Eher versteckt in Halle 10.2 der Gamescom 2022, in der sogenannten Indie Arena, war ein eher düster ausgestalteter, kleiner Stand zu erkennen, der ein Spiel auf ein paar Laptops und einem großen Bildschirm präsentierte. Allein optisch jonglierten die Gestalter des Standes mit gezeichneten Illustrationen, die politisch gesellschaftlich immer noch ordentlich Sprengstoff beinhalten: der Nationalsozialismus. Unter den Booth Mitarbeitern war auch Mona Brandt, Lead Designerin bei Paintbucket Games, die mehr zum präsentierten Spiel namens „The Darkest Files“ berichten konnte.
Wer spricht hier eigentlich?
Mona Brandt ist Lead Game Designerin beim Berliner Spieleentwickler Paintbucket Games. Das Studio setzte mit seinem Debüttitel, dem antifaschistischen Strategiespiel „Through the Darkest of Times“, einen Meilenstein in der Debatte um Computerspiele als erinnerungskulturelles Medium und entwickelt auch mit nachfolgenden Titeln bewusst politische Spiele gegen Menschenfeindlichkeit. Mona studierte an der Filmuniversität Babelsberg sowie dem Cologne Game Lab, wo sie unter anderem zu Videospielen in der Holocaust Education forschte. Vor ihrem Wechsel zu Paintbucket Games im Herbst 2021 war sie Projektleiterin der Initiative „Erinnern mit Games“ der Stiftung „Digitale Spielekultur.“
Kim Sofer Matthias Es gibt hier auf der Gamescom 2022 regen Zulauf. Euer Stand in der Indie Arena Booth ist ordentlich besucht. Gibt es dafür einen Grund oder besser gefragt, was vermutest du, warum das so ist?
Mona Brandt Ich denke, dass das Spiel eine Thematik abdeckt, die bisher in Videospielen so noch gar nicht vorgekommen ist. Sicherlich ist der Nationalsozialismus an sich interessant. Allerdings: Die 50er und 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts diesbezüglich zu betrachten, das heißt die Aufarbeitung dessen, wurde derartig noch nicht thematisiert. Zu beleuchten, wie wir in Deutschland diese Herausforderung angegangen sind, was in den 1950er und 1960er Jahren aufgearbeitet oder eben gerade nicht aufgearbeitet wurde, ist das große Thema, dem wir uns gewidmet haben. Ich könnte mir zusätzlich vorstellen, dass ein „Detective Adventure“ als Videospiel selten ist, vor allem, wenn es wahre Verbrechen als Grundlage hat. Jeder Fall in „The Darkest Files“, den man als Spieler ermittelt und lösen muss, ist tatsächlich ein Verbrechen, das stattgefunden hat und an deutschen Gerichten verhandelt wurde.
Kim Sofer Matthias Das Thema ist ein heißes Eisen. Es ist definitiv etwas anderes als „L.A. Noire“ (Rockstar Games, 2011) oder Ähnliches, weil es doch ein Stück weit Geschichtsbearbeitung ist. Wie habt ihr das recherchiert?
Mona Brandt Es gibt tatsächlich viele Gerichtsakten, die man online kostenlos einsehen kann. Wir wälzen uns viel durch diese Akten. Unser erstes Spiel war „Through the Darkest of Times“ (2020) für das bereits viel Recherche mit ZeitzeugInnen betrieben wurde. Zusätzlich haben wir uns mit Rechtsanwälten und Historikern besprochen und natürlich wurden auch Betroffene von uns kontaktiert.
Kim Sofer Matthias Wie schwer war es denn für dieses Projekt eine Förderung zu bekommen?
Mona Brandt Mit „Throught the Darkest of Times” wurde bereits eine Menge an Vorarbeit geleistet. Es entstand dadurch ein gewisses Grundvertrauen, dass wir dieses Thema auch verantwortlich in ein Videospiel umsetzen können. Deswegen war es bei diesem Projekt deutlich einfacher als beim ersten. Wir werden vom Medienboard Berlin-Brandenburg gefördert und bekommen auch Bundesförderung. Damit wir das Spiele aber auch komplett umsetzen können, suchen wir noch einen Publisher.
Kim Sofer Matthias Was zieht uns in die Immersion hinein, worum geht es in diesem Spiel?
Mona Brandt Wir spielen dieses Mal eine junge Staatsanwältin. Unser Chef ist Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, eine historische Persönlichkeit; eine sehr faszinierende Figur, wie ich finde. Er scharte in den 1950er Jahren ein junges Team an Anwälten um sich, um sicherzustellen, dass keines der Teammitglieder eine nationalsozialistische Vergangenheit besaß. Dementsprechend waren alle in der Regel um die 30 Jahre alt. Mit diesem Team fing er an Verbrechen, die im Nationalsozialismus passiert sind, zu verfolgen und die Schuldigen vor Gericht zu stellen. Wir spielen eine fiktive Figur, die wir uns ausgedacht haben. Sie arbeitet in Bauers Team und bekommt von ihm regelmäßig neue Fälle serviert. Das Spiel ist eine Art „Detective Adventure“ in einer 3D-Umgebung. Wir untersuchen Fallakten, müssen Rückschlüsse ziehen und natürlich Zeugen und Zeuginnen befragen. Schlussendlich gehen wir vor Gericht und versuchen die richtigen Beweise vorzubringen, um die Schuldigen dann auch möglichst zu überführen.
Kim Sofer Matthias Das heißt, wenn man keine richtig gute, handfeste Beweisführung hat, dann kann das auch scheitern?
Mona Brandt Als Staatsanwältin müssen wir versuchen so viele Beweise wie möglich vorzubringen, sodass die Schuldigen, die auf der Anklagebank sitzen, auch diejenigen sind, die dafür verantwortlich gemacht werden können. Wir verteidigen die Angeklagten nicht, sondern versuchen die Personen „dingfest“ zu machen. Der Spieler muss sich überlegen, wie man Verbrechen gegen die Menschlichkeit bestrafen und beweisen kann. Vor allem dann, wenn jeder nur behauptet, Befehle von oben erhalten zu haben. Wer ist also verantwortlich und wie kann man das rechtlich ordentlich behandeln?
Kim Sofer Matthias Nun kommt man wahrscheinlich auch in solchen Fällen mit zwischenmenschlichen Dramen in Konflikt. Dürft ihr beispielsweise den Namen „Fritz Bauer“ und auch die Person einfach so verwenden?
Mona Brandt Dazu haben wir uns sogar von einem Rechtsanwalt beraten lassen: Solange Fritz Bauer als öffentliche Figur gezeigt wird, kann man das machen. Leider sind auch – soweit wir das nachvollziehen konnten – keine Angehörigