Es muss nur der Titel „Command and Conquer: Rivals“ (EA Redwood Studios, 2018) genannt werden, schon fröstelt es die meisten Aufgeklärten quasi automatisch. Nicht nur deshalb, weil die Präsentation im vergangenen Juni der E3 2018 aus der Sicht eines Konsumenten befremdlich kalt, schablonenhaft akkurat durchgezogen wurde, sondern weil ein Spielkonzept, das in vergangenen Jahrzehnten im Bereich der Strategie einen herausragenden Ruf genoss, zu einem Mobile-Spiel ohne Strategie und Tiefgang, schlicht generisch auf die Möglichkeiten des Touchpads eingekocht wurde. Auf die Schlachtbank des spielmechanisch langweiligen Mobile-Marktes hätte EA sein Franchise gezerrt, um Investoren zu beglücken respektive zu zeigen, dass man einen großen, wachsenden Markt womöglich finanziell sträflich nicht außer Acht lässt.
Erschienen am
02. Juni 2022
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Blizzard scheint einzustimmen, allerdings nicht mit einer etwas angestaubten Spielidee, sondern mit der Marke „Diablo“. Blizzard spielt ein gefährliches Spiel. Eines um Nostalgie beziehungsweise bedeutsamen Erinnerungen, falschen Versprechungen und Andeutungen sowie seiner eigenen Anhängerschaft, die bisher durchaus artig im Sinne eines Fans den Entscheidungen hinsichtlich „Diablo“ folgten.
Das Spiel mit der Nostalgie
Ein wesentlicher Grund für den Aufstieg einer seiner ältesten Franchise ist die Jugend der 1990er und frühen 2000er. Blizzard bestimmte mit „Warcraft 3: Reign of Chaos“ (2002) und dessen Mod „Dota“, „StarCraft“ (1998), „World of Warcraft“ (2004) und „Diablo 2“ (2000) maßgeblich, was auf den Bildschirmen hauptsächlich abgebildet wurde. Was sich langsam durch „Warcraft: Orcs & Humans“ (1994) und „Warcraft II“ (1995) sowie „Diablo“ (1996) begann zu etablieren, schlug mit dem oben genannten Titel vollends durch. Insbesondere die Geschichte, die in einem düsteren Dorf namens Tristram begann. Sanktuario war für viele ein Zeitfresser. Es gestaltete die Freizeit und daraus resultierende, von Faszination getriebene Gespräche der damals Jugendlichen, die mittlerweile Erwachsen immer noch den Kern der Diablo-Community bilden. „Diablo 2“ war Teil tagtäglicher Interaktion unter den Gleichaltrigen, rückte aus der Peripherie der jungen Kunstform „Videospiel“ ins Zentrum des Gerangels um Status, Coolness sowie der Identifikation durch Gruppenzugehörigkeit vor. Zusammen mit diesen Peers setzte man sich mit den Inhalten des Spiels auf vielfältige Art auseinander. Private wie öffentliche LAN-Partys waren beispielsweise das Resultat und die Antwort auf die Forderung, die Faszination und das Erlebnis aus dem eigenen Zimmer zu entfernen, um daraus in Gemeinsames werden zu lassen. Aus Sympathisanten wurden Enthusiasten, die im Laufe ihrer Sozialisation die Marke „Diablo“ als wesentlichen Bestandteil ihrer Jugend definierten. Sie war der Speicher für Erinnerung, Zeit und Emotion der frühen und späten Schulzeit. Dass „Diablo 2“ oder „Warcraft 3: Reign of Chaos“ zusätzlich online gespielt werden konnte, verstärkte diese Dynamik und verlängerte die punktuell abgehaltenen LAN-Partys durch die ständige Vernetzung des Internets. Die Geister, die Blizzard dadurch rief, wurde es nicht mehr los, denn einerseits bedeutete die Identifikation wirtschaftlichen Erfolg, andererseits aber auch hohe Erwartungen, die man mit „Diablo 3“ (2012) nach einer aus der Sicht der Anhängerschaft gefühlten Ewigkeit nicht wirklich erfüllte. Kritik an der optischen Umsetzung oder dem Echtgeld Auktionhauses ließen viele daran erinnern, dass Erinnerungen Verzerrung bedeuten und nicht die Zukunft vorhersagen. Man blieb dennoch loyal, wurde in Retrospektive durch das Addon „Reaper of Souls“ (2014) belohnt und fieberte nun hoffnungsvoll dem vierten Teil entgegen.
Das Spiel mit der Hoffnung
Spätestens 2017 war klar, dass „Diablo 3“ an Ermüdungserscheinungen litt. Mittlerweile investieren die Entwickler offensichtlich kaum noch Zeit in den Feinschliff oder die Erweiterung des Spiels, sondern versuchen in generische PR-Hülsen gestopft die immer gleiche „Season“-Spielidee durch die sozialen Netzwerke jagend wieder und wieder aufzuwärmen. In offiziellen Foren war somit sehr schnell klar, dass ein neues, vollwertiges Spiel entwickelt werden sollte. Die lange Unterstützung des dritten Teils deutete man als beständiges Markenzeichen Blizzards und als einen notwendigen Erfahrungsschatz, der sich vollumfänglich in „Diablo 4“ niederschlagen würde. Zu jeder BlizzCon stand die Frage im Raum, wann nun endlich auch die Marke „Diablo“ eine große Ankündigung spendiert bekommen würde. Wann würde der Herr des Schreckens endlich wieder im Zentrum des Hauses Blizzard neben „Overwatch“ (2016) und „WarCraft“ stehen? Geschickt nutzte man das Potential der Hoffnung, um in Zweideutigkeit verharrend Andeutungen durch die Presse zu jagen, um die Marke im Gedächtnis zu behalten (vgl. z.B. GameStar). Enttäuscht wurde man de facto jedes Jahr aufs Neue, was allerdings die Entwickler nicht davon abhielt, jedes Jahr aufs Neue Andeutungen in die öffentliche Meinungsbildung einzustreuen. Die wachsende Skepsis versuchte man zurückzudrängen, indem man mit großer Reichweite aufwartende Magazine und andere Medien, die zumindest als halbwegs seriös galten, für sich zu gewinnen. Mittlerweile wird von der sich instrumentalisiert fühlenden Presselandschaft sogar davon gesprochen, dass Blizzard einen Fake-Hype bediene, der gänzlich abzulehnen sei.
