Marathon Mit 7-2 auf der Hand – wie Bungie vieles riskiert

Hannes Letsch11 Minuten Lesezeit

Übersicht
Bungie, 2025

Kritisch, kritischer; die Rezensionen zur Enthüllung von „Marathon“ sind sehr gemischt. Das löste teilweise nachlesbar Verwunderung bei den Verantwortlichen aus, als hätte das vergangene Jahrzehnt nicht rückblickend eindrücklich gezeigt, wie sehr Publisher Willens sein können, ihren Ruf auf breiter Front zu ruinieren, während man gleichsam die eigene Kundschaft übervorteilte. Wie könnte die Vorstellung eines weiteren Live-Service Videospiels überhaupt angesichts dieser Entwicklung in der Videospielindustrie positiv wahrgenommen werden? Woher soll der Käuferoptimismus herrühren, wenn die Erfahrungen mehr oder weniger einfarbig negativ sind? Insofern hat „Marathon“ nicht nur eine kleine Durststrecke, sondern einen ganzen Berg von PR- und Marketing-Unwägbarkeiten zu überwinden, ehe man von einem wirtschaftlich überzeugenden oder gar langfristig erfolgreichen Konzept sprechen könnte. Die Hürden wurden nicht von der eigenen Klientel aufgebaut. Dafür ist der Entwickler Bungie selbst verantwortlich. Es geht nicht darum, dass „Marathon“ konzeptionell unausgegoren ist und deshalb kein Publikum finden wird. Interessierte wird es geben, nur wie groß diese Zahl sein kann, steht auf einem anderen Blatt. Die größten Probleme hängen nicht mit dem Videospiel zusammen, sondern mit Bungie.

Marathon | Enthüllungs-Kurzfilm
Bungie, YouTube, 2025

Am 12. April 2025 hob sich der Vorhang für Bungies nächsten „Extraction-Shooter“ mit dem Titel „Marathon“. Es handelt sich dabei um einen Videospieltitel, der aus vergangenen Tiefen des Studios hallt. Es war nicht irgendeines der ersten Projekte von Bungie, sondern dessen Ursprung. Zunächst für den Macintosh Mitte der 1990er Jahre entwickelt, gab die Marathon-Trilogie dem Entwicklerstudio einen ersten Vorgeschmack darauf, welche Herausforderungen und Vorteile es mit sich bringt, in der oberen Liga der Videospielindustrie mitzuschwingen. Zumindest stammte sowohl der Aufschwung als auch eine existenzielle Krise daraus. „Marathon: Durandal“, das zweite Spiel der „Marathon“ Serie, wurde 1995 mit einem kritischen Fehler ausgeliefert, der bei der Installation die Festplatte des zugehörigen PCs löschte. Als Bungie das Problem erkannte, ergriff das Unternehmen sofort Maßnahmen, ertrank förmlich in der Anzahl an Retouren und stand am Rande des Bankrotts. Um zu überleben, schloss das Studio notgedrungen eine Abmachung mit Microsoft. Im Austausch für die Deckung der selbstverursachten Schäden entwickelte Bungie ein neues Projekt für Microsoft und deren kommende Konsole; die ursprüngliche Xbox. Dieses Projekt nannte sich „Halo“. In gewisser Weise war „Marathon“ daher sowohl der Ursprungs Bungies Popularität als auch der fast genickbrechende Stolperstein, der die Entwickler dazu zwang, sich auf ein Franchise zu konzentrieren, das sie im Triple-A Segment vollends etablierte. Drei Jahrzehnte später wird dieses Erbe aus der Versenkung hervorgeholt und entstaubt, um abermals ein großes Wagnis einzugehen.

Eine Entwicklungsumgebung als Gegner

Das neue „Marathon“ soll ein Trupp basierter PVP-Extraktionshooter sein. Dreier Teams, bestehend aus sogenannten Runner – Menschen, die ihre sterblichen Körper für schlanke, kybernetische Hüllen eingetauscht haben – jagen durch die Ruinen auf Tau Ceti IV, nachdem eine mysteriöse Katastrophe den Planeten heimsuchte. Die einst dort aktiven Forscher sind nicht mehr auffindbar. Unternehmen sprangen ein, indem sie Runner schickten, damit sie alles plündern, was noch an Wertigem übrig ist. Spieler werden folglich gegen feindliche NPCs antreten, außerirdische Bedrohungen umschiffen und sich gegen andere Trupps behaupten müssen, um das erbeutete Gut zu extrahieren, bevor sie selbst ausgelöscht werden.

Bungie, 2025

Bungie versucht den Konsumentenmund wässrig zu halten, indem etwa auf größere Events, Bosskämpfe, Dungeons und womöglich gar „Destiny“ ähnliche Raids hingewiesen werden, die sich unter der Oberfläche momentaner Enthüllungen verbergen könnten. Auf dem Papier dürfte für Inhaber Sony das Spielkonzept ein Selbstläufer sein: Eines der Aushängeschilder für First-Person-Shooter besinnt sich auf die eigenen Stärken und Erfahrungen, die seit über drei Jahrzehnten gemacht wurden. Dafür wird eine lang ruhende IP wieder aus der Versenkung geholt, die einen unverwechselbaren Sci-Fi-Stil innerhalb eines Genres besitzt, das bis dato keine Angebotssättigung verzeichnen kann. Allerdings wurde statt „Hype“ die Ankündigung mit Skepsis, Sarkasmus und schläfriger Ignoranz aufgenommen.

