfschützin Anna mit dem bärigen Geleitschutz Wojtek zu kommandieren, der wie zuvor erwähnt, als Koryphäe polnischer Geschichte gilt. Es machen sich einige Logiklücken zugunsten des Gesamtwerkes breit. Schließlich spielt Iron Harvest in der Zeit der 1920er während Wojtek der Bär, der als Munitionsträger und Freund des polnischen Korp polnische Ikone ist, von 1942 bis 1963 lebte. Diese Unstimmigkeiten, wie sie ebenfalls in den Steampunk-Realistischen Maschinen der Sowjets, Deutschen und Polen zu finden sind, formen dennoch eine dystopische Verzerrung des Themas und machen „Iron Harvest“ zu etwas besonderem.
Demnach steckt in Różalskis und Kind Art Games geschaffenem Werk theoretisch mehr als nur Kriegsgewalt und Strategiespiel. Vielmehr kann die Rede von einem künstlerischen Liebesbrief sein, verfasst vom Künstler an das Volk und der Geschichte seines zeitweise an Souveränität beraubten Heimatlandes, welcher mit „fantastischem Realismus“ in Brettspielform (Scythe) und schließlich in den Möglichkeiten der digitalen 3D-Welt als „Iron Harvest“ zum Leben erweckt wird.