Als im Juni 2016 zum ersten Mal Spielschnipsel aus SIE Bend Studios „Days Gone“ präsentiert wurden, schien das Gesamtwerk aufgrund des Beobachtbaren recht nahe der Vollendung. Die kurze, aber actiongeladene Szenen zeugten von einer nicht wirklich innovativen Zombieapokalypse, die irgendwo im Konzeptdreieck von „Far Cry“ (zuletzt: „Far Cry New Dawn“, Ubisoft Montreal, 2019), „The Last of Us“ (Naughty Dog, 2013) und „Sons of Anarchy“ (Kurt Sutter, 2014) verortet werden konnte. Es ist das mittlerweile klassische Szenario um Infizierte, ehemalige Homines sapientes, die nicht wegen des Platzmangels in der Hölle auf Erden zu wandeln haben, sondern aufgrund eines mysteriösen Virus zu herz- und weitgehend kognitionslosen Ungeheuern mutierten. Obwohl das Thema um die Ansteckungsgefahr spielmechanisch irrelevant ist, bilden die seitens der Entwickler genannten, zombiehaften Freakers die große Gefahr, die trotz fehlenden Tiefgangs die Problematik der „Suspension of disblief“, das heißt die willentliche Aussetzung der Ungläubigkeit, lösen können. Gründe hierfür liegen eben in besagter E3 Vorschau aus dem Jahr 2016, die sich organisch fortbewegende Freakerhorden zeigte. Der Effekt der Masse, die in sich nicht nachvollziehbar komplex aus unzählbar vielen Freakern bestehend als ein größeres, scheinbar intelligentes Wesen auf einen zu bewegt, sich organisch um jeglichen Gegenstand windet und aufgrund ihrer Mächtigkeit überwältigend wirkt, ist vergleichbar zu „World War Z“ (Marc Foster, 2013) Kern und Alleinstellungsmerkmal des Erlebnisses.
Erschienen am
26. Mai 2019
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Spieldauer
Unweigerlich kann auch dieses Werk in die Liste derjenigen Spiele aufgenommen werden, die fünf bis sieben Jahre Entwicklungszeit verschlangen und womöglich genau deshalb einen Flickenteppich verschiedener Ideen repräsentieren, die für sich stehend interessant sind aber im Zusammenspiel gegen eine Synergie arbeiten. Die Vision und die Mühe der langen Entwicklungszeit sind spürbar, wirken aber nur bedingt, weil „Days Gone“ im wahrsten Sinne des Wortes dramatische Probleme besitzt. Das Spiel ist trotz sehr langer Entwicklungszeit nicht gänzlich fertiggestellt, hat einige massive Designprobleme und wurde offensichtlich in vielen Bereichen beschnitten. Allein die grundsätzliche Vision blieb bestehen. Untermauert wird dieser Eindruck durch eine bemerkenswert ruhige Veröffentlichung, die nicht derartig von Marketingmaßnahmen begleitet wurde, dass man von einer lauten, aggressiven, gar vom Spiel überzeugten Strategie sprechen könnte. Publisher Sony scheint im Vorfeld erkannt zu haben, dass es sich bei „Days Gone“ nicht um den allergrößten Wurf im First-Party Segment handeln wird oder kann.
Pragmatismus als Triebfeder
Das Spiel stützt sich auf ein Open-World Konzept, in dem sich die Menschheit zwei Jahre nach Ausbruch der viralen Katastrophe mit Infizierten auseinandersetzen muss. Sie selbst ist in Disput, wegen Panik oder geographischer Gegebenheiten in Camps respektive Kleinsiedlungen zerstreut und lebt im Szenario von „Days Gone“ in der malerischen Flora und Fauna des Nordwestens der Vereinigten Staaten. Passstraßen, Gebirgszüge, Redwoods und andere Wälder, Blockhütten, kleine Touristendomizile und hügelige Landschaften sind optisch in einem dynamischen Wettersystem beeindruckend dargestellt. Die erwähnten Bergketten teilen die Open-World in sechs nicht einsehbare Areale, die verschiedene Biome verkörpern.
