Last Oasis Der Versuch simulierter Völkerwanderung

Hannes Letsch9 Minuten Lesezeit

Übersicht
Donkey Crew, 2020

Der Begriff der „Völkerwanderung“ dürfte den meisten, die das Wort kennen, als das Reisen germanischer Gruppen um 375 nach Christus von Ost- nach Westeuropa bekannt sein. Goten, Vandalen und Langobarden bildeten eine von vielen Migrationsbewegungen, die in der Spätantike einen sozial-wirtschaftlichen Transformationsprozess einläuteten, der das Ende des römischen Reiches beschloss. Ein wahrscheinlicher Auslöser des Barbarenzuges (≙ „edelhafte Wilde“) waren die Hunnen, die aus dem asiatischen Raum stammend immer weiter gen West vorpreschten. Stamm um Stamm musste seine Heimat verlassen, um in das sichere Imperium Romanum einzuwandern. Was sich in der Spätantike tatsächlich ereignete, versucht „Last Oasis“ fantastisch in einem „Online-Survival“ Spiel umzusetzen. Die Bedrohung, die die Migration forciert, ist die Erde selbst, die ihre eigene Erdrotation fast gänzlich einbüßt. Ein Tag dauert nicht mehr 24 Stunden, sondern ein ganzes Jahr; der lebensfreundliche Planet wird somit in zwei lebensfeindliche Bereiche unterteilt. Extreme Kälte oder Hitze beherrschen diese Regionen. Ein schmales Band zwischen diesen beiden Extremen verbleibt, das Vegetation möglich werden lässt. Alle Lebewesen müssen somit ständig in Bewegung bleiben, um zu überleben. Der sesshafte Mensch wird (wieder) Nomade, wandert mit Maschinen genannt „Walker“ immer weiter von West nach Ost. Theo Jansens „Strandbeest“, die sich ausschließlich durch Windkraft fortbewegen, waren offensichtlich die Schablone für das Design dieser laufenden Maschinen. „Flotilla“, eine wandelnde Stadt, transportiert konstant immer mehr Menschen in die verbleibenden Oasen, die zwischen den entstehenden Gruppierungen („Clans“) hart umkämpft sind.

Last Oasis - Steam Announcement Trailer
Donkey Crew, YouTube, 2020

Als Pre-Alpha Version (1.2.29746) ist das Spiel weit weg vom Endgültigen. Die Entwickler von Donkey Crew entschieden sich, das Spiel als sogenanntes „Early Access“ Spiel zu vermarkten, das heißt, das Spiel wird im Livebetrieb zu Ende entwickelt. Deshalb kann davon ausgegangen werden, dass die grundsätzliche Spielidee- wie -mechaniken in Stein gemeißelt sind. Und dennoch: Als Pre-Alpha ist es nicht möglich, für sämtliche Aspekte des Spiels definitive Aussagen zu treffen. Übrig bleibt ein Vorblick auf einen Versuch, die Herausforderungen und atmosphärischen Eigenheiten einer Völkerwanderung spielerisch einzufangen.

Grundsätzliche Spielidee

Einige bekannte Survival-Spiele (vgl. z.B. „Ark: Survival Evolved“ (Studio Wildcard, 2017) oder „Conan Exiles“ (Funcom, 2018) ermöglichen das stationäre Aufbauen einer Existenz, die immer wieder durch andere Spieler oder Gruppen (PvP) und die rauen Bedingungen der Spielwelt (PvE) gefährdet ist. Über Monate kann man beobachten, wie sich die eigene Arbeit im Aufbau einer gesicherten Beherbergung auszahlt. Der Spieler schafft sich ein Stück Sicherheit, das einen nicht nur schützt, sondern auch mit allem versorgt, um weiter im Spiel existieren zu können. „Last Oasis“ schließt dies auf spielmechanischer Ebene kategorisch aus, weil Sesshaftwerdung mittelfristig das Ende durch die alles verbrennende Sonne bedeuten würde. Egal ob allein oder im Tross vieler Mitstreiter; jeder muss ständig mobil sein, wird allerdings dadurch gleichsam angreifbarer. Was einen in der nächsten Oase erwartet, weiß man nicht und ob man beim Aufbruch aus einer Oase hinter den ersten Dünen womöglich in eine Falle läuft, ist nicht auszuschließen. Diese Idee wird von Donkey Crew in das Emi- und Immigrieren von Oase zu Oase, das heißt von Server zu Server übersetzt.

