Bayonetta 2 Der Glitterhöllen-Thriller

Hannes Letsch und Pia Getzin10 Minuten Lesezeit

Übersicht
Nintendo, 2014

Die Umbra-Hexe zaubert auf einer neuen Konsole. Nach Xbox 360 und der PlayStation 3 tobt sich Bayonetta nun auf der Wii U aus. Wäre Publisher Nintendo nicht in die Presche gesprungen, um sich einen Exklusivtitel für die Wii U zu sichern, hätte es aufgrund des weitverbreiteten Desinteresses in der Branche dieses Spiel nicht gegeben. Das Anbandeln mit Nintendo war in gewisser Weise auch ein Glücksfall, denn die Entwickler von Platinum Games hatten einen finanziell starken Partner zur Seite, sodass man sich keine Sorgen darüber machen musste, ob das Konzept aufgrund mangelnder Ressourcen doch wieder zusammengestrichen werden könnte. Daher kehrt die selbstbewusste Hexe ganz im Sinne eines Glitterhöllen-Thrillers abermals auf den Bildschirm in einem kompletten Videospiel ohne Abstriche zurück.

Bayonetta 2 - The Time Has Come Trailer
Nintendo, YouTube, 2014

Geschichten-Wirr-Warr und spannende Kämpfe

Erste Kampfszene auf dem Rücken eines Kampf-Jets quer durch die Stadt.
Nintendo, 2014

Der Vorgänger zu „Bayonetta 2“ war hinsichtlich der dahinterstehenden Geschichte nicht herausragend. Es gab keinen Fokus, kein Thema wurde wirklich tiefgründiger verfolgt und die Geschichte öffnete im Laufe des Spiels immer wieder neue Fässer, sodass zwar viel passierte, nichts aber konsequent zu Ende erzählt wurde - Verwirrung war nicht auszuschließen. Der Nachfolger bildet leider keine Ausnahme: Der Plot beginnt mit einem Einkaufsbummel anlässlich des anstehenden Weihnachtsfests, den Bayonetta zusammen dem Tollpatsch und kleinkriminellem Vater Enzo, der hauptsächlich für den Humor im Spiel verantwortlich ist, unternimmt. Dabei trifft sie unerwartet ihre ehemalige Feindin, jetzt aber Freundin namens Jeanne, die ebenfalls eine Hexe ist. Als die stark New York ähnelnde Stadt plötzlich von Kreaturen aus dem Himmel angegriffen wird, bricht die Handlung komplett ab. Stattdessen müssen die beiden Damen ihre Kampfkünste zum Besten geben. So wirr sich diese kurze Zusammenfassung liest, so verwundert sitzt man vor dem Bildschirm und stellt sich die Frage: Und jetzt?!

Ohne Frage ist „Bayonetta 2“ in Sachen Optik und Spielfluss herausragend. Die Kampfszenen wirken wie ein dynamisches, farbengewaltiges Gemälde. Die Bewegungen, Schläge und Schüsse der Umbra-Hexe verkörpern Pinselstriche, die sich über das ganze Bild ziehen und das dynamische Gemälde ständig verändern. Die Geschichte humpelt abgeschlagen hinterher. Das Fesche am Konzept wird durch die Verbindung sich ausschließender Symbolik inszeniert, indem etwa bei erfolgreichen Schlägen Kussmünder auf dem Bildschirm erscheinen. In gleicher Manier schwanken die Attacken zwischen sehr brutalen Szenen (siehe den recht brutalen Folteranimationen) bis hin zu absolut belustigend Aktionen. Ein überdimensionierter Highheel wird beispielsweise zur vernichtenden Attacke. Bayonettas schnell wachsenden Haare, die zum einen Teil Outfit sind, verflechten sich zu riesigen Fäusten oder steuern bei Vernichtungsschlägen wie Puppenspielerfäden die beschworenen Kreaturen aus der Unterwelt. Eines dieser Ungetüme, ein Drachen namens Gomorrah, ruft Bayonetta zum Ende des ersten Kampfes aus der Hölle zur Hilfe, um dem gegnerischen Anführer den Rest zu geben. Urplötzlich wird die Handlung an diesem Punkt fortgesetzt; die Aktion entgleitet der Hexe, weil sie nach dem erfolgreichen Kampf die Kontrolle über Gomorrah verliert und verletzt Jeanne tödlich. Deren Seele wird in die Hölle gezogen und Bayonetta ist sofort klar, dass sie diese innerhalb kurzer Zeit vor dem ewigen Verbleib retten muss. Und auch hier: So abrupt ein kleines Geschichtsfragment in diesem Einblick aufploppt, so abgehackt wird die eh schon hinterherhinkende Geschichte immer wieder kurz eingepresst.

