Rue Valley Zeitzyklen zeitig zerfasern

Hannes Letsch11 Minuten Lesezeit

Übersicht
Emotion Spark Studio, 2025

Es ist öfters diffizil, ein hauptsächlich narratives Videospiel zu diskutieren, ohne es sofort uninteressant werden zu lassen. Wenn die Geschichte im Grunde das Spiel ist, aber gleichsam sichergestellt werden soll, dass beim Durchlesen eines Beitrags nur mehr eine Überprüfung der Passung zu den persönlichen Spielvorlieben möglich werden soll, dann beginnt ein Schleichen um den sprichwörtlichen heißen Brei. Eugene Harrow ist der Name des spielbaren Protagonisten, der in einer Zeitschleife in einer kleinen, heruntergekommenen Siedlung namens Rue Valley gefangen ist. Die Optik es Videospiels entspricht dem psychischen Zustand Harrows, der anfangs überhaupt keine Lust auf seine Therapiestunden hat. Die Idee seines Aufenthalts ist es, abgeschottet vom Rest der aufmerksamkeitsbindenden Welt sich auf sich selbst konzentrieren zu können. In dieser Isolation soll in Gesprächen mit Harrows Therapeuten Doktor Finck ergründet werden, warum es ihm so schlecht geht, woher die Niedergeschlagenheit herrührt und wie dem Ganzen beizukommen ist.

So sitzt der Spieler in der immer gleichen Therapiestunde, gefangen in demselben 47-minütigen Loop. Dieser startet mit dem Ende der besagten ersten Therapiestunde und endet mit einer Art Explosion, die sich in der Ferne ereignet und das Bild ähnlich eines sich langsam aufbauenden Blitzes aufhellt. Folglich hat man sich mit dem Gemütszustand und den zugehörigen Gefühlen der eigenen Spielfigur auseinanderzusetzen. Weil man gleichsam verschiedene Ziele während der Zeitschleife bewältigen muss, rutscht man zusehends in die Rolle eines zweiten Therapeuten, der laienhaft versucht, den reaktiv-trägen Harrow in vielversprechende Richtungen zu drücken oder zu lauern, um „endlich“ diese zusehends nervende Zeitschleife für beendet erklären zu können. Dabei lernt man im Wesentlichen zu beobachten. Dadurch erlangt man Wissen darüber, auf welchen Wegen ein Entkommen möglich sein könnte. Die Entwickler drücken diese Spielidee in unterschiedliche Richtungen, nahe an die Grenze des Funktionierenden. Immerhin sind circa zwölf Stunden zu investieren, ehe man sich zufrieden zurücklehnen kann, weil Harrow die Zeitschleife nicht nur beherrschen lernte, sondern aus dieser schlussendlich … nun, besser gesagt: Die Reise ist das Ziel.

Rue Valley Release Trailer
Owlcat Games, YouTube, 2025

Während man sich zusehends damit arrangiert, die Zeitschleife als widerspenstigen Antagonisten zu begreifen, lernt der Spielende eine ganze Reihe verschiedener Charaktere kennen, die die Stadt Rue Valley ihr Zuhause nennen. Das zugehörige, im Hintergrund wabernde Sozialgefüge wird durch klassisches Point and Click aufgedeckt. Was Harrow im Loop hält, wird nebenbei eingefangen. Ein Großteil der Geschichte und des Spielens besteht daraus, aufmerksam qua Beobachtung zu dechiffrieren, was die Entwickler mühselig und gekonnt miteinander in einem zunächst unüberschaubaren Knäuel verknotet haben.

Emotion Spark Studio, 2025

Überraschenderweise gelingt es Emotion Spark Studio, dieses leicht zu überladende Spielkonzept in seiner Gesamtspielzeit kompakt zu halten. Zur Mitte der Spielzeit schlich sich beispielsweise öfters eine Besorgnis ein, dass die Komplexität der Charaktere und das resultierende Sozialgeflecht noch duzende langatmige Stunden verbraten könnten, ehe man zum Spielende gelangen würde. Die Vielschichtigkeit der Interaktionen zwischen Harrow und den verschiedenen Charakteren oder deren Dialogen und Verbindungen untereinander sind nicht zu unterschätzen. Es war spannend, nicht nur den Protagonisten, sondern auch die Lebensentwürfe anderer lebender wie nicht mehr anwesender Einwohner Rue Valleys kennenlernen zu dürfen. Aus dieser Perspektive speist sich maßgeblich die Immersion des Spiels. Es bedeutet, dass „Rue Valley“ sich ohne Neugier schnell verschließt. Was womöglich zu Beginn noch einen leicht kompetitiven Anstrich haben kann, indem man sich darauf konzentriert, den Antagonist „Zeitschleife“ möglichst effizient zu bezwingen, entpuppt sich langsam, fast schon paradoxerweise als ein nebenbei zu bezwingendes Hauptziel.

