Wolfenstein II: The New Colossus Ein USK 18 Spiel für Sechsjährige

Hannes Letsch und Kim Sofer Matthias11 Minuten Lesezeit

Übersicht
Bethesda Softworks, 2017

Der Mythos des Verbotenen im Umgang mit dem Erbe der Nationalsozialisten ist in Deutschland ein ganz besonderer. Wenn südkoreanische Touristen vor den eigenen Augen vor dem Eingang zur Sultan-Ahmed-Moschee in Istanbul einem Deutschen die Frage stellen, ob es in Deutschland immer noch so „streng und militärisch zu ginge“ - denn diese gefilmten Aufmärsche aus dem Dritten Reich seien ja doch schon sehr imponierend gewesen – dann zeigt dies zwei Wahrnehmungsmuster des Geschehenen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Das unbewusste, kurze, innerliche Zucken nach der Frage zeigte beim Befragten die Unsicherheit mit dem Thema, über 70 Jahre nach Kriegsende, nach „Entnazifizierung“ und während „gelebter Demokratie“. Die Tatsache, dass man in Deutschland „Mein Kampf“ ausschließlich in kommentierter Fassung gefühlt unter dem Ladentisch kaufen muss, somit nicht als eigenständige, historische Quelle erstanden werden kann, ist ein Indikator für den unreifen Umgang, den Deutsche mit den Hinterlassenschaften der nationalsozialistischen Zeit haben. Nicht nur „Mein Kampf“ ist immer noch Tabu, auch alle Geschehnisse zwischen 1933 und 1945 sind es.

Vielleicht verspüren deshalb manche eine fragwürdige Form von Erregung, sobald der Name Hitler ins Spiel kommt.

– Serdar Somuncu, Cicero.de

Gewalt fasziniert, lockt an und macht neugierig und gleichzeitig lässt sie einen erschaudern. Die beschriebene Erregung ist somit eine doppelte. Der gewisse Kick, der bei der Beschäftigung mit dem Dritten Reich entsteht und die Faszination des Grauens treffen in einem Wechselspiel aufeinander, dessen Produkt Abscheu ist. Die einhellige Meinung, der beste Weg der Bewältigung sei die Waffe der Lächerlichkeit, kann nicht der Weisheit letzter Schluss sein, weil man ansonsten wesentliche Aspekte wie etwa die Vernichtung der Juden, der Kampf um Lebensraum für „die deutsche Rasse“ und auch die Banalität und Verquertheit der dahinterstehenden Ideologie vergessen würde. Erst im Umfänglichen kann Witz entstehen. In diesem Gewirr aus eher gescheiteter, politisch-gesellschaftlicher Aufarbeitung der NS-Zeit, der doppeldeutigen Faszination aus Voyeurismus und Grauen und dem daraus resultierenden und in Rückkopplung wirkenden Zurückhalten im Umgang mit diesem Thema bewegt sich „Wolfenstein II: The New Colossus“, ob es will oder nicht. So gesehen eine Mammutaufgabe für jeden, der sich an das Thema auf künstlerischer Ebene herantrauen möchte. Das Werk von MachineGames leidet an dieser Mischung in einer bemerkenswert verzwickten Art und Weise.

Zwickmühle Wolfenstein: Verschiedene Erwartungen bedeuten unterschiedliche Spiele

id Software, 1992

Unsere zwiespältige Wahrnehmung zum Thema „Drittes Reich“, das Interesse an Bildern und Authentizität und ihre gleichzeitige Ablehnung gründen auf einem kulturellen Gedächtnis, das eine enorme Wirksamkeit besitzen muss. Die Gewichtungen der einen oder anderen, beschriebenen Facette repräsentieren mit etwas Deutung die zwei Interessenslager, die unvereinbar vom Franchise „Wolfenstein“ entweder einfache, brutale Naziabschusswochen vor dem Bildschirm oder aber tiefgründige, moralisch-ethische oder philosophische Inhalte fordern. Ersteres ist historisch gesehen tiefer verwurzelt, denn mit „Wolfenstein 3D“ aus dem Jahr 1992, das den Ego-Shooter quasi erfunden hat, sowie „Return to Castle Wolfenstein“ (id Software, 2001), das immer noch eine große Anhängerschaft besitzt, wurden zwei Videospiele im Rahmen eines überspitzten, fiktiven Weiterlebens des Dritten Reichs veröffentlicht, deren Prämisse das einfache Abballern von Nazis waren. Tiefgründige Geschichten oder gar moralisch-ethische Konflikte und Problemstellungen suchte man vergebens. Die Marke „Wolfenstein“ wurde dadurch in eine Ecke gedrängt, aus der ein Entkommen unmöglich erscheint. Diejenigen, die mit „Wolfenstein“ vertraut sind, erwarten ein „shoot some nazis“ – Videospiel, denn eine Einbettung wurde in der Mehrheit der Spiele nicht nur nicht vorgenommen, sondern sie war gar nicht beabsichtigt. Das Thema des Nationalsozialismus war klarer Bestandteil der Faszination.

Activision, 2009

2009 startete Activision ein erstes Wendemanöver. Mit „Wolfenstein“ versuchte sich Raven Software daran etwas mehr als nur Geballer zu integrieren. Die Geschichte war allerdings pure Tieffliegerei. Einige übernatürliche Kräfte als sammelbare Kristalle, die ein Medaillon eingeschmolzen dem Spieler kurzfristige Unbesiegbarkeit versprachen, ein paar Rituale, ein wenig Supertechnik und entlehnte Elemente des Nationalsozialismus ergaben einen Kompromiss, der keinen der beiden Lager zufrieden stimmte. Es verprellte sowohl diejenigen, die ballern wollten, als auch jene, die eine tiefgehende Narration erwarteten. Es war auch keine wirkliche, wie im Vorfeld versprochene Open World. Gegner, Geschichte und so weiter waren zu berechenbar. Wenig fühlte sich lebendig, dynamisch an. Es war spielerisch zu einfältig, zu flach und genauso war es geschichtlich viel zu mager. Obwohl das Spiel grundsolide entwickelt wurde, versank es so schnell in der Versenkung wie die Diskussion darüber, was womöglich schiefgelaufen sei. Raven Software, das Ende der 1990er und Anfang der 2000er für einige der besten Shooter verantwortlich war, wurde ausrangiert und an „Call of Duty“ (zuletzt: „Call of Duty: WWII“, 2017) gebunden – und das als reine Aushilfe.

Bethesda Softworks, 2017

Bethesda übernahm, MachineGames begann die Entwicklung des Nachfolgers namens „Wolfenstein: The New Order“ (2014). Auch hier war sofort klar, dass an „Return to Castle Wolfenstein“ und „Wolfenstein 3D“ anzuknüpfen ist. Angesichts Raven Softwares Werk herrschte Skepsis. Das ordentliche Gewicht, das die Marke „Wolfenstein“ in der Shooterszene besitzt, lastete auf den Entwicklern merklich. Man versuchte die Anhängerschaft zu beruhigen, indem man Füllwörter wie „Oldschool“ oder „Classic“ verwendete, obwohl das Gezeigte nach dem Gegenteil aussah (vgl. Computerbild, GameStar und so weiter). Es wurde in diesem Zusammenhang sogar ein Vergleichsbild des Protagonisten B.J. Blazkowicz veröffentlicht, um zu demonstrieren, wie nah man sich an das Original halten würde – zumindest beim Charakterdesign des Protagonisten. In der Rückschau war man in Relation zum Vorgänger durchaus erfolgreich. Allerdings zeichnete sich eine Entwicklung ab, die in „Wolfenstein II: The New Colossus“ spätestens offenkundig ist.