Bungie, 2025

Sony hat Bungie gekauft, um einen Vorstoß in Richtung Live-Service voranzutreiben. Ein Großteil des Kaufeffekts ist bereits verpufft. Bungie ist (auch) daher mittlerweile ein anderes Studio als das, das PlayStation einst mit dem Kauf übernahm. Der „The Final Shape“ DLC (2024) für „Destiny 2“ (2017) wurde zwar positiv aufgenommen, konnte aber den Fehlschlag „Lightfall“ (2023) nicht wirklich kompensieren. „Destiny 2“ kämpft seit längerem mit nicht zufriedenstellenden Spielerzahlen, obwohl die Monetarisierung und das Inhaltsmodell angepasst wurden, um die (zu) oft unterlaufenen, monetär getriebenen Fauxpas auszumerzen. Das heißt, dass die Marke unter dem schlechten Image des dahinterstehenden Entwicklers respektive Publishers leidet. Des Weiteren haben mehrere Entlassungswellen dazu geführt, dass ehemals Angestellte Informationen an die Presse durchsteckten, die moralische Problematiken innerhalb des Unternehmens zeichnen. Eine düstere Zukunftsvision resultierte, die sich im Statement des PlayStation Managements Bahn brach. Es gibt der Bungie-Führung öffentlich die Schuld dafür, dass die intern gesteckten Ziele nicht erreicht wurden.

Bungie, 2025

Nebenbei bemerkt ist dieser Fall eine Ausnahme vom sonst Regelhaften, dass Investoren im Hintergrund durch ungeduldige Profitforderungen Projekte reihenweise ersticken würden. Es lässt sich sogar momentan nachlesen, dass die Führungsriege Bungies im Wesentlichen auf Zeit spielen würde, bis ihre Aktienoptionen aus der Übernahme veräußert werden können, um schnellstmöglich zu verkaufen und sich dann bereichert aus dem Staub zu machen. Sobald dies geschehen würde, wäre es mit der Unabhängigkeit des Studios vorbei. Abseits verschiedener brodelnder Gerüchteküchen lässt sich festhalten, dass „Marathon“ in einer Atmosphäre entsteht, die immensen Druck bedeutet: Alles läuft auf den Erfolg oder Misserfolg dieses Videospiels hinaus.

„Marathon“ wird ein Marathon, kein Sprint

Es ist daher verständlich, dass die Entwickler von Bungie aktiv versuchen zu überzeugen, dass „Marathon“ es Wert sei und eben kein erneutes „Concord“-Debakel wird. Das Genre allein ist aber bereits ein Problem, denn ein heldenbasierter Extraktionshooter bedeutet vornehmlich Spieler gegen Spieler (PvP) nicht aber PvE-Inhalte, die vornehmlich Bungies Aushängeschild sind. Es kommt nicht von ungefähr, dass die Raids und Dungeons, die das US-amerikanische Entwicklungsstudio designt, zum sogenannten Goldstandard der Videospielindustrie zählt. Darüber hinaus sollte man bedenken, dass dieses Spiel keine ausstaffierte Geschichte zu haben scheint und keinerlei Anstalten macht, auch nur zarte Fühler gen PvE-Kooperationsmodi zu entwickeln. All das wird entgegen der eigenen Erfolgsgeschichte, die auf filmischem Storytelling, einprägsamen Charakteren und fein abgestimmten, kooperativen Spielkonzepten baut, verfolgt. Saisonale Geschichten, die durch Fraktionsmissionen wie beispielsweise „Kopfgelder“, kartenbasierte Aktivitäten und Umgebungen transportiert werden sollen, sind kein adäquater Ersatz.

Bungie, 2025

Der radikale Schwenk in ein Genre, das ein anderes Spielerpublikum anspricht, liegt nicht in einer Linie zu den Wünschen des momentanen Kundenstammes. „Escape from Tarkov“ (Battlestate Games, 2016) und „Hunt: Showdown“ (Crytek, 2018) sind wenige erfolgreiche Beispiele eines sehr schwer zu meisternden Videospielkonzepts. Viele Projekte scheiterten, weil das Konzept eines „Extraction-Shooters“ von Haus aus ein Nischenprodukt ist. Der Reiz beruht auf nicht leicht verdaulichen Erlebnissen. Es sind anstrengende Spielschleifen, die aus Spannung, Unordnung und einem Mangel an vereinfachender Orientierung bestehen. Diese Kanten für ein breiteres Publikum abzuschleifen, zerstört das, was diese Spiele besonders macht. Vereinfacht man das Spielprinzip, fühlt sich Erbeutetes weniger wertvoll an. Kann (einfach) wiederbelebt werden, senkt dies den Reiz der Mission. Auffällig effektvolle Fähigkeiten untergraben das Können des jeweiligen Spielers. Jede der von Bungie vorgestellten Änderungen zur Öffnung für ein breiteres Publikum warnt Anhänger des Genres, die Finger von „Marathon“ zu lassen, weil die Entwickler offenkundig nicht zu verstehen scheinen, was sie gedenken zu bauen.