Während des Ausbruchs dieser Seuche wird die schwer verletzte Frau des Protagonisten Deacon St. John namens Sarah Whitaker eigenhändig in den letzten Hubschrauber gen Flüchtlingslager gesteckt. Leider ist sie nach diesem vermeintlichen, kurzfristigen Abschied nicht mehr auffindbar; weder im Lager noch sonst irgendwo. Diese Tatsache nicht akzeptierend scheint Deacon nicht bei vollen Sinnen zu sein. Zuviel ist passiert, als dass er noch eine klare Zielvorstellung oder Motivationsstruktur hätte. Einer wandelnden Fehlermaschine gleichend, trifft er impulsiv, ziellos und unreflektiert Entscheidungen. In letzter Konsequenz ist Deacon den größten Teil des Spiels damit beschäftigt, seine Frau loszulassen. In Form von Selbstgesprächen, nostalgischen Besuchen wesentlicher Orte, an denen etwa die Heirat oder der Heiratsantrag stattfanden, sowie durch das regelmäßige Aufsuchen eines eigens angelegten Grabes versucht er einen Weg zu finden, mit dem nicht Tolerablen umzugehen. Regelmäßig erzählt er seiner Frau in Form des Schrein ähnlichen Gebildes, was ihm auf dem Herzen liegt. Spielerisch funktioniert dies auf Dauer erstaunlich gut, weil diese Art des Erzählens einerseits den Protagonisten dem Spieler auf eine recht authentische Art und Weise näherbringt und sich gleichzeitig andererseits auf narrativer Ebene zum unabdingbaren Element mausert, da ansonsten ein diffus wirkender Charakter gespielt werden müsste, der gänzlich ziellos durch die Gegend streift.
Die seltsamen, unausgegorenen respektive vagen Pläne nach „Norden zu fahren“ und ein simples Auftragsspielsystem für verschiedene Siedlungsfraktionen, die beispielsweise einem Arbeitslager gleichen oder etwa aus Verschwörungstheoretiker bestehen, geben kaum spielerische Perspektive. Selbst die skeptischen Wissenschaftler, die vereinzelt in der Welt zu finden sind und allem Anschein nach viel Wissen über das Geschehene besitzen, sind keine narrative Hilfe, weil sie jedem Lebewesen unterstellen, sie seien infiziert und folglich sofort zu schießen beginnen. „Days Gone“ ist somit eine pragmatische und unbarmherzige Sicht auf mögliche Konsequenzen einer strukturellen, zivilisatorischen Katastrophe. Im Übrigen leben die Entwickler der SIE Bend Studios den beschriebenen Pragmatismus nicht nur in der Geschichte, sondern selbst im Design der Freakers aus, denen sie gegen den Stereotyp Zombie arbeitend die Verdauung von Cellulose zugestehen, sodass diese im Stande sind, über mehrere Jahrzehnte hinweg existieren zu können.
Das Spiel versucht die Implementation einer vermeintlich innovativen Geschichtserzählung, indem jede Mission verschiedene Handlungsstränge respektive Aufgaben bedient. Diese müssen in Form von Fortschrittsbalken dargestellt vollendet werden, um in der Hauptgeschichte voranzuschreiten. Nachforschungen zur vermissten Ehefrau, Hilfe für geschwächte Gruppen und so weiter werden gleichzeitig Schritt für Schritt erfüllt. Die Missionen adressieren nicht ein Problem, sondern repräsentieren mehrere Absichten beziehungsweise Ziele des Protagonisten ganz nach dem Prinzip des Pragmatismus. Was gut gedacht war, funktioniert maximal mittelprächtig, weil diese Art der Geschichtenerzählung zumindest teilweise zu Verwirrung beim Spieler führt. Die Progression wird kaum erklärt und nicht intuitiv eingebettet. Stattdessen fühlt man sich des Öfteren gezwungen, immer wieder ins Spielmenü zu schwenken, den eigentlichen Spielfluss zu unterbrechen, um festzustellen, welchem Geschichtsfaden man im Moment folgt. Dazu passt auch die Tatsache, dass die Missionsbeschreibungstexte öfters präziser und ausgiebiger Sachverhalte erklären, als das Spielgeschehen respektive Deacon St. John selbst. Es ist ein Überbleibsel einer kleinen Entwicklungshölle, die durch das Zusammenpressen mehrerer Ideen entstand, die über die Zeit hinweg im Entwicklerteam aufkamen.
