Rekursiv, verkettet, umkehrbar und doch kausal, ist das möglich? Für gewöhnlich folgt auf jeden Zeitpunkt der Gegenwart ein Zeitpunkt der nächsten Zukunft. Ereignisse passieren in einer endlos langen, aber nicht zirkulären Folge. Daraus entsteht wiederum Sinn oder Kausalität. Wird der entstehende Zeitstrahl gebogen, sodass er sich mit einem Punkt der Vergangenheit verbindet, entsteht eine Zeitschleife, die jene Eigenschaften besitzt, die im ersten Satz aufeinander bezogen wurden. Die Idee der Zeitmaschine ist eine Ableitung dieser Vorstellung. Dramaturgisch entstünden auf Basis dieser Idee gänzlich andere Verwicklungen und Veränderungen, die wie selbstverständlich bereits in Filmen oder in der Literatur erkundet wurden. „Rue Valley“, ein stark auf eine designte Handlung setzender Einzelrollenspieler, hängt sich an diesen Themenkomplex an.
Entwickler
Plattformen
Im Zentrum des gezeichneten, isometrischen Rollenspiels steht der zu begleitende Protagonist namens Herr Harrow, der zu Beginn charakterlich ausgestaltet werden muss. Teilweise hangeln sich die Entwickler von Emotion Spark Studio an klassischen, psychologischen Hemisphären wie den „Big Five“ (Offenheit, Extraversion, Neurotizismus, Gewissenhaftigkeit und Verträglichkeit) entlang. Teilweise geben sie aber auch selbstgesteckte Persönlichkeitseigenschaften zur Auswahl. Zusammengenommen bilden sie viele kognitive, soziale und emotionale Aspekte der menschlichen Psyche ab.
Das Ziel von „Rue Valley“ ist einfach: Es gilt aus einer 47-minütigen Zeitschleife auszubrechen. Die mentale Verfassung des Protagonisten ist anfangs alles andere als erbaulich. Einen Klienten ohne Lust an Veränderung gegenübersitzend auszuhalten, ist für einen Therapeuten herausfordernd. Wie also soll ein gewöhnlicher Spieler solch eine verzwickte Situation, bestehend aus zeitlicher Begrenzung und lethargischem Protagonisten, lösen?
Womöglich wird man sogar über sein eigenes Persönlichkeitsdesign stolpern, weil es laut den Entwicklern Einfluss auf die möglichen Interaktionen im Spiel hat. Denn sobald die 47 Minuten im Spiel, nicht aber in der Realität, vergangen sind, winkt die Zeitschleife und man wird an den Anfang zurückgesetzt. Es ist wieder acht Uhr abends und Herr Harrow sitzt vor dem bekannten Therapeuten. Die Therapiestunde scheint daher nicht nur eine Behandlung, sondern auch ein Rückzugsort zu sein. Der Spieler hat einiges hinzugelernt, was geschickt ausgenutzt werden sollte, wenn man „Rue Valleys“ Zeitschleife entfliehen möchte.
So repetitiv das Spielkonzept sein mag, so variantenreich sollen die vieles bestimmenden Dialoge und Interaktionsmöglichkeiten mit der Umwelt ausfallen. Das Set verschiedener Handlungsmöglichkeiten ist an die bisherigen Erlebnisse gebunden. Das heißt, dass der Fortschritt im Spiel durch die Veränderung der Dialogoptionen erkennbar wird. Die Vorkommnisse innerhalb einer Schleife können dafür sorgen, dass sich der psychische Zustand oder die Eigenschaften des Charakters verändern. Passieren beispielsweise schockierende Dinge, wird sich der Charakter in der nächsten Runde ängstlicher verhalten. Optionen, die in der vorherigen Schleife möglich waren, sind verschwunden, andere wiederum werden zur Auswahl gegeben. Das bedeutet, dass „Rue Valley“ stark auf Exploration und Neugier sowohl auf geschichtlicher wie auch kausaler Ebene setzt. Wer nicht mitdenken möchte und aufmerksam registriert, was im Spiel passiert, bleibt und verschwindet, wird an dieser Spielidee kaum Gefallen finden.
„Rue Valley“ will animieren, neue Optionen auszutesten, ohne zu wissen, was folgen wird. So seltsam manch eine Kombination an Aktionen auch erscheinen mag, sie sind gewollt. Sie werden vom Videospiel mehr oder weniger eingefordert und mit amüsanten Dialogen und seltsamen Aktionen belohnt. Daraus speist sich der Spielspaß, der dem ansehnlichen, aber sehr ernsten 1980er Setting gegenübersteht. Die Tiefe, auf welchen Wegen charakterliche Eigenschaften und Persönlichkeitsspuren in verschiedene Richtungen entwickelt werden können, ist das Rückgrat des Spiels. Die zeitliche Schleifenstruktur ist die Möglichkeit zum Experimentieren, Ergebnisse zu sehen und beim nächsten Durchgang die Aktion entweder zu wiederholen oder zu meiden.
Das Spiel ist bereits jetzt absehbar eine Festschreibung dessen, wie klassische RPGs (role-playing games) gespielt werden: Es gilt Spielmechaniksysteme so auszunutzen, dass die besten, das heißt erfolgsträchtigsten Ergebnisse erzielt werden. Allerdings muss in „Rue Valley” keine Regel gebeugt werden, sondern es wird stattdessen gewünscht, das Richtige aus vielen möglichen Kombinationen zu finden. Und trotz aller Kombinatorik und iterativ herausgeschälten Verbesserungen pro Spieldurchlauf bleibt der Weg zum Erfolg das Produkt der anfänglich gesetzten Persönlichkeitsmerkmale.