Jeder Server ist in sogenannte „Hexs“, Hexagons, unterteilt. Jedes davon repräsentiert eine Oase unterschiedlicher Spielschwierigkeit und zeichnet sich durch ein spezifisches Layout aus. Felsformationen, Berge, Wasserquellen, unterschiedliche Vegetation und so weiter bieten Möglichkeiten verschiedene Ressourcen zu sammeln, sich zu positionieren und (neu) zu organisieren, um sich für den nächsten Umzug vorzubereiten oder von einem Konflikt zurückgezogen zu erholen. Die Fauna, wie beispielsweise die affenähnlichen und sich in Kleinsiedlung organisierenden Rupus, riesige Sandwürmer und Skarabäus ähnlicher Monster können einerseits gejagt werden, sind aber andererseits auch die Gefahr abseits anderer umherziehender Clans. Mit den gesammelten Ressourcen können Gegenstände wie Waffen und Rüstungen, eine Wasserversorgung, Handwerksstationen, temporäre Stützpunkte und Walker gebaut werden. Letztere stehen klar im Zentrum des Spiels. Jeder dieser Maschinen besitzt seine Stärken und Schwächen, sodass spürbare Unterschiede in Manövrierfähigkeit, Geschwindigkeit, Schwerpunkt, Lastkapazität, Durabilität, Nutzungsfläche und Baukosten vorhanden sind. Sie bilden das Fundament, um in den rauen Wüstenlandschaften von „Last Oasis“ überleben zu können.

Die soziale Komponente des Spiels

Neben der Tätigkeit als Handwerker kann jede Gruppierung bestimmen, wie sie das Spiel spielen möchte. Nach der Idee und dem Willen der Entwickler soll es möglich sein, Piraten ähnelnd eine Plünderbande aufzubauen, sich friedlich als genuine Nomaden zu verhalten oder als Händler zu betätigen. Jede der mittel- bis schweren Oasen bietet eine Handelsstation, auf der Ressourcen ver- und eingekauft werden können. Ähnlicher lokaler Märkte kosten Ressourcen in unterschiedlichen Oasen unterschiedlich viel. Die Währung ist zwar immer die Gleiche, aber die Preise können stark variieren. Sie orientieren sich strikt am Angebot- und Nachfrage-Prinzip. Als sogenanntes „full loot PvP“ Videospiel ist Sterben ohne Verdursten möglich. Wer nicht nur niedergeschlagen, sondern vollends getötet wurde, verliert alles, was er auf der Spielkarte zurücklässt – auch der eigene Walker, Aufbewahrungstruhen, Häuser und so weiter können mit den passenden Werkzeugen wie eine Nuss geknackt werden, wenn sie nicht sicher aus dem Spielbetrieb ausgeloggt werden. Wer es nicht schafft, rechtzeitig wieder an Ort des Konflikts zurückzukehren, wird womöglich vieles bereits geplündert vermissen.

Last Oasis - The Worm
Donkey Crew, YouTube, 2020

Überspitzt formuliert kann „Last Oasis“ als ein soziales Feldexperiment bezeichnet werden. Es bietet eine Plattform, auf der die wesentlichen, sozialen Richtgrößen menschlichen Zusammenlebens und Organisierens möglich werden, ohne dass Spielmechaniken die Entstehung von sozialen Netzwerken signifikant behindern. Über „Voice-Chat“ kann mit allen in der Nähe sich befindenden Spielern kommuniziert werden. Wird beispielsweise ein mündlicher Vertrag gebrochen, bestraft das Spiel den Aggressor in keiner Weise. Weder wird man vom Spiel angeschwärzt oder sichtbar gemacht, noch erhält das Opfer eine Kompensation. Die Entwickler versuchen bisher eine Politik der Moderation zu verfolgen. Das klingt auf den ersten Blick spannend, birgt aber erhebliche Risiken: Einerseits zündeln die Entwickler absichtlich, indem sie dominanzorientierte Spieler dazu animieren, Oasen ihr vorrübergehendes Eigen zu nennen. Mit sogenannten „Proxy“-Walker können Oasen für eine bestimmte Zeit besetzt werden. Jeder, der sich in der jeweiligen Oase aufhält, baut nicht nur für sich selbst, sondern auch für die Besatzer Ressourcen ab. Im Sinne einer Steuer erhalten die Besatzer einen gewissen Prozentsatz (10 – 20 Prozent) der abgebauten oder erstandenen Ressourcen. Andererseits fühlen sich vor allem Einzelspieler betrogen, weil Widerstand gegen größere Gruppierungen zwecklos erscheint. Zwar ist auch diese Ungerechtigkeit Bestandteil eines „Survival“-Spiels und macht zu einem gewissen Teil den Reiz aus, „Last Oasis“ scheint aber bis dato nicht genug zu tun, um Piraterie und Machtgefälle als Ermutigung beziehungsweise Herausforderung auszugestalten. Wer allein spielt, muss vorsichtig und bedacht agieren. Wer sich in größeren Gruppen organisiert, hat das Privileg wesentlich offener und breitbrüstiger aufzutreten.

