Im letzten Jahrzehnt hat sich eine imposante Anzahl an Rollenspielen angesammelt, über die behauptet wird, dass sie die größten und umfangreichsten Videospiele aller Zeiten seien. Allerdings gibt es unter diesen Titeln nur wenige Ausnahmen, die mit ihrem immens großen Spielraum und Umfang so umgehen wie „Xenoblade Chronicles X“. Zum einen schmeißt das Spiel nicht nur auf der Verpackung, sondern auch im tatsächlichen Spiel mit Superlativen um sich: Es beinhaltet die größte Spielewelt, die bis dato auf der WiiU erschaffen wurde und besitzt somit eine größere Fauna, als beispielsweise „Monster Hunter 3 Ultimate“ (Capcom, 2013). Zum anderen liefert „X“ im Kontext dieser Gigantomanie Momente, in denen der Spieler sich auf den Planeten Mira teleportiert fühlt - umzingelt von merkwürdig anmutenden, vierbeinigen Tieren, die den Eindruck erwecken, man würde sofort zu dessen Fraß werden, wenn man zu laut nießt. Gemäß der zwischen häufig abwertend als „Ubisoft-Prinzip“ bezeichneten Methode benutzen Titel mit offener Spielwelt den zur Verfügung stehenden Raum meist nur, um ihn möglichst dicht mit Mini-Spielen, Nebenmission und Sammelaufgaben zu befüllen. Obwohl dieses Cliché für „Xenoblade Chronicles X“ ebenfalls zutrifft, bietet Mira jedoch Überraschungen durch sein einzigartiges Landschaftsdesign. Kaum ein anderes Videospiel hat den Autoren so häufig dazu gebracht, einfach stehen zu bleiben und die umgebende Flora und Fauna zu beobachten und genießen.
Erschienen am
04. Dezember 2015
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Das Level ist der Gegner
Es ist nicht einfach, eine komplett fiktionale Vegetation darzustellen und dabei zu vermeiden, dass das Ergebnis künstlich wirkt - und damit sein Ziel verfehlt. Neben einigen naturfremden Elementen wie etwa riesigen, grünen Kristallen oder gewaltigen Ruinen ehemaliger Bauten ist der Planet Mira ein in seinen Dimensionen plausibler, natürlich wirkender Planet. Zumindest zu Beginn der Reise hindert einen eher die Flora als deren Bewohner daran, von einem Punkt zu einem anderen zu gelangen. Mitunter muss der Spieler sogar innehalten, um nochmals zu überdenken, wie das Gelände am geschicktesten unfallfrei durchqueren könnte. Unregelmäßige Gebirgsformationen, Seen oder überwucherte Baumstämme nötigen einen mehr als einmal dazu, einen Umweg einzuschlagen. Man betätigt sich als Entdecker, rennt in Sackgassen und versucht, auf der Karte Unwegsamkeiten ausfindig zu machen.
Eigentlich sollte solch ein Konzept mehr Frustration und Lästigkeiten als wirklichen Spaß bergen, doch „Xenoblade“ versteht es, das uneingeschränkte Erkunden des riesigen Planeten zur größten Stärke des Spiels zumachen. Es liefert in der Vorgeschichte verwurzelte Gründe, warum sich das Erforschen lohnt: Als einer unter vielen Flüchtlingen erleidet der eigene Charakter das gleiche, harte Schicksal. Bruchgelandet auf Mira gilt es, den Planeten für sich dienlich zu machen, um ein neues Zuhause aufzubauen. Um dies zu schaffen muss Mira flächendeckend erkundet werden, was dadurch geschieht, dass an geeigneten Punkten Untersuchungen durchgeführt werden müssen, um mehr Informationen über die vorherrschende Umwelt zu erhalten. Jede dieser Sektionen beinhaltet wiederum Geheimnisse und interessante Ressourcen, sodass es zwangsläufig sinnig ist, immer gründlich zu erforschen und zu ergründen. Neben dem Erkunden, Sammeln und Entdecken gesellen sich verschiedene, spezielle Gegner hinzu, die bei Besiegen wertvolle Gegenstände als Belohnung abwerfen. Diese Mischung bedeutet Fernweh beziehungsweise Reiselust, sodass man öfters die Mission, für die man eigentlich entsandt wurde, vergisst und stattdessen jeder Ressource und jedem Tier hinterherjagt.
