Der Spieltitel „Sanatorium: A Mental Asylum Simulator“ ist ein Anlass des Interviews zweier Schweizer Hochschulabsolventen, die eigenständig versuchen aus einer Bachelorarbeit mehr, das heißt ein ganzes Spiel werden zu lassen. Die wenigen Screenshots, die bisher einsehbar sind, lassen düstere Vorahnungen aufsteigen, womöglich, weil sie mit Art-Deco Elementen arbeiten, die etwa aus einem „Bioshock“ (Irrational Games, 2007) bekannt sind. Sebastian Riedi und Fabian Hunziker stellten ihr Werk auf der Gamescom im Booth der Schweiz genauer vor. Wer mehr als nur die Hintergründe sehen möchte, sollte erweiternd das Video zum Interview genauer anschauen.
Wer spricht hier eigentlich?
Nach seiner Ausbildung zum Mediamatiker in EFZ mit Berufsmaturität ging Sebastian Riedi mehrere Jahre seinem Beruf in verschiedenen Agenturen als Webentwickler und Video Editor nach. Um nicht nur Aufträge umsetzen zu müssen, sondern selbstständig Neues kreieren zu können, entstand aus dem Interesse am Film 2016 die Absicht Game Design als neue Entwicklungsmöglichkeit, der er bis heute nachgeht.
Fabian Hunziker wurde 1989 in Wettingen geboren und ist dort auch aufgewachsen. Nach seiner Lehre als Autolackierer arbeitete er zunächst in einem Kleinbetrieb und dann einige Jahre bei der AMAG im Autoimport. Danach entschied er sich für den akademischen Weg, absolvierte die Berufsmatura und besuchte den gestalterischen Vorkurs in Aarau. Schliesslich begann er in 2017 mein Studium an der ZHdK in der Fachrichtung Game Design.
Kim Sofer Matthias Sehe ich das richtig, dass ihr nur zwei Entwickler im Team seid?
Sebastian Riedi Das ist korrekt. Ich bin derjenige, den man als Hauptdesigner bezeichnen könnte. Ich bin eigentlich der einzige Entwickler, der an diesem Videospiel arbeitet. Das Projekt startete ursprünglich als Bachelorarbeit im Jahr 2020. Mit der Zeit wurde das Projekt größer, weshalb ich mir Hilfe dazu geholt habe.
Fabian Hunziker Nämlich mich. Ich kenne Sebastian aus dem Studium. Meine Aufgabe sind die Bereiche Grafik, Animationen und Sounddesign.
Kim Sofer Matthias Sebastian, du sagtest, dass es eine Bachelorarbeit war …
Sebastian Riedi Grundsätzlich war dieses Spiel die Bachelorarbeit. Wir beide studierten gleichzeitig an der Züricher Hochschule (Zürcher Hochschule der Künste) Gamedesign. Ursprünglich hatte ich eine Ausbildung zum Mediamatiker gemacht. Heutzutage würde man es als „Interactive Media-Designer“ bezeichnen. Das Studium baute mehr oder weniger darauf auf: Die Synergie aus Programmieren und das Arbeiten mit Film und Animationen wurden zusammengeführt und waren für mich genau das Richtige.
Fabian Hunziker Bei mir lief es wiederum anders: Ich war kompletter Quereinsteiger. Nach einer abgeschlossenen Handwerkerausbildung lernte ich in den drei Jahren an der Hochschule das Grundkonstrukt dessen, was Gamedesign vermittelt. Ein bisschen Programmierung, ein bisschen Grafik, 3D-Modelierung, Storytelling und Sounddesign.
Kim Sofer Matthias Wie kommt man denn auf solch eine Spielidee?
Sebastian Riedi Die Frage, die im Raum stand, war, wie man eine psychiatrische Klinik in Videospielmechaniken übersetzen kann. Des Öfteren, wenn man Videospiele spielt, stolpert man über Level oder Ähnliches, die mit dem Setting einer psychiatrischen Klinik arbeiten. Man erlebt diese Bereiche meist als sehr bedrohlich und klischeehaft gefährlich. Sie entsprechen allerdings nicht dem, was in der Wirklichkeit tatsächlich dort passiert. Das Spiel ist ein wenig inspiriert von „Papers, Please“ (3909 LLC, 2013). Man macht einen nicht alltäglichen Beruf zu einem Videospiel. Die Idee stammt somit aus der Frage, wie man denn einen ärztlichen Beruf übersetzen kann. Bisher gab es aus meiner Sicht keine guten Spiele zu diesem eher Management lastigen, stark psychologisch gefärbten Arbeitsbereich.
Kim Sofer Matthias Du meinst damit, dass dieser Bereich oft zu sehr vorurteilsbehaftet ist?
Sebastian Riedi Exakt. Zumeist waren es Pflegefälle, die man schwerlich einordnen konnte, beziehungsweise mit der die Medizin überfordert war. Und weil man nicht wusste, wohin mit der betroffenen Person, erschuf man diese Art von böse gesprochen Sammelbecken. Lobotomie war in dem Jahr, in dem dieses Spiel angesiedelt ist, 1923, nur für diejenigen eine (schlechte) Option, die das auch bezahlen konnten. Viel von dem, was wir im Spiel zeigen, gab es zur damaligen Zeit. Auch das Vorgehen und der sich daraus herauskristallisierende Wert eines Patienten werden abgebildet. Zeitlich bewegt sich das Setting auf der Schwelle zu neueren, ganzheitlicheren Methoden – allerdings eher in Europa als in den Vereinigten Staaten. „Sanatorium – A Mental Asylum Simulator“ orientiert sich eher an der damaligen amerikanischen Welt. Wir stützen uns dabei zum Beispiel auf Berichte von Nellie Bly (1864 – 1922), die sich selbst für zehn Tage hat einweisen lassen, um eine Reportage über die Vorgänge in einem Asyl für nervenkranke Frauen auf der New Yorker Blackwell’s Island verfassen zu können. „Ten days in a mad house“ nannte sich der Bericht, der in den extremeren Fällen etwa von Frauen berichtete, die eingewiesen wurden, nur weil sie beispielsweise nicht verheiratet waren und als nicht wirklich sozial „nützlich“ abgestempelt wurden.