Es fällt schwer und dennoch versucht man der Geschichte Aufmerksamkeit zu schenken: Nach Absprache mit ihrem gut informierten Waffennarr Rodin, der dem Spieler als Arsenalverwalter ebenfalls zur Seite steht und nach Abschluss eines Spielabschnitts besucht werden kann, macht sich Bayonetta nach Rodins Anraten auf den Weg. Die Umbra-Hexe besucht die Stadt Noatun. Sie bewegt sich hierzu in einer Art Parallelwelt namens „Purgatorio“, was sich dadurch äußert, dass die Bewohner der Stadt als glasähnliche Figuren zusehen sind und nichts von Bayonettas Gegenwart mitbekommen. Sicherlich eine künsterlisch elegante Lösung seitens der Entwickler, da dadurch viele konzeptuellen Problemen, wie etwa das Einbeziehen der Menschen als Beobachter, aus dem Weg gegangen wird. Die Umgebung wird dadurch allerdings ebenfalls zum dynamikarmen Spielplatz imposanter Gefechte degradiert.

Und weiter im schrillen Erzählchaos: In der Stadt trifft sie auf ein Flughörnchen, das sich als ein kleiner, frecher, magische Karten schmeißender Junge namens Loki entpuppt. Dieser zeichnet sich durch Hip-Hop-Elemente und Skater Look mit Cornrows aus und springt ganz im stereotypischen Sinn seines Aussehens mit der Hexe um, als sei sie eine Verehrerin. Bayonetta ihrerseits belustigt das Auftreten Lokis und dessen Kampfart, sodass sie wiederrum ihn wie einen wehrlosen beziehungsweise ahnungslosen Jungen behandelt. Die beiden vereinbaren schließlich, dass Loki Bayonetta zum Tor der Hölle begleitet, wenn sie ihn dafür anschließend zu dem Berg „Fimbulventr“ nahe Noatun bringt. Das Entgegenkommen Bayonettas wird sich im Verlaufe der weiteren Geschichte als der tiefgreifendere Handlungsteil herausstellen, in dem unter anderem die Vergangenheit der Umbra-Hexe und deren Familie aufgedeckt wird. Ab diesem Zeitpunkt zerfällt widererwarten die narrative Spannung, weil das Erzählgeflecht qua Perspektivengebung und so weiter nicht konsequent weiter gewoben wird.

Womöglich soll der Plot nach den Vorstellungen der Entwickler als Bett der vielen Kämpfe fungieren. Aber genau deshalb, weil er nicht Kern des Spiels ist, bleibt das Narrative verworren. Der unübliche Humor und die in den Konflikt zwischen den Umbra-Hexen und den Lumen Weisen eingebettete Familientragödie sorgen zwar für ein paar Akzente, schweben aber kontextlos im luftleeren Erzählraum. Die Ambivalenz in „Bayonetta 2“ wird somit gut sichtbar: Die Geschichte ist ein einziger Flickenteppich, die Kämpfe dagegen sind stimmig und exzellent umgesetzt. Im Laufe des Voranschreitens wird zwar keine spürbare Weiterentwicklung der Kämpfe hinsichtlich der Intensität oder der Komplexität erkennbar, dennoch ist die Stimmigkeit derart gut, dass man über diesen fehlenden Entwicklungsaspekt hinwegsehen kann.

Zusätze für mehr Dynamik

Zurück zu den ebenso schrillen Spielmechaniken: Passend zum Spiefluss lässt die Protagonistin zum Sprinten den „inneren Panther aus sich heraus“. Zum schnelleren Schwimmen hat der Spieler die Möglichkeit, Bayonetta kurzerhand in eine elegante Natter zu verwandeln. Dadurch können Wege schnell zurückgelegt werden, ohne dass die Gefahr optisch-spielmechanischer Langeweile zu schnell auftritt. Dank eines Paktes mit „Madame Butterfly“ kann die Umbra-Hexe über kurze Distanzen fliegen, wobei kontrastgebend passend Schmetterlingsflügel an ihrem Rücken erscheinen. Die Madame wirkt zusätzlich auf die Attacken von Bayonetta ein: So erscheint sie während des Umbra-Klimax, der sich bei jedem Schlag auflädt und kurzzeitig extrem starke, vom Gegner kaum abzuwehrende Attacken bei Entladung bedeutet. „Madame Butterfly“ erscheint als riesige Figur über Bayonetta und setzt den Gegnern stilecht zu. Es ist eine optische Neuintpretation sogenannter ultimativer Attacken, die durch erfolgreiches Kämpfen in kurzen Zeitabständen erspielt werden können und aufgrund ihrer Mächtigkeit gerne eingesetzt werden.

