Videospiele, dies, das, Ananas Der Fall 4Players als Spiegelbild momentanen Videospieljournalismus

Hannes Letsch11 Minuten Lesezeit

Übersicht
DALL-E & Kim Selbach, 2024

Zugegeben: Der Titel dieser Kolumne ist leicht trügerisch, weil dieser suggerieren könnte, dass die Geschichte des Videospielmagazins „4Players“ im Detail nachstehend behandelt wird. Nach über zwanzig Jahren wurde am 23. August 2021 ein offenes Geheimnis innerhalb der deutschen Videospielbranche offiziell bestätigt: „4Players“ wird heute, zum 01. November 2021 nicht weiter redaktionell betreut. Die Gründe hierfür waren genauso vage formuliert, wie die Antwort auf die Frage, wie lange das für Recherchen wertvolle Archiv online bleiben würde. Dass nun Interessenten existieren, die womöglich das Portal weiter betreiben, kann jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt nicht als echte Rettung zum Fortbestehen gesehen werden. Ein Nachruf klassischer Art ist nicht angemessen, weil die Bedeutung des Portals eher subjektiv gekennzeichnet ist und gleichzeitig wenig objektiv analysierbar. Für viele Videospielinteressierte existierte „4Players“ genauso, wie für andere wiederum „Gamestar“ nur dem Hörensagen nach bekannt war. Die Bedeutsamkeit „4Players“ liegt nicht primär im Portal und dessen Inhalten selbst, sondern im Entschluss der redaktionellen Aufgabe.

Jörg Luibl, langjähriger Chefredakteur des eingestellten „4Players“, war circa einen Monat vor dem 1. November im Podcast „Auf ein Bier“ zu Gast. In bemerkenswerten 51 Minuten stellten Andre Peschke und Jochen Gebauer Fragen zu den Gründen der Schließung und den Herausforderungen, die schlussendlich seitens „4Players“ und dessen Geldgeber nicht gemeistert wurden. Das Erschreckende der Ausführungen Luibls ist die sich entspinnende Fundamentalkritik am (deutschen) Videospieljournalismus, die die Existenzfrage abermalig aufwirft.

Der Hauptgrund für die Schließung ist der systemische Abwärtstrend des bekannten Videospieljournalismus in Deutschland. Der einbrechende Printmarkt beziehungsweise die stagnierenden oder rückläufigen Reichweiten im Print- wie Onlinebereich betrafen auch „4Players“ massiv. Allein die notwendigen Gegenfinanzierungen zum Erhalt des Betriebs der etablierten Magazine sind aufgrund dessen, wie die jeweiligen Redaktionen funktionieren, schwer aufrechtzuerhalten. Der Kontext, in dem Videospieljournalismus stattfindet, wandelte sich seit dem Jahr 2000 mehrfach. Während das Printformat Anfang der 2000er Jahre klar dominierte, entstand parallel dazu die Online-Medienwelt, die versuchte am Wettbewerb teilzunehmen. Das gelang ihr auf Kosten des Prints auch zusehends, ehe sie das gleiche Schicksal ereilte. Zwanzig Jahre später sind die damalig modern erscheinenden Online-Magazine selbst die eingestaubten, alten Formate, weil „Content Creator“ und „Influencer“ das abbilden können, was zuvor der „klassische“ Videospieljournalismus exklusiv im Print- oder Online-Bereich zu leisten vermochte: Reichweite und Aufmerksamkeit.

Heutige Berichterstattung erfolgt prinzipiell durch eine Person ohne kostspielige, mehrköpfige Redaktionen. Durch Kleinstinhaltspakete wie Instagram-Posts, kurzweilige YouTube Videos und so weiter werden potenzielle Konsumenten effektiv erreicht, ohne Sinnzusammenhänge zu vermitteln, Wissen entstehen zu lassen oder substanzielle Dialoge zwischen Fachkundigen und Interessierten zu ermöglichen. Diese Entwicklung wurde von allen etablierten Videospielmagazinen, das heißt auch von „4Players“, nicht begleitet und moderiert, sondern für rein wirtschaftliche Gesichtspunkte aufgegeben. Kurzum: Was nicht finanziell lohnt, macht wirtschaftlich keinen Sinn. Die vermeintlich wichtigste Existenzgrund eines Magazins fehlte. Die Frage, ob die Gefahr des „Aus der Zeit Fallens“ (≙ wirtschaftliche Irrelevanz) der Hauptgrund für die Schließung von Projekten sein darf, ist offener denn je. Denn wer Teil der Kultur sein möchte, das heißt wertvolle Beiträge zur Entwicklung der und dem Leben von Gesellschaft beitragen will, muss mehr als nur den eigennützigen, wirtschaftlichen Wert transportieren, oder nicht?

