Diablo 3 Hat Blizzard Entertainment Diablo verstanden?

Hannes Letsch21 Minuten Lesezeit

Übersicht
Blizzard Entertainment, 2014

Mit „Reaper of Souls“ hat das lange im Verborgenen entwickelte und von der Schließung Blizzard Norths betroffene Spiel namens „Diablo 3“ seit einiger Zeit eine erste Erweiterung erhalten. Als „true successor“ zu „Diablo 2“ (Blizzard North, 2000) sollte nach einer Wartezeit von mehr als zehn Jahren die Erfolgsgeschichte, die Blizzard North um Erich und Max Schaefer sowie David Brevik begann, fortgesetzt werden. Und obwohl bereits die erste Erweiterung seit dem 25. März 2014 gekauft werden kann, ist immer noch Werbung auf Plakaten, im TV und auf den einschlägigen Webseiten zu sehen, als stünde das Basisspiel erst kurz vor der Veröffentlichung. Einige deuten dies als ein Anzeichen dafür, dass „Diablo 3“ zumindest wirtschaftlich nicht den erhofften Erfolg mit sich bringt. Blizzard Entertainments Strategie, das Spiel nach dem PC sukzessive auf der PS3 und der Xbox360 im September 2013 und im August 2014 für die neuen Konsolen Playstation 4 und Xbox One als „Ultimate Edition“ zu veröffentlichen, spricht je nach Sichtweise dafür oder dagegen.

Diablo III: Reaper of Souls Opening Cinematic
Blizzard Entertainment, YouTube, 2014

Der Erfolg „Diablo 3“ ist jedenfalls bei genauerer Betrachtung nicht offensichtlich, denn vieles Inhaltliche unterscheidet sich massiv zum Vorgänger. Fast schon generisch wird das oberste Übel namens „Diablo“ abermals besiegt, ohne irgendwelche Überraschungen oder Entwicklungen anzubieten, die die düstere Stimmung aus dem gewohnten Sanktuario spiegeln würden. Einen Hinweis, woher die Popularität des Spiels rührt, zeigt „Reaper of Souls“: Die Erweiterung ist eine Abkehr des eingeschlagenen „High Fantasy“-Weges, der in Atmosphäre wie Spielmechanik zu grell, farbenfroh und reduziert das konterkariert, für was „Diablo“ steht. „Diablo 3“ beherbergt eine ganz spezifische Enttäuschung, die sich nicht sofort aber bei einigen womöglich nach und nach einstellt. Die herausragenden Zwischensequenzen, die farbenfrohen Effekte verschiedener Zauber und das schnelle Metzeln durch Horden von Monstern schufen eine Version „Diablo“, die im ersten Moment Spaß macht. Je mehr man allerdings spielt, desto eher bekommt man den Eindruck, dass hinter dem schönen Vorhang nicht viel Substanz steckt. Die Essenz dessen, was die ersten beiden Spiele herausragend werden ließ, fehlt in „Diablo 3“. Der dritte Teil ist keine Erweiterung, sondern viel mehr eine grundsätzliche Überholung der Spielphilosophie.

Nostalgie schafft keine Atmosphäre

In „Diablo 2“ wird man sofort in ein Schurkenlager einer außer Kontrolle geratenen Schwesternschaft geworfen, das regendurchnässt, trist und beklemmend Kühle ausstrahlt. Im Ersteindruck ist das Lager optisch nicht zu dunkel. Die Musik, die das Lager und die einsame Wildnis drum herum begleitet, baut zum größten Teil die Spannung auf. Die Melodie des ersten Akts prägt die Spielatmosphäre massiv und setzt die Taktung für alles Kommende. Dunkelheit wird von Anfang an auf mehreren Ebenen etabliert, ohne zu offensichtlich, das heißt zu generisch aufgesetzt es dem Spieler in die Ohren und Augen zu drücken.

