Per E-Mail angeschrieben und sofort einen Termin vereinbart: Mario von Rickenbach und Michael Frei sagten sofort zu einem recht spontanen Skype-Gespräch zu, um einen Einblick in deren Videospielphilosophie zu geben, die sich in Titeln wie „Plug & Play“ oder „KIDS“ widerspiegelt.
Wer spricht hier eigentlich?
Playables wurde 2015 von Mario von Rickenbach und Michael Frei gegründet. Zuvor arbeiteten beide an preisgekrönten Projekten wie „Plug & Play“, „Krautscape“, „Dreii“, „Il Filo Conduttore“ und dem „Finger Simulator“. Mario von Rickenbach ist Game Designer, Michael Frei Artist/Director. Beide leben und arbeiten in Zürich.
Hannes Letsch Im ersten Moment fällt „KIDS“ oder „Plug & Play“ durch eine besondere, weil reduzierte Optik auf. Welche Ideen oder Gründe stecken hinter diesem reduzierten Design?
Michael Frei Diesbezüglich bin ich ein bisschen schuld. Mich hat immer das Zeichnen interessiert und wie nahe dieses am Text ist. Es ging mehr darum, wie man möglichst einfach etwas durch Bilder beschreiben kann, anstatt Text zu verwenden. Ich bin recht unsensibel auf Farben, wie ich selbst erfahren musste. Deshalb fällt es mir persönlich schwer, mit Farben zu arbeiten. Beides sind die Hauptgründe für die Entscheidung, sehr reduziert zu arbeiten.
Hannes Letsch Das heißt, dass die Entscheidung komplett auf eurem ästhetischen Geschmack beruht?
Michael Frei Ja. Ein Design ist immer eine Kombination von dem, was man gerne sieht oder hat und dem, was man am besten kann. Das kann durchaus auch negativ gedacht werden. Man versucht das zu vermeiden, was man nicht beherrscht.
Mario von Rickenbach Es ist ebenfalls eine recht effiziente Art zu arbeiten; allein, wenn man sich überlegt, wieviel durch ein sehr reduziertes Design ausgeblendet werden kann. Michael hat diesen Stil ins Team getragen und seitdem ist es eine pragmatische Lösung unserer Ansprüche. Wir haben gelernt, mit diesem Stil zu arbeiten, um umzusetzen, was wir wollen. Uns ist klar, was damit gut funktioniert, und was nicht. Unsere Arbeitsweise entwickelte sich im Verlauf unserer Zusammenarbeit und wurde vor allem während der Arbeit an „Plug & Play“ und „KIDS“ immer greifbarer. Ein weiterer Vorteil ist, dass diese einfache visuelle Sprache auch auf Social Media oder Spieleplattformen wie „Steam“ sehr gut funktioniert. Der starke Kontrast fällt auf und hebt sich von der Masse ab.
Hannes Letsch Darauf aufbauend: Woher kam die Idee „KIDS“ umzusetzen beziehungsweise was war denn der Anlass zum Spiel?
Michael Frei Dazu gibt es auch wiederum mehrere Geschichten. Für mich war es ein logisches Nachfolgeprojekt von „Plug & Play“. Bereits vor dessen Veröffentlichung hatte ich einen Film in schwarz und weiß erstellt, der sich um eine Beziehungsgeschichte zwischen Mann und Frau drehte. In „Plug & Play“ geht es ebenfalls um binäre Beziehungen. Der dritte Film sollte das Dritte besprechen: Das nicht Gender bezogene Beziehungswesen. Die Idee, die daraus entstand, war, das Ganze über das geschlechtslose oder das Kind zu kreieren. Neben dem Konzeptuellen ging es praktisch darum mit nur einem Charakter zu arbeiten, der immer gleich aussieht, anstatt die Unterschiede zwischen den Charakteren auszuspielen, was oft genug in Spielen oder Filmen passiert. Ich wollte herausfinden, wie man gleiche Personen zueinander beschreiben kann. Was ist spannend in der Beziehung zwischen Gleichen? Wie kann man das abbilden? Das war der Startpunkt des Projekts. Von dort aus haben wir recht schnell Prototypen erstellt, wie die Idee funktioniert und sich anfühlen könnte. Wie sieht das Ganze aus? Wie tönt es?
