Der Untertitel beschreibt eigentlich bereits das, was einem durch den Kopf schoss, als die ersten Spielszenen zu „The Callisto Protocol“ im Stream der Opening Night Live beziehungsweise später in einem kleinen Kino in der Business Area der Gamescom 2022 präsentiert wurden. „Das ist doch Dead Space?!“ las man im Chat des Streams und hörte man sogar andere Zuschauer in besagtem Booth-Kino flüstern. Für jemanden, der sich eher unbedarft die ersten Spielszenen nach einigen gerenderten, stimmungsvollen Trailern anschaute, fiel die Parallelität im ersten Moment nicht wirklich auf. Der vergleichende Satz änderte dies schlagartig: Man konzentrierte sich nicht mehr wirklich auf das, was gespielt auf dem Bildschirm passierte, sondern versuchte eher zu analysieren, wo noch mehr Gemeinsamkeiten zu finden sind. Etwas verärgert ob der Beeinflussbarkeit der eigenen Psyche stellte sich unfreiwillig die Frage, ob eine Kopie eines guten Spiels „Dead Space“ (Visceral Games, 2008), eine Neufassung namens „The Callisto Protocol“ automatisch langweilig werden lässt. Und wenn nicht, warum denn nicht?
Erschienen am
02. Dezember 2022
Entwickler
Plattformen
Das Spiel, das am 02. Dezember dieses Jahr veröffentlicht werden soll, ist kein außerordentlich langwieriges Projekt. Aufgrund dessen, dass die dahinterstehenden Striking Distance Studios im Jahr 2019 gegründet wurden, ist auch „The Callisto Protocol“ womöglich als Idee, nicht aber als Spiel älter als drei Jahre. 70 Entwickler, teilweise bestehend aus früheren „Call of Duty“ und „Dead Space“ Veteranen, werden oft als Kern genannt. 40 bis 50 Entwickler sollten über die Zeit hinweg zusätzlich hinzugezogen werden. Mittlerweile, das heißt mit Stand 03. September 2022, sind 174 Entwickler beziehungsweise Mitarbeiter auf der eigenen Webseite gelistet, die alle unter CEO, Game Director und ehemaligem Executive Producer von „Dead Space“ Glen Schofield an „The Callisto Protocol“ arbeiten.
First off, I took some time off, in between Activision and here. One of the things I did was I went down to the desert in Tucson […] I did this for a couple of weeks. My wife let me. She knew I needed some time off just to kind of relax and reflect. I would go out to the desert and draw but at the same time I’m trying to think of ideas for games. I came up with a few and wrote them up. The one for this game is one that kind of rose to the top for me. So, I started going out and meeting with the top developers and publishers and talking with them about – you know – starting a new studio, making a new IP and a new game. […] I don’t remember a particular drawing. What I was doing at the time was kind of quick little sketches here and there.
– Glen Schofield, Game Informer, 15.07.2022
Es entstand die Idee eines Sci-Fi Horror Videospiels, das sich des PUBG-Universums bedienen sollte, allerdings sich mehrere Jahrzehnte später abspielen würde. Als die ersten Trailer gezeigt wurden, deutete alles eher darauf hin, dass die narrativen Verbindungen zu „PlayerUnknown's Battlegrounds“ (Krafton, 2017) sehr lose sind, obwohl Versuche des Publishers und (Mit)entwicklers von „PlayerUnkown’s Battlegrounds“, narrative Schatten über „The Callisto Protocol“ zu werfen, nachlesbar waren. Die berichteten und in Trailer gezeigten Verbindungen waren sogar so lose, dass Schofield Ende Mai 2022 bestätigte, was schon zuvor absehbar war: Die Geschichte des Spiels ist gänzlich eigenständig und hat nichts mit dem Universum von „PUBG“ zu tun.
Bekanntes, Etabliertes und Neues
Man folgt dem momentanen Trend, indem man einen bekannten Schauspieler als Hauptcharakter ins Spiel verpflanzt. Jacob Lee, gespielt von Josh Duhamel, strandet auf dem Mond Callisto des Planeten Jupiters, als sein Frachter durch einen Kaperungsversuch attackiert wird. Das Raumschiff zerschellt auf dem Mond, der Güterdiebstahl misslingt. Lee wird auf dem Mond in einem Gefängnis festgesetzt. Die United Jupiter Company entschied sich auf Callisto einen Gefängnistrakt zu betreiben, der „Black Iron“ genannt wird. Jacob lernt im Zuge seiner Festsetzung nicht nur die anderen Insassen kennen, sondern erkennt mehr und mehr, dass etwas im Argen liegt. Die ursprüngliche Idee von „Dead Space“, aus einem Gefängnis zu entkommen, wird in diesem Spiel tatsächlich umgesetzt. Im Vergleich wirkt das Ganze aber etwas weniger bedrohlich, denn entgegen eines havarierten, blind im Weltraum treibenden Bergbauschiffes, die USG Ishimura, ist ein Mond oder eine Gefängniseinrichtung weniger klaustrophobisch beziehungsweise beengend.
