Brett- und Gesellschaftsspiele waren, bevor Konsolen und PCs eine virtuelle Alternative der Abendgestaltung boten, mitunter die einzige Möglichkeit kompetitiv strategisches und taktisches Denken anzuwenden. Heutzutage kann aufgrund etablierter Marken wie „Company of Heroes“ (zuletzt „Company of Heroes 2“, 2013), „Total War“ (zuletzt „Total War: Attila“, 2015) „Age of Empires“ (zuletzt „Age of Empires II: The African Kingdoms“, 2016) oder auch „Civilization“ (zuletzt „Civilization V: Brave New World“, 2013) eigentlich mit Fug und Recht behauptet werden, dass das Virtuelle dem Brettspiel selbst zuhause am Tisch den Rang fast gänzlich abgelaufen hat - zumal die klassischen Brett- und Gesellschaftsspiele selbst auch als digitales Vergnügen für Smartphone bis PC zur Verfügung stehen. Gleichsam lässt sich dabei beobachten, dass zumindest gefühlt die Mehrheit aller taktischen Videospiele abseits der prominenten Beispiele „Total War“ und „Civilization“ die nur im Virtuellen möglichen Idee der in Echtzeit ablaufenden Aktionen umzusetzen. Just in diesem Prozess erschien im September 2014 „Endless Legend“, das sich wieder stärker an der Mechanik und sogar der Optik eines klassischen Brettspiels versuchte. Eingekleidet in eine phantasievolle Welt ließen die Entwickler von Amplitude Studios ein Kunstwerk entstehen, das die Fühler nicht weg, sondern hin zum Ursprung jedes Taktikspiels streckt.
Erschienen am
18. September 2014
Entwickler
Plattformen
Spieldauer
Die Mischung aus Fantasy und Science-Ficition
Für alteingesessene Strategieveteranen kann „Endless Legend“ als eine Mischung aus „Civilization“ und „Age of Wonders 3“ (Triumph Studios, 2014) beschrieben werden. Genauer gesagt beinhaltet es Elemente von „Civilization“, weil es ein auf Runden basierendes Spiel ist, in dem Städte gebaut werden, Karten aufgedeckt und erkundet sowie Rivalen per Krieg oder Diplomatie ausgeschaltet beziehungsweise besänftigt werden müssen. Gleichsam liegt das Werk der Amplitude Studios nahe an „Age of Wonders“, denn neben einem taktischen, schachähnlichen Kampfsystem setzen die Entwickler zusätzlich auf Heldeneinheiten, die Armeen anführen und ihnen gewisse Boni verleihen.
- Amplitude Studios, 2016
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- Amplitude Studios, 2016
- Amplitude Studios, 2016
- Amplitude Studios, 2016
- Amplitude Studios, 2016
- Amplitude Studios, 2016
- Amplitude Studios, 2016
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Das Herausragende an „Endless Legend“ ist die sehr eigentümliche Setting-Mischung, die sich irgendwo zwischen den Polen Science-Fiction und Fantasy wiederfindet. Insgesamt zehn Fraktionen (acht im Grundspiel, zwei zusätzliche in der Erweiterung „Endless Legend: Shadows“, 2015, bzw. „Endless Legend: Shifters“, 2016) treten gegeneinander an, wobei sich schon hier die angesprochene Bipolarität wiederfinden lässt: Während die Wildläufer ein Paradebeispiel für ein Volk aus Fantasy-Romanen sind, geben die Vaulter eine klassische Fraktion aus der Science-Fiction ab. Die einzelnen Gruppen bleiben nicht blass, sondern haben jeweils eigene Geschichten, die nicht nur unterhaltsam sind, sondern auch auf die taktischen Besonderheiten der jeweiligen Fraktion hinweisen. So versuchen beispielsweiser die auf dem Planeten gestrandeten Vaulters die Weiten des Weltalls wieder zu erkunden. Sie beherrschen als die Fähigkeit, Distanzen sehr schnell zu überwinden, indem sie sich teleportieren. Diese Eigenheit ist nicht nur eine Information in einer Geschichte, sondern wurde von den Entwicklern als Spielemechanik verankert, um eine Synergie zwischen Geschichte und dem eigentlichen Spiel herzustellen.