Konflikte beziehungsweise das eigentliche Kämpfen sind in diesem Konzept schwer auszubalancieren, weil größere Clans grundsätzlich durch ihre Anzahl an Kämpfern eine Bedrohung darstellen. Taktiken sind auszuloten, um eine Strategie zu entwickeln (vgl. z.B. Guerillalogik), um sicherzustellen, dass man als kleinere Gruppe sich trotz Unterzahl behaupten kann. Eine einzelne Person ist in der Lage mehrere Gegner auszuschalten, wenn sie gut antizipieren kann und die aus „For Honor“ (Ubisoft, 2017) entlehnten, direktionalen Block- und Angriffsschemata beherrscht. Ein Angriff mit Schwer, Axt oder Knüppel kann abgewehrt werden, wenn zur gleichen Zeit in die richtige Schlagrichtung geblockt wird.

Die Entwickler versuchen den Beschwerden nachzukommen, indem sie einerseits nicht müde werden, das Spielprinzip in den Vordergrund zu stellen und andererseits Angebote auf spielerische Ebene anzubieten. Beispielsweise bietet der „Mollusk“-Walker eine abgeschlossene Fahrzeugkabine, sodass der Fahrzeugführer nicht attackiert werden kann, ehe der Walker in langwieriger Bearbeitung komplett zerstört wurde. Trotz allem bleibt die Balance äußerst fragil. Donkey Crew scheint aber mit dem Konzept zufrieden zu sein und versucht durch ein sehr rigides Vorgehen gegen „Cheater“ (Bann des Spielers und Zurücksetzen des Fortschritts des Clans) die normengebenden Rahmenbedingungen zu schützen. Die Entwickler versuchen somit die Verantwortung für ein faires Zusammen den Spielern zurückzuspielen. Weil Clans bei Mogeleien einzelner als Gruppe mit im Boot sitzen, ist „Cheaten“ das Problem des Clans, nicht der Entwickler. „Last Oasis“ ist in diesem Bereich in gewisser Weise Pionier. Sofern das Konzept aufgeht, könnte dies Vorbild im Umgang mit sogenannten „Cheatern“ werden. Problematischer sind die Diskussionsforen in diesem Zusammenhang, weil die Unterhaltungen um Verbesserungen zum Spiel zu einem Hallraum mutieren, indem alles, was nicht sofort verstanden wird, als „Hack“ oder „Cheat“ deklariert wird, was wiederum dem Image des Spiels schadet.

Donkey Crew, 2020

Donkey Crew gebührt eine gewisse Anerkennung, weil sie jedes Problem, das auftaucht oder kommuniziert wird, versuchen zu lösen oder adressieren. Auf Grund ihrer bisherigen Arbeit wird offensichtlich, dass der eindringliche Wille besteht, dass ihr Survival-Spiel im wahrsten Sinne des Wortes überlebt. „Last Oasis“ hat als Early Access Spiel eine Bürde zu tragen, weil es als solches mit einem schlechten Image zu Kämpfen hat. Das Wort „Early Access“ ist verbrannt, weil zu viele Projekte das Konzept eher missbrauchten. Zusätzlich bedeutet Videospielentwicklung als Iterationsprozess stetige Veränderung, was eine gewisse Akzeptanz und Flexibilität von zahlenden Kunden einfordert. Zusätzlich fehlen in der „Pre-Alpha“ vor allem für mächtige Clans Anreize abseits des Niedermähens kleinere Gruppen und der Expansion des Einflussgebiets. „Last Oasis“ hat noch viele Hürden zu überwinden, bevor von einem reibungslosen Spielverlauf gesprochen werden kann. Eines macht Donkey Crew im Verhältnis zu vielen ähnlichen Projekten fast gänzlich vorbildlich, was für die Zukunft des Spiels spricht: Kommunikation.

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