Ähnlich zu vielen anderen First-Party Spielen, die exklusiv für die PlayStation 4 erschienen (vgl. z.B. „Horizon Zero Dawn“ (Guerrilla Games, 2017), „Marvel’s Spider-Man“ (Insomniac Games, 2018) oder „God of War“ (SCE Santa Monica Studio, 2018) bedient sich auch „Days Gone“ vieler bereits gängiger Spielmechaniken, wie etwa verschiedener Stealth- und Schleichelementen oder einem etwas trägen Schießen, das an „Red Dead Redemption 2“ (Rockstar Games, 2018) erinnert. „Uncharted: The Lost Legacy“ (Naughty Dog, 2017) Elemente kleiner Rätsel an verlassenen, dennoch interessanten Orten sowie die eher geringe Intelligenz feindseliger Menschen, die nicht wirklich klug agieren und größtenteils recht stumpf zurückschießen, sind genauso vertreten wie das Erobern verschiedener, gegnerischer Camps, das in seiner Struktur stark in Richtung „Far Cry“ Konzept zeigt. Die aus Kot, Holz und Gestrüpp gebauten Freakernester können ähnlich zu den Monsternestern in „The Witcher 3: Wild Hunt“ (CD Projekt Red, 2015) mit Feuerwaffen zerstört werden. Aus all dem erschufen die Entwickler eine Spielwelt, in der man nicht gerne verweilt, was im konzipierten Szenario als Kompliment zu verstehen ist. Nur die Lager sind sichere Orte, an denen man sich entsprechend aufhält. Der Rest ist bedrückend, unangenehm schroff und nicht einladend ausgestaltet. Die Welt ist tatsächlich stets bedrohlich und gefährlich. Die die verschiedenen Levelareale verbindenden Tunnel fungieren als eng komprimierte, dunkele, schier klaustrophobische Orte, die fast automatisch lieber gemieden werden, als dass man sich voller Neugier hineinbewegt.
Zwischen Entwicklerhimmel und -hölle
Der angesprochenen Entwicklerhölle ist eine originelle Einschränkung des Schnellreisens entronnen, weil anstatt dem obligatorischen Reittier ein verbesserbares Motorrad dem Spieler zur Verfügung steht, das ständig Benzin braucht, das öfters denn gedacht nur noch spärlich im Tank vorhanden ist. Das damit einhergehende Fahren ins Ungewisse ist der eigentlich Spielspaß. Der Rhythmus aus nicht gerade vielfältigen Aufgabentypen, dem anschließend Sammeln in Zufluchten und belohnenden Aufrüsten, um abermals loszuziehen, gelingt gut. Allerdings wird dieser Spielfluss wie bereits angedeutet dramatisch zerrissen, weil auf technischer Ebene erhebliche Hürden existieren. Beispielsweise wird zwischen Filmsequenzen und dem eigentlichen Spielen immer eine Schwarzblende mit langem Ladescreen fällig, die jeden Fluss im Keim erstickt. Das ist insofern erstaunlich, als dass die früheren Demos und Präsentationen ein viel runderes Gesamtkonzept zeichneten, in der Zwischensequenzen fast nahtlos ins Spielen übergingen. Selbst die Tutorialhinweise stoppen sämtliches Spielen komplett und müssen per Tastendruck beendet werden, ehe aus dem Standbild wieder ein fließendes wird.
