Remakes & Remasters Nostalgie als Käuferfalle?

Hannes Letsch7 Minuten Lesezeit

Übersicht

„Nostalgie“ ist ein Begriff, dessen Herkunft eher versehentlich mit der Geschichte einer der berühmten Wanderer der Antike verwoben ist: Siegreich aus dem Trojanischen Krieg hervorgegangen, segelte Odysseus zu seiner Heimatinsel Ithaka, um wieder bei seiner Frau Penelope zu sein. Dass sich diese Rückreise zu einer Irrfahrt wandeln würde, war ihm zu Beginn nicht bewusst. Drei Jahre lang kämpfte der wandelnde Held gegen Monster, verschiedene Übeltäter und schelmische Götter. Für weitere sieben lag er in den Armen der schönen Meeresnymphe Calypso. Besitzergreifend bot diese ihm die Unsterblichkeit an, wenn er bei ihr auf der Insel Ogygia bleiben würde. „Ich gebe gerne zu,“, so entgegnete Odysseus, „dass sich die bedachte Penelope nicht mit Eurer Schönheit messen kann, denn sie ist nur eine Sterbliche, und Ihr seid unsterblich und zeitlos. Nichtsdestotrotz ist sie es, nach der ich mich täglich sehne und nach der ich verlange. Deshalb sehne ich mein Zuhause und den Tag meiner Rückkehr herbei.“ (Homer, 1921, Buch V, 78 – 79, übersetzt).

Diese romantische Erklärung war Grundlage des Begriffs Nostalgie („nostos“ ≙ Rückkehr, „algos“ ≙ Schmerz), dem buchstäblichen Leiden durch unerbittliche Sehnsucht. Vom Schweizer Mediziner Johannes Hofer im Jahr 1688 definiert, galt das Phänomen gleichbedeutend zum „Heimweh“ im 17. bis Ende des 19. Jahrhunderts als eine Krankheit. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde es sogar als eine psychische Störung behandelt. Erst im letzten Drittel des letzten Jahrhunderts wurde die Nostalgie vom „Heimweh“ und der durchweg negativen Konnotation entkoppelt. Immerhin wurden Begriffe wie „Wärme“, die berühmten „guten, alten Zeiten“ und „Kindheit“ in Verbindung mit dem Begriff der „Sehnsucht“ verwendet, was eher eine positive Färbung aufzeigt (Davis, 1979). Erst recht, wenn die Nostalgie im Vergleich zum „Heimweh“ in allen sozialen Schichten unabhängig der Kultur und Altersklassen aufzufinden ist (Sedikides, Wildschut, Baden, 2004; Sedikides Wildschut, Routledge & Arndt, 2008; Zhou, Sedikides, Wildschut & Gao, 2008).

Über die Jahrhunderte hinweg war allerdings eines stets klar: Es handelt sich um ein psychologisches Phänomen, das mit starken Emotionen durchsetzt den Menschen bewegt, wenn nicht sogar temporär einnimmt und tiefgründig beschäftigen kann (vgl. Sedikides, Wildschut, Arndt, & Routledge, 2008). Wie tief Nostalgie reicht, kann anhand zahlreicher Studien nicht nur in der Tendenz beschrieben werden: Wildschut und Kollegen (2006) schlagen vor, dass Nostalgie als ein Speicher für positive Affekte dient. Nostalgie wird als eine „freudige Erfahrung“, die ein „Gefühl der Hochstimmung hervorruft“ charakterisiert (Kaplan, 1987, 465). Tatsächlich berichten nämlich Probanden, die nostalgisch eingestellt waren, mehr positive (aber nicht negative) Aspekte als die jeweils zugehörige Kontrollgruppe. Zudem schlugen Wildschut und Kollegen (2006) vor, dass Nostalgie sich positiv auf die Selbstachtung auswirkt:

An endearing luster […] marginal, fugitive, and eccentric facets of earlies selves in a positive light

– Davis, 1979, 41 – 46.

Sie stärkt soziale Bindungen (Wildschut, Sedikides, Arndt, Routledge, 2006), denn nostalgisch Denkende zeigten eine stärkere soziale Verbundenheit als Probanden der Kontrollgruppe. Sie fühlten sich mehr geliebt und beschützt, hatten weniger Bindungsängste beziehungsweise Angstvermeidungstendenzen und besaßen eine verbesserte, zwischenmenschliche Kompetenz. Die Frage, ob Nostalgie das Potenzial negative Effekte der Einsamkeit kompensieren kann, das heißt gar eine Coping (Bewältigungs-)funktion besitzt, konnten Zhou, Sedikides, Wildschut und Gao (2008) weitgehend bejahen: Nostalgie, getriggert durch Einsamkeit, verstärkt die Wahrnehmung sozialer Unterstützung, sodass sie im Effekt der Einsamkeit entgegenwirkt. Nostalgie ist somit überspitzt formuliert ein positiv unterfüttertes Refugium, das der Person erlaubt, negative Emotionsbündel zu verarbeiten.