Das Endprodukt ist erstickte Kunst

Bethesda Softworks, 2017

Das beschriebene Entweder-oder ist abermals in einen Kompromiss umgesetzt worden, obwohl MachineGames immer wieder andeutete, dass man eigentlich nur das „Oder“, das heißt primär eine Geschichte in Egoperspektive erzählen möchte. Die Gedanken, die bei der Entwicklung der Antagonistin Frau Engel verarbeitet wurden und die Artbooks zeigen deutlich in diese Richtung. Ebenso spricht dafür, dass ein gewisser Teil von MachineGames aus den Resten von Starbreeze Studios besteht, das für „Payday 2“ (2013) oder „The Chronicles of Riddick“ (2009) verantwortlich war, die ebenfalls eine Geschichte erzählen wollten. Das Ziel ein überspitztes Szenario zu erschaffen, in dem die Nazis den Zweiten Weltkrieg nicht verloren hätten, sondern siegten, bleibt durch die viel zu zerstörerischen Kompromisse im Spiel genauso flach wie die Ausgestaltung der Idee, die Ideologien Hitlers, Himmlers, Göbbels und Speers weiterzutreiben, fiktiv zu verwirklichen. Der Teufel „Nationalsozialismus“ wird glorifiziert böse dargestellt und als einziger Grund dafür präsentiert, den Nazis als Monster zu begegnen. Die Geschichte ist maximal tertiär in unproportional vielen Zwischensequenzen verarbeitet. Man kommt nicht umher zu denken, dass der Entwickler beschnitten wurde. „Blood and Gore“ ohne Wenn und Aber, weil der Versuch das Spiel auf eine Ebene zu hieven, die ethisch-moralische Hemisphären ankratzt, im krassen Widerspruch zu Activisions Erfahrungen aus dem Jahr 2009 steht? Die These ist steil aber nicht einfach von der Hand zu weisen.

Die Kompromissproblematik

Immersion ist wichtig. „Blade Runner“, „Alien“, das erste „Doom“ (1993, id Software) sind alles gruselige und dunkle, virtuelle Immersionen. Sie ermöglichen ein Genießen und zeigen klar auf, was der Unterschied zwischen „veräppeln“ und wirklich „preiswert“ behandelt sein ist. Wie aber kommt man zum Prädikat „preiswert behandelt sein“? Wie macht man einen wirklichen Erfolg?

Bethesda Softworks, 2017

Was die Gründer von MachineGames Jens Matthies, Jerk Gustafsson, Fredrik Ljungdahl, Jim Kjellin, Kjell Emanuelsson, Michael Wynne, Magnus Högdahl und Lars Johansson durchgewunken haben, ist durch die Fülle an Kompromissen in Wahrheit ein blutiger, schwerer Stein im Fell eines Wolfpelzes: Er wiegt schwer, sieht unschön aus und ist so nachhaltig, wie die berühmten Steine im Magen des Wolfes, der die sieben Geißlein fraß. Man fällt als Spieler sozusagen schnurstracks in einen Rund aus gemauertem Unheil und landet hart auf dem Grunde des leeren Brunnens der Fantasie. Das Potential des Szenarios, die ausgeklügelten, gar fantastischen Level-, Charakter- und Sounddesigns mutieren unter der Last des Entweder-oder zu einem 3D-gemodelten Snuff und Torture Porn Szenerie, sodass der künstlerische Geist fast komplett erstickt wird. Der ursprünglich fiktive und fantastische Hintergrund einer ehemals originalen Phantasiewelt wird zu einem komplett zusammenhanglosen Repetieren aus stumpfer Ballerei und nicht anschließender Zwischensequenzen in einem gewaltigen Steampunkversuchskostüm verwandelt. Allein die Dynamik der Sequenzen wird nicht ins Spiel übernommen, sondern durch eher steife, nicht Aufmerksamkeit erweckende Animationsmuster ersetzt. Die Scheu des Risikos, das im Übrigen hier halbwegs kalkulierbar wäre, scheint im eigentlich kreativen Regiestuhl zu sitzen.