Offensichtlich wurden viele Sequenzen als Reaktion auf den technischen Beschränkungen der Konsole herausgenommen. Die erhoffte Retusche wirkt aber nur teilweise zufriedenstellend, weil die Probleme zu visibel und zu zahlreich sind. „Days Gone“ ist technisch altmodisch. Selbst die gelobten Tunnel dürften zum Teil aus der Not heraus geboren sein, um notwendige Elemente verdeckt im Unsichtbaren in den Arbeitsspeicher laden zu können. Das Spiel lief mit Patch 1.02 nur auf der PlayStation 4 Pro reibungslos. Auf der gängigen, leistungsschwächeren Konsole sind signifikante Leistungseinbrüche zu beobachten, vor allem wenn man etwas zügiger mit dem Motorrad unterwegs ist. Nachladeprobleme lassen das Spiel kurz stehen, Texturen werden zum Spielende hin selten nicht schnell genug nachgeladen und der Ton kann ebenfalls in Zwischensequenzen komplett ausfallen. Objekte wie Bäume, Schiffdocks, Autos, Farne oder ganz Gebäude ploppen im Sichtfeld wahrnehmbar auf. Dass vier bis fünf Patches in kürzester Zeit veröffentlicht wurden, zeugt von der Problematik, die in Retrospektive auch Digital Foundary näher beleuchtete.
Das stille Spiel
„Days Gone“ ist nicht derart herausragend wie andere First-Party Titel der momentan aktuellen PlayStation - Generation. Das rhythmische Erkunden, Aufgaben lösen und anschließende Aufrüsten sollte der metaphorische, in Zukunft zu schleifende Rohdiamant für SIE Bend Studios sein. Die implementierte Geschichte ist teilweise zerrupft, weil sie zu oft zwischen Vergangenheit und Gegenwart hin und her hüpft und dem Spielfluss arhythmisch entgegensteht. Wie viele andere Spiele des Open-World Genre der jüngeren Vergangenheit bedient es sich vieler bereits bekannter Spielmechaniken und fügt ab und an kleine Neuerungen respektive Seltenheiten hinzu: Dabei ist an die angesprochenen Tunnel als Levelelement, die nicht nur technisch halfen Ladesequenzen zu vermeiden, zu denken, wie auch an das sinnige Motorradsystem, das im Gegensatz zu nie an Ausdauer leidenden Rössern oder anderen Fortbewegungsmitteln in vergleichbaren Titeln auch Restriktionen beinhaltet.
Nett angedacht, allerdings eher dürftig umgesetzt ist die Art und Weise, wie Progression im Spiel verstanden wird. Der Spieler wird unweigerlich gezwungen zu warten, bis sich verschiedene Geschichtsstränge ineinanderfügen, anstatt einem gewissen Geschichtsfaden fokussiert entlang zu schreiten. Selbst wenn beispielsweise eine Siedlung entdeckt und somit freigeschaltet wird, ist der Spieler nicht eigenständig in der Lage, die dort möglichen Quests nach Belieben zu aktivieren. Stattdessen eiert man ganz der Motivationslage des Protagonisten entsprechend durch die Gegend und erledigt das, was bereits spielbar ist, in der Hoffnung, dass anschließend das Interessierte ebenfalls erlebt werden kann. Das Konzept ist im Ansatz gut und war höchstwahrscheinlich zu Beginn der Umsetzung von den Entwicklern anders intendiert. Nichtsdestotrotz erhält „Days Gone“ dadurch eine Willkürlichkeit, die Verwirrung bedeuten kann und den Spieler aus der Immersion herausreißt. Auf der Ebene der „embeded story“ ist das Spiel mehr kaputt als wirklich funktional.
Aus der Sicht eines Beobachters ist das Spiel aber genau deshalb interessant, weil die Analyse, woran es spekulativ hakt, nicht trivial ist. Sieben Jahre Entwicklung gilt es zu zerfasern. Womöglich war die Hardware zu schnell eine zu harte, unüberwindbare Grenze, die erst mit der PlayStation 5 passiert werden kann. Der eigentliche Diskussionsstoff ist somit nicht das Spiel selbst, sondern die Rahmenbedingungen, die zu dem momentanen Ergebnis führten. Dieses lässt auf dem Bildschirm jedenfalls erahnen, dass fast sicher einige, sehr unangenehme bis hochemotionale Teambesprechungen und Telefonate mit dem Publisher Sony geführt werden mussten.