Bungie, 2025

Die Ästhetik und Tonalität des Spiels spricht für Bungies Erfahrungswissen und Können. „Destiny“ hatte den Luxus, einen Platz in der Videospielindustrie einzunehmen, der von keinem anderen Spiel derart fokussiert wurde. Den Entwicklern muss klar sein, dass optische und auditive Qualität nicht ausreichen wird, wenn man in einen bereits existierenden Markt eindringt. Der Grafikstil ist hervorragend und hebt sich merklich ab. Es ist ein Balanceakt mit Neuem zu ködern, ohne durch eben dieses zu wenig vom Bekannten mitzutransportieren. Der stark stilisierte Kunststil, auch in der Ausgestaltung des empfehlenswerten Soundtracks zum Spiel ist für sich genommen Geld wert. Weil es aber um ein Videospiel geht, ist es maximal die Oberfläche eines Produktes, das massiv psychologisch effektvoll wirken muss. So schön das Optische subjektiv erscheinen mag, die dahinterstehende Wirkung ist nicht unbedingt förderlich für das Spielprinzip, weil es womöglich zu viel der für Extraktionshooter typischen Unordnung auf dem Bildschirm entfernt.

Abgesehen davon: Wenn ein Produkt als ein Sammelsurium verschiedener Funktionen diskutiert wird, bedeutet das, dass nicht über die Synergie der Funktionen und damit über mögliche Spielerlebnisse gesprochen wird. Einige stören sich an der Art und Weise, wie „Marathon“ von Bungie wiederbelebt wird. Es ist kein Einzelspieler mit Multiplayer-Arenas, sondern eine Neon-Corpo-Punk-Ästhetik. Die Jagd nach dem nächsten Trend kann unterstellt werden, erst recht, wenn jeder größere Publisher gerne einen erfolgreichen Extraktionshooter sein Eigen nennen möchte. Es ist vergleichbar zum „Battle-Royal“ Spielemodus, der in viele Shooter Franchise gepresst wurde, in der Hoffnung die Platzhirsche zu vertreiben. Allein der Fall „Hyenas“ (Creative Assembly), das wenige Wochen vor dessen Veröffentlichung komplett eingestampft wurde, sollte Alarmglocken schrillen lassen. Es sind zwar zwei Jahre seitdem vergangen, die Situation ist hingegen noch schwieriger geworden. Selbst FromSoftware entwickelt momentan ein Extraktionsspiel namens „Dusk Bloods“, das mit Argwohn betrachtet wird.

Marathon | Gameplay-Übersicht – Trailer
Bungie, YouTube, 2025

Ein derartiges Spielkonzept wie „Marathon“ nicht Free-to-Play zu halten, ist ein Fehler. „Borderlands 4“ (Gearbox Software, 2025), ebenfalls ein Looter-Shooter, bietet am gleichen Tag, dem 23.09.2025, eine Kampagne, kein PvP und besitzt als Marke mehr Schwungmasse als „Marathon“. Es ist mutig am gleichen Tag zu veröffentlichen. Es ist halsbrecherisch das eigene Spiel als „Premium“ zu vermarkten. „Borderlands 4“ wird Aufmerksamkeit im Markt binden, die umschifft werden könnte, wenn „Marathon“ kostenlos herunterladbar wäre. Es würde dadurch jederzeit auf Festplatten schlummern dürfen und immer wieder dazu einladen, ausprobiert zu werden. Wem es gefällt, spielt es und wird vielleicht zu einem Stammspieler.

Bungie, 2025

Sony wie Bungie versuchen zu beruhigen, indem bereits kommuniziert wird, dass es kein Vollpreistitel ist. Als Live-Service wird „Marathon“ aber Battle Passes und einen Kosmetikshop vergleichbar zu „Helldivers 2“ (Arrowhead Game Studios, 2024) besitzen. Der dadurch gewährte Einblick, dass man mehrere Wege aktiv programmiert, um ein eigentlich frei zugänglich zu machendes Spiel zu bepreisen, ist problematisch. Andererseits zeigte „The Cycle: Frontier“ (Yager Development, 2019), dass „Free-to-Play“ Risiko in anderen Bereichen bedeutet, denn es scheiterte unter anderem wegen grassierendem Hacking. Das bedeutet, dass ein bezahlter Spielzugang stärker Spieler unterschiedlicher Motivlagen selektiert und dadurch schützen kann.

Den Vorschlägen der eigenen Community, „Marathon“ konzeptionell für PvE-Inhalte mehr zu öffnen, ein „Das Spiel ist nichts für euch!“ entgegenzuschallen, ist nicht hilfreich. Bungie sollte nicht ignorieren oder verprellen, indem Fragen oder Ideen als Lästigkeiten abgetan werden, sondern das dahinterstehende Engagement wertschätzen und derartige Einwürfe als Chance begreifen.

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