Videospielsucht Nicht kennen aber wissen wollen

Hannes Letsch9 Minuten Lesezeit

Übersicht

Am 05.03.2019 sendete nicht nur, dennoch für diesen Artikel als Aufhänger dienend, der Radiosender „B5 aktuell“ stündlich respektive im Format des Themas des Tages eine Nachricht aus, die zunächst aufhorchen ließ, weil sich das Thema um das Videospiel in einem wissenschaftlichen, das heißt schnell antizipiert höchstwahrscheinlich seriösen Kontext drehte. Das Deutsche Zentrum für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters und die Krankenkasse DAK Gesundheit kommen in einer eigenen Studie zum Schluss, dass für immer mehr Kinder und Jugendliche, konkreter für circa 465.000 Personen, Videospiele hinsichtlich einer Suchtentwicklung gefährlich werden würden. Es wird ohne verständnisgebende Ansätze der dahinterstehende Analyse- und/oder Diagnostikmethodik von Verhaltensauffälligkeiten gesprochen, die bei einigen bereits in eine regelrechte Videospielsucht gemündet sei. Die Zahl klang im ersten Moment durchaus bedrohlich. Anschließend und genau im selben Galopp der Präsentation und Erklärung der Ergebnisse dieser Studie ohne kritische Würdigung wird ein Forderungskatalog eröffnet, der sich fast ausschließlich um die Begriffe des „Verbotes“ und der „Aufklärung“ dreht, wobei Ersteres zum Teil kontraproduktiv, Letzteres ab und an schwammig ausformuliert und somit viel Raum zur Interpretation lässt.

Bei genauerer Betrachtung der involvierten Personen fällt zunächst auf, dass neben der forsa Politik- und Sozialforschung GmbH und Herrn Prof. Dr. Rainer Thomasius zumindest offiziell keine zentrale Personen oder konkreter formuliert Mentoren aufgeführt oder Platz zur offiziellen Mitsprache eingeräumt werden, die aus der Videospielindustrie stammen oder sich wissenschaftlich seit längerem mit dieser auf psychologischer, soziologischer oder philosophischer Ebene beschäftigen. Der Grund solche zu benennen und Einordnungen geben zu lassen hat zwei wesentliche Gründe:

  • Um zu wissen, dass man das quantitativ misst, was man untersuchen möchte und nichts anderes, bedarf es einer evaluierten Herangehensweise, die ein erhebliches Maß an Expertise einfordert, erst recht, wenn es sich um ein psychologisches Phänomen handelt, das sich auf eine Kunstform beruft, die selbst noch sehr jung ist. Älter als diese, kann die zugehörige Forschung jedenfalls nicht sein.
  • Die Einordnung der Ergebnisse sollte nicht singulär, das heißt möglichst nah an die bisherige Forschung angedockt sein, wenn nicht sogar aus dieser erwachsen, um einerseits alle beteiligten Forschungsteams und Engagierte mit ins Boot zu holen und andererseits eine gewisse Diskussions- und Verständnisbasis für Experten zu schaffen, um in der darauffolgenden Diskussion der Konsequenzen, das heißt der Interpretation der statistischen Ergebnisse, Fruchtbares entstehen zu lassen.

Entgegen den sich immer stärker herausbildenden Forschungszentren zur Videospielsucht, gab es anscheinend nur einen wesentlichen Mentor, den sogenannten DSM-Katalog, das „Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders“, das Kriterien aufführt, die in Kombination respektive wenn gleichzeitig in überwiegender Mehrzahl bestehend auf eine „Videospielsucht“ hinweisen. Als erster Orientierungspunkt kann dies durchaus sinnreich sein. Allein sich darauf zu verlassen, ist zu kurz gegriffen, weil seit Minimum einem Jahrzehnt substanziell darüber gestritten wird, ob die Videospielsucht durch die im DSM ausgeführten Kriterien definiert werden darf, die aus der pathologischen Glückspielsucht stammen und somit nach einigen Wissenschaftlern höchstens den Zwang zum Spielen erfassen, aber nicht das eigentlich Pathologische genauer beleuchten. Anstatt der durchaus komplexen Gemengelage und der resultierenden, schwierigen quantitativen Messung genügend Berücksichtigung zu schenken, wurde der Schwellenwert von neun auf zwei Kriterien für eine selbst definierte Risiko-Gruppe reduziert und allein durch „Ja / Nein“ -, das heißt durch binäre Antworten gemessen. Das widerspricht der Komplexität, die international geteilt wird, erheblich.