Blizzard Entertainment, 2014

„Diablo 3“ transportiert auf den ersten Blick eine ähnliche Tonalität. Es sieht düster aus, vermittelt aber auf den zweiten Blick, das heißt nach den ersten zwanzig bis dreißig Minuten Spielzeit den Eindruck, dass die Entwickler dem Spieler eine Düsternis aufzwingen wollen, ohne diese auditiv wie optisch wirken zu lassen. Die ersten fünf Minuten verkörpern das Problem von „Diablo 3“ im Bereich der Atmosphäre perfekt: Nachdem gänzlich harmlose Zombies erledigt sind, wird die erste Skript-Szene initiiert, in der man aufgefordert wird, eine kleine Siedlung vor herannahenden „Zombie-Wellen“ zu beschützen. Wer daraufhin einfach stehen bleibt, wird nichts zu befürchten haben. Dem Spieler wird nichts abverlangt, außer ein paar Klicks auf die Gegner zu tätigen, wenn überhaupt. „Neu Tristram“ heißt diese Siedlung, die „Tristram“ als Lager ersetzt ohne dass eine düstere Geschichte, die die Horrorszenen des Ursprünglichen transportiert, vorgestellt wird. Es ist ein recht generischer Weg rein auf Basis von Nostalgie etwas initiieren zu wollen, was nur über Authentizität vermittelbar ist. „Diablo 3“ agiert zwingend in der Vermittlung der Geschichte, anstatt den Spieler wie bisher die Zusammenhänge selbst herausfinden zu lassen. Letzteres stellte aber Neugier sowie Aufmerksamkeit sicher. Letztendlich wird Dringlichkeit durch Langeweile ersetzt.

Die ersten beiden Spiele des Franchise bestachen durch eine konsistente Szenerie und Atmosphäre, die sich in der Geschichte wie in den Spielmechaniken niederschlug. Sie zielten alle auf eine immerwährende Beunruhigung des Spielers. Selbst wenn man etwa in „Diablo“ (Blizzard North, 1997) ins sichere Tristram zurückkehrte, war die drohende Präsenz der höllischen Kirchenkatakomben präsent. Die Einwohner, die Hintergrundmusik, das Aussehen der Siedlung selbst: Alles sprach auch in „Diablo 2“ dafür, dass ein Lager oder eine Siedlung nicht sicher ist, selbst wenn sie für den Moment den Eindruck vermittelt. Warum also sollte man es in Erwägung ziehen, eine neue Siedlung nach dem Ort zu benennen, der die Faszination „Diablo“ bisher maßgeblich prägte und vom Teufel selbst niedergebrannt wurde?

Blizzard Entertainment, 2014

Sowohl die verschiedenen Lager aller Akte, die sich immer wie echte Häfen der Sicherheit anfühlen, als auch die recht statischen Level außerhalb dieser, lassen den Kitzel am Erkunden in Düsternis ersticken. Das Design drückt den Spieler in eine klare Richtung, sodass Gegner, mögliche Abzweigungen und Geheimnisse zu vorhersehbar werden. Auch „Diablo 3“ möchte auf einen erheblichen Wiederspielwert setzen, weil „Diablo 2“ bewies, dass Langzeitspielspaß hauptsächlich daraus erwächst. Dafür ähneln sich allerdings alle Level viel zu stark. Man lernt die „Wildnis“ ohne große Anstrengungen zu schnell auswendig. Die anfängliche Idee, Spielfiguren maximal auf Level 60 zu entwickeln, ohne jegliche Motivation darüber hinaus mit dem Charakter weiterzuspielen, half ebenso wenig. Zuviel „World of Warcraft“ (Blizzard Entertainment, 2004) wurde in „Diablo 3“ gepumpt, ohne zu überlegen, was den Spielspaß und den Charakter der beiden Titel hauptsächlich ausmacht.