In Neuauflagen, kurz „Remakes“ und „Remasters“, bedienen sich PR- und Marketing-Abteilungen (Brown, 2001; Havlena & Holak, 1991; Smith and Clurman, 1997) - auch die der Videospielindustrie - an diesem durchaus mächtigen, psychologischen Mechanismus. Allein anhand der Veröffentlichungszahlen der letzten zwanzig Jahre lässt sich ein grober Anstieg der „Remakes“- und „Remaster“-Entwicklungen von bereits bestehenden Videospieltiteln feststellen. Ausgeklügelt auf den Markt reagierend, verschwinden (damals) bekannte und (heute) wieder ersehnte Videospieltitel der Jugend oder Kindheit in den Schubladen der verschiedenen Publisher, um sie zum richtigen Zeitpunkt aufpoliert erneut zu einem ähnlich hohen Preis im Markt zu platzieren. Dass es hierbei anscheinend nicht um die Qualität, sondern um den Verkauf von positiven Erinnerungen geht, zeigen weitere Auswertungen:

Vergleicht man die Bewertungen der Originale mit den jeweiligen Neuauflagen und definiert ein „Gleich gut“ als dasjenige Intervall, das ±5 Prozentpunkte einschließt, so bewerten die einschlägig bekannten Media Outlets der Videospielbranche im Mittel nur 6% der Neuauflagen als eine verbesserte Version. Es kann argumentiert werden, dass diese Daten eher robust sind, denn obwohl die Presse in der Videospielbranche eine gefährliche Nähe zur Industrie pflegt, votiert diese nicht wirklich positiv über die Neuauflagen der letzten zwanzig Jahre: 40% werden als gleich gut gesehen während 54% als schlechter zum Vorgänger eingeschätzt werden. Systematisch (t(700.948)=10.212, p < .001) sind „Remasters“ und „Remakes“ (M=77.36, SD=9.933) erheblich schlechter (Cohen‘s d=.759) als deren Originale (M=84.43, SD=8,688). Insgesamt sind von 342 Testpaaren 109 Videospiele zehn oder mehr Prozentpunkte schlechter. Nur sechs schaffen dies auf der positiven / gegenüberliegenden Seite.

Im Mai 2016 erschien eine durch den Transparency International Deutschland e.V. veröffentlichte Studie, die die Thematik der Korruption im Journalismus erstmalig adressierte. Die Ergebnisse bschreiben auf generelle Problematiken, die fast alle auf den sogenannten Videospieljournalismus übertragbar sind.

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Wirkungsweise der Nostalgie

Den Gesetzen des Marktes folgend müssten „Remakes“ und „Remasters“ als eine gescheiterte Vertriebsstrategie bezeichnet werden, denn derart viele qualitativ schlechte Neuauflagen vergraulen den Kunden nachhaltig – erst recht über zwanzig Jahre hinweg. Die resultierende Skepsis des Kunden müsste mittlerweile breit am Markt vorhanden sein. Publisher sollten somit eher dazu veranlasst sein, immer weniger auf diese Strategie zu setzen. Dieser Einschätzung steht aber der kontinuierliche Anstieg erneuter Veröffentlichungen entgegen. Neben neuen Interessierten, die zum ersten Mal mit dem jeweiligen Spieletitel in Kontakt kommen, dürfte die Nostalgie als ein Hauptfaktor den Widerspruch auflösen. Über starke Emotionen wird der Kauf von Erinnerungen (Schindler & Holbrook, 2001), nicht aber von Videospielen, das heißt dem Produkt selbst getriggert (vgl. zusätzlich: Belk, 1988; Holbrook; 1993). Es geht um die Möglichkeit, erneut die „guten, alten Zeiten“ auf moderneren Geräten erleben zu können (vgl. z.B. Schuman & Scott, 1989; Scott & Zac, 1993). Ob dies überhaupt qualitativ auf hohem Niveau möglich ist, bleibt nebensächlich. Allein die Möglichkeit reicht aus, um durch den Besitz eines Teils der Vergangenheit das Bedürfnis, eine gewisse Zeitepisode des eigenen Lebens sicher zu wissen, zu stillen.

The experience-based memories that have become connected to such objects seem very often to involve strong emotions, consistent with more quantitative research suggesting the role of intense affective consumption in nostalgic bonding.