Zum Glück, wenn nicht sogar notwendigerweise, spielt der Tod keine wichtige Rolle: Auf Mira ist es üblich, dass man von Anfang an mit Gegner der Stufe 50 Bekanntschaft macht und letztendlich dabei einräumen muss, dass die aktuelle Erkundungstour schneller als erhofft ein unglückliches Ende finden wird. Nebst den riesigen, schier übermächtigen Großtieren gibt es ebenfalls einige kleine, clevere Viecher, die sich im Erdreich verstecken oder in der Luft schwebend sich tummeln und nur darauf warten, dass ein nichtsahnender, unvorsichtiger Erkunder vorbeispaziert, um sich auf ihn zu stürzen. Einige Attacken oder Schläge fallen dabei so wuchtig aus, dass ein einziger genügt, um ausgeknockt zu werden. Die einzige Konsequenz, die man bei einem Ableben zu verkraften hat, ist, dass man an den letzten Schnellreisepunkt zurück teleportiert wird. Von dort aus kann jederzeit ein erneuter Anlauf gewagt werden. Das kann nach dem x-ten Mal etwas nervend sein, es hält sich allerdings aufgrund des sehr milden Umgangs mit dem Tod in Grenzen. Das Spiel ist in dieser Hinsicht aber nicht zu einfach oder zu weich gestrickt, denn ansonsten würde Mira mit seinem Thema des Überlebens widersprüchlich erscheinen, zu wenig eine Gefahr oder Herausforderung darstellen und damit langweilig werden.
Ähnlich zu „The Witcher 3“ (CD Red Projekt, 2015) haben auch Monolith Softs Entwickler die Schnellreisepunkte und deren Vorzug, einen guten Spielfluss zu garantieren, erkannt. Mira ist einfach zu groß, als dass man alles stets zu Fuß laufen könnte, ohne nicht gelangweilt zu werden, während man darauf wartet, endlich an den Punkt zu gelangen, an dem man zuvor scheiterte oder noch eine Aufgabe nicht abgeschlossen hat. Und trotz dieser Reisebeschleunigungen zwingt das Spiel den Erkundenden, seine Unternehmung nacheinander langsam anzugehen und sich in Geduld zu üben, denn meistens funktioniert diese Herangehensweise am besten. Nach Stunden, das heißt im letzten Viertel des Spiels, schmeißt „Xenoblade Chronicles X“ nochmals alles um und wird zu einem anderen Spiel, indem man einen riesigen zweibeinigen Roboter zur Seite gestellt bekommt. Einige zuvor schier unbesiegbarer Gegner erscheinen nun machbar und auch das Terrain macht weniger Probleme, da gewaltige Sprünge oder Flüge nun möglich sind. Mira wird nochmals auf einer anderen Ebene präsentiert und lässt neue Facetten in optischer Hinsicht zu: Der zu Fuß gefährliche und anstrengende Planet ist von oben betrachtet zum ersten Mal friedlich. Man bekommt nach all den investierten Spielstunden das erste Mal das Gefühl, man hätte den Planeten etwas im Griff und kenne sich aus.
Abseits dessen fehlt der berühmte letzte Schritt zur Perfektion, denn die Aufgaben sind reiner RPG-Standard: Sammle dieses, besiege jenes. Genau so sinnlos erscheint das gezwungene Zurückkehren zur Basis in Mitten einer Mission, nur um ein paar Dialogschnipsel spendiert zu bekommen, die mal weniger, mal mehr interessant sind. Es ist klar, dass die Entwickler damit Tiefe und Inhaltsreichtum suggerieren wollen, aber die Art und Weise, wie sie es implementiert haben, geht schief. Sie ist nicht wirklich spannungsfördernd noch Spielfluss generierend, im Gegenteil.
Die einzelnen Kämpfer werden zusätzlich über einige teambildende Spielmechaniken miteinander verwoben. So ist etwa das Heilen andere Teammitglieder möglich, allerdings wird dafür auch ein gewisses Timing und Fingerfertigkeit am Controller verlangt. Nur gewisse „Arts“ lösen im richtigen Moment den gewünschten Effekt aus und verlangen somit Taktik, Geschick und Reaktionsschnelligkeit. Die K.I. ist im Spiel zwar halbwegs solide, trägt aber weder zu erhöhtem Spielspaß bei, noch schadet sie diesem. Mit dem Mehrspielermodus wird das Erlebnis hingegen auf eine neue Ebene gestellt, denn in diesem können beispielsweise in sogenannten Squad-Aufgaben verschiedene Aufgaben im Team bewältigt werden; echtes Teamwork und taktische Absprachen kommen erst dadurch zu Stande. Zusätzlich dazu können sogenannte Avatare, Spielfiguren von Freunden temporär K.I. gesteuert ausgeliehen werden, sofern die Inhaber selbst online nicht zugange sind.