Das i-Tüpfelchen des Erstickens, die Zensierung

„Wolfenstein“ war schon immer überzeichnet und orientierte sich klar an sogenannten B-Movies. Der Mut innerhalb dieser Darstellung sehr ernste Themen, wie etwa Kindermisshandlungen, zu behandeln, ist hervorzuheben. Trotz seiner offensichtlichen, karikaturesken Überzeichnung des gesamten fiktiven Szenarios versucht es ernste Themen zu kontrastieren. Gelingen kann dies aber nur, wenn nicht schlagartig auf Witz der Ernst oder umgekehrt folgt – Komik und Drama sind zwei Gattungen, die sich wenig bis gar nicht aufeinander beziehen.

Bethesda Softworks, 2017

Man kann sich über die Zensierung durch §86a StGB (Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen) aufregen, wie man will: Rechtlich sind die Fakten eindeutig. Ob dieser Paragraph das Gegenteil des Angestrebten bewirkt, weil die Mystifizierung nicht Abschreckung, sondern Faszination bedeutet, ist eine generelle Diskussion, die schleunigst zu Ende geführt werden muss. Die Zensur war jedenfalls bereits mitverantwortlich für das unnötige Fiasko im Jahr 2009, als irgendein Hakenkreuz oder ähnliches vergessen wurde zu zensieren. Activision musste alle ausgelieferten Spiele zurückrufen. Für „Wolfenstein II: The New Colossus“ wurde es zur fast gänzlichen Katastrophe. Es existieren keine Juden und kein Holocaust im Spiel. Sowohl „The New Order“ als auch „The New Colossus“ implementierten diese Themen: B.J. Blazkowicz Mutter ist in der Originalfassung Jüdin und kommt in einem Vernichtungslager um. In der deutschen Version, die fast bist zur Unkenntlichkeit zensorisch abgeschliffen ist, stirbt die nichtjüdisch Mutter einfach in einer nicht näher erläuterten Gefangenschaft. B.J. Blazkowicz wird um seine jüdische Abstammung beraubt. Egal ob abwertend oder nicht, das Wort „Jude“ gibt es nicht. Ebenso findet sich im Original die fast schon vergessene Sprache Jiddisch im Spiel – ebenfalls komplett gestrichen.

How Wolfenstein II Censored Hitler In Germany
Censored Gaming, 2017, YouTube, 2017

Die minutiöse Recherche die auf Schnittberichte.com für alle „Wolfenstein“-Titel betreibt sind entsetzlich. Nazisymbolik zu entfernen, weil man einerseits Angst ob des §86a StGB hat und andererseits noch nicht absehen kann, wie die gerichtliche Entscheidung bezüglich der künstlerischen Freiheit für Videospiele ausfallen wird, sind für einen weltweit agierenden Publisher wie Bethesda nachvollziehbar. Aber warum wird ausgerechnet in einer deutschen Version das Jude-sein zensiert? Es wird dadurch ein Zensurlevel erreicht, das abzulehnen ist. Es ist weder eine gute Übersetzung noch sichert es die Atmosphäre. Die deutsche Fassung von „Wolfenstein II: The New Colossus“ ist ein im negativen Sinne ganz anderes Spiel. Die Grenze zwischen strafrechtlicher Relevanz und Verharmlosung des NS-Regimes ist deutlich überschritten. Diese Marginalisierung ist gefährlich, weil gleichzeitig jedem Spieler klar ist, welches Thema „Wolfenstein“ behandelt und somit eine Verharmlosung nicht ausgeschlossen werden kann. Mitunter könnte man durchaus die Diskussion führen, ob hierbei nicht ein Widerspruch zu §86a StGB insofern entsteht, als dass einem Wiedererstarken des Nationalsozialismus durch eine Normalisierung nicht entgegengewirkt wird.

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