Mario von Rickenbach Die im Spiel zu sehende Figur war unser Arbeitsmaterial. Wir haben versucht herauszufinden, was wir damit anstellen können. Wie können wir gleich aussehende Figuren gegeneinander ausspielen oder miteinander in Synergie zum Spielen bringen? Was kann passieren, wenn diese Figuren in Gruppen auftreten oder wenn sie sich vervielfältigen? Wir haben vieles ausprobiert, ohne eine klare, leitende Story im Hinterkopf zu haben.
Hannes Letsch „KIDS“ besteht aus mehreren, abstrakten Szenen. Aus welchen Bereichen stammen diese denn? Ist das eure eigene Erfahrung, die ihr dort verbaut habt?
Mario von Rickenbach Häufig war es am Anfang eine visuelle Recherche. Michael hatte ganz zu Beginn ein paar Mockups erstellt, in denen beispielsweise visuell eine Figur in der Mitte steht und die anderen zu dieser Person Abstand halten, in einer Masse drum herumstehen. Es waren oft visuelle Ideen, die wir anschließend interaktiv umgesetzt haben.
Michael Frei Manchmal kam es von irgendwelchen persönlichen Erfahrungen. Die ersten Studien, die ich durchgeführt hatte, stammen aus dem Jahr 2014 als ich in Tokyo an einer Residency war. Das Gefühl in dieser riesigen Stadt durch Menschenmassen zu gehen, ist ein gänzlich anderes als in Westeuropa. In Europa generell fordert jeder mehr Platz für sich ein. Das war definitiv eine Inspiration beziehungsweise die Idee dessen, was Mario gerade beschrieben hat. Vieles war mehr ein Experimentieren, um interessante Bilder zu bekommen oder Szenarien zu entwickeln. Ideen anderer kamen mit ins Spiel. Wir hatten Leute eingeladen, kurze „Game Jams“, um eigene Ideen entstehen lassen zu können, die schlussendlich auch in das Projekt eingeflossen sind.
Hannes Letsch Erstaunlich, denn die gezeigten Szenen visualisieren abstrahiert das, was etwa in der Sozialpsychologie als wesentliche Mechanismen erforscht wird.
Michael Frei Wir hatten die Bilder vor uns und mussten diese in unserer Zusammenarbeit gegenseitig beschreiben können. Wir haben oft einfach erzählt, wie sich die Personen verhalten. Ob sie sich folgen oder sich gegenseitig abstoßen – es war ein wenig wie das Beschreiben einer Wetterlage. Nachforschungen in der Literatur ließen uns auf Elias Canetti, der „Masse und Macht“ (1960) verfasst hatte, stoßen. Er beschreibt Menschenmassen und wie sich diese verhalten in seiner Sprache. Das hat uns zum Teil geholfen, unsere eigenen Szenarien zu beschreiben. Was ist eine offene Gruppe? Was ist hingegen eine geschlossene Gruppe? Es ging nicht darum seine Ideen in das Projekt zu packen. Den Weg zu unserem eigenen zu finden, war allerdings durchaus durch Canetti beeinflusst.
Hannes Letsch Und was ist das Ziel von „KIDS“ und/oder „Plug & Play“? Gibt es sogar ein verbindendes?
Michael Frei Gute Frage. Wir wollten etwas entwickeln, das funktioniert für ein Publikum. „Plug & Play“ begann mit einem Film und resultierte im Nachgang zusätzlich in etwas Interaktivem. Die Ausgangslage bei „KIDS“ war etwas versuchen zu wollen, das sowohl als Film wie auch als Spiel funktioniert. Beides, Film und Spiel, sollten gleichzeitig gedacht werden. Das war ziemlich schwierig und auch für uns ein Experiment.