Bei diesen Unmengen an Möglichkeiten, Klassen, Attacken, Kombinationsmöglichkeiten und so weiter ist die Übersicht essentiell, vor allem im Kampf. Statusbalken und erscheinenden Schadenswerte geben zwar genaue Auskunft darüber, wie das jeweilige Gefacht verläuft, die Größe der Tiere ist allerdings selbst für große Bildschirme mit hoher Auflösung nicht wirklich passend. So kann es ab und an passieren, dass man nur gegen vier laufende Beine kämpft, während der Oberkörper nicht zu sehen ist. Ob man nun Schaden anrichtet oder nicht, kann nur an den erscheinenden Schadenswerten nachvollzogen werden. Wohlmöglich ist solch ein Spiel, das mit so von Gigantomanie strotzt, ein Grund dafür, sich VR-Technologien für den Videospielmarkt zu wünschen. Damit könnte man nicht nur den riesigen Gegner in Gänze sehen und studieren, Mira selbst wäre noch um ein Vielfaches imposanter und authentischer zu erleben.
Langeweile gibt es doch
Was „Xenoblade“ vor allem fehlt, ist eine packende, durchgängige Geschichte. Viele der Kurzgeschichtsthemen, die ein Ganzes formen sollen, wurden bereits in vielen anderen Sci-Fi Spielen, Romanen oder Filmen behandelt, wenn nicht sogar in ähnlicher Form im vorherigen „Xenoblade Chronicles“ verbaut. Dabei ist vor allem die Verzahnung der einzelnen Teilgeschichten nicht wirklich gut gelungen. Das gesamte narrative Gebilde passt nicht wirklich, auch weil einige der Hauptcharaktere eher flach als wirklich tiefgründig sind. Das gewünschte Eintauchen in die Welt von „Xenoblade“ bleibt durch solche flachen Charaktere auf der Strecke, denn es ist dem Spieler somit nicht erlaubt, die Motivationen hinter den Handlungen der Hauptcharakter zu erfahren oder gar erahnen zu können. Dazu gesellt sich ein überbordendes Anlehnen an die gleichen Humormuster. Beispielsweise wird Tatsu, ein seltsam anmutender, vom Aussehen einer Kartoffel ähnelnder Kumpane immer wieder auf seine Körpergestalt angesprochen, resultierend in dem immer wieder aufkommenden Witz, man könne ihn doch kochen beziehungsweise essen.
J-RPG vom feinsten
Die eher enttäuschende Geschichte in „Xenoblade Chronicles X“ ist glücklicherweise nicht schlecht genug, um dem Spielspaß maßgeblich zu schaden. Selbst nach 65 Stunden Spielzeit bietet das Spiel immer wieder Momente, die einen überraschen; von einem völlig erkundenden Mira kann zum Zeitpunkt des Verfassens dieses Einblicks auch noch nicht gesprochen werden. Abseits der Möglichkeiten in einem freien Spiel sich eigene Aufgaben zu stecken und so den Planeten zu durchstreifen, schmeißt das Spiel mit Superlativen um sich. Dadurch wird eine riesige, auf der WiiU bisher nicht gekannte Varianz an verschiedenen Spielcharakteren möglich. Obwohl dies alles eigentlich nach Überforderung des Spielers klingt, begegnet „Xenoblade Chronicles X“ den eigens gesteckten Zielen mit Selbstvertrauen. Es glaubt an seine Spieler und deren Fähigkeit die Masse an Möglichkeiten und Charaktervariationen zu analysieren, um dann seinen Wunschbewohner auf Mira zu kreieren. Das gelingt tatsächlich und führt zu einem Spielerlebnis, das nachhaltig wirkt und die durchschnittliche, öde Geschichte dahinter vergessen lässt. Wie so oft in RPGs entsteht auch hier die spanneste Geschichte im Kopf des Spielers von allein.