Blizzard North Die Geschichte des Obersten Übels namens Diablo

Hannes Letsch46 Minuten Lesezeit

Übersicht
Blizzard Entertainment, 2021

Um das Jahr 1990 trafen sich drei Personen als Angestellte eines Clip Art Unternehmens und diskutierten die Idee, ein eigenes Unternehmen zu gründen. Alle drei Personen waren sich darüber einig, dass die momentane berufliche Lage nicht befriedigend sei. Videospiele schienen lukrativer und auch herausfordernder als die Herstellung und Verwaltung von Clip Arts. Das bisherige Geschäft lief in diesem Zeitraum eh maximal mittelmäßig gut. Die tägliche Routine langweilte womöglich zusätzlich. Die Zusammenkunft der Drei war leicht chaotisch. Das Unternehmen, in dem bereits zwei der drei Personen angestellt waren, erkannte die wirtschaftliche Lage und stellte deshalb die dritte Person namens David Brevik als Programmierer ein, um ein Videospiel für die Atari Lynx Konsole zu entwickeln. Das waghalsige Unterfangen eines Clip Art Unternehmens, von heute auf morgen in die Videospielentwicklung einzusteigen, schlug negativ durch. Der Plan ging nicht auf, Brevik verließ das Unternehmen recht schnell wieder. Er wechselte zu „Iguana Entertainment“, das vorwiegend für „NBA Jam“ (1994) bekannt wurde. Daneben wurden Titel wie „Aero the Acro-Bat“ (1993), „The Pirates of Dark Water“ (1994) und andere Spiele von diesem Studio für die Sega Genesis entwickelt. Der zuvor hergestellte Kontakt der zurückgebliebenen Brüder Max und Erich Schaefer reichte aus, um im Jahr 1993 Brevik dazu zu bewegen, „Iguana Entertainment“ ebenfalls zu verlassen, um das Studio „Condor“ zu gründen. Max und Erich Schaefer schlossen sich mit David Brevik zusammen, um auf Basis ihrer über die Jahre gesammelten Kontakte Auftragsproduktionen an Land zu ziehen. Zwar beschreiben sich alle drei zurückblickend als „jung und naiv“ beziehungsweise „three dudes with computers“, dennoch war ihnen schon damals von Anfang an bewusst, dass ohne Aufträge von außen ihr Studio nie eine Chance haben würde.

Unverhofft kommt manchmal gut

„Justice League Task Force“ für die Sega Genesis sicherte 1995 das Fortbestehen des Studios fürs Erste. „Sunsoft“ stellte die erforderlichen Geldmittel zur Verfügung, um das Projekt umzusetzen. Die Idee zum Spiel stammte ebenfalls vom Geldgeber; ein einfaches Kampfspiel, das sich um das Justice League Universum, das heißt Superman, Batman, Flash, Wonder Woman und andere Superhelden drehen sollte. Durch dieses Projekt wuchs die eigene Belegschaft, das Know-How nahm zu. Allerdings gab es keine Möglichkeiten (E3, Gamescom und andere Großevents) das eigene Projekt und somit das Talent des Studios schnell der internationalen Presse und Konsumenten direkt vorzustellen. Stattdessen mussten viele Fachmessen, wie etwa die Consumer Electronics Show (CES), besucht werden, um dort an einem eigenen Stand um die Gunst der Käufer zu werben. Man konkurrierte nicht nur mit anderen Videospielherstellern, sondern musste sich auch gegen Automobil-Audio-Anlagen, Kühlschränke und anderen elektronischen Produkten behaupten. Zwischen den flächengroßen und kostspieligen Messeständen der Elektroindustrie stand der Kleine von „Condor“.

Zum Schock der Entwickler entdeckten diese auf der CES eine zweite Version des gleichen Spiels. Der gleiche Titel, das gleiche Coverbild; sogar die Spielmechaniken und Grafik waren verblüffend ähnlich. Der einzige Unterschied war, dass es für eine andere Konsole namens „Super Nintendo“ von einem anderen Videospielstudio namens „Silicon & Synapse“ entwickelt wurde. Zu keinem Zeitpunkt wussten Brevik und seine Mitstreiter, dass dieses zweite Projekt existierte. Es war, wenn man so will, ein künstlerischer Schock festzustellen, dass beide Spiele optisch, auditiv wie spielmechanisch nahezu identisch waren. Und das, obwohl beide Entwicklerstudios zu keinem Zeitpunkt miteinander korrespondierten. Die Messe und die Notwendigkeit zu werben, drückte die Nasen beider Entwicklerteams unverhofft aufeinander.

Man lernte sich gegenseitig kennen: „Silicon & Synapse“ sammelte im Gegensatz zu „Condor“ viel Erfahrung in der Entwicklung von PC-Spielen. „Condor“, das auf Segas Konsole „zuhause“ war, durfte sogar das erste PC-Werk von „Silicon & Synapse“ auf der CES austesten. In einem kleinen Raum einer großen Messehalle wurden kleine Stücke eines PC-Spiels präsentiert. Die Entwickler von „Condor“ wurden sofort auf einer persönlichen Ebene getroffen, weil auch sie die Leidenschaft für PC-Videospiele teilten. Breviks Traum, selbst PC-Spiele herzustellen, wurde schlagartig durch die Bekanntschaft „Silicon & Synapse“ konkret. „Condor“ ergriff die Gelegenheit, um einen Zugang zum PC-Videospielmarkt zu erhalten. Nebenbei merkten die Entwickler von „Silicon & Synapse“ an, dass sie den Namen ihres Studios kurz zuvor änderten. Der neue war „Blizzard Entertainment“. Das Spiel, das die Entwickler von Condor anschauen durften, nannte sich „Warcraft 1“.

Blizzard Entertainment, 2021

Die Idee der Echtzeit-Strategiespiele war nur schemenhaft in der Videospielindustrie verbreitet. Weder war ein vollwertiges Konzept ausgearbeitet, noch hatte Blizzard Entertainment eine klare Vorstellung davon, was der Kern des Konzeptes sein muss und was optional ist. David Brevik war wie andere, die das Spiel ebenfalls anschauen durften, sowohl in spielerischer wie wirtschaftlicher Hinsicht von „Warcraft 1“ überzeugt. „Condor“ engagierte sich sofort freiwillig und bot dessen Hilfe und Ressourcen beispielsweise im sogenannten „Beta Testing“ an, um „Warcraft 1“ fertigzustellen. Informationen und Kontaktdaten wurden ausgetauscht, der Dialog zwischen beiden Studios wurde aufrechterhalten und die Absicht „Condors“, selbst PC-Videospiele am liebsten entwickeln zu wollen, wurde offen kommuniziert. Blizzard Entertainment schätzte die Kommunikation und lud nach der Fertigstellung von „Warcraft 1“ die Entwickler von „Condor“ ein, eine Spielidee vorzustellen. „Blizzard Entertainment“ war selbst auf der Suche nach weiteren Ideen, die sich in ein Videospiel umsetzen ließen. Es lag nur nahe, das Engagement der Entwickler von „Condor“ zu fördern, indem man ihnen Raum im eigenen Entwicklerstudio einräumte.

Der Pitch „Diablo“

Das Angebot seitens „Blizzard Entertainment“ wurde dankend angenommen. Das Team von „Condor“ steckte seine Köpfe zusammen, um eine Spielidee zu kreieren, die Leidenschaft und spielmechanisches Know-How für Maus und Tastatur verbinden sollte. In einem Art Design-Dokument wurden Ideenschnipsel, die bereits vor dem Angebot Blizzards im Entwicklerteam „kreuz und quer“ kursierten, zusammengetragen und miteinander verbunden, um eine in sich stimmige Designidee zu entwickeln. Die Idee nannte sich „Diablo“, die bis heute im Original als PDF-Dokument einsehbar ist. Es war eine Hommage an Breviks präferiertes Videospielgenre, das sich um Schurken drehte. „Rogue“ (1980), „Nethack“ (1987), „Angband“ (1992) und ähnliche Spiele beeindruckten den College-Student Brevik nachhaltig. Die Idee „Diablo“ war keine spontane Idee, die alleinig in den frühen 1990er Jahren im „Condor“-Team entstand. Das heißt, dass einer der Köpfe des Studios, David Brevik, mit der Idee eines „Diablo“-Spiels seit längerem im Stillen spielte. Seit High-School-Zeiten jonglierte er mit mehreren Bällen, um daraus ein Rollenspiel (RPG) abzuleiten. Die Zeit mit seinem Team „Condor“ half ihm, das Jonglieren endlich zu beenden und die Idee in seinen Eckpfeilern festzuzurren. Breviks Idee wurde somit zur Idee des gesamten Teams - es war der Pitch von „Condor“ für „Blizzard Entertainment“. Das kleine Design-Dokument mit dem Titel „Diablo“ wurde allerdings nicht zum ersten Mal vorgestellt:

We went around. We pitched this at Consumer Electronics Show and other trade shows. We were pitching company after company with this little design document that we had created […] We got rejected probably 20 plus times. […] The thing we kept hearing was that RPGs were dead. It was a dead genre that nobody was gonna buy. They were failing left and right. That market was saturated, and sales had been plummeting. Nobody was willing to risk funding a new RPG because they thought that there was no way they would recoup their sales.

– David Brevik, devcom 2020

Entgegen der weitverbreiteten, negativen Meinung in der Branche gegenüber RPGs, waren die Verantwortlichen von „Blizzard Entertainment“ vom Konzept „Diablo“ sehr angetan. Das Feedback, das „Condor“ bekam, wurde verarbeitet und mündete im finalen Konzept beziehungsweise Pitch, der bis heute nachlesbar ist.

Die Entwicklung von Diablo

Das erste Diablo-Spiel wurde zunächst rundenbasiert gedacht, anstatt ein Echtzeitspielen zuzulassen. Perspektivisch komplett identisch zu „X-COM“ (1994, MicroProse) sollte eine sogenannte isometrische Perspektive (Überblicksperspektive) grafisch umgesetzt werden. Es war ein reiner Einzelspieler, der auf DOS und nicht Windows-Basis setzen sollte, denn „Windows 95“ war noch nicht veröffentlicht. Ähnlich zu „Magic the Gathering“ sollten kleine DLCs auf kaufbaren CDs angeboten werden, um ein stabiles Einkommen neben dem Verkauf des Basisspiels sicherzustellen. Es sollte möglich sein, verschiedene Bündel an Spielgegenständen zu kaufen, um Herausforderungen einfacher oder schneller zu meistern. Ein Kaufgrund solcher Zusatzinhalte sollte der sogenannte „Permadeath“ sein: Stirbt die Spielfigur ein einziges Mal, ist sie für immer verloren. „Game over“ bedeutete faktisch, dass eine neue Spielfigur aufgebaut werden musste.

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Vieles davon wurde allerdings schnell verworfen: Beispielsweise sollte „Diablo“ weder rundenbasiert sein noch ausschließlich einen Einzelspieler anbieten. Die ursprünglichen Ideen waren weitgehend das Resultat der Erfahrung der Entwickler mit Videospielen gleichen Genres, die bereits veröffentlicht wurden. Aus Südkalifornien stammend reisten Mitglieder von „Blizzard Entertainment“ circa 500 Kilometer nordwärts zum Standort von „Condor“, um den finalen Pitch in Gänze präsentiert zu bekommen. Ein Vertrag wurde geschlossen, der die Kooperation beider Studios besiegelte. Der Titel „Diablo“ blieb als Teil San Franciscos, Breviks Heimat, bestehen. Der sich in der Nähe befindende Mount Diablo ist der eigentliche Namensgeber des Spiels. Während seiner High-School-Zeit lebte Breviks am Fuß dieses Berges. Die Bedeutung des spanischen Wortes „diablo“ wurde ihm in dieser Zeit zugesteckt, was ihn dazu veranlasste, die Idee mit dem spanischen Wort des Teufels zu versehen. Dass der Titel „Diablo“ blieb, war alles andere als selbstverständlich. Über die gesamte Entwicklungszeit hinweg wurde kontrovers darüber diskutiert, ob das Spiel wirklich diesen Titel tragen sollte. Beispielsweise wurde für eine gewisse Zeit gerangelt, ob man nicht finanzielle Anstrengungen unternehmen sollte, um die Lizenz für den Namen „Rogue“ zu erhalten. „Rogue 2“ wäre somit der „bessere“ Titel für das Vorhaben. Brevik und andere blieben hartnäckig und sprachen sich für „Diablo“ aus, andere wiederum blieben zwiegespalten.

Die Entdeckung der Diablo-Formel

Der Wechsel von einem rundenbasierten zu einem Echtzeitvideospiel lag ebenfalls nicht einfach auf der Hand, sondern kam ähnlich zum Titel durch einen Zufall zu Stande. Die Spielmechanik, die „Diablo“ rundenbasiert werden ließ, war recht kompliziert. Ein wahres Zahlenspiel: Während orthogonale Bewegungen im Level beispielsweise eine Spielrunde Warten kosteten, sollten diagonale Bewegungen länger dauern. Allerdings eher im Nachkommastellenbereich, als dass es mehrere, ganze Runden sein sollten. Das Schwingen eines Schwerts war wiederum nur eine halbe Spielrunde wert.

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„Blizzard Entertainment“ war skeptisch, ob dieses recht flexible, aber komplizierte System verschiedener Warteperioden für jegliche Art von Konsument funktionieren würde. Sie sprachen sich auf Basis ihrer Erfahrungen mit „Warcraft 1“ dafür aus, auch „Diablo“ in ein Echtzeitvideospiel zu überführen. Die Führung von „Condor“ war nicht überzeugt davon und opponierte in den Diskussionen. Für Brevik war es eine ganz und gar abzulehnende Idee. Er wollte als Anhänger der bisher veröffentlichten und bereits erwähnten „Rogue“-Spiele nicht den Kern dieser einfach über Bord werfen. Entscheidungen sollten weiterhin spürbar bis nervenaufreibend sein und oberste Priorität besitzen. Nach viel Hin und Her zwischen einzelnen Unterstützern Breviks und vielen durch Gespräche mit „Blizzard Entertainment“ Überzeugten wurde schlussendlich ein Votum an einem Freitagvormittag in der Küche des Studios initiiert. Die überwiegende Mehrheit sprach sich für einen Wechsel aus. Mit diesem Eindruck verließen fast alle das Studio und ließen über das Wochenende hinweg die Idee sacken. Brevik blieb hingegen wegen seiner Neugier im Studio und änderte sofort den Code, um ein Echtzeitvideospiel möglich werden zu lassen.

I called up Blizzard South (Entertainment) and said: “Well […] this will be a huge delay in the project. It’s going to take us a long time. We have to redo all sorts of things. It’s going to take me forever to write this … we need another milestone payment out of this. But yeah, we’ll go ahead and do it.” So they agreed to this – “yes!” […] I sat down on a Friday afternoon and in a few hours, I had it running [laughs].

– David Brevik, Game Developers Conference 2016

I can remember it like it was yesterday. I got the code working and clicked on the screen and you could move. At the time the game was like this turn-based X-COM style game, I clicked on it and the character went over and smacked a skeleton apart with its club. It was amazing! It was like god spoke, the clouds parted, a beam of sun came out through the window and shown on me! It was magical.

– David Brevik, devcom 2020

Im Stillen konnte sich Brevik im Studio davon überzeugen, dass die Entscheidung, die zuvor seinerseits eher mit Zähneknirschen hingenommen wurde, die goldrichtige war. Es war einer der wichtigsten Momente des gesamten „Diablo“-Franchise; eines der wesentlichen Konstanten aller „Diablo“ Videospiele.

Integration in die Blizzard-Familie und Battle.net

Während die Entwicklung des Spiels voranschritt, sollte der Name „Condor“ verschwinden und ein Teil der kompletten Unabhängigkeit aufgegeben werden. Kurz nach der Entscheidung, ein Echtzeitspiel aufzubauen, signalisierte „Blizzard Entertainment“ Ende 1995, dass man gerne das Studio übernehmen, das heißt in das eigene Unternehmen integrieren möchte. Für das gesamte Team war das ein Segen, zumal das Studio laut Aussage von David Brevik und den Schaefer Brüder im Bereich des Wirtschaftens nicht sonderlich gut aufgestellt war.

We (Condor) were the worst businessmen in the history of the universe. First off, I didn’t want to be a businessman. I’m wondering I have a business, but I didn’t go to school for this, I didn’t know anything about business. We weren’t even paying our taxes till I found out that this was a bad idea. But we were so excited about actually making Diablo that we signed a contract without realizing that we just agreed to do Diablo for 300.000 dollars! We have 15 people in the studio. How … well ... whoa?! We have to pay them 20 grand a piece for the next year to get this done and not only that. With the office space and everything we can only pay them 12.000 Dollar a year or whatever. A thousand dollars to come work on Diablo – how exciting! Well, that was dumb, but we were making Diablo! [laughs]

– David Brevik, Game Developers Conference 2016

Das Geld war von Anfang an knapp, der Vertrag mit „Blizzard Entertainment“ war aus objektiv(erer) Sicht für „Condor“ eine mittlere Katastrophe. Man war deshalb seit Beginn der Entwicklung von „Diablo“ damit beschäftigt, mehrere Projekte gleichzeitig zu stemmen. „3DO“, der Auftraggeber des zweiten Projekts, wurde wegen den Übernahmeabsichten „Blizzard Entertainments“ nervös. Eine Übernahme käme gänzlich ungelegen, arbeitete „Condor“ zu dieser Zeit doch an einem der wichtigsten Projekte namens „NFL Player Association Superstars“ für 3DO und dessen M2 Konsole. Der Vertrag war im Vergleich zur „Diablo“-Entwicklung“ finanziell mehr als dreimal so schwer, insgesamt circa eine Millionen Dollar. „Blizzard Entertainment“ sah sich somit eines Interessenkonkurrenten gegenüber. Beide Unternehmen überboten sich wechselseitig. Dass es 3DO um vieles ging, zeigte sich daran, dass es doppelt so viel Geld anbot als „Blizzard Entertainment“. Trip Hawkins, der Gründer von 3DO, legte alles in die Waagschale. Und dennoch entschied sich „Condor“ für letzteres, weil die höhere Kompetenz in der Videospielentwicklung, die geteilte Philosophie und die bisherigen Erfahrungen in der Zusammenarbeit eindeutig für „Blizzard Entertainment“ sprachen. Aus „Condor“ wurde somit „Blizzard North“. „North“ deshalb, weil man das geographische nördlich sitzende Entwicklerteam war. „Blizzard Entertainment“ wurde deshalb nicht überraschend von den Entwicklern im Norden oft als „Blizzard South“ bezeichnet. Geschäftsmänner wurden die Köpfe von „Blizzard North“ allerdings nie.

Another example of my worst business decisions of my career. Mid 1996 Max (Schaefer) has a friend, his first name was Sabeer. He came to us with an idea. He said: „I have this idea. I am going to make email over the Internet.“ I said: “Dude! That’s the dumbest idea I’ve ever heard. What are you talking about? I already have my email over the Internet. This isn’t even an invention! This is nothing.“ He said: „No, it’s gonna be huge. It’s a big idea. Look, I’ll give you 10% of the company if I can take one office in the back. You guys are not even using that room.“ But we … it was crunch time. We only have a few months left in the project here. We are trying to shop by December. Now, it’s late summer and … oh my god … I don’t need the stress. I don’t need the distraction of him doing this stupidest idea ever. This doesn’t even make sense … yeah … that company was Hotmail which fourteen months later stored for 400 million dollars of which 10% could have been ours … which is now worth 280 million dollars.

– David Brevik, Game Developers Conference 2016

Die letzte der drei wegweisenden Kurskorrekturen war „battle.net“. Kurz vor Ende, circa sechs Monate vor Abschluss der Entwicklung zu „Diablo“, trug „Blizzard Entertainment“ die Idee an das ehemalige „Condor“ Entwicklerteam heran, das Spiel mithilfe des Internets zum Mehrspieler zu erweitern. Der Service, der dies möglich werden ließ, sollte „battle.net“ heißen. Anstatt diesen als zusätzliches, kompliziert einzurichtendes Programm über Drittanbieter (z.B. Total Entertainment Network, kurz TEN) anzubieten, sollte es (erstmalig) fester Bestandteil des Spiels sein. Einige Spiele boten zu dieser Zeit einen sogenannten LAN-Modus an, um im lokalen Netzwerk mit anderen zusammenspielen zu können – aber kaum bis gar kein Spiel bot diese Art des Zusammenspielens über das weltweite Netzwerk an. Die damals sofort als „revolutionär“ erachtete Idee, entwickelt von Mike O‘Bryan (späterer Gründer von ArenaNet), wurde aufgenommen, obwohl „Blizzard North“ nicht wusste, wie genau der Mehrspieler software-technisch funktionierte. Abgesehen davon, dass es das allererste PC-Spiel des Studios war, hatte keine Person des Teams Erfahrungen mit einem Mehrspielerkonzept per Internet. Glücklicherweise wurden aus Südkalifornien mehrere Entwickler zu Hilfe geschickt, die die letzten vier bis fünf Monate nach Nordkalifornien zogen, um auszuhelfen. Mehr als eine „einfache“ Peer-to-Peer (Rechner zu Rechner) Verbindung war nicht möglich, die Zeit war zu knapp. Die Konsequenz war ein recht dürftiger Mehrspieler, der keinen zufrieden stellte.

„Diablos“ Lehren für eine bessere, zweite Version

Das Entwicklerteam war nach vier Monaten Arbeit ohne einen freien Tag kurz vor Ende des Jahres 1996 ausgebrannt. Kurz nach Weihnachten war „Diablo“ abgeschlossen, veröffentlicht wurde es am letzten Tag des Jahres. Einst für „Thanksgiving“ geplant, zog sich die Entwicklung bis in den Dezember hinein. Das Team wurde belohnt: „Diablo“ war ein wirtschaftlicher Erfolg, der die Erwartungen der Entwickler übertraf. „battle.net“ schlug an, allerdings auch in nicht gewollten Bereichen, die die schnelle Lösung „Peer-to-Peer“ mit sich brachte. Viele Spieler nutzten das Netzwerkkonzept aus, um ausgiebig zu schummeln (cheaten). Die Entwickler bedachten nicht, dass Cheats von jedem online hochgeladen und mit anderen geteilt werden konnten. Die Möglichkeit Rechner weltweit miteinander zu verbinden, machte nicht nur „battle.net“ möglich, sondern ließ Dinge entstehen, die das Konzept des eigenen Spiels und den Spielspaß vieler gefährdeten.

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Allerdings musste sich das Team erst von den Anstrengungen der letzten Monate im Jahr 1996 erholen. Es war nicht vorstellbar, sofort diese Probleme aus der Welt zu schaffen. Als man sich langsam, aber sicher wieder im Studio zusammenfand, stand die Frage im Raum, wie man sich hinsichtlich der Entwicklungen im Onlinebereich von „Diablo“ verhalten sollte und was als Nächstes konkret angegangen werden muss. Es wurden einige Patches für das Spiel erarbeitet. Grundsätzlich war das Thema „Diablo“ allerdings erstmal vom Tisch, so schien es. Man beriet sich untereinander, versuchte verschiedene, andere Ideen weiterauszuarbeiten, um nach drei bis vier Monaten zu bemerken, dass alle das Konzept „Diablo“ weiterentwickeln wollten. Nicht nur wegen des Problems des Cheatens reifte die Überzeugung, dass das Potenzial des Spiels noch lange nicht ausgeschöpft sei. Es sollte eine bessere, stabile und faire Online-Version von „Diablo“ entwickelt werden, die etwa das Handeln von Gegenständen mit anderen Spielern ermöglichen sollte. „Online“ war somit einer der Gründe, einen weiteren Titel zu entwickeln. Das positive Feedback der Kunden motivierte ebenso wie die kritischen Stimmen zu „battle.net“. Dass es ein neuer Titel sein musste, lag an der Architektur von „Diablo“, die vollständig auf Peer-to-Peer setzte, und somit eine Sackgasse für die Entwickler war. Patches konnten das Cheater-Problem nicht lösen – es sollte permanent bestehen bleiben.

Diablo 2 als Resultat eigener Philosophie

„Jeder trägt zum Projekt bei“ war ein Eckpfeiler, den die Führung „Blizzard Norths“ sich selbst und dem gesamten Team überspitzt gesprochen aufzwang. Anstatt einzelne Abteilungen in verschiedenen Stadien der Entwicklung als „wichtig“ zu deklarieren, waren alle gleichermaßen zu jeder Zeit wesentlich. Egal aus welcher Ecke des Teams (Programmierer, Artists, Musiker, Support-Mitarbeiter usw.) eine Idee zu vernehmen war, sie sollte und musste von allen gleich ernst genommen werden. Zur damaligen Zeit war dies ein Novum. Viele der großen Entwicklerschmieden der 1990er bestanden neben Programmierern hauptsächlich aus Geschäftsmännern, die nicht das Handwerk besaßen, auch nur Teile eines Videospieles zu erstellen. Dadurch, dass alle in „Blizzard Norths“ Team zusätzlich Videospiele konsumierten, war eine gemeinsame Sprache über Abteilungen hinweg sofort sichergestellt. „Diablo 2“ bestand aus einem riesigen Pool verschiedener Ideen, die zur damaligen Zeit entweder gar nicht oder nicht in der Art à la „Diablo“ aufeinander bezogen waren.

Jedes Projekt, das „Blizzard North“ entwickelte, musste zu jeder Zeit spielbar sein. Konzepte auf Papier oder Animation als kleine Videodateien waren nicht genug. Es wurde nur darüber entschieden, was spielbar war. Fehler („Bugs“) konnten somit während der gesamten Entwicklung nebenbei korrigiert werden. In Retrospektive war es nach Einschätzungen der Schaefer Brüder Basis für die vielen Ideen, die im Laufe der Entwicklung im Team entstanden. Die Möglichkeit zu jeder Zeit iterierend arbeiten zu können, übersetzte sich in das Entwicklungsprinzip „moment-to-moment“. Wenn ein kleines Segment Spaß machte und funktionierte, wurde es fixer Bestandteil des Spiels. Weil jeder Teil von „Diablo 2“ derart konstruiert wurde, konnten sich die Entwickler über die gesamte Entwicklungszeit hinweg sicher sein, dass das, was besteht, gut ist. Die Befürchtung etwas vor Monaten nicht perfekt umgesetzt zu haben, wurde aufgrund der Möglichkeit alles Bestehende kategorisch wie teilweise hinterfragen zu dürfen, aufgehoben. Was „gut“ war, war nicht „final“. Verbesserungen waren immer möglich.

Die Essenz des Diablo Franchise

„Baldur‘s Gate“ (BioWare, 1998) oder auch „Ultima“ (1981) basierten jeweils auf einer Geschichte, die das gesamte RPG-Spiel diktierte. Der Spieler schlüpfte in die Rolle einer Figur, die eine recht linear ausgestaltete Geschichte mit Aufgaben beziehungsweise Herausforderungen zu bewältigen hatte. „Diablo“ funktionierte hingegen vorrangig auf Basis prozedural generierter Level, die bei jeder Spielrunde anders ausfielen. Die Idee dessen, was Brevik als High-School-Student an den „Rouge“-Spielen mochte, hatte sich bereits nach dem ersten Versuch namens „Diablo“ als Kern der Spielidee manifestiert.

Diablo 2 retained randomly generated levels, monsters, and treasures, not just because it allows for better replay potential, but also makes each player’s game their own. Being able to play the game over and over again is part of the core. But what is beyond that is making each player’s game their own. Nobody in the world would have the exact same experience that you had. They would not have the same items. They would not have the same build as you, the same way that you went through the game. The way that you chose your skills or the path that you took was gonna be different.

– David Brevik, devcom 2020

Dass das Spiel „bigger and better“ werden sollte, war im Team von „Blizzard North“ schnell ausgesprochen. Nur was genau das bedeuten sollte, war offen. „Diablo 2“ sollte keine reine Korrektur von „Diablo“ sein. Das Spiel sollte das Feedback der Konsumenten und die vielen Ideen im Team umsetzen. Die Möglichkeit zu rennen, stammte etwa aus den Reihen der Spieler, die sich über das zähe Hin- und Herlaufen in „Diablo“ beschwerten.

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„Größer“ bedeutete in jeden Fall mehr Arbeit. Das Team wurde deshalb von 20 auf 40 Personen aufgestockt. Ein Spiel, das zwei bis drei Mal so groß wie der erste Teil werden sollte, bedeutete entweder massiv längere Entwicklungszeit oder aber mehr Personal. Fünf anstatt drei Charakterklassen (Totenbeschwörer, Amazone, Paladin, Zauberin und Barbar), deren Ursprung auf das Pen-&-Paper-Rollenspiel „Dungeons and Dragons“ zurückzuführen ist, sollten genug Varianz anbieten, um möglichst jeden Interessierten sofort ans Spiel zu binden.

Die Iso-Perspektive (Perspective Mode)

Die Entwicklung fand in einer Zeit statt, in der die Hardwaretechnologie im PC-Segment begann, Grafikkarten (3dfx Karten) zu produzieren, die eine Dreidimensionalität durch Polygone möglich werden ließ. Bereits vor „Everquest“ (1999) kam die Diskussion in der Videospielentwicklung auf, wann und wie Polygone, das heißt „echte“ 3D-Grafik der Zweidimensionalität vorgezogen werden sollte. Die Frage war nicht einfach zu beantworten, denn die Anzahl an gleichzeitig darstellbaren Polygonen war stark begrenzt. Jeder Gegenstand, jede Spielfigur sowie Wände, Böden und so weiter verbrauchen Polygone. Zu wenig Details würden nicht erkennen lassen, wer oder was genau vor einem steht. Hingegen waren aber zu viele Details nicht umsetzbar. Die Rechenkapazität der Grafikkarten war für manches Projekt (noch) zu stark limitiert.

„Blizzard North“ stand ebenfalls vor der Qual der Wahl und entschied sich gegen eine Polygon-Architektur, weil die Technik noch zu sehr in ihren Kinderschuhen steckte und vieles der Atmosphäre (Immersion) des Spiels durch zu wenig Details berauben würde. „Diablo 2“ Modelle wurden deshalb dreidimensional in „3D Studio Max“ (Autodesk, seit 1990) erstellt, anschließend „gerendert“ (in ein Bild übersetzt), um sie dann als sogenannte „Sprites“ (Grafikobjekte, die sich überlappen können) zu verwenden. „Diablo 2“ war komplett dreidimensional ausgearbeitet, das Spiel hingegen beinhaltete nur die daraus erstellten Sprites. Bewegte sich die Spielfigur, so wurden je nach Laufrichtung unterschiedlichen Sprites als Animation angezeigt. Im Vergleich zum ersten Teil sollten anstatt acht nun sechszehn verschiedene Perspektiven mit erhöhter Auflösung (800x600 Pixel anstatt 640x480 Pixel) und in 24-bit Farbtiefe für jedes Objekt ausgearbeitet werden. Bezüglich der Farbtiefe ruderte man auf das gewohnte 8-bit Niveau zurück, hatte aber mit der grundsätzlichen Entscheidung die Möglichkeit Dinge in einem Detailgrad umzusetzen, die heute selbstverständlich in einem Videospiel erwartet werden. Anstatt drei verschiedene Rüstungsklassen optisch erkennbar werden zu lassen, konnten nun die einzelnen Komponenten der Ausrüstung unabhängig voneinander angesteuert werden. Verschiedene Helme, Armschienen, Stiefel, Brustpanzer, Schilde, Äxte, Schwerter, Zauberstäbe und so weiter konnten optisch erkennbar kombiniert werden.

Blizzard Entertainment, 2021

Der Nachteil und die Sorge der Entwickler waren, dass dadurch das Spiel womöglich keine räumliche Tiefe besitzen würde. Die fehlende Dynamik und die durch Sprites recht statisch wirkende Welt könnte daran hindern, den Spieler in die Welt eintauchen zu lassen. Ungefähr eineinhalb Jahre vor Beendigung der Entwicklung stellte David Brevik eine Idee vor, die er „perspective mode“ nannte.

Perspective Mode

Die erstellten Grafikobjekte sollten im Spiel auf 3D-Polygone projiziert (zugeordnet) werden, um dadurch die räumliche Tiefe wieder spürbar werden zu lassen. Mit wenigen Polygonen konnten detailreiche Objekte, Böden- und Wandstrukturen und so weiter simuliert werden, ohne dass das Auge einen wirklichen Unterschied zu echten dreidimensionalen Objekten erkennen konnte. Urplötzlich wirkte die Welt viel dynamischer – ein großes Problem war gelöst, ohne den gleichen, hakeligen Weg wie etwa „Everquest“ beschreiten zu müssen.

Technische Pionierarbeiten für „Diablo 2“

„Diablo“ war berüchtigt für sehr lange Ladebildschirme, die den Spieler öfters denn nicht aus der Immersion herausrissen. CD-ROM Laufwerke luden nur sehr langsam Daten von einer CD, schneller Arbeitsspeicher war hingegen nur stark begrenzt vorhanden. Eine substanzielle Verbesserung war ein „Must-Have“ für die Entwickler. Die Idee war, die Welt sukzessive zu laden. Das heißt, dass Stück für Stück Notwendiges geladen wird, während nicht Gebrauchtes gleichzeitig verworfen werden sollte. Anstatt ganze Level in den Arbeitsspeicher zu pressen, sollten somit speicherschonender und effizienter Daten dynamisch behandelt werden. Man gewann ganz nebenbei durch diese Technologie mehr Freiheit in der Größe eines Levels. Diese Pionierarbeit darf nicht unterschätzt werden, weil sie die Basis für das Spiel „World of Warcraft“ wurde.

Multiplayer Hardwarestruktur

Der Mehrspieler wurde auf eine Client-Server-Architektur gestellt, um das nicht lösbare Hacker-Problem aus „Diablo“ nicht nochmals aufkommen zu lassen. Der eigene PC konnte somit nicht mehr selbst den Rechenmaschinen der Mitspieler signalisieren, welcher Gegner von einem selbst besiegt wurde und welche Gegenstände gerade eben auf den Boden gefallen sind. Der Server übernahm diese Aufgabe von nun an als eine unabhängige Instanz, die nicht oder nur sehr schwer manipuliert werden kann.

Klassensysteme und Fähigkeitsbäume

David Brevik beschrieb in mehreren Vorträgen zur Entwicklung von „Diablo“ und „Diablo 2“, wie ihm morgens unter der Dusche Ideen kamen, die anschließend im Studio diskutiert, wenn nicht sogar umgesetzt wurden. „Perspective mode“, „Client Server“, die Sounds der Monster (z.B. Fehlbetonungen von Nachnamen der Entwickler, das laute „rakanishu“ Niesen von David Brevik) und andere Ideen waren teilweise, manchmal sogar komplette „shower ideas“.

Blizzard Entertainment, 2021

„Master of Orion“ (1993) war Anstoß einer weiteren Neuerung, die ihren Anfang im Bad in Breviks Zuhause fand. Die Frage, die das Team umtrieb, war, wie man es schaffen könnte, die verschiedenen Charakterklassen im Spiel spielmechanisch tiefgründiger, aber auch starrer zu gestalten. „Diablo“ versuchte sich bereits daran, allerdings mehr schlecht als recht. Es war eine mittelmäßige bis schlechte Ausarbeitung in den Augen von „Blizzard North“, weil zu oft Charakterklassen vom Spieler erstellten werden konnten, die spätestens zum Schluss des Spiels mehr Fluch als Segen waren. Zuviel Freiheit schien nicht immer das Beste für größtmöglichen Spielspaß zu sein. Die aus „Master of Orion“ entlehnte Idee war Pfade anzubieten, die vom Spieler optional verfolgt werden können, um verschiedene, aufeinander bezogene Fähigkeitsbündel in eigenbestimmter Gewichtung auszuwählen. Technologie-Bäume, die in damaligen Strategiespielen bereits eine Selbstverständlichkeit waren, inspirierten die Entwickler, sie als funktionierende Spielmechanik in das Konzept von „Diablo 2“ zu übersetzen. Die Idee der Fähigkeitsbäume (Skill- statt Tech-Trees) wurde ausgearbeitet, warf aber gleichzeitig aufgrund des Aufwandes den Zeitplan durcheinander. Man ging das Risiko aber gerne ein, weil der Prototyp sehr gut funktionierte.

Meinungsverschiedenheit konstruktiv behandelt

„Everquest“ und andere Spiele versuchten die Logik der Spielwelt in den Ausrüstungen und Herstellungsmaterialen für Waffen oder Ähnliches widerzuspiegeln. Wer etwa eine Fledermaus bezwang, konnte anschließend einen zurückbleibenden Flügel des Tiers als Herstellungsobjekt aufsammeln. In der veröffentlichten Version von „Diablo 2“ ist dies nicht der Fall. Es wurde sogar in der Community von „Diablo“ zu einem „Running Gag“, dass Monster ganze Harnische oder riesige Stangenwaffen fallen ließen. Den Entwicklern um David Brevik fiel dies auf und versuchten die Idee von „Everquest“ auf den zweiten Diablo-Titel zu übertragen. Waffen sollten auf Basis gesammelter Körperteile der Monster hergestellt werden. Das sogenannte horadische Würfelchen, würde die richtige Anzahl verschiedener gesammelter Körperteile anschließend zur entsprechenden Waffe umwandeln. „Blizzard Entertainment“ wusste zunächst von der Umsetzung nichts, spielte nach einiger Entwicklungszeit den aktuellen Stand des Spiels und war grundsätzlich von diesem angetan. Alleinig das „Craftingsystem“ durch Körperteile fanden sie recht eklig und nicht wirklich akzeptabel.

David Brevik musste zusammen mit den weiteren führenden Personen „Blizzard Norths“ zurückrudern. Zu übertrieben und nicht jedermanns Geschmack waren zwei Argumente, die zur Umkehr und dem Verwurf des Craftingsystems führten. Im Studio von „Blizzard North“ machte sich indes Empörung breit. Eine riesige Diskussion entbrannte im Team, weil viele das System und die dahinterstehende Idee mochten. Es wurde passiv protestiert, indem die Entwickler Notizen ausgedruckt auf Din-A4 Blättern an die Tür ihres Raumes hingen. „Bring back body parts!!!“ und andere Nachrichten waren auf Postern zu lesen. Monatelang war man im Team verärgert über die Entscheidung. Erst nach vielen Diskussionen und Tests sollte sich herausstellen, dass die Abkehr besser für eine breite(re) Akzeptanz bei den Konsumenten war.

In the end, it was the right decision. It was just too bloody and too gory. It pushed the game over the top and almost made it kind of comical because there was too much gore. It detracted from the focus of the game rather than being on blood and guts and everything like that in your inventory. It should be more about items and finding things […] But it was funny to walk around in the office and have all these people with their protest posters on their doors.