Eine durchaus große Problematik, die auch Oggins und Sammis betraf, ist das Fehlen einer einheitlichen Definition der Videospielabhängigkeit. Weitergehend ist diese Art der Abhängigkeit bis dato noch nicht als solche akzeptiert; vermutlich auch deshalb, weil es keine substanzgebundene Droge ist und es somit nicht ganz unwahrscheinlich ist, dass es sich hierbei um eine komplett andere Art von „Sucht“ handelt. Wood (2008) geht beispielsweise sogar noch weiter und bezweifelt, dass es solch eine Videospielsucht überhaupt gibt. Wohlmöglich putscht diese Abhängigkeit die Verbindung zu Videospielen unnötig hoch, es handle sich vielmehr tatsächlich um eine generelle Abhängigkeit, die sich nicht nur im Konsum von Videospielen zeigt. Dieser Idee folgend finden sich seit einiger Zeit Tendenzen, die von einem „problematischen Gebrauch von Videospielen“ anstatt von „Videospielabhängigkeit“ sprechen (King, 2009).

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Es ist schwerlich vorstellbar, dass qualitativ wie durch geeignete statistische Tests folgende, in der Wissenschaft geteilte, gleichzeitig bestehende Faktoren (vgl. z.B.: Griffiths, M. D. A. (2005): Components model of addiction within a biopsychosocial framework, Journal of Substance Abuse, 10, 191 – 197) einer Videospielsucht in dieser Studie rein durch binäre Fragen herauskristallisiert werden können:

  • Das Verhalten der Person ist hervorstechend auffällig. Sie denkt hauptsächlich nur noch über Videospiele nach.
  • Die Person benutzt Videospiele, um die persönliche Gemütslage zu ändern (z.B. um Probleme im Alltag ständig zu entrinnen und sich in ein Stadium der Euphorie zu versetzen).
  • Die Toleranzschwelle steigt: Die Person muss immer länger spielen, um die gleichen Effekte zu erleben. Begleiterscheinungen sind zu beobachten, sobald die Person nicht regelmäßig Videospiele konsumieren kann, darunter zum Beispiel Depressionen, Nervosität oder Gereiztheit.
  • Inter- und intrapersonelle Konflikte entwickeln sich als eine Konsequenz des Suchtverhaltens, wie etwa verstärkte Probleme in der Beziehung, Vernachlässigung des eigenen Jobs oder von Hobbies.
  • Rückfall in alte Verhaltensmuster, sobald ihnen sich die Möglichkeit eröffnet, wieder zu spielen.

Die Vermarktung der Studie ist neben der fehlenden kritischen Würdigung der Autoren aus wissenschaftlicher Sicht deshalb sehr ärgerlich, weil die bedrohliche Zahl von 465.000 Kinder und Jugendlichen (a) eine aufgrund der kritisierten, ausschließlich binären Abfrage eine Schätzung auf die Gesamtbevölkerung ist und (b) in Prozentsätzen formuliert einen Prozentsatz, nämlich 3,3% wiederspiegelt, den viele andere Forschungsteams in bereits durchgeführten Studien in etwa replizieren konnten.