Ewiger Konflikt und ewige Unvollkommenheit

Seit Bestehen zeichnet sich die Spielidee „Diablo“ nicht vorwiegend durch eine Geschichte aus, die das gesamte Spielen diktiert. Stattdessen werden in diesem „Action Role Playing Game“ (ARPG) prozedural generierte Level, Charakterklassen mit unterschiedlichen Kampfstilen und Fähigkeiten, randomisierte Ausrüstungsgegenstände und verschiedene Monster ins Zentrum gestellt, um eine düstere Atmosphäre zu schaffen sowie eine gewisse Komplexität zu generieren, die herausfordernd ist und Motivation durch Neugier schafft. Dadurch soll sichergestellt werden, dass jeder Spieler die gleiche Software anders erlebt. Trotz weniger Charakterklassen soll sich die eigene Spielfigur öfters denn nicht von anderen unterscheiden, wenn man sich beispielsweise im Mehrspielermodus begegnet.

Barbar, der einige Ziegenmenschen bezwingt.
Blizzard Entertainment, 2014

Auf den ersten Blick drischt man ständig mit seiner Spielfigur auf Dämonen und anderes Getier massenweise ein. Man zerstückelt sie regelrecht zu hunderten, um den Zufallsgenerator des Spiels schier dazu zu zwingen, denjenigen Ausrüstungsgegenstand auszuspucken, den man gerne hätte. „Diablo“ ist geschichtlich düster wie tiefgehend und vor allem ein Zeitfresser in der Optimierung der eigenen Spielfigur, um möglichst jede Herausforderung zu meistern. „Diablo 3“ verkörpert dieses „Hack’n’Slay“ Konzept zunächst vollumfänglich. Allerdings entpuppt sich das Spiel langfristig als eine Neuinterpretation und nicht Fortführung des Franchises, die womöglich das Beste abbildet, was das Team von Blizzard Entertainment momentan leisten kann. Die Umsetzung bleibt indes auf mehreren Ebenen hinter dem zurück, was Blizzard North vor dessen Auflösung präsentierte und nach außen als „Diablos Essenz“ kommunizierte.

Konzept von Peter Lee, das leider derart düster wirkend nirgends im Spiel implementiert ist.
Blizzard Entertainment, 2014

„Diablo 2“ beschreibt eine Welt namens Sanktuario, die vom Kampf zwischen Engel und Dämonen zerrissen wird. Die Menschen, die diese Welt bewohnen, müssen ständig Opfer im Sinne von Kollateralschäden bringen. Sie werden stets als unterlegen skizziert, die bis ins Mark verängstigt Tag ein Tag aus hoffen, nicht von Dämonen heimgesucht zu werden oder einen erneuten Konflikt zwischen Engel und Dämonen aushalten zu müssen. Zwischenmenschliche Probleme gesellen sich zusätzlich hinzu, die das Leben in Sanktuario nicht wirklich lebenswert werden lassen. Diese Idee David Breviks ist leider in Jay Wilsons (Game Dircetor) Interpretation kaum noch erkennbar.

Blizzard Entertainment, 2014

„Diablo 3“ schließt mit Blizzard Norths Prämissen ab und schiebt das gesamte Szenario massiv in die Richtung einer „High Fantasy“: Der Spieler soll zum glorreichen Helden mutieren, der rettet, was unausweichlich erscheint. Er lernt mehr oder weniger das zu beherrschen, was die Tristesse der Welt auszeichnet. Grundsätzlich ist der „ewige Konflikt“ zwischen Himmel und Hölle nichts Neues. Die Tatsache, dass keine der beiden Parteien diejenige ist, die durch die Bank weg das vollkommen Böse oder Gute verkörpert, gibt dem Ganzen eine Note, die (düsteres) Potenzial in sich birgt. Die Idee erinnert an eine Interpretation des Symbols „Ying und Yang“ und ist spannend genug, um den Kern sämtlicher Handlungen in diesem Universum zu füllen. Im überwiegend Guten soll immer etwas Böses existieren und umgekehrt. Sanktuario ist Schauplatz einer Pattsituation, die dazu führt, dass seit Urzeiten eine Neutralisierung beider Lager auf Kosten der Menschen sichergestellt ist. Diese bilden die dritte Gruppe und sind die Söhne und Töchter einer Dämonin und eines Engels, die das ständige Bekriegen ihrer beider Fraktionen Leid waren, sich gegen ihre jeweilige Partei stellten, anschließend trafen und lieben lernten. Als Abkömmlinge des Bösen und Guten verkörpert der Mensch daher sowohl Gutes wie auch Böses und kann, sobald er sich seiner Kräfte bewusst wird, zu einem mächtigen Wesen mutieren, das höllische Übel oder Erz-Engel übertrifft; seine Sterblichkeit ist der Schwachpunkt. Die Übermacht wird im Spiel zusehends zu einer Fehlinterpretation, die viele wesentliche Feinheiten des Szenarios mit Generischem wegbügelt.

