Dieses Interview ist zufällig entstanden, denn vor der Gamescom 2022 konnte in der Kürze der Zeit kein Kontakt zu den Entwicklern von „Figment 2: Creed Valley“ aufgebaut werden. Dabei war es vorab eines der Highlights der Messe, denn eher zufällig stieß man auf einen heiteren bis provozierenden Trailer, der auch im nachstehenden Text zu finden ist. In der Indie Booth Arena stand Hans Haave geduldig allen Interessierten Rede und Antwort. In dem Moment, als wir ihn auf den Trailer ansprachen, wurden seine Augen recht groß, denn es war ein Risiko seinen Ausführungen nach, das das Entwicklerteam mit diesem Trailer einging. Umso mehr Lächeln war daraufhin zu sehen, als klar wurde, dass wir wegen den positiven Eindrücken aus dem Trailer mit ihm gerne ein Interview führen möchten:
Kim Sofer Matthias Du bist der Marketing- und Kommunikationsmanager von Bedtime Digital Games. Wieviel Einfluss hattest du auf die Entwicklung von „Figment 2“?
Hans Haave Per se hat meine Rolle mit der Spieleentwicklung wenig zu tun. Allerdings ist es meine Aufgabe Wege zu finden, wie man die Ideen des Spiels und seine Mechaniken den Leuten zugänglich machen kann, damit sie sich einen guten Überblick verschaffen können.
Kim Sofer Matthias Wie groß ist denn das Entwicklerteam und wie lange arbeitet ihr bereits an „Figment 2“?
Hans Haave Momentan sind wir neun Personen. Das Team wächst beständig, aber langsam über die Jahre hinweg. Seit nun mehr vier Jahren befindet sich das Spiel in der Entwicklung. Es begann allerdings als ein geplantes DLC für „Figment 1“. Über die Zeit wuchs der Umfang beträchtlich, sodass die Größe des Geplanten nicht mehr im Verhältnis zu einer Erweiterung stand. Somit stehen wir hier nun auf der Gamescom mit einer eigenständigen Fortsetzung. Wir waren bereits im Jahr 2019 auf der Gamescom mit einer viel rudimentäreren Version des Spiels. Die Entscheidung für ein eigenständiges Videospiel hat es uns ermöglicht, einige Punkte von „Figment 1“, die uns ein Dorn im Auge waren, zu adressieren. Es ist kein Geheimnis, dass das erste Spiel kein perfektes war. Ich würde sogar so weit gehen zu behaupten, dass es unmöglich ist ein perfektes Spiel zu entwickeln. „Figment 2“ versucht das Spielgefühl zu verbessern. Die Kämpfe sollen nahtlos ins Spielgeschehen passen, die Mechaniken wurden flüssiger animiert, die Möglichkeit zum direktionalen Ausweichen wurde implementiert. Auch das Schwingen des Schwertes soll sich nun so anfühlen, dass man nie den Eindruck erhält, etwas falsch zu machen. Glücklicherweise haben wir einen Animation-Entwickler in Vollzeit beschäftigt in unserem Team, was uns sehr geholfen hat.
Kim Sofer Matthias Um was geht es im Spiel?
Hans Haave Der Name des Protagonisten ist Dusty, der Mut der Psyche oder des Geistes. Piper ist der Freund von Dusty, der Optimismus des Geistes. Als Mut und Optimismus ist es deine Aufgabe dafür zu sorgen, dass deine Psyche stabil und gesund ist. Du solltest sicherstellen, dass alles gut läuft. „Figment 1“ startet mit einem Problem, sogenannten Albträumen, die auftauchen und Unordnung im Kopf verursachen. Wir müssen herausfinden, wieso sie das tun und wie man dieser Entwicklung begegnen kann. Jedes Mal, wenn du solch einem Albtraum begegnest, singen sie einen neuen Vers ihres eigenen Liedes, das Aufschluss darüber gibt, warum sie auftauchen. Je nachdem, mit welchem Albtraum du konfrontiert bist, musst du unterschiedliche Rätselmechaniken beherrschen. Manchmal ist es aber auch nur klassisches kämpfen. Es hängt davon der Natur des Albtraums ab und wo du dich in der Psyche gerade befindest. Der Spieler muss stets einen Weg finden, wie man mit der Charakteristik der Angst umgehen kann. Wir möchten dabei nicht einfache Wege beschreiten, denn Ängste oder Traumata sind nie wirklich auf eine einfache, direkte Art und Weise beherrschbar. Nichts funktioniert „geradeaus“. Es ist beispielsweise einfach einem Traurigen den Ratschlag zu geben weniger traurig zu sein. Nur hilft solch einen Ratschlag dem Betroffenen nicht weiter. Also muss der Spieler experimentieren, das heißt Wege finden mit diesen Albträumen fertig zu werden.