Ein gutes Beispiel für einen fast schon überladenen Bildschirm, der Dank der Kameraführung trotzdem nicht der Übersicht schadet.
Nintendo, 2014

Das Kernelement des Spiels, die Kämpfe, funktioniert tadellos. Die flüssige und präzise Steuerung wurde ohne Abstriche aus dem Vorgänger übernommen. Die Kameraführung unterstützt die Übersicht, die ohne diese in den fast schon überladenen, schnellen Gefechten des Öfteren verloren gehen würde. Platinum Games tat gut daran die Steuerung und Kampfkonzept im Grundsatz beizubehalten, denn ohne diese würde das, für was „Bayonetta 2“ laut den Entwicklern stehen soll, komplett fehlen. Bezwungene Zwischenbosse lassen stets Waffen fallen, die die Protagonistin für eine begrenzte Zeit weiter benutzen kann. Als Belohnung nach Bosskämpfen hat der Spieler die Möglichkeit die erkämpften Heiligenscheine in Rodins Shop gegen Kampfbewegungen oder zusätzliche Waffen einzutauschen. Diese bieten eine gewisse Varianz. Pistolen sind für Fernkämpfe effizient, währende beispielsweise die Alrauneschnüre, die wie Peitschen den Gegnern im Sekundentakt zusetzen, im Nahkampf fast nicht zu übertreffen sind.

Ein Online-Mehrspieler wurde ebenfalls integriert, allerdings etwas schlampig.
Nintendo, 2014

Änderungen ergeben sich daher nur auf oberflächlicher Ebene: Die Hexe hat sich im Vergleich zum ersten Teil optisch verändert. Genauso frech wie ihr Mundwerk ist ihr gesamtes Auftreten, wobei die Adjektive kurz oder offen vorallem auf ihre Outfits zutrifft. Einige Pressestimmen prangerten dies als Sexismus an. Die Objektivierung Bayonettas als selbstbewusste Protagonistin sind allerdings einige spielmechanische und narrative Grenzen gesetzt. Beispielsweise können aufgrund der schnellen Animaitonswechsel nur schemenhaft sexuelle Aspekte wahrgenommen werden. Ist die Diskussion deshalb als überzogen zu bewerten? Womöglich ja, allerdings ist ebenso ersichtlich, dass die Entwickler bewusst mit diesen Elementen spielen, um ein zusätzliches Kaufargument qua Provokation zu generieren.

Platinums Werk ist eine sehr krude Mischung aus jung-erwachsenen Elementen (Stil, Aussehen und Redensart Lokis), Glitzereffekten und düsterem Leveldesign. Beispielsweise sei hier auch der Soundtrack erwähnt, der eine Mischung aus Girly-Pop und peppiger Themenmusik ist und somit perfekt in den grotesken Kulturenmix, der „Bayonetta 2“ auszeichnet, passt und eines der vielen Alleinstellungsmarkmale verkörpert. Die Namensgebung ist ebenfalls auffällig: So bedienen sich die Entwickler verschiedener Mythologien und geben den Kreaturen der Unterwelt (z.B: Labolas, Baal, Gomorrah und so weiter) beziehungsweise des Himmels (Lumen, Loki, Eleganz, Gerechtigkeit und so weiter) stets passende Bezeichnungen.

Schwarze Flecken auf der weißen Weste

Das Spiel ist ein schillerndes, glitzernd düsteres und brutales Farbenorgiengekloppe, das keine Mühen scheut, Kämpfe auf ein Level zu heben, das ansonsten nur selten zu finden ist. Egal, ob Riesen auf den Spieler zustürmen oder ob eine Heerschar an viel zu kleinen Gegnern, die hohe Präzision und Schnelligkeit zum Beseigen verlangen, einem gegenüberstehen: Jeder Kampf bleibt mittelfristig aufgrund der sich auf dem Bildschirm ergebenden Synergie im Gedächtnis kleben und reizt nach mehr. Bis zum Spielende verschwindet dieser nicht, was für das Platinum Games Werk auf spielmechanischer Ebene spricht. Allerdings finden sich Hänger im letzten Teil des Spiels, in denen einige Passagen dem ersten stark ähneln, weil Gegner recycelt eingesetzt werden. Der Mehrspieler-Onlinemodus genannt „Hexen-Klimax“ ist eher einer lieblosen Natur entsprungen. Das Mehrspielerkonzept eignet sich nicht für kooperative Elemente. Die Kämpfe sind dafür zu schnell, als dass gemeinsame Attacken plan- und ausführbar wären. Was bleibt ist ein gleichwertig guter Nachfolger, der genauso viel leistet wie der Vorgänger, allerdings entgegen den Präsentationen der Entwicklern von Platinum Games keine wirkliche Schippe drauflegt. Das Niveau ist das gleiche geblieben. Eine Geschichte, die zusätzlich fesselnd an die Protagonistin nachhaltig bindet, existiert nicht.

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