– David Brevik, devcom 2020

Der Studioschließung von der Schippe gesprungen

Die Essenz des Franchise war kurz vor Ende der Entwicklungszeit von „Diablo 2“ fertig. Die Ideen, die dafür notwendig waren, kosteten mehr Entwicklungszeit als geplant. Je mehr designt wurde, desto länger war die Entwicklungszeit, die eigentlich auf zwei Jahre terminiert war. Das Team wurde zusehends nervöser, weil das Ziel „Weihnachten“ zu nah im Frühling 1999 schien. Das Wort „Crunch“ war damals noch nicht bekannt. De facto beschloss das Team gemeinsam im Mai 1999 tagtäglich am Projekt zu arbeiten. Vierzehn bis sechszehn Stunden pro Tag waren keine Seltenheit. Im Schnitt dürften fast alle Mitarbeiter circa zwölf Stunden pro Arbeitstag geleistet haben.

Schlafsäcke, Zahnbürsten und -pasta wurden organisiert. Essen wurde ins Studio bestellt. Für jeden war klar, dass diese Entscheidung viele Entbehrungen fordern würde und eigentlich niemandem zu empfehlen ist. Schlimmer noch war im Herbst 1999 abzusehen, dass das selbstgesteckte Ziel nicht erreicht werden würde. Für manche kam die Einsicht etwas früher, für manche wie etwa Brevik etwas später. „Blizzard Entertainment“ teilte diese Einschätzung und versuchte zu beruhigen, dass eine Verschiebung kein Problem sei. Das funktionierte, weil zumindest die Enttäuschung durch die Motivation, die Arbeitsgeschwindigkeit aufrecht zu erhalten, ersetzt wurde. Bis in den Juni 2000 hinein sollte dieser „Crunch“ anhalten. Nach Aussagen einiger Entwickler belastete dieses „Crunching“ die eigene Ausgeglichenheit (Psyche) sowie die Beziehungen zu anderen Freunden und Lebenspartnern massiv; und dennoch beschreiben die gleichen Personen die erlebten Anstrengungen nicht als Zwang.

Die halbwegs verdaute Enttäuschung, den eigenen Zeitplan nicht einhalten zu können, wurde von einer weiteren zusehends überlagert. Im Laufe des letzten Entwicklungsjahrs mussten einige Vorhaben gekürzt oder verschoben werden. Beispielsweise durfte das Spiel nur vier Akte besitzen. Der vierte Akt wurde aus dem Spiel herausgeschnitten, der fünfte blieb als neuer Vierter bestehen. „Battle.net Town“ sollte eine Erweiterung langweiliger Textfenster sein, auf denen sich Personen weltweit zusammenfinden können. Eine echte kleine Stadt mit verschiedenen Geschäften und vor allem der Repräsentation als Spielfigur, um immer im Spiel immersiert zu sein, sollte als Einstiegspunkt für den Mehrspieler dienen.

Sämtliche Enttäuschung sollte ein paar Tage vor Abschluss dem puren Schock weichen: Während der Erstellung der finalen (Gold Master) Version des Spiels, verlor das Entwicklerteam fast die gesamte, selbsterstellte Software. Um die verschiedenen Einzelarbeiten in ein Spiel zu gießen, wurde Microsofts „Visual SourceSafe“ benutzt. Die Entwickler hatten dadurch stets den zeitlichen Überblick über Veränderungen im Code des Videospiels, die seit Beginn der Entwicklung getätigt wurden. Die damalige Version von „Visual SourceSafe“ war allerdings berüchtigt dafür, dass das damit verwaltete Projekt nicht kurzzeitig, sondern irreparabel beschädigt werden kann. Kurz vor der Vollendung stürzte „Visual SourceSafe“ ab. Alles, was die Entwickler über Jahre aufgebaut hatten, konnte nicht geladen werden. Zum Glück hatte das Team in Routinemanier Sicherungskopien des Spiels angefertigt, nur um festzustellen, dass sämtliche Sicherungskopien nie lauffähig waren. Keine Datenbasis, keine Back-Ups, viele speicherhungrige „Assets“ (3D Models, hochauflösende Texturen usw.) waren für immer verloren. Das Einzige, was übrigblieb, waren die Einzelbausteine auf den Arbeitsgeräten der verschiedenen Entwickler. Jedes Mitglied hatte nur ein paar Puzzlestücke, aber niemand das zusammengesetzte Puzzle. Schnellstmöglich wurde versucht, alles wieder zusammenzuschustern. Insgesamt dauerte diese Rettungsaktion eine Woche.

Dem Ende des Studios entgegen

Am 29. Juni 2000 wurde schlussendlich „Diablo 2“ veröffentlicht. In den ersten drei Wochen nach Veröffentlichung gingen circa eine Millionen Kopien über die Ladentheken. Das Spiel stellte einen neuen Verkaufsrekord auf. „Lord of Destruction“ hieß die erste und einzige Erweiterung des Spiels. Während ein anderes Studio „Hellfire“ für „Diablo“ erstellte, wurde dieses sogenannte „Expansion Pack“ von „Blizzard North“ ebenfalls entwickelt. Einige Arbeiten, wie etwa der rausgestrichene Akt, wurden narrativ sowie spielmechanisch an das Hauptspiel angepasst. Beispielsweise wurden zusätzlich zwei weitere Charakterklassen und Runenwörter dem Spiel hinzugefügt.

Basically, it [Hellfire] was not made by us. We had a design doc (for it). They didn’t follow it. They made a “teddy bear” quest. I was fucking pissed and so then … that’s really it in a nutshell. It didn’t work out. It didn’t sell like I wanted it to. Davidson (& Associates) really wanted an expansion for the product. But we were going to move on and make Diablo 2 at this time. But Diablo had sold so well that they really wanted this. So, Davidson (& Associates) and Sierra Online were owned by the same company at the same time. Sierre Online, Blizzard Entertainment … all was one company. Some people over at Sierra said: “Well, we’ve got a team that could make this Hellfire expansion”. We said “okay” and we sent them over a bunch of stuff. It just didn’t work out. We couldn’t communicate well with them. I was really upset about the entire thing and in the end, I just disavowed it. No, wether this is the right thing to do or not, I don’t know but I’m still upset about the entire wway that it went down.

– David Brevik, Game Developers Conference 2016

We thought that „Lord of Destruction” would boost the game and make it complete from where we set out. It felt unfinished for us. Diablo 2 came out, we got good reviews. I wouldn’t say rave reviews. One of the things that people didn’t like about the game was the fact that it wasn’t 3D. We got a big ding for that. There were all sorts of networking problems. There still was some cheating at the beginning and duping. It didn’t have the darkest tone, very similar to the dark tone of Diablo 1. This was a bit lighter. It was mainly because there was outdoor areas and things like that. It was a world setting not just down in the deep dark dungeon.

