DLC Kontroverse Der Präzedenzfall Evolve

Hannes Letsch9 Minuten Lesezeit

Übersicht
2K Games, 2015

Zu Anfang war es nur die Suche nach Mitstreitern, ist doch Turtle Rocks‘ gerade erst veröffentlichtes Werk „Evolve “ (2015, Turtle Rock Studios) ein Mehrspieler, der vor allem dann riesigen Spaß machen soll, wenn man ein komplettes Team, bestehend aus fünf Spielern, zusammen hat. Das Vorhaben wandelte sich zusehends aufgrund der Antworten, warum nicht mitgespielt wird, in eine Auseinandersetzung und Grundsatzdiskussion über seit längerem zu beobachtende Entwicklung der Videospiele. Ähnlich drastisch ausgedrückte Meinungen finden sich auch in diversen Foren oder Kommentaren unter Artikeln vieler Webseiten. Es sind zahlreich Begrifflichkeiten zu lesen wie „DLC verseucht“, „keine 50 Euro wert“, es ist von einer „Abzocke“ beziehungsweise einer „einzigen Verarsche“ die Rede. Es gilt, „ein Zeichen zu setzen“, wie einige in einschlägigen Online-Shops und -Magazinen es fordern, obwohl von einem waschechten Boykott aufgrund der hohen Position in den Verkaufsranglisten nicht die Rede sein kann. Die Umstände, die erschienen Artikel und Diskussionen über den Präzedenzfall „Evolve“, die zugegeben wenig mit dem Spiel an sich zu tun haben, geben den Anlass, das Thema „DLC“ zu behandeln .

Die Kontroverse entzündete sich daran, dass die Entwickler von Turtle Rocks sehr offen, vielleicht ein wenig zu offen schon im Vorfeld der Veröffentlichung von „Evolve“ darüber sprachen, dass ihr Werk von Anfang an als ein sogenannter „DLC-Hub“ geplant war: Zusätzliche, kaufbare Spielinhalte waren lange im Voraus Bestandteil der konzeptuellen Gedanken; daraus machten die Entwickler im Vergleich zu vielen anderen, die solch ein Shopsystem im Spiel für zusätzliche Einnahmen PR-technisch „leise“ implementierten, keinen Hehl. Verschiedene kosmetische Verbesserungen der Charakter und Monster werden seit Stunde Null zum Verkauf angeboten. Noch wesentlicher ist die Tatsache, dass zukünftig erscheinende Monster und Charaktere ebenfalls nur käuflich zu erwerben sein werden. Einzelkäufe sind genauso möglich wie der sogenannte „Season Pass“, der nichts anderes als ein zeitlich begrenztes Abonnement abbildet. Grundsätzlich ist daran etwa aus einer juristischen Schicht nichts falsch. „Evolve“ ist weder Vorreiter noch eines der ersten Spiele, die solch eine Verkaufspolitik fahren. In dieser Hinsicht ist solch ein „In-Game-Shop“ unter gewissen Gesichtspunkten ein gutes weil funktionierendes Geschäftsmodell. Was „Evolve“ von den anderen Spielen separiert, ist die Tatsache, dass das Spiel von Anfang an zum Preis eines vollwertigen Spiels verkauft wurde und die Pressearbeit durch diese brutale Ehrlichkeit den Fokus auf etwas komplett negativ Behaftetes lenkte, was dem Spiel immer noch anhängt.

Kurz bevor das Spiel veröffentlicht wurde, meldete sich einer der Köpfe der Turtle Rock Studios, Phil Robb, zu Wort, nachdem das Team von vielen beschuldigt wurde, man würde nur die Spielegemeinde finanziell melken wollen: Den Entwicklern war laut Robbs Aussage stets klar, dass DLCs den Spielspaß verderben können, indem beispielsweise Inhalte erst gekauft werden müssen, um an einer Spielrunde teilnehmen zu können. Um dies zu umgehen, entschlossen sie sich dazu, aus ihrer Sicht konsumentenfreundlich zu agieren, was sich zum Beispiel dadurch zeigt, dass alle zukünftig entwickelten Spielkarten kostenfrei sein werden. Gleichsam erinnerten die Entwickler aber auch daran, dass solch ein Spiel nach der Veröffentlichung Geld kostet, denn über 100 Familien hingen an dem Erfolg des Spiels und der Kaufpreis reicht nicht aus, um zum einen die Ausgaben auszugleichen und zum anderen eine finanzielle Absicherung für alle Mitarbeiter zusätzlich zu garantieren, um weitere, auch von der Community gewünschten Spielinhalte zu entwickeln.