Der Mond Callisto wird als toter Mond respektive toter Raum bezeichnet, der von Wissenschaftlern als potenziell menschenfreundlicher Trabant heutzutage diskutiert wird, weil er aufgrund seiner Wasservorkommen kolonialisiert werden könnte. Diese Idee nahmen die Entwickler von Striking Distance Studios auf und kombinierten sie mit den aus „Dead Space“ bekannten Spielmechaniken. Und ebenso wie im über zehn Jahre alten Spiel treibt die Wissenschaft Schindluder mit einer Entdeckung – in diesem Fall einem uralten Virus, das auf Callisto seit langer Zeit existierte. Die Genmanipulationen des Virus scheiterten. Das Ziel der Wissenschaftler, das Virus für den Menschen dienlich zu machen, gerieten aus dem Ruder. Somit tummeln sich nicht nur einige vom Virus befallenen Urvieher auf diesem Mond, auch Lees Insassen werden befallen – sie alle werden „Biophage“ genannt.
Right from the start, we said: Sound design and the music and the audio are key. Here is one of the things I used to tell people. When they would first get on the project (Dead Space), which you know, over the course of the game you are probably adding 100 people, is … I wanted to show them how important the audio was because I wanted to make sure that everybody realized that we are saving some of this memory and everything for audio, was I would have new people come in and watch about a 15 – 20 minutes section of a horror movie. I’d tell them to watch it with the sound off. Then take the same section and watch it with the sound on but your eyes closed. Which was scarier to you?
– Glen Schofield, Ars Technica, 03.06.2020
Das auf „Dead Space“ zutreffende Zitat scheint auch vollumfänglich die Richtlinie für „The Callisto Protocol“ zu sein. Die Gefahr ohne viele, sogenannte „Jump-Scares“ den Spieler zu langweilen, weil man zu schnell zu gut ausgestattet sein könnte, verneint Schofield. Ohne Head-up-Display (HUD) versucht Striking Distance Studios die Aufmerksamkeit hauptsächlich auf die Umgebung lenken zu wollen. Isaac Clarke aus „Dead Space“ sprach nie, Jacob Lee scheint hingegen aufgrund der bisher gezeigten Spielszenen eine Stimme zu haben. Die dahinterstehende Inspiration aus „Half Life 2“ (Valve, 2004), Identifikation mit der Umwelt aber nicht so sehr mit der Spielfigur zu erzwingen, wird letztendlich doch aufgegeben. Das Feld möglicher Immersionspunkte wird folglich verbreitert. Die Perspektive „Innovation“ wird von Schofield und seinem Team persistent und konsistent weiter betrieben. Die Änderungen sind teilweise marginal, teilweise aber auch weitreichend, sodass die Frage nach einer exakten Kopie bereits jetzt mit einem „Nein“ beantwortet werden kann. Jacob Lee hat offensichtlich die identischen Bewegungsmuster wie Isaac Clarke, und auch die Spielkamera scheint nahezu identisch zu sein. Allerdings ist dies zum einen nachvollziehbar, denn auf bewährtes Wissen möchte kein Entwicklerstudio verzichten. Zum anderen sind qualitativ hochwertige Assets wie die Bewegungsmuster des Chef Creative Officers Christopher Stone, der sich gerne im Motion-Capture-Anzug aufnehmen lässt, zu schade, als dass man sie einfach löschen würde – auch wenn sie bereits mehrere Jahre alt sind.
Die Beziehung Lees zu verschiedenen Figuren, auch den Biophage, die klar in ihrem Design suggerieren, dass sie einst Menschen waren und durch ein Virus mehr und mehr mutierten, soll im Kontrast zur Unbarmherzigkeit des Szenarios stehen. Dass „The Callisto Protocol“ eine überdimensionierte Petrischale ist, die durch seltsame, fantastische biologische Vorgänge emotionale Überreizung durch Bedrohung erlebbar machen möchte, ist ebenfalls offenkundig. Die Idee, dass durch eine narrative Verbindung zu den infizierten Insassen zusätzliche emotionale Varianz wie etwa Barmherzigkeit entstehen soll, scheint weit hergeholt. Zu grausam, zu unwirklich und zu eindimensional gewalttätig agieren die Biophage, als dass man als Spieler in irgendeinem Moment darüber nachdenken würde, dass womöglich jemand umgebracht wird, der es nicht verdient hätte. Und dennoch ist eine Sache hervorzuheben, die entgegen zu „Dead Space“ qualitativ das Spiel auf eine andere Ebene heben könnte: Sofern die Entwickler Munition konsequent noch stärker rationieren, sodass der Spieler zwangsläufig auf Tuchfühlung mit den Gegnern gehen muss, verstärkt es den Horroraspekt erheblich. Nahkämpfe sind riskanter, verlangen mehr Mut und Geschick und womöglich viel schnellere Reaktionsfähigkeiten. Daraus würde – sofern es priorisiert von den Entwicklern bespielt wird – ein Level an Unbehagen initiiert, das das Grauen eines „Dead Space“ nochmals übertrumpfen könnte. Setzt „The Callisto Protocol“ hingegen den Nahkampf nur als Option, so könnte das Spiel zu einem recht trägen Spielspaß verkommen, ohne eindringlich zu wirken. „Dead Space 3“ (Visceral Games, 2013) bewies immerhin, dass zu actionlastige Schießereien komplett ersticken, was menschlichen Horror triggert: Es fehlte die Unberechenbarkeit, Unsicherheit, Intransparenz und Alternativlosigkeit des eigenen Tuns, weil zu viele Schusswaffen zu viele (sichere) Handlungsoptionen ermöglichten.