Kim Sofer Matthias So schlimm …?
Sebastian Riedi Nun, in der Schweiz war es beispielsweise noch länger derartig zu beobachten, denn bis in die 1970er Jahre hinein war es „normal“, wenn sehr rebellische Töchter beziehungsweise junge Frauen in solche Einrichtungen gesteckt und sogar teilweise zwangssterilisiert wurden. Diesen Unterdrückungsraum repräsentiert das Spiel. Beispielsweise wird auch Homosexualität aufgrund der damaligen Sichtweisen als psychische Krankheit im Spiel behandelt. Hierfür, um den Spieler mit den dahinterstehenden, seltsamen Logiken absichtlich konfrontieren zu können, haben wir eine gemeinsame Recherche mit dem Psychiatriemuseum Bern unternommen. Zusätzlich besteht momentan die Idee im Spiel eine Enzyklopädie anzubieten, die die tatsächliche Historie verpackt.
Kim Sofer Matthias Das heißt euer Spiel taxiert den Lehrbereich?
Sebastian Riedi Einerseits, um Wissen zu vermitteln. Anderseits stellt das Spiel die Frage, was akzeptabel ist und was nicht. Der Impuls war zwischen das Normale und Kriminalisierte zu stechen, das heißt dieses seltsame Dazwischen in ein Videospiel zu übersetzen. Zu diesem Bereich gehörten beispielsweise Nervenheilanstalten, die sich mit Problemen von Menschen auf eine gewisse Art und Weise auseinandergesetzt haben, die nicht intuitiv als „normal“ oder „okay“ zu bewerten ist. Exemplarisch können sich Interessierte gerne mit dem Phänomen des „Shell Shock“ auseinandersetzen, das man heutzutage als posttraumatische Belastungsstörung bezeichnet. Im Zuge des ersten Weltkrieges erlitten Soldaten aufgrund des ständigen Artilleriefeuers diese psychische Traumatisierung. Diese funktional tauben Menschen brauchten psychologische Betreuung. Die Frage nach den mentalen Wunden wurde gestellt. Übersetzt repliziert „Sanatorium – A Mental Asylum Simulator“, ein „2D card based, workspace adventure” den Umgang mit derartigem.
Kim Sofer Matthias Und was genau mache ich im Spiel?
Sebastian Riedi Der Spieler hat die Aufgabe Patienten zu diagnostizieren und zu behandeln, allerdings nicht als ein vollwertiger Arzt. Stattdessen schlüpfst du in die Rolle eines Hochstaplers, der sich eingeschlichen hat.
Fabian Hunziker Du hast somit keine Ahnung, was du tust.
Sebastian Riedi Der Grund, warum du als Hochstapler auftrittst, ist ein Brief, der sich etwas mysteriös liest. Du selbst als Journalist bist recht unerfolgreich, obwohl wir uns in den „Roaring Twenties“ des 20. Jahrhunderts befinden. Rechnung um Rechnung muss bezahlt werden und du weißt nicht, wie du das mit deinem Beruf stemmen sollst. Dieser Brief, der mit einem P signiert ist, bindet deine Aufmerksamkeit. Du rätselst, wer denn diese Person P sein könnte, vielleicht Tante Paty (Patricia). Bei der war es immer sehr schön, du warst glücklich dort. Vielleicht wird das Leben ein Besseres sein, wenn du sie befreist respektive aus dieser Anstalt herausholst. Und selbst wenn nicht klar wird, wer diese Person ist, so hätte man doch sicherlich eine gute Story, die man verkaufen könnte.
Kim Sofer Matthias Was war bisher die größte Herausforderung in der Entwicklung oder Auseinandersetzung mit dem Thema?
Fabian Hunziker Zum jetzigen Zeitpunkt war die Schwierigkeit die Grafiken, beispielsweise die Poster aus den 1920er Jahren so umzusetzen, dass sie authentisch wirken. Die Art-Deco Elemente waren in Kombination dazu auch herausfordernd, denn letztendlich muss doch alles mit allem harmonieren. Die optische Balance des Spiels zu finden ist nicht einfach, erst recht, wenn man alles selbst digital für die Unity Engine mit Hilfe von Adobe Illustrator zeichnen möchte.
Sebastian Riedi Seit Februar 2022 besteht Zeitglas, das heißt wir als Unternehmen. Seit Mitte Juli arbeiten wir in Vollzeit an diesem Projekt. Das Pitching begann bereits letztes Jahr im Oktober. Momentan suchen wir immer noch einen Publisher, stehen momentan kurz vor dem Ende der Pre-Production und möchten gerne in die Produktion gehen. Dafür brauchen wir allerdings finanzielle Unterstützung. Hinsichtlich der Lokalisierung können wir sicher sagen, dass wir das Spiel in Deutsch, Englisch, Französisch und Spanisch anbieten. Abhängig vom Budget ergibt sich die Verbreiterung. Was uns in jedem Fall momentan sehr helfen würde, wäre, wenn Interessierte das Spiel auf ihre Wunschliste auf Steam packen würden, um uns und Publishern letztendlich zu signalisieren, dass das Spiel Potenzial hat und ein Markt dafür existiert.