– David Brevik, devcom 2020

Ein Jahr später, am 27. Juni 2001 wurde die Erweiterung „Lord of Destruction“ veröffentlicht. Das Spiel änderte sich dadurch massiv. Zurückblickend war es die richtige Weichenstellung, um ein Spiel zu kreieren, das bis ins Jahr 2021 hinein eine aktive Spielerschaft behielt. Bedenkt man, dass der letzte große Patch in der Version 1.10 am 28.10.2003 von „Blizzard North“ veröffentlicht wurde, kann „Diablo 2“ als ein Meilenstein des ARPG-Genres (Action Role Play Game) bezeichnet werden.

Blizzard Entertainment, 2021

Die darauffolgenden Jahre waren geprägt vom Versuch „Diablo 3“ konzeptuell zu bestimmen und umzusetzen. Gleichzeitig arbeitet man an einem Projekt namens „Star Below“, ein gänzlich neues Projekt, um etwas Abwechslung in der Entwicklung zu bekommen. Man entschied sich dafür das Unternehmen in zwei kleinere Teams aufzuteilen, um beide Projekte gleichzeitig voranzutreiben. Es wurden sukzessive immer wieder Prototypen verschiedener Spielideen entwickelt, die alle nicht wirklich zufriedenstellend waren. „Star Below“ beziehungsweise die Spielidee dahinter war die erste, die nach vielen Jahren des Ausprobierens qualitativ dem Diablo-Spielkonzept ebenbürtig schien. Nach dem Abschluss von „Lord of Destruction“ wurde die erste hauseigene 3D-Engine entwickelt. Nichts schien zunächst darauf hinzudeuten, dass der Aufstieg „Blizzard Norths“ beendet sei.

Bereits im Jahr 2000 starteten die Mitarbeiter von „Blizzard North“ Ideen zum dritten Teil zu sammeln. Ursprünglich bestand die Absicht eine zweite Erweiterung zu „Diablo 2“ zu entwickeln, die nach einigen „Brainstorming“-Sitzungen verworfen wurde. Ähnlich zur Übergangszeit vom ersten zum zweiten Teil, sollte ein gänzlich neues Projekt namens „Diablo 3“ aufgezogen werden. Laut Max Schaefer bestand zwischen 2000 und 2003 die Idee, „Diablo 3“ als MMO (Massive Multiplayer Online Game) in „Diablo 2 Umgebung“ zu entwickeln. Von hohen Himmeln, die im tatsächlich veröffentlichten „Diablo 3“ (Blizzard Entertainment, 2012) spielbar sind, war keine Rede.

We were actually going a more MMO route with it … so that it had more players in the game. We were very early in it. There is lots and lots of things that go on at game companies that never hit the light of day because it’s just to early to release it. Things are subject to change.

– Max Schaefer

Laut Brevik wurden viele Elemente des Konzepts zur Spielstruktur von „Diablo 3“ später in „Marvel Heroes“ (Gazillion Entertainment, 2013), an dem Brevik ebenfalls beteiligt war, umgesetzt. Er betonte dabei, dass „Diablo 3“ als ein ARPG plus MMO Aspekte gedacht wurde. MMO deshalb, weil viele Spieler gleichzeitig sich begegnen können, nicht mehr aber auch nicht weniger. Die Entwicklung schritt im Stillen voran und wurde durch einige Gerüchte immer wieder ins Licht aktueller Berichterstattung gezerrt. Das erste große Gerücht sickerte Mitte 2005 durch, als ein angeblich ehemaliger Mitarbeiter von „Blizzard“ mit dem Pseudonym „Chris Hartgraves“ einen Forumsbeitrag auf der Warcraft-Website enthüllte.

Last week they had a thing called "Show N Tell" which they have every 6 months to all the full time employees - Anyways Diablo 3 takes place in heaven. Hell is trying to take it over and it is awesome looking ... Imagine the brightness of heaven being taken over by the darkness of hell ... Imagine WoW but in a Diablo world in amount of size and playability ... Also, guild housing is available in this game for those of you who know about it.

– Chris Hargraves, Blizzard Forum

Kurze Zeit später wurde das Gerücht durch eine anonyme E-Mail, die auf GamingSteve.com veröffentlicht wurde, im Februar 2006 gestützt. Jede Waffe im Spiel sollte aufgrund des Konflikts von Himmel und Hölle eine „helle“ und „dunkle“ Version besitzen. Das Rätselraten, was genau „Diablo 3“ werden sollte, fand allerdings bereits zuvor ein jähes Ende. Bill Roper, seit Ende 1996 Vizepräsident von „Blizzard North“, David Brevik, Max und Erich Schaefer verließen am 30. Juni 2003 das Studio. Weitere Teamgrößen gingen mit ihnen, um „Flagship Studios“ (8 ehemalige Mitarbeiter, darunter Brevik und Roper) und „Castaway Entertainment“ (9 weitere Ehemalige) zu gründen. Der eintretende Exodus des Studios war unausweichlich, weil mittlerweile 30 ehemalige Mitglieder des Teams bereits „Blizzard North“ verlassen hatten. Teilweise waren die Rücktritte auf einen Konflikt mit „Vivendi“, dem Eigentümer von „Blizzard Entertainment“, zurückzuführen. Ein weiterer Grund war der Wunsch einiger Mitarbeiter, etwas gänzlich Neues beginnen zu wollen. Als „Vivendi“ zusehends seine Unzufriedenheit mit dem Fortschritt zu „Diablo 3“ äußerte, wurde „Blizzard North“ endgültig am 01. August 2005 geschlossen.

Zurückblickend schien „Blizzard Entertainment“ wie „Vivendi“ nicht bewusst gewesen zu sin, wieviel Talent sie mit der Schließung von „Blizzard North“ verlieren würden. Das Wissen darum, warum das ARPG „Diablo“ funktioniert, ging für immer verloren. Davon sich zu erholen beziehungsweise eine qualitativ gleichwertige Alternative danebenzustellen, sollte zurückblickend auf das offizielle „Diablo 3“ (2012, Blizzard Entertainment) nicht aufgehen.

Honestly, I think that they (Blizzard Entertainment) did a lot of the things the best they could. It was a very different game than I would have created. The personalities on our team, their abilities, and things like that dictated the type of game we made […] those people (of Blizzard Entertainment), they have their own style, their own way they like to design and stuff like that. It was very different than Blizzard North people. So, when Blizzard South took over the development of Diablo 3, it was inevitable that they would create an experience that was in the Diablo theme but concentrated more towards the things that they liked to experience. Including more story and things like that. […] It shows that the people that were involved in Diablo 2 really did matter. I’m happy that it has come to light how talented that group (Blizzard North) was and how unique and special that group was. It happens very often in this industry, you see it even (with the developers) of Call of Duty and things like that … when the people leave the game changes. It just goes to say how critical people are in this industry.

– David Brevik, Interview mit PC Invasion vom 19.08.2012

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