Blizzard Entertainment, 2014

„Diablo 3“ jongliert halbgekonnt mit dem Konzept dieser besonderen Menschen namens „Nephalem“ in heroischer Art und Weise: Einer von (zu) vielen Mächtigen ist der Charakter des Spielers. Die gesamte Menschheit sitzt im Spiel zwischen zwei Stühlen und bildet durch ihr Potential eine Gefahr für beiderlei Fraktionen. Ob sie nun will oder nicht, sie rückt in den Fokus der Dämonen wie der Engel, und bildet den Zankapfel, um den nun eifrig gestritten werden soll. Die Art und Weise, wie die Geschichte erzählt wird, verspielt das düstere Potenzial oft und verliert daher das Narrativ und vor allem die Atmosphäre, die „Diablo“ und „Diablo 2“ etablierten. Zu heroisch, zu vorhersehend und viel zu linear, ohne negative Konsequenzen oder substanzielle Opfer wird das oberste Übel „Diablo“ im vierten Akt in den hohen Himmeln besiegt, die sowohl in ihrer Ausgestaltung als auch in ihrer Rolle einem „High Fantasy“-Konzept sehr dienlich sind. Der Eindruck einer gewissen geschichtlichen Dringlichkeit in einem schrecklich düsteren Szenario, das sich durch Ausweglosigkeit auszeichnet, geht Akt für Akt mehr und mehr verloren und rückt gefährlich nahe an ein „Happy End“. Fortschritt bedeutete in „Diablo 2“ immer tiefer in den Sumpf düster-dämonischer Machenschaften Diablos gezogen zu werden, während Engel ihre eigenen, nicht unbedingt ethisch wertvolleren Interessen verbargen und in ähnlicher Art und Weise mit der Menschheit spielten. In „Diablo 3“ wird dieses Szenario auf den Kopf gestellt. Die viel zu mächtigen Nephalem beginnen zusehends mit Himmel und Hölle zu spielen. Geschichtlich wird das Konzept daher unvollkommener, als es einst war.

Blizzard Entertainment, 2014

Die Idee, eine ewige Schleife aus Leid zu generieren, die keiner lösen kann, hatte ihren Reiz. Die Entscheidungen, die in „Diablo 3“ getroffen werden, schleudern gefährlich effektiv das Franchise aus diesem ewigen Kreislauf. Man könnte zwar darauf hoffen, dass „Diablo 3“ ein gemeiner Schachzug der Autoren ist, sodass zuerst Hoffnung zur Lösung des ewigen Konfliktes aufkommt, um diese anschließend mit dem Verweis auf die Ewigkeit und Zwickmühle(n) bitterböse zu zerschmettern. Bisher gibt es allerdings keine Anzeichen, dass dem so ist. In der Erweiterung versucht ein ehemaliger Erzengel namens Malthael getrieben von verquerten, moralischen Vorstellungen die Menschheit zu vernichten. Es markiert eine gewollte, geschichtliche Umkehr zum Basisspiel „Diablo 3“, die willkommen ist aber die ursprüngliche Düsternis weder grafisch noch narrativ konsequent zurückbringt, weil der Menschheit bereits zu viel Macht zugesprochen wurde.