Emotion Spark Studio, 2025

Ein zweiter Gegenspieler, der weniger Spielmechanik, sondern mehr Geschichtstiefe bedeutet, ist das Unternehmen „Coral Destiny“, das im Bereich der Raumfahrt forscht und der wesentliche Arbeitgeber der Region ist. Die meisten haben entweder für Coral Destiny gearbeitet oder sind in einem damit verbandelten Unternehmen beschäftigt. Kurzum: Coral Destiny hat einen großen Einfluss darauf, was in Rue Valley passiert. Das Herausschälen zugehöriger Zusammenhänge respektive das Lüften der Geheimnisse der von Coral Destiny mitgestalteten Spielwelt sowie der Personen, mit denen man in Kontakt kommt, bilden den Großteil des Narrativs. Wer sich gerne in eher vorgefertigte Haupthandlungslinien (ent)führen lässt und bereit ist, diese engstirnig zu verfolgen, wird belohnt. Beispielsweise wird recht schnell eine Person kennengelernt, die scheinbar nach dem Abspulen der allerersten Zeitschleife aus dieser verschwindet. „Rue Valley“ wirft dem Spielenden kleine interessante Vorkommnisse, teilweise eher sublim aber eben teilweise auch recht offenkundig entgegen, um ein Weiterspielen qua Neugier zu provozieren.

Emotion Spark Studio, 2025

Ein weiteres Beispiel bilden Intrigen, in die man sich vertiefen kann. Vieles hat seinen Preis, auch die Neugier, Intrigen aufzudecken. Das gilt sowohl für den Protagonisten im Spiel als auch für den Spieler vor dem Bildschirm in Form langsam reißender Geduldsfäden, denn im Hintergrund schwebt unnachgiebig der ernstzunehmende psychologische Zustand Eugene Harrows, der in viele nicht gewollte Richtungen zielt und damit gegenläufig zum Spielerwillen wirkt. Die Befindlichkeiten des Protagonisten spielen öfters mit einem, als dass sie hilfreich in die gleiche Richtung des Spielers unterstützend wirken. Das heißt: Das große Rätsel der Stadt Rue Valley ist das eine, das Rätsel der Psyche Harrows das andere. Löblicherweise ist bei dieser Fülle an Herausforderungen die Geschichte gut rhythmisiert. Das bedeutet auch, dass sich die Entwickler ab und an trauen, absichtlich langweilig gestaltete Szenen ohne Effektgewitter einzubauen.

Der Spieler, Eugene Harrow und die anderen

Kaum etwas ist auf direktem, antizipiertem Weg erreichbar. Umwege, Alternativen und Unvorhergesehenes zwingen zu Geduld, Reflektion und einer gewissen Umsichtigkeit bis Gleichgültigkeit, was als nächstes passieren könnte. In diesem Zusammenhang wird „Rue Valley“ kurzzeitig sogar zu einem kleinen Experiment vor dem Bildschirm, das die Frage beantwortet, wie sehr es mit der eigenen Konzentration, Motivationslage und Fähigkeit, Geduld immer wieder aufbringen zu können, bestellt ist.

Emotion Spark Studio, 2025

Der Eindruck, trotz des skizzierten Wirrwarrs voranzuschreiten, wird durch einige Spielmechaniken visualisiert beziehungsweise erfahrbar: Ohne große Komplexität und mehrstufige Einstellungsmöglichkeiten wird zu Beginn des Spiels die anfängliche Persönlichkeit Harrows anhand von Entscheidungs-, Sozial- und emotionalen Fähigkeiten festgelegt. Eine begrenzte Anzahl an Persönlichkeitspunkten werden vergeben, um zwischen den Polen Impulsivität und Überlegtheit, Extra- und Introversion, sowie Feinfühligkeit und Gleichgültigkeit graduell zu entscheiden. Der Clou ist, dass es weder ein Richtig oder Falsch gibt. Das Profil bestimmt, in welcher Art und Weise verschiedene Gesprächsoptionen versperrt oder ermöglicht werden. Im Vergleich zu anderen Videospieltiteln, die damit eher Entscheidungsfülle vorgaukelten, ist die Definition der Persönlichkeit Harrows zu Beginn des Spiels wichtig, weil die resultierende Statuseffekte (psychologischer Zustand Harrows) zumindest den anfänglichen Spielverlauf maßgeblich mitbestimmen. Dass im Spielverlauf die anfangs gesetzte Persönlichkeit immer weniger Einfluss auf diesen ausübt, ist einerseits prozessual gedacht nachvollziehbar, andererseits aber auch etwas enttäuschend und womöglich einer ansonsten nicht zu überschauenden Designkomplexität geschuldet.