Die Frage, ob die Videospielsucht singulär betrachtet werden kann oder doch eher zumeist komorbide (zusätzliche, parallel existierende Erkrankung(en)) auftritt, womöglich zeitlich öfters denn selten einer anderen Problematik nachgestellt und somit „nur“ Indikator einer tieferliegenden Problematik ist, wird weder respektiert noch argumentativ integriert. Ein denkbares Beispiel hierzu: Aspekte des Sozialen als Moderatoren (verstärkend oder abschwächend wirkend) oder gar als Mediatoren (die Entstehung erklärend) sind im Kindes- und Jugendalter nicht von der Hand zu weisen, wenn man die Pubertät als Spannungsfeld begreift, in dem sich Jugendliche zwischen zwei gegenläufigen Entwicklungsaufgaben bewegen. Die Pole sind dabei die Identitätsentwicklung und die soziale Anpassung, das heißt die Orientierung an Peers (Gleichaltrigen) die in ihrer Dynamik um Inklusion und Exklusion fundamental das tägliche Leben eines Jugendlichen bestimmt. Konkreter gefragt: Ist es Sucht, wenn das Kind respektive der Jugendliche in der Freizeit dasjenige Videospiel solange spielt, was auch die Freunde spielen? Die Frage ist im Zuge der DAK-Studie auch deshalb legitim, weil die Spiele, auf die sich die Autoren selbst beziehen, weitestgehend Online-Mehrspieler sind und somit der Einfluss der Peers respektive das Bestreben nach Inklusion nicht ausgeschlossen werden kann, auch nicht in Kombination der gestellten Fragen in der Studie selbst.

Es ist schade, dass die vorgestellten Medien nicht umfänglicher angeboten werden. Ähnlich zur Vermarktung ist auch dies ärgerlich, weil vor allem im Bereich der Intervention und Prävention mit dem Aspekt der „Lootboxen“ ein wichtiger Punkt angesprochen, aber nicht adäquat auf der Ebene der Spielmechaniken behandelt wird, sondern auf eine Ebene reduziert ist, die höchstwahrscheinlich (auch) kontraproduktiv wirkt. Die vorgeschlagenen Maßnahmen sind teilweise leicht abenteuerlich, weil etwa auf Folie 28 zunächst die allgemeine Definition guter Erziehung repliziert wird, um anschließend den Vorschlag zu unterbreiten, dass Eltern „Inhalte der Domänen, deren Suchtpotenzial und Alterskennzeichnungen“ kennen sollen. Ohne fundiertes, vernetztes Fachwissen den Eltern Teilaufgaben eines Therapeuten im Bereich der Verhaltensdiagnostik aufzuhalsen, ist gewagt, zumal man sich einige Folien später mit der Empfehlung „professionelle Hilfe“ zu suchen zumindest teilweise widerspricht. Das auf Folie 30 vorgeschlagene Medientagebuch, in dem Jugendliche Uhrzeit, Stimmung sowie reflektiert Alternativen zur Computernutzung aufschreiben sollen, ist rein erwachsen gedacht. Ob Jugendliche solch eine Maßnahme mit Charakter einer Hausaufgabe („Muss“ – Charakter) ernst nehmen, darf angezweifelt werden, weil der Fokus auf gänzlich andere Ebenen, etwa der der Peers und deren Normgebung, liegt. Ebenso greift Folie 33 nicht nur zu kurz, wenn es um die Einbeziehung jugendlicher Gegebenheiten geht. Sie stellt zum Teil Kontraproduktives vor. Wenn beispielsweise das Bestreben um Inklusion Taktgeber ist, dann darf dem jeweiligen Jugendlichen der Zugang zu seinen Peers im Sinne einer Bestrafung nicht einfach entzogen werden. Das Entfernen des Computers, das Einschränken von Onlinezeiten qua Wochenpläne, wirkt als zu überwindende Hürde, weil die Triebfeder Inklusion oder die Befürchtung von Exklusion Motivator ist.

Es verbleibt der Eindruck, dass das Videospiel aus zu heterogenen Bestandteilen gedacht wird (vgl. Folie 32). Dass „Chatten“, „Alleine spielen“, „Internet surfen“ und „Nutzungsdauer“ sich gegenseitig bedingen, wird anscheinend verkannt, genauso wie die fundamentale Regel, dass jedes Videospiel einzeln für sich hinsichtlich seiner Ästhetik und Spielmechaniken im Dialog mit dem Kind besprochen werden muss, um für das Kind / den Jugendlichen nachvollziehbare, nicht übergestülpte Argumente pro und kontra eines Spiels anbringen zu können. Immerhin wäre das ein erster, wesentlicher Schritt zu nachhaltiger Intervention respektive Prävention.

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