Der Abenteuermodus, der mit der ersten Erweiterung ins Spiel implementiert wurde, ist Zeugnis, wie mangelhaft der sogenannte „Story Modus“, der eigentliche Modus des Spiels ist. Zuviele Restriktionen, fehlende Atmosphäre und eine generische Geschichte zwangen die Entwickler dazu die Aufmerksamkeit der Spieler auf eine Kompensation dessen zu lenken. Allein weil man sich in „Diablo 3“ weder schwach noch alleine fühlt, geht der „Story Modus“ klanglos unter.

Falsch verstandene Einfachheit

Das Belohnungssystem führte nach Auskunft vieler Spieler zu Beginn von „Diablo 3“ zu Frust. Selbst wenn sehr schwere Gegner besiegt wurden, hatte man zu oft mehr als Pech und bekam gelinde gesagt nur „Schrott“ als Belohnung. Blizzard Entertainment reagierte aufgrund der vehementen Beschwerden mit der ersten Erweiterung, verbesserte nachhaltig und lässt momentan nicht den Eindruck entstehen, als wäre der Status-Quo das Ende der Fahnenstange. Der Spieldrang schwand im Grundspiel recht zügig, die Entwickler kamen in Zugzwang und lieferten spätestens mit der ersten Erweiterung durch Verbesserungen. Sie lösen allerdings nicht die grundsätzlichen Probleme, die das Spiel weiterhin im Hinblick auf den Kern eines „Diablo“-Spiels hat.

Blizzard Entertainment, 2014

Die massive Konzentration auf Ausrüstungssets, anstatt sich seine Rüstung Stück für Stück aus Einzelstücken zusammenzustellen, schränkt den Spieler im Vergleich zu „Diablo 2“ massiv ein. Die Entwickler geben mehr denn je vor, wie eine Charakterklasse zu spielen ist. Die gleichzeitige Reduktion der Komplexität und Varianz des Fähigkeitssystems lässt das Spiel in eine Sackgasse fahren: „Diablo 3“ ist meistens (zu) leicht und bedeutet schnellen Fortschritt hinsichtlich des Levelaufstiegs. Diesem Fakt schloss sich bereits eine Debatte an, die zwar nicht mehr im vordersten Bewusstsein der Spielgemeinde steht, aber immer noch köchelt. Es geht dabei um den Fähigkeitsbaum aus „Diablo 2“, der im dritten Teil des Franchises rigoros zusammengestrichen wurde. Bisher erhielt man pro Levelaufstieg Fähigkeits- und Charakterattributspunkte, die in einem Fähigkeitsbaum mit mehreren Zweigen beziehungsweise auf die verfügbaren Charakterattribute (Stärke, Geschicklichkeit, Energie, Mana) verteilt werden konnten, umso aus Kombinationen verschiedener Angriffe, Defensivauren und anderem einen einzigartigen, möglichst unantastbaren Charakter zu schaffen.

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Die Menge an Fragen, die mit der Erstellung eines Charakters in „Diablo 2“ dem Spieler in den Kopf schießen ist nicht vergleichbar mit „Diablo 3“: Welche Klasse passt am ehesten zum eigenen Spielstil? Welche Spezialisierungszweige sollen wie stark ausgebaut werden? Welche Gegenstände sollten sogleich im Fokus stehen? Wie stellt man dabei sicher, dass der eigene Charakter verschiedene Situationen überleben kann? Jeder Charakter wurde dadurch in „Diablo 2“ mit einer persönlichen Geschichte versehen und war höchstwahrscheinlich einzigartig. Das Spiel respektierte, wenn ein Spieler Ausrüstung und Fähigkeiten gewieft aufeinander bezog. „Diablo 3“ erscheint im Vergleich dazu wie ein riesiges Glückspiel, weil es nur eine beste Kombination zwischen Ausrüstung und Fähigkeiten gibt, die jeder erreichen kann, wenn er nur lange genug spielt oder Glück hat, um die passenden Waffen und Rüstungsgegenstände zu finden. Ohne die Möglichkeit mit anderen Spielern global zu handeln, verkommt „Diablo 3“ zu einem einzigen, sogenannten „Grindfest“, anstatt ein intelligentes System aus „Kosten und Belohnungen“ zu schnüren.