Die Konsumenten, die Spieler, haben gleichsam einen guten Grund sich aufzuregen: 50 Euro kostet das Spiel bei Veröffentlichung und gleichzeitig darf noch einmal dasselbe Geld ausgegeben werden, wenn man halbwegs alle Inhalte im Shop besitzen möchte. Sofern man die geplanten, zusätzlichen Charaktere und Monster ebenfalls sein Eigen nennen möchte, werden nochmals circa 30 Euro fällig. Die Summe für das volle Spiel lässt schlucken und ist auf den ersten Blick unerhört, wobei der zweite das Ganze schon wieder etwas zu revidieren scheint, weil - so zumindest einige Argumentationslinien - Kosmetik etwa nicht spielrelevant sei, sondern nur ein zusätzliches Gimmick darstellen würde.

Klar ist, dass niemandem der Beteiligten geholfen ist, wenn jemand als Sündenbock auserkoren wird und damit die Sache zwar beendet, aber den falschen Hut aufgesetzt bekommt. Es macht auch deshalb keinen Sinn, wenn die verschiedenen Standpunkte und dahinterstehenden Logiken verständlich, nachvollziehbar, wenn nicht sogar in sich widerspruchsfrei sind. Brisant ist eher die Tatsache, dass die Standpunkte eine Existenzberechtigung haben, sich aber aufgrund der dahinterstehenden Interessen widersprechen, woraus die Kontroverse ihre Brisanz zieht.

Im Moment bleiben sowohl die Spieler als auch die Entwickler des Spiels auf der Strecke, wobei letztere am ehesten vom Erfolg abhängig sind und schlechtesten Falls ihren Job verlieren. Die Spieler müssen Abstand von einem Spiel nehmen, obwohl es eigentlich Spaß macht und empfohlen werden kann. Wartet man aber so lange, bis das Spiel zu einem reduzierteren Preis erhältlich ist, könnte es wie im Fall „Evolve“ passieren, dass zu wenige das Spiel noch spielen und damit erst gar keine Spielrunden zustande kommen können. Magenschmerzen schleichen sich insofern ein, als dass ein Kenner des Spiels es vielleicht empfiehlt, welches aber aufgrund einer sehr fragwürdigen Verkaufspolitik seitens der Publisher eher nicht unterstützt werden sollte. Letztendlich sind es genau diese, deren Schweigen etwas verdächtig erscheint, zumal sie Kunstwerke der Entwickler verheizen können, wenn sie nur genügend Angebotsbreite besitzen. „Evolve“ als Spiel bekommt dagegen sehr gute Bewertungen: Viele professionelle Rezensenten empfehlen es aufgrund des hohen Spielspaßes. Es ist im Moment sehr beliebt, zumindest ist es auf der Streaming-Plattform Twitch das am meisten angeschaute Spiel.

Konsumenten, Entwickler und Publisher sehen Videospiele nicht aus der gleichen Perspektive. Während einige Konsumenten und die Entwickler von einer Kunstform sprechen, ist es für Publisher ein Geschäft und damit ein Produkt, wie jedes andere auch mit dem Zusatz, dass es Spaß produzieren soll. Ob und wieviel einem ein Produkt oder gar die Kunstform wert ist, bleibt jedem selbst überlassen. Gibt man gerne 50 Euro um die Entwickler zu unterstützen, weil man sie als Künstler wertschätzt oder wartet man, bis der Titel zu einem reduzierteren Preis erhältlich ist? Fragen, die sich jeder Konsument eigenständig beantworten muss, wobei keine Begründung besser ist, als die andere.