Hans Haave Im ersten Spiel gibt es beispielsweise drei Albträume: Die Angst vor Krankheit und Gebrechen, die Angst vor Spinnen und die Angst vor Verlust. Letzteres meint nicht nur die Angst sich selbst zu verlieren, sondern auch jemanden, der einem sehr am Herzen liegt. Auf eine gewisse Weise handelt es sich um ein psychologisches Spiel. Genauer gesagt wollten wir auf menschlichen Erfahrungen direkt aufbauen. Ich denke, dass sich jeder in irgendeiner Art und Weise mit solchen Hirngespinsten identifizieren kann. Es kommt dabei darauf an, wie tief man in diese Thematik einsteigen möchte. Wir haben uns dazu entschieden ziemlich schwere Thematiken anzugehen, allerdings mit einem unbeschwerten (Unter)ton. Schweres skurril auszubalancieren sind mehr oder weniger unsere Herangehensweise und Ziel.
Hans Haave „Figment 2“ bietet circa viereinhalb bis fünf Stunden Spielspaß. Wir versuchen hierfür ein sehr lineares und straffes Spielerlebnis zu entwickeln. Das heißt, dass du gleiche Spielabläufe oder Aufgaben nie zweimal sehen wirst. Es ist echter Fortschritt in der Handlung, die so ausgearbeitet wurde, dass sie in einem ordentlichen, aber nicht zu schnellen Tempo abläuft. Wer „Figment 1“ nicht kennt braucht sich um nichts zu sorgen. Der zweite Titel bietet ein Tutorial, um alle Spielmechaniken kennenzulernen. Allerdings würde ich sagen, dass wenn jemand den ersten Teil gespielt hat, er oder sie definitiv einige Parallelitäten und Anknüpfungspunkte erleben wird, die einem Neueinsteiger eher verschlossen bleiben werden.
Kim Sofer Matthias Kann man besondere Geheimnisse im Spiel finden, wenn man sich besonders anstrengt?
Hans Haave Nein, das nicht. Es gibt Dinge, die man sammeln kann. Wie bereits in „Figment 1“ kannst du sogenannte „remembrance“ sammeln. Sie sind im Grunde Fragmente vergangener Erinnerungen. Somit basiert das narrative Konzept auf zwei Schichten: Einerseits erkundest du die Welt als Dusty. Du sprichst mit NPCs, den Meinungen, die Nachbarn des Geistes sind. Darüber kannst du einiges über die Hintergrundgeschichte erfahren. Andererseits erforschst du durch die Auseinandersetzung mit den Albträumen, was genau die Geschichte ist, denn diese singen dir jedes Mal etwas Neues vor. Es geht also darum, wie viel der Spieler von Tür zu Tür geht, wie sehr du auf die Texte achtest oder wie viele Erinnerungen du sammelst. Dadurch bekommst du eine Ahnung davon, in wessen Psyche du dich eigentlich befindest, welche Erfahrungen dieser Mensch gemacht hat und was dazu geführt hat, diese Traumata zu haben, die sich sogar körperlich manifestieren.
Kim Sofer Matthias Die Musik scheint ein sehr wesentlicher Bestandteil des Spiels zu sein, liege ich da richtig?
Hans Haave Absolut! Circa 50 Prozent des Spiels sind Musik. Wir wollten eine Umgebung beziehungsweise Atmosphäre im Spiel erschaffen, in die sich der Spieler vertiefen kann. Wann auch immer du beispielsweise durch die Welt von „Figment“ wanderst, wird jedes einzelne Element der Umgebung mit dem Soundtrack harmonisieren. Egal ob Regentropfen, die Schritte deiner Spielfigur, die Bäume, das Schwingen der Schwerter, alles legt sich übereinander auf dem, was der Soundtrack als Basis transportiert. Jedes neue Level, das du betrittst, erhält dadurch seine eigene Atmosphäre oder auch „Gefühl“ könnte man sagen. Die musikalischen Bosskämpfe habe ich dabei noch gar nicht angeschnitten.
Kim Sofer Matthias Wie habt ihr die Musiker für das Spiel begeistern können?
Hans Haave Unser Musiker ist fester Bestandteil des Teams. Er arbeitet seit circa sieben Jahren bei Bedtime Digital Games. Das heißt, er war bereits vor der Produktion von „Figment 1“ Teil des Teams. Sein Name ist Niels Sørensen und seine Band heißt Stöj Snak. Ein Screamer beziehungsweise Songwriter einer Folk-Punk-Band im Norden Dänemarks ist er obendrein.
Kim Sofer Matthias Ebenso fällt das Visuelle sofort einem ins Auge. Welche Ideen oder Überlegungen habt ihr angestellt, um es derart zu visualisieren?
Hans Haave Im ersten Level von „Figment 2“ wirst du beispielsweise mit düsteren schwarzen Wolken konfrontiert. Verursacht durch den ersten Albtraum, ein großes schwarzes Schwein; die Angst vor der Dunkelheit. Wir befinden uns an der Oberfläche des Unterbewusstseins. Alle Ängste sind häufig auftretende, nachvollziehbare Gespinste, die in unserem Kopf rumschwirren. Auch ich hatte beispielsweise Angst vor der Dunkelheit, vor allem als Kind. Deshalb hatte ich Glow-in-the-dark-Sticker an meinen Wänden, um meine Umgebung etwas heller, etwas angenehmer werden zu lassen. Dementsprechend arbeiten wir mit Laternen und Licht, um die Angst vor der Dunkelheit zu besiegen. Wir scheuen uns dabei nicht auch visuell Schweres zu transportieren: In „Figment 1“ hatten wir beispielsweise die Angst Zähne zu verlieren eingewoben. Das wurde dadurch dargestellt, dass zahnähnliche Fragmente überall vom Himmel herunterfielen.
Hans Haave Kurzum: Wir wollten grundsätzlich alles auf eine neue Art und Weise zugänglich, das heißt sichtbar werden lassen. Wir entschieden uns düstere Wolken zu verwenden, um Dunkelheit zu repräsentieren. Sie vernebeln den Verstand. Es ist sehr schwer etwas Immaterielles wie den menschlichen Geist zu visualisieren. In „Figment 1“ haben wir versucht die linke und rechte Gehirnhälfte erlebbar werden zu lassen. Obwohl die Idee zweier getrennter Hemisphären längst falsifiziert wurde, war es für uns immer noch eine interessante Idee damit rumzuspielen. Es gibt beispielsweise eine Insel genannt „Clockwork Town“; eine sehr mechanische Welt, die stark auf logischen Rätseln basiert. Auf der anderen Seite haben wir die „Freedom Isles“. Diese wirken sehr kreativ, repräsentieren die Freiheit des Geistes, in der ein kreatives Kreuz- und Querdenken gestattet, wenn nicht gar erwünscht ist.
Hans Haave Deine Frage wäre bei unserem Lead Artist Hugo Hallé noch besser aufgehoben, der alles Visuelle handgemacht erstellt hat. Er ist ein französischer Künstler, der sich stark mit traditionellen Comics, BDs (bande dessiné), auseinandersetzt. Bedtime Digital Games hat allerdings auch eine Historie vorzuweisen, denn wir haben einige surreale Spiele in unserem digitalen Wandschrank stehen. Für dieses Spiel haben wir uns entschieden, dass ein dicker Ölpinsel am ehesten dazu taugt, den gedachten „Vibe“ zu transportieren. Es passt in Kombination zu den zwei- und dreidimensionalen Aspekten des Spiels gut.
Kim Sofer Matthias Wie seid ihr auf diese Spielidee gekommen? Habt ihr womöglich Psychologen oder Doktoren in eurer Umgebung oder gar im Team?
Hans Haave Nicht wirklich. Für „Figment 1“ haben wir uns im Team zusammengesetzt und unsere Ideen miteinander vermischt. Wir wollten ein Spiel über den menschlichen Verstand kreieren, darüber sprechen und in die Tiefe gehen; basierend auf den Erfahrungen, die wir alle in irgendeiner Form durchgemacht haben. Wir haben sogar kurz mit einigen Psychologen gesprochen. Allerdings hatten sie keinen wirklichen Einfluss auf das Spiel. „Figment 1“ beschäftigte sich – wie bereits erwähnt – mit der linken und rechten Seite des Gehirns. „Figment 2“ beinhaltet die Ethik, Moral und die Entscheidungsfindung des Menschen. Zu einem späteren Zeitpunkt wirst du Typen kennenlernen, die wir „piglets“ nennen. Sie sind buchstäblich Meinungen, die in jedermanns Kopf herumschwirren. Sie alle müssen einen Bereich durchlaufen, den wir als Ethiklabyrinth („Ethics Maze“) bezeichnen. Es ist eine Art Labor, durch die alle Meinungen hindurchgehen müssen, um zu einem echten Gedanken zu werden, zu einer Meinung, zu der du auch wirklich stehst. Schaffen sie es nicht durch das Labyrinth, verschwindet die Meinung, sie wird abgelehnt.
Kim Sofer Matthias Zu guter Letzt wäre noch die Frage zu stellen, ob es verschiedene Schwierigkeitsstufen im Spiel gibt?
Hans Haave Momentan planen wir einen normalen Spielmodus und einen Story-Spielmodus zu implementieren. Unter unseren Spielern gibt es viele, die Eltern sind und das Spiel gerne mit ihren Kindern erleben möchten. Ohne jemandem auf den Schlips treten zu wollen, ist deren Erwartung nicht, dass „Figment 2“ sich wie ein Rogue-like-Spiel spielt oder sehr kampflastig ist. Somit zeichnet sich der Storymodus dadurch aus, dass die Gegner leichter sind und Dusty durabler ist.