– Schindler & Hoolbrook, 2003, 121

Die vielleicht einfachste, eigennützigste und hedonischste Ebene dürfte die Wahrscheinlichkeit einer Kaufentscheidung maßgeblich bestimmen, weil der Konsument verschiedene, aber angenehme Sinneserfahrungen aus der Jugend verbindet (Holbrook & Schindler, 2003). Dieser Prozess des „nostalgic bonding“ beschreibt die Erfahrungen eines Verbrauchers mit einem Produkt während einer kritischen Phase der Präferenzbildung (Holbrook & Schindler, 2003). Dies ist laut Holbrook und Schindler mit der Adoleszenz verbunden und festigt eine lebenslang andauernde Präferenz für das jeweilige Produkt. Weil man Videospiele als Jugendlicher für gewöhnlich zusammen konsumierte oder aber beispielsweise auf dem Pausenhof enthusiastisch besprach, wird eine ursächlich soziale Situation im digitalen Erleben zu einer rückwärtsgewandten Emotionalität (Nostalgie). Die dynamisierte Verknüpfung von Emotion und Erinnerung, um Menschen zu binden, ist somit unabhängig von Alter, hingegen auf Erinnerungen und deren Wertigkeit beruhend (vgl. Holbrook & Schindler, 2003). Die daraus erwachsene Stabilität, ein Videospiel grundsätzlich „gut“ einzuschätzen, ist ein Einfallstor für Videospielentwickler beziehungsweise -publisher, ohne diesen Vorschusslorbeeren in „Remakes“ und „Remasters“ gerecht werden zu müssen. Es ist unter diesen Umständen keine Überraschung, dass ab den späten 1990er beziehungsweise frühen 2000er das sogenannte „Retro-Marketing“ an Fahrt aufnahm (Brown, 2001); und dies auch in der Videospielindustrie.

Literaturverzeichnis

  • Texte

  • Belk, R. W. (1988). Possessions and the extended self’, Journal of Consumer Research, 15, 139 – 168.
  • Brown, S. (2001). The retromarketing revolution: l’imagination au pouvoir. International Journal of Management Reviews, 3 (4), 303 – 320.
  • Davis, F. (1979). Yearning for yesterday: A sociology of nostalgia. New York: Free Press.
  • Havlena, W. J. & Holak, S. L. (1991). “The good old days”: Observations on nostalgia and its role in consumer behavior. In: R. H. Holman & M.R. Solomon (Hrsg.) Advances in Consumer Research, Vol. 18, Association for Consumer Research, Provo, UT, 323 – 329.
  • Holbrook, M. B. & Schindler, R. M. (2003). Nostalgic bonding: Exploring the role of nostalgia in the consumption experience. Journal of Consumer Behaviour, 3 (2), 107 – 127.
  • Holbrook, M. B. (1993). On the new nostalgia: These foolish things and echoes of the dear departed past. In: R. B. Browne & R. J. Ambrosetti (Hrsg.), Continuities in Popular Culture: The Present in the Past and the Past in the Present and Future, Bowling Green State University Press, Bowling Green, 74 – 120.
  • Homer. (1921). The Odyssey (F. Caulfied, Trans.). London: G. Bell and Sons.
  • Kaplan, H. A. (1987). The psychopathology of nostalgia. Psychoanalytic Review, 74, 465–486.
  • Schuman, H. & Scott, J. (1989). Generations and collective memories. American Sociological Review, 54, 359 – 381.
  • Scott, J. & Zac, L. (1993). Collective memories in Britain and the United States. Public Opinion Quarterly, 57, 315 – 331.
  • Sedikides, C., Wildschut, T. & Baden, D. (2004). Nostalgia: Conceptual issues and existential functions. In: J. Greenberg, S. Koole, & T. Pyszczynski (Hrsg.), Handbook of experimental existential psychology. New York: Guilford Press, 200 - 214.
  • Sedikides, C., Wildschut, T., Arndt, J. & Routledge, C. (2008). Nostalgia – Past, Present and Future. Association of Psychological Science, 17 (5), 304 – 307.
  • Sedikides, C., Wildschut, T., Routledge, C. & Arndt, J. (2008). Nostalgia across the life-span. University of Southampton.
  • Smith, J. W. & Clurman, A. (1997) Rocking the Ages: The Yankelovich Report on Generational Marketing, Harper Business, New York, NY.
  • Wildschut, T., Sedikides, C., Arndt, J. & Routledge, C.D. (2006). Nostalgia: Content, triggers, functions. Journal of Personality and Social Psychology, 91, 975 – 993.
  • Zhou, X., Sedikides, C., Wildschut, T. & Gao D.G. (2008). Counteraction Loneliness: On the Restorative Function of Nostalgia. Psychological Science, 19 (10), 1023 - 1029.

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