Mitte 2014 war das Zeter und Mordio schreien laut vernehmbar, als simultan zum sogenannten „GamerGate“ beziehungsweise der „Zoë Quinn Affaire“ teils unmoralische, quer zur offiziellen Struktur liegende Vernetzungen verschiedener Videospielredakteure oder gar ganzer Magazine offengelegt wurden. Die plötzlich in einer riesigen Welle angehäufte Erschütterung darüber, wie dicht und eng Redakteure mit der Videospielindustrie verwoben seien und sich gegenseitig bessere Aufträge und Posten unabhängig von Können und Qualifikation zuschieben würden, führte zur letzten großen Kontroverse, die spätestens 2015 wieder versiegte und somit den gewohnten Gang einläutete, ohne substanzielle Änderungen am Verhältnis Industrie und Journalismus sowie dessen Identität vorzunehmen. Die Reaktionen einiger Redakteure und Journalisten, denen der Vorwurf der Bestechlichkeit direkt oder indirekt vorgehalten wurde, waren nichts anderes als ein teils nachvollziehbares Wogenglätten qua Gegenoffensive pro Status Quo (vgl. Ausführungen von Paul Tassi, 2014; Erik Kain, 2014 und Stephen Totilo, 2014). Imho konzentrierte man sich auf die falschen Diskussionsthemen: Ob beispielsweise Videospielredakteure bestechlich sind oder nicht, kann nicht Gegenstand einer konstruktiven Kontroverse sein. Es ist mehr ein Hinweis auf etwas, dessen Mangel beziehungsweise Fehlen die beschriebenen Anschuldigungen erst möglich werden ließ: Kredibilität und Professionalität.

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Dieses 4Players.de wirkte oder war auch ein bisschen aus der Zeit gefallen. Wenn man sich den aktuellen Wettbewerb anschaut […] wenn man eine Gamestar (her)nimmt oder meinetwegen PcGames, (das heißt) was CompuTec und Webedia anbietet […] Dort hast du einen Wettbewerb, der darauf ausgelegt ist, möglichst all das zu bedienen, was die Leute da draußen suchen und klicken – und zwar ohne Rücksicht auf Verluste. Das Ziel der Sache ist Reichweite und Klicks. Die Themen, die dafür notwendig sind, die sind letztendlich egal. Das heißt: Wenn dir irgendein Algorithmus oder irgendeine Hashtag-Liste sagt, dass momentan „Fortnite“, „FIFA“ – ich nenne einfach mal die üblich Verdächtigen – durch die Decken gehen aufgrund eines DLCs oder irgendeiner anderen Geschichte, dann setzt du, wenn du diese Strategie fährst, drei oder vier Redakteure an. Diese machen nicht nur eine News diesbezüglich, sondern fünfzehn bis zwanzig News-Artikel dazu. Und wenn gerade da draußen über Benjamin Blümchen gesprochen wird und alle dies suchen, dann machen diese Spielemagazine zur Not auch eine Benjamin Blümchen Reportage.

– Jörg Luibl, The Pod, 10.10.2021

Das obige Zitat illustriert, dass ein „Aufgeben“ nicht nur die tatsächliche Schließung bedeuten kann, sondern es genauso effektlos ist, wie aufgelöste Redaktionen. Das hohe Gut des Journalismus, Debatten zu ermöglichen, indem möglichst breit gefächert und auf Inhaltsschwere gefiltert Perspektiven jedem angeboten werden, wird zu keinem Zeitpunkt von Luibl als wesentliches Gegenargument zur Erhaltung der 4Players-Redaktion erwähnt. Es ist Sinnbild einer nicht auf das Feld passende, betriebswirtschaftlichen Sichtweise, die Chefredakteure und deren Redaktionen machtlos werden lassen, weil deren professionelles Wissen um Meinungsbildung nicht wesentlich ist. Gleichzeitig ist aber genau Meinungsbildung die eine Aufgabe des Journalismus, die gesellschaftlich anerkannt wird, und sogar durch mächtige Sonderrechte (Pressefreiheit) im Grundgesetz verankert wurde. Was aber, wenn genau dieses hohe Gut – wie Luibl ausführt – von den Großen des Videospieljournalismus gar nicht verfolgt wird?

Videospieljournalisten scheinen mehrheitlich in klickdominierten und algorithmisch diktierten Ozeanen zu schwimmen – egal ob sie wollen oder nicht. Das Spannungsfeld „Vertrauen versus Klicks“ beziehungsweise „Reichweite versus Charakter“ wird ignoriert, obwohl es existiert. Die Fixierung auf Reichweite und das strategische Ausnutzen dieser, wird als „Modernisierung“ kaschiert, anstatt selbstkritisch festzustellen, dass Alleinstellungsmerkmale eigener redaktioneller Arbeit maximal sekundär sind. „4Players“ verschlief laut Luibl diese Umdeutung journalistischer Arbeit, weil man tatsächlich damit beschäftigte war, die Grenzen guten Journalismus auszuloten und zu fixieren. Gleichzeitig setzte sich die in den 2010er Jahren ebenbürtige Konkurrenz namens „Gamestar“ o.Ä. ab, indem Reichweite durch Krawall.de, Areagames.de und so weiter eingekauft wurde. Man expandierte durch Klicks und vermarktete sie als eigene erbrachte, redaktionelle Leistung.