Diablo Immortal
Mit all dem wird und wurde gespielt und scheint Activision Blizzard im Gesicht zu explodieren. Was zunächst im Kreis des Teams und unter Bekannten mit dem Vorwissen, dass Blizzard ein Spiel für Smartphones entwickelt, in einem sarkastischen Ton gemutmaßt wurde, stellte sich als Tatsache heraus. Ein mobiles „free to play Diablo“ scheint, wenn man Blizzards Präsentation folgt, das nächste „große Ding“ zu sein. Auf der Hauptbühne der BlizzCon vorgestellt, brachen weder Jubelstürme aus, noch konnte ein anerkennender Applaus ausgemacht werden. Dass selbst in der Halle keine gute Stimmung herrschte, konnte sofort an den Präsentatoren selbst beobachtet werden, die sich der skeptischen, womöglich auch verärgerten Blicke nicht erwehren konnten und somit ordentlich Schwierigkeiten hatten, ihre PR-Texte glaubhaft zu vermitteln. Spätestens am Ende der Präsentation, als die Zuschauer das Wort hatten und Fragen stellen durften, war klar, dass man sich verkalkulierte. Auf die Frage, ob die gesamte Präsentation ein verspäteter Aprilscherz sei (vgl. Blizzards Aprilscherz aus dem Jahr 2014 namens „Happy Reaper“) , brach unter den Zuschauern posthum zustimmender Jubeln und Klatschen aus. Sichtlich verlegen mühte sich das Trio um Wyatt Cheng, das höchstwahrscheinlich nicht Entscheidungsträger ist, nachvollziehbare Antworten zu liefern, zog sich aber in der fühlbar angespannten Atmosphäre schnell hinter Marketingfloskeln zurück. Summa summarum eine Bankrotterklärung hinsichtlich des Wissens darüber, wie die eigene Fanbasis tickt und funktioniert. Die dem Präsentatoren-Trio vorgefertigte Argumentation stetig neue Menschen begeistern zu wollen, mag womöglich in einem bisher unerschlossenen Markt wie der der Smartphones aufgehen, allerdings ist die BlizzCon der denkbar schlechteste Rahmen dafür, denn fast gänzlich alle Teilnehmer und Besucher sind bereits Anhänger der Marke „Diablo“ und somit auf dem PC primär zuhause.
Zeitgleich schlug die Empörungskultur im Internet sofort durch, denn neben dem glasklaren Urteil hinsichtlich des Trailers auf YouTube und anderen Plattformen, erschienen viele spontan abgedrehte Kurzbeiträge, die ein eindeutiges, ablehnendes Meinungsbild zeichnen, die in Textform auch etwa in Blizzards eigenem Forum nachgelesen werden können: Keiner verlange nach solch einem Spiel, das keinerlei Charakter besäße und letztendlich ein verkapptes, durch und durch langweiliges „Asia Mobile ARPG“ im „Diablo“ Gewand sei. Sicher ist, dass „Diablo Immortal“ momentan als Trigger fungiert, der einen Meinungsaustausch innerhalb der Anhängerschaft der Marke „Diablo“ initiiert, der Fragen zum Ergebnis hat, die sich als nachhaltig schädigend erweisen könnten. Beispielsweise steht mittlerweile die Frage im Raum, ob Blizzard als Unternehmen überhaupt Motivation besäße, sich weiterzuentwickeln. Ebenso zweifelt man an einer vernünftigen Priorisierung des Unternehmens an sich: Welchen Stellenwert haben Finanzen, Community und die Kunstform Videospiel? Auf wen hören die Verantwortlichen überhaupt? Steht die Tür nun für die Konkurrenz offen, „Diablo“ vom „Hack and Slay“ Thron zu stoßen?
Blizzard spielt mit seiner eigenen Erfolgsmasse ohne zu wissen und abschätzen zu können, welche Auswirkungen dies haben kann. Nach EAs „Command and Conquer: Rivals“ Desaster außerhalb der Interessen von Investoren steht nun auch Blizzard im Verdacht, seine eigene Herkunft verkannt zu haben. Inwiefern und welche Auswirkungen dies tatsächlich haben wird, dürfte sich in naher Zukunft herausstellen. Eine umfassende, erklärende Reaktion seitens Blizzard steht immer noch aus, was wiederum dafür spricht, dass „Diablo Immortal“ die Verantwortlichen auf dem falschen Fuß erwischt hat. Abzulesen ist dies beispielsweise an den eher effektlosen Versuchen, das eigene, gesendete Videomaterial auf Twitch zu editieren, die eigenen Foren an einigen Stellen zu zensieren, YouTube Kommentare zu löschen und so weiter. Im Zuge dessen erscheint der Satz „We are listening to our community“ lächerlich – Schaden wird momentan seitens der Entscheidungsträger Blizzards ordentlich angerichtet.