Mario von Rickenbach „KIDS“ ist ein Film und ein Spiel, eine Ausstellung gab es ebenfalls. Uns interessierte die Frage, wie man das Thema oder diese Inhalte in verschiedenen Kontexten zeigen kann, um verschiedene Personengruppen abzuholen. Bei einem Film sind andere Dinge wichtig als bei etwa einem Spiel oder einer Ausstellung. Auch die Erwartungen sind unterschiedlich. Das Bewusstsein für diese Erwartungen ist sehr wichtig. Wir bemerkten sowohl bei „Plug & Play“ wie auch bei „KIDS“, dass sich die Erwartungen von einem Teil des spielenden Publikums stark von unseren eigenen unterscheiden, so mussten wir bewusst entscheiden ob wir auf diese Erwartungen eingehen wollen oder nicht. Die Länge eines Spiels wäre beispielsweise zu nennen, die für viele Spieler sehr wichtig ist. Das Spiel sollte möglichst lange dauern. Wir als Gelegenheitsspieler, die nicht regelmässig stundenlang an einem Spiel sitzen, wollten aber bewusst etwas erstellen, was auch uns persönlich als Format interessieren würde. Deshalb entstand das Kurzformat, das „KIDS“ oder auch „Plug & Play“ diktiert.
Hannes Letsch Von außen betrachtet könnte man im ersten Moment den Eindruck gewinnen, dass beide Spiele auch einen edukativen Aspekt verfolgen, erst recht, wenn man an die bereits erwähnte Ausstellung zu „KIDS“ denkt …
Mario von Rickenbach Die Ausstellung war eine recht frühe Idee, die die Erweiterung der reduzierten Welt im Spiel oder Film in einen physischen Raum verfolgte. Es war nicht das Ziel, das Ganze edukativ umzusetzen. Uns interessierte, wie man Spielinhalte außerhalb der reinen Benutzung von Bildschirmen darstellen kann. Puppen waren ein Versuch, um über Berührung Interaktion zu generieren. Ein anderer Teil der Ausstellung war der Hintergrund, wie das gesamte Projekt entstanden ist. Es ging darum zu zeigen, dass es sich nicht nur um ein Spiel handelt, das fertig als Produkt kaufbar ist, sondern dass es sehr viele Umwege gab, bis wir dort hingekommen sind, wo wir heute stehen. Viele der erstellten Prototypen schafften es nicht ins fertige Spiel. Sie passten teilweise nicht zu den anderen Szenen, sind aber selber ganz interessant. Manchmal gab es praktische Gründe, die gegen eine Implementierung ins Gesamtprodukt sprachen. Die Ausstellung gab uns Gelegenheit noch mehr zu zeigen als das, was im fertigen Produkt zu sehen ist. Die Besucher zeigten durchaus andere Reaktionen, weil sie im Format der Ausstellung mehr Zeit damit verbrachten. Sie überlegten sich, was das Ganze eigentlich soll. Diejenigen, die „KIDS“ nur kurz spielen, kommen womöglich in der Schnelligkeit nicht auf solche Gedanken.
Hannes Letsch Ihr habt sicherlich Feedback in irgendeiner Form abseits von Google Play oder Steam erhalten. Habt ihr in der Ausstellung etwas beobachtet, was euch im Gedächtnis geblieben ist?
Mario von Rickenbach Es gab durchaus interessante Reaktionen. Besucher bekamen die erwähnten Puppen, um sie in der Ausstellung herumzutragen. Viele hielten diese in der Hand oder stellten mit diesen etwas an, aber wieder abgeben wollten sie diese nicht. Für uns war nicht ganz klar, was wir überhaupt von diesen Puppen erwarten können. Möchten die Leute überhaupt solch eine halten oder herumtragen oder lassen sie diese einfach liegen? Es war sehr spannend zu beobachten, wie die Interaktion mit den Puppen sich entwickelte. Das galt nicht nur für die Kinder, sondern auch die Erwachsenen.
Michael Frei Es gab immer wieder Momente, die uns überraschten. Pro Szene sahen die Zuschauer sehr Unterschiedliches. Die Interpretationen und Assoziationen waren teilweise sehr persönlich, weshalb wahrscheinlich das Ganze so breit wahrgenommen wurde. Einige assoziierten den Holocaust, an was ich selbst nie gedacht hatte.
Mario von Rickenbach Eine Frau eines chinesischen Publishers empfand das Dargestellte als sehr schlimm, weil das Gezeigte sie an ihre Kindheit erinnerte. Häufig erinnerten sich Leute an irgendetwas, das sie gar nicht so genau erklären konnten. „Okay, das erinnert mich an …“, war meist alles, was man zu hören bekam.