Jeder Journalist, der sich letztlich mit Medien oder Unterhaltung beschäftigt, ist irgendwo kritisch. Der ist natürlich ehrlich und subjektiv sind sie auch alle. Das heißt, die sind noch nicht einmal so besonders aber diese drei Worte konnten deshalb (für 4Players) so besonders (im Slogan) wirken, weil innerhalb der Spielepresse und der Branche zum Beispiel der Begriff „subjektiv“ jahrelang ganz schlimm ignoriert wurde. Es wurde gesagt: „Nein, du musst objektiv sein!“. Das ist jetzt mittlerweile alles vorbei. […] Wir hatten den Vorteil, dass in der Spielepresse tatsächlich die Ehrlichkeit was Besonderes war. Oder dass man sagen muss: Die Spielepresse, so wie die sich über die Jahre entwickelt hat, war zu einem Großteil eine große Leserverarsche – und zwar extrem unehrlich. Jetzt muss man natürlich differenzieren: Damit meine ich nicht alle. Aber dieses „ehrlich“ konnte (im Slogan) nur so gut dastehen, weil viele wussten: „Leute, hinter den Kulissen sind die nicht ehrlich zu euch.“

– Jörg Luibl, The Pod, 10.10.2021

Während der hauptsächlich online praktizierende Videospieljournalismus in den 2010er Jahren versuchte eine Definition seiner selbst in teilweise mühseligen Debatten herauszuschälen, überholten ihn seine eigenen strukturellen Unzulänglichkeiten und Abhängigkeiten. Die nach Aufmerksamkeit haschenden Praktiken auf Instagram, das Verwenden seltsamer Eilmeldungssysteme oder die sogenannte „Leaks“-Berichterstattung wurden unreflektiert kopiert, weil sie einerseits durch Klickanstiege validiert Erfolg versprachen und andererseits somit die nicht professionalisierte Konkurrenz der Influencer auf Abstand hielt. Die Sachlichkeit verschwand immer weiter. An deren Stelle trat das Boulevardformat. Dass man sich langfristig dadurch konzeptuell selbst zerlegte, erkannte man nicht, oder hat es abermals ignorierend in Kauf genommen.

Wir (von 4Players) wollten uns auf keinen Fall für dieses Bullshit-Bingo aus SEO (Suchmaschinenoptimierung), Algorithmus plus Clickbait und Co. flachlegen, weil dann hätten wir unseren Charakter verloren. Wir hätten es natürlich tun können. Aber erstens fand ich selbst es total erbärmlich, in welche Richtung sich dann auch die Spielepresse teilweise entwickelt hat. Also ich konnte kaum noch irgendetwas überhaupt lesen, weil ich sofort durchschaut hatte, warum der Text jetzt so aufgezogen wurde. Und natürlich haben auch wir herumexperimentiert. Wir konnten uns nicht gegen alle Dinge wehren, die einfach notwendig sind, wie zum Beispiel eine SEO-Optimierung. Aber selbst darin gibt es wiederum Graustufen. Es gibt nicht nur A oder B, sondern du kannst SEO radikal machen, du kannst es aber auch ein bisschen „mittel“ machen. Und ich habe immer versucht eine Balance zu finden, dass zum Beispiel das Schriftbild unserer Berichte und News nicht dadurch zerstört wird … dass nur weil ein Konzern wie „Google“ existiert, ständig Wörter wiederholt werden.

– Jörg Luibl, The Pod, 10.10.2021

Dem eigenen Konzept und somit auch der eigenen Kredibilität entsagt, befeuerten die Akteure den eigenen Niedergang. Nicht nur verstand man es nicht, den andersartigen Umgang mit Medien jüngerer Generationen überzeugend zu begleiten, man gab ihnen durch die eigene widersprüchliche, reaktionäre Praxis zu verstehen, dass man selbst gar nicht für ernst genommen werden muss. Der gewiefte Journalist der 2010er, der es angeblich verstand, den Spagat echter Berichterstattung und Werbung für Publisher zu meistern, findet sich mittlerweile in der Rolle des Bittstellers wieder. Der beobachtbare Kniefall vor dem Kunden, um hastig Vertrauen aufzubauen (z.B. Fan-Service-Artikel, oder verpflichtende Kodex und Compliance der eigenen Mitarbeiter) und der immer stärker ausartende Service für Publisher (z.B. ganze, als Werbung gekennzeichnete Artikel) können in Kombination zur Luibls Ausführungen nur noch als wirtschaftliche und professionelle Schadensbegrenzung gedeutet werden. Inwiefern dies überhaupt gelingt, kann stark bezweifelt werden, denn bereits vor zehn Jahren war den momentan existierenden Redaktionen des Videospieljournalismus klar, dass das eigene Konzept nicht vertrauenswürdig ist. Wie sonst könnten die begangenen Aktionen (z.B. das Einkaufen von Klicks) gedeutet werden? Weder scheint man zu wissen, wer man ist (Definitionsproblem), noch was man eigentlich machen möchte (Journalismus versus Werbungsproblematik). Und was nun?

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