Konsequenz in allen Bereichen
Erfreulicherweise setzt sich diese Heterogenität auch im Spielstil fort: Die einzelnen Splittergruppen unterscheiden sich stark genug, um verschiedene Spielweisen zu ermöglichen. Während die bereits erwähnten Vaulters eher auf Wissenschaft sowie Industrie setzen und somit starke Panzertruppen militärisch einsetzen, sind die Wildläufer vertriebene Bewohner des Waldes, ein Naturvolk, das weniger auf Technologie als auf die Urkräfte von Mutter Erde setzt und im Einklang mit ihr Leben will. Die Entwickler treiben dabei die Distinktion soweit, dass auch Elemente wie etwa die Bewegungsgeschwindigkeit einzelner Einheiten variieren können. Hier sei beispielhaft darauf verwiesen, dass die ehemaligen Waldbewohner im Vergleich zu den Technokraten deutlich schneller in Waldgebiete vordringen können. Konsequent verzichtete man auf eine vorgegaukelte Gleichheit; die Unterschiede sind spürbar: Je nachdem, wie die Hintergrundgeschichte der Fraktion ist, ergeben sich auch Defizite. So besitzen zwar die Wanderklans die Fähigkeit, ihre Städte zu bewegen und bringen eine starke Wirtschaftskraft mit sich, allerdings ist es ihnen nicht möglich, Krieg zu erklären. Diese Tatsache schließt eine offensive Spielweise also aus – denn eine Kompensation für diesen Nachteil gibt es nicht.Letztlich ist es aber das „Look and Feel“, das das Spiel für sich stehen lässt. Die Entwickler fanden wohlmöglich in visueller wie auditiver Hinsicht Inspiration bei „Game of Thrones“ (TV-Serie, 2011).
Am ehesten ist dieser Zusammenhang im Wachstum der Städte auf der Karte zu sehen: Jeder neue Stadtbezirk steigt aus dem Boden empor, Stück für Stück, ganz ähnlich zum Intro der Fernsehserie. Verlässt man den Detailreichtum, um sich einen Überblick zu verschaffen, so wandelt sich das Spiel zu einem abstrakten, kartographischen Taktikgeplänkel, wie man es etwa vom Brettspiel „Risiko“ kennt. Dieser Übergang ist prinzipiell nichts Neues und ist eigentlich bekannt - dennoch gelingt es „Endless Legend“ besonders gut, diesen Übergang umzusetzen.
Zwischen den einzelnen Städten (die zahlenmäßig begrenzt sind) erstrecken sich weitläufige Gebiete mit unterschiedlichen Ressourcen und interessanter Topographie: Eislandschaften, Hochgebirge, Wälder, Wüsten und mehr - sowohl Vielfaltals auch Detailstufe sind beeindruckend. Die beschriebenen visuellen Schnörkel beinhalten außerdem eine strategische Komponente, denn Wälder können wie auch Gebirge, Schluchten oder Seen taktische Vor- oder Nachteile schaffen. Im Kampf können Bogenschützen sich auf unwegsame Felsen setzen, um komfortabel Feinde auslöschen zu können. Die Karte bleibt dabei immer gleich: Der Kampf funktioniert genauso wie das Wirtschaften und Verwalten der Städte und Provinzen. Eine durchaus kluge Entscheidung: Anstatt Gefechte in einem eigenen Modus stattfinden zu lassen, sind diese in die Spielkarte eingebettet und garantieren damit eine Harmonie zwischen den einzelnen taktischen Elementen.
Das Problem im Konzept
Der größte Schwachpunkt von „Endless Legend“ ist die mangelnde taktische Tiefe: Der Ausgang der Partie wird eigentlich immer direkt zu Beginn, oder spätestens in den ersten 50 bis 150 Spielrunden entschieden. Wirkliche Möglichkeiten, abgehängte Mitspieler eine erneute Chance zu gewähren, um im Konzert um Macht und Dominanz wieder mitmischen zu können, gibt es nicht. Wer beispielsweise zu Beginn in einer Provinz startet, die genau das im Überfluss bietet, was die Fraktion benötigt, hat gute Chancen, relativ schnell eine militärische Macht aufzubauen und gewinnt das Spiel.