Emotion Spark Studio, 2025

Sobald das Spiel startet, werden die vorab getätigten Profileinstellungen mit dem Narrativ verknüpft. Absichten und Denkweisen der verschiedenen Personen sollen als Spielfortschrittsmarker in einer Art Zusammenhangspuzzle gelöst werden, um für sich Transparenz zu schaffen, was eigentlich in dieser sich ständig wiederholenden Zeitschleife (sozial) vor sich geht. Hierfür können grundsätzlich Informationen über Situationen, in denen man sich befindet und über den Austausch mit einzelnen Charakteren zu Interpretationen Harrows spielmechanisch umgemünzt werden, um Motivlagen sichtbar werden zu lassen. Was im ersten Moment nach einer Art Detektivspiel klingt, ist tatsächlich eine spielmechanische Abbildung dessen, was das soziale Wesen Mensch außerhalb einer fiktionalen Spielwelt tagtäglich automatisiert leistet. In „Rue Valley“ übersetzen sich die aufgedeckten Absichten in konkrete Spielziele, auch, weil Eugene Harrow Motivlagen stets interessant beäugt. Und da er sich „urplötzlich“ für die abgebildeten Sinnzusammenhänge interessiert, eröffnen sich bisher nicht anklickbare Dialog- und Interaktionsoptionen. Daher symbolisieren die dargestellten Motivlagen den fortschreitenden Prozess im Spiel.

Die Zeit tickt: 47 Minuten stehen bereit, um herumzulaufen, sich mit Personen zu unterhalten und so weiter. Der Haken hierbei ist, dass die Zeit nur dann vergeht, wenn ein Dialog eingegangen oder die Zeit gezielt mit einer zeitraubenden Aktivität (z.B. Spielen am Smartphone oder Ähnliches) verbrannt wird. Ansonsten steht es dem Spieler frei, unbedrängt zu explorieren. „Rue Valley“ bietet verschiedene Orte an, die gewiss nicht nur einmal besucht werden. Die Reise zwischen diesen Leveln kostet Zeit. Es steht einem offen, ob dies zu Fuß oder mit dem eigenen Auto passieren soll, zumal naiv gedacht es zu Spielbeginn nahe lag, sich einen fahrbaren Untersatz zu besorgen, um damit der Zeitschleife, die womöglich mit der Örtlichkeit in Verbindung steht, zu entkommen.

Rue Valley Personality Feature Trailer
Owlcat Games, YouTube, 2025

„Rue Valley“ ist in Summe im Kern ein sehr simples Videospiel: Man läuft zwischen verschiedenen Orten hin und her, tauscht sich aus, impliziert Absichten sowie zugehörige soziale Netzwerke und versucht dieses Wissen zu verwenden, um weitere Bereiche des Spiels freizuschalten. Das Sammeln von Hinweisen, um Einsichten in die Persönlichkeiten anderer und deren Aktivitäten zu erhalten, oder das geduldsame Beobachten ergänzen. Dass Eugene Harrow dabei nicht nur legal operiert, versteht sich. Die Verquickung der Spielelemente ist das Hervorzuhebende.

Die Geschichte funktioniert als ein mit Dilemmata gespicktes Rollenspielgebilde. Probleme zu lösen ist der Standard. Die Varianz der Problemstellungen garantiert eine Rhythmisierung, sodass Eugene Harrow nicht fortwährend durch die gleiche narrative Suppe schwimmen muss. Das Wesen einer Zeitschleife kann den Eindruck erwecken, dass sie dazu gedacht sein könnte, die Zeit Harrows absichtlich verschwenden zu müssen, um voranzuschreiten. Darin schlummert im Übrigen ein spielerisches Risiko in Form eines Frustrationsmoments, das Spielspaß negiert. Deshalb sei es an dieser Stelle darauf hingewiesen, immer wieder zu hinterfragen, ob das, was man gerade in „Rue Valley“ unternimmt, derart gespielt sinnig sein könnte oder nicht. Emotion Spark Studios Werk wird in seiner absichtlich repetitiven Mechanik immer wieder dazu verleiten, die eigene Zielstrebigkeit zu untergraben, sodass nicht nur Eugene Harrow im Spiel, sondern auch die Person vor dem Bildschirm Gefahr läuft, Zeit zu verbrennen. Listigerweise ist dieses in einigen Fällen sogar zielführend, in anderen aber wieder fast gänzlich kontraproduktiv. Die Aufgabe, herauszufinden, wann es sich lohnt zu warten respektive die Zeit gestalten zu lassen, ist eine Herausforderung, wenn nicht sogar mit einem wissenden Schmunzeln formuliert die Aufgabe von „Rue Valley“. Man wird sich dabei ertappen, die eigenen Vorstellungen auf das Geschehen zu projizieren. Selbsterkenntnis resultiert im Zweifeln und neugierigen Verfolgen der eigenen Vorstellungen: Im Fall Eugene Harrows passiert dies in einer visuell wie auditiv schön gestalteten, bedrohungs- beziehungsweise angstgeplagten Hölle.

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