Hannes Letsch Wie integrativ sollte man eurer Meinung nach somit als Entwickler denken? Ist „nur“ das zu denken, was technisch oder professionell für ein gelungenes Spiel notwendig ist? Gibt es überhaupt absteckbare Grenzen?
Michael Frei Im Triple-A Bereich gibt es das, was wir in eine Ausstellung übersetzt haben, ebenfalls. Wenn man beispielsweise über Vertriebsstrategien, Werbung und so weiter nachdenkt, erkennt man, dass dort eine ähnliche Übersetzungsarbeit stattfindet. Ich sehe es stets als Erweiterung meines eigenen Spielfeldes, was man interaktiv machen kann. Wenn ich zu Filmfestivals gehe, habe ich mit einem gewissen Publikum zu tun. Wenn ich Dinge online präsentiere, mit einem anderen. Das Entwickeln für verschiedene Plattformen ist für mich persönlich spannend. Es ermöglicht mir andere Dinge auszuprobieren. Die Fähigkeit dazu entsteht durch die Praxis – man beginnt meistens bei „Null“.
Mario von Rickenbach „KIDS“ war für uns sicherlich eher ein Kunstprojekt als ein reines Produkt. Es ging einerseits darum, ein neues Thema mit den Werkzeugen die wir beherrschen zu bearbeiten. Der Gedanke der Horizonterweiterung existierte parallel dazu. Kooperationen wurden notwendig, wir lernten abseits von Programmier- und Designlösungen viel Neues auf kommunikativer Ebene hinzu.
Hannes Letsch Wie sind die Rahmenbedingungen, in denen das, was ihr gerade beschrieben habt, stattfindet? Seid ihr mit diesen zufrieden?
Michael Frei Wir stehen in der Videospiellandschaft etwas quer. Wir bekommen oft das Gefühl, dass unsere Spiele zu kurz und zu wenig interaktiv sind. Wir arbeiten nicht mit Investoren zusammen, das heißt unsere Spiele sind mehr Kulturprojekte.
Mario von Rickenbach Die Videospielindustrie ist stark kommerziell ausgerichtet und das, was wir machen, passt häufig nicht so ganz in diesen Rahmen. Manchmal wäre es schön, wenn unsere Arbeit auf mehr Interesse innerhalb der Branche stoßen würde. Für die Spieler funktioniert unsere Arbeit anscheinend ganz gut, aber von einem großen Teil der „Game Industrie“ wird es trotzdem nicht so richtig ernst genommen. Erst wenn man Zahlen zeigt, erhält man erstaunte Reaktionen. Es gibt immer noch diese Wahrnehmung, dass unsere Sachen keine “richtigen” Spiele sind, weil sie nicht den üblichen Erwartungen entsprechen. Ich bin der Überzeugung, dass Vieles, das am Rand des Mediums Spiel zu verorten sind, durchaus breites Interesse wecken kann. Wenn es allerdings von der Industrie wenig Interesse gibt, diese Übergangsregionen als etwas Wichtiges wahrzunehmen, dann ist das Schade. Wir entwickeln das, was wir wollen und wichtig finden, und versuchen einen Weg zu finden, damit ein Publikum zu erreichen. Man hat als kleines Entwicklerteam sehr viele Freiheiten, wenn man diese auch will. Wenn man nicht das Gefühl hat, etwas machen zu müssen, das in den Markt sicher reinpasst, dann ist man relativ frei. Ich bin diesbezüglich erstaunt, dass viele kleine (Indie-)Teams sehr konventionelle Spiele entwickeln.
Hannes Letsch Hast du eine Vermutung, warum das so ist?
Mario von Rickenbach Ich glaube das hat damit zu tun, dass viele Videospielentwickler selbst sehr grosse Fans von Spielen sind, wobei häufig auch viel Nostalgie mitschwingt. Wenn man etwas erstellt, von dem man selbst Fan ist, dann wird es automatisch recht nahe bei den existierenden Spielen und Produkten sein. Und man stellt auch weniger gern unbequeme Fragen, weil man ja gut findet was existiert. Wir spielen auch gerne, aber wir sehen das nicht als wichtiger Teil unserer Identität.