Die Technologiebäume – sofern davon überhaupt die Rede sein kann - sind nicht hierarchisch aufgebaut. Man muss deshalb eher von Clustern reden: Wer genug Technologien aus dem ersten Cluster (beziehungsweise der ersten Ära) entwickelt hat, schält die nächst höhere Ansammlung von Technologien, die zweite Ära, frei - und so weiter. Die Problematik liegt darin, dass beispielsweise bessere militärische Technologien aus einer höheren Ära nicht fordern, dass eine gleichwertige Vorstufe bereits entwickelt sein muss, bevor sie selbst erforscht werden darf. Dadurch, dass die Technologien aus bereits freigeschalteten Clustern weiterhin entwickelbar bleiben, entsteht ein riesiger und sehr ungeordneter Wust an Entwicklungsmöglichkeiten, der nicht nur sehr unübersichtlich ist, sondern letztendlich keine Konsequenz bedeutet. Es ist ein zweischneidiges Schwert: Auf der einen Seite ist damit maximale Variabilität gewährleistet, auf der anderen Seite muss der Spieler keine Konsequenzen fürchten und kann potentiell zu einer absoluten Übermacht aufsteigen. Müsste man sich auf eine begrenzte Anzahl von Technologien pro Ära beschränken, würde sich ein anderes, möglicherweise ausgeglichenes Bild zeichnen.
Ein letzter strategischer Aspekt sind die bereits zuvor kurz erwähnten Helden: Wer denkt, dass sie in einem vorangeschrittenen Spiel das Ruder rumreißen können, der irrt. Sie geben nicht genug Boni, sodass eine Faustformel „Kopflose Armee verliert gegen eine Angeführte“ nicht aufgestellt werden kann. Zu allem Überfluss können nicht nur die Militäreinheiten, sondern auch die Helden aufgerüstet werden. Auch hier verliert man relativ schnell die Übersicht: Ob und welche Waffe am besten passt, lässt sich nämlich erst dann einsehen, wenn die Technologie bereits entwickelt ist. Durch solch ein kleines Detail kann die eigene Taktik durchaus nach hinten losgehen, sodass man sich letztlich im Rückstand zu allen gegnerischen, wie verbündeten Fraktionen wiederfindet. Dadurch, dass Helden wie alle anderen Einheiten bis auf einige wenige Ausnahmen die gleichen Waffen tragen können, verlieren die Helden an ihrer herausragenden Stellung und sind höchstens Admiräle.
Wenn nur das Ende nicht wäre
Zu Beginn macht „Endless Legend“ vieles richtig, das heißt es schafft es in optischer, narrativer und spielmechanischer Hinsicht den Spieler zu fesseln. Die Idee die Kämpfe auf der gleichen Karte stattfinden zu lassen ist gut gelungen: Sie nimmt zwar einiges an dem opulenten Gemetzel, wie man es aus „Total War“ (zuletzt „Total War: Attila“, 2015) kennt - dafür entsteht aber eine Stringenz und eine Harmonie, die den Spielfluss stark befeuert. Die Übersicht leidet allerdings mit zunehmender Spieldauer: Der Übergang vom Micro-Management zu Beginn hin zum Makro-Management eines Imperiums ist nur in Ansätzen zu sehen. Besonders die Koordination der Einheiten ist schwach umgesetzt. Markierungen zu setzen, um mehreren Einheiten ein Sammelplatz zuzuweisen, ist nicht möglich. Stattdessen müssen alle einer zukünftigen Armee einzeln aus den jeweiligen Städten zusammengefügt werden und dies möglichst auf einem Feld, das nicht durch andere klickbare Elemente bereits besetzt ist.
Mit den erschienenen, kostenpflichten DLCs namens „Endless Legend: Guardians“ (2015), „Endless Legend: Shadows“ (2015) und „Endless Legend: Shifters“ (2016) konnten die Entwickler die Schwachpunkte nicht ausmerzen. Zwar gewähren neue Möglichkeiten im Bereich der Spionage Plünderungen, sodass schwächere Fraktionen sich wohlmöglich etwas länger über Wasser halten können. Mit „Endless Legend: Guardians“ hingegen kamen weitere Technologien und taktische Elemente hinzu, die starke Fraktionen einer Spielrunde noch stärker werden lassen. Damit ist das Problem, dass der Ausgang eines Spiels bereits zu Beginn in Stein gemeißelt ist, nicht gelöst, sondern mehr denn je zementiert. „Endless Legend“ ist ein im wahrsten Sinne des Wortes fantastisches Spiel, das mit der taktischen Tiefe noch zu kämpfen hat.