Es stellen sich viel mehr Fragen: Ist das die Zukunft von „Triple-A“? Und wenn dem so sein sollte, warum? Stimmt es, dass das Produkt Videospiel teurer werden muss, weil sich die Entwicklungskosten tatsächlich erhöht haben oder ist das Ganze einfach ein Gierproblem, das seitens der Publisher initiiert ist?

Publisher sollten eigentlich Förderer sein, die es ermöglichen, dass jeder in den Genuss von kostspieligen Videospielen kommen kann: Sie rühren die Werbetrommel für das Produkt der Entwickler und unterstützen das Projekt finanziell, weil sie vom Spielkonzept (!) überzeugt sind. Es scheint jedoch, als seien sich die Publisher einer anderen Rolle eher bewusst. EA oder auch Activision zeigten beispielsweise mehrfach ein abzulehnendes Verhalten. Das Phänomen ist dabei nicht auf die Videospielszene beschränkt, sondern es handelt sich hierbei um ein gängiges Wirtschaftskonzept, das etwa in der Musikbranche oder auch in der Filmindustrie zurzeit zu finden ist. Die Arbeit der Entwickler wird finanziell ausgeschlachtet – Spaß wird auf Anlegerseite in Euro und Cent gemessen. Die eigentliche Aufgabe eine Kunstform zu unterstützen und gleichsam verhältnismäßig rational begründbar daran mitzuverdienen, weil man mitarbeitet und Dienstleister ist, scheint aufgrund der widersprüchlichen Preispolitik oder auch der Idee jährlich immer und immer wieder das gleiche Spiel mit modifiziertem Untertitel auf den Markt zu werfen, verkannt zu werden. Gleichzeitig können die Künstler nicht ohne Publisher, sobald sie ein Projekt angehen, das grafisch opulenter, größer, schneller, weiter und lauter ausfallen soll, was wiederum von der Mehrheit der Videospielkonsumenten gewünscht wird. Nebenbei werden die Entwickler nicht als eigenständige Instanz wahrgenommen und rutschen, ob sie wollen oder nicht, in die Rolle des Opfers, ausgelöst durch eine schlechte und fragwürdige Verkaufspolitik der Publisher, die strenggenommen nur Förderer der Entwickler sind.

Der momentan behandelte Präzedenzfall „Evolve“ ist als konstruktive Diskussion verstanden eher ziellos und Aufmerksamkeit erhaschend aufgeblasen: Die Entwickler beschlossen einiges, was man definitiv als konsumentenfreundlich bezeichnen sollte. Die meisten kostenpflichtigen Inhalte sind optische Verbesserung, die hoffentlich nur von wenigen gekauft werden, weil sie weder spielrelevant sind, noch wirklich qualitativ und damit begeherenswert sind. Alles, was zu Beginn (Day-One DLCs) gekauft werden konnte, ist reine, uninspirierte Kosmetik. Der größere Aufschrei war die Tatsache, dass das kommende Monster namens „Behemoth“ 15 Euro kosten wird. Das ist definitiv zu viel, zu gierig, wirtschaftlich betrachtet nur insofern nachvollziehbar, als dass ein neues Monster vergleichsweise mehr Spielspaß und damit höhere Kaufwahrscheinlichkeit bedeutet als beispielsweise mehrere neue Karten. Dass diese wiederum kostenlos zur Verfügung stehen werden, ist lobenswert, und revidiert ein Stück weit die überhöhten Kosten für den „Behemoth“ oder Ähnliches, denn auch Kosten für neue Karten müssen an anderer Stelle zumindest wieder eingefahren werden. Außerdem braucht jeder Spieler Zugang zu allen Karten, damit jeder jedem Spiel beitreten kann. Selbst die Argumentation, dass für Charaktere und Monster dies nicht der Fall ist und Käufer zusätzlicher Monster oder Jäger auch für die Unterhaltung derjenigen, die keinen Zusatzinhalt erwerben, sorgen, löst das Dilemma kein Stück und lässt den Widerspruch der verschiedenen Logoi vollumfänglich bestehen.

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