Blizzard Entertainment, 2014

In „Diablo 3“ können alle Fähigkeiten erlernt und maximiert werden. Während „Diablo 2“ ständig den Spieler dazu zwang, sich aus einer Palette an Fähigkeiten einzelne auf Kosten der anderen auszuwählen, gibt es in „Diablo 3“ kein vergleichbares System. Es fehlt die Motivation mehrere Charaktere gleicher Klassen zu erstellen. Die Spielvarianz durch die verschiedenen Arten einer Charakterklasse sind stets nur einen Klick weit entfernt. Talente beziehungsweise Fähigkeiten können einfach ausgetauscht und die jeweilige Ausrüstung aus der eigenen Truhe angezogen werden. Das Kopieren nach Anleitung ist nur wenige Klicke weit entfernt. Die Idee, dass jede Spielfigur gleicher Charakterklasse möglichst einzigartig sein soll, ist gänzlich verschwunden. Jeder Spieler hat daher in etwa die gleiche Zauberin, den gleichen Dämonenjäger und so weiter, wenn man nur lange genug spielt. Das Verrücken des geschichtlichen Szenarios sowie die reduzierte Varianz durch wegfallende Spielmechaniken lassen das Spielkonzept im Sinne des Langzeitspielspaß beträchtlich wackeln – „Reaper of Souls“ kann daran wenig ändern.

Flickschusterei statt Fortschrittsgedanke

Eines der wichtigsten Elemente des Spielkonzepts sind die Fähigkeiten und die Entwicklung des Charakters in „organischer“ Art und Weise. Intelligente Entscheidungen sollen den Weg der eigenen Spielfigur nachhaltig in einer nachvollziehbaren Geschwindigkeit bestimmen. „Diablo 3“ weist ein unkontrolliertes Progressionssystem auf. Das heißt, dass ähnlich zur Geschichte verschiedene Fähigkeiten oder Bündel dieser keinen Einfluss auf den Spielfluss haben. Bis zum maximal erreichbaren Charakterlevel regnet es förmlich Fähigkeiten nach und nach vom Himmel. Vorherige Entscheidungen sind belanglos, weil das Können der eigenen Spielfigur beliebig veränderbar ist. Während Fähigkeitsbäume die Geschichte des Voranschreitens des eigenen Charakters zumindest rudimentär abbilden, fehlt Ähnliches in „Diablo 3“ vollständig. „Unbefriedigend“ ist schier untertrieben für die Auswirkungen, die diese Änderung mit sich bringt. Activision Blizzard versuchte sich hier klar an einfacheren Zugängen zu einem Spiel, das deshalb so gut funktionierte, weil es Herausforderungen und teilweise rigorose Adaptation vom Spieler einforderte. Nicht nur das Auktionshaus oder die Atmosphäre im Spiel zeugen davon, dass Erfahrungen aus dem „World of Warcraft“-Spektrum miteinbezogen wurden: Das Spielkonzept bezüglich der Fähigkeiten der verschiedenen Klassen gehört ebenfalls dazu. „Diablo 3“ bot lange Zeit keinerlei Wiederspielwert, ehe das Konzept sogenannter „Seasons“ eingeführt wurde – ein weiteres Indiz, dass der Kern des Spiels nicht funktioniert.

Blizzard Entertainment, 2014

Grundsätzlich versuchte „Diablo“ und „Diablo 2“ nicht nur über die Atmosphäre sowie das allein und schwach Sein Horror zu transportieren. Selbst auf „normaler“ Schwierigkeitsstufe beim ersten Durchspielen der Geschichte bestimmten die Entwickler von Blizzard North klar, wann welche Fähigkeit dem Spieler zugänglich wurde. „Diablo 3“ hingegen schmeißt förmlich mit mächtigen Fähigkeiten um sich; und dies meist zu früh, ohne Kosten und ohne notwendige Entscheidungen. Die Konsequenz war, dass die Entwickler um Jay Wilson Patch um Patch einbinden mussten, um die Schwierigkeitslevel korrekt anzupassen, ehe beispielsweise die „normale“ Schwierigkeitsstufe wieder halbwegs ernst genommen werden konnte. Immer noch scheinen „Nephalems“ ein Synonym für „Götter“ zu sein. Die Belohnungen, die der Spieler durch simplen Levelaufstieg erhält, wirken mit Blick auf das Diablo-Spielkonzepts schier zerstörerisch. Im Kontrast dazu dauerte es gefühlt eine Ewigkeit, ehe man in „Diablo 2“ die besten Fähigkeiten freischalten konnte. Aufgrund der Art und Weise, wie Fähigkeiten sich gegenseitig beeinflussten, drehte sich die Progression im Spiel ständig um die hochwirksame Entscheidungsfindung in den Fähigkeitsbäumen. Fortschritt war mit jedem Levelaufstieg spürbar und außerordentlich effektvoll, wenn Fähigkeiten sinnig aufeinander bezogen wurden. „Diablo 3“ presst hingegen pro Levelaufstieg Fähigkeiten in das Repertoire der eigenen Spielfigur, egal ob man diese überhaupt nutzen möchte oder nicht. Der Spieler hat keine Möglichkeit selbst zu bestimmen, welche Fähigkeiten er wann weiter ausbauen möchte. Planung oder Mut, indem man sich auf ein Fähigkeitsbündel festlegt, fallen aus. Die zusätzlichen Runen sind diesbezüglich eine reine Flickschusterei. Und auch weil sie beliebig austauschbar sind, lösen sie das Problem nicht.

Blizzard Entertainment, 2014

Bis auf wenige Monster gibt es keinen Grund, warum verschiedene Elementarschadensarten (Feuer-, Kälte-, Blitz-, Gift-, Arkanschaden usw.) im Spiel existieren. Die Entwickler reduzierten salopp gesprochen die Idee Gegnern verschiedene Arten und Wirkungen von Schaden (langsam schleichend, brennend, einfrierend usw.) zuzufügen, auf optische Verschönerungen. Durch die zusätzliche Option, den Elementarschaden einer Waffe oder Fähigkeit prinzipiell unbegrenzt oft neu auszuwählen, ist der Sinn der Spezialisierung auf eine Schadensart verschwunden. Die Idee der „Einzigartigkeit“ des eigenen Charakters wurde dadurch rigoros entsagt. Jeder bekommt zu schnell Zugang zu allen Elementarschadensarten. Alles mit allem zu vermischen ist Zeugnis undurchdachten Gamedesigns, weil es nichts Neues ermöglicht, aber stattdessen alles bis zur Untrennbarkeit harmonisiert.

„Diablo 2“ hingegen setzte den Spieler immer wieder spezielle Monster vor, die Immunität gegenüber verschiedenen Schadenstypen aufwiesen. Die resultierende Herausforderung wurde dem Spieler zugetraut. Das Vertrauen darauf, dass der eigene Kunde Spaß daran hat, herauszufinden, wie man einen Gegner bezwingt, scheint nicht mehr vorhanden zu sein. Blizzard Entertainment scheint gehörigen Respekt gegenüber der nebulösen Gefahr des Spielerfrusts durch erhöhte Schwierigkeit zu haben, obwohl „Diablo 2“ bereits Gegenteiliges bewies. Denn letztendlich ist Herausforderung im Spielkonzept Initiator für Kollaboration (Mehrspielermotivation) und die Aufforderung Diversität (Experten für verschiedene Schadensarten) innerhalb der eigenen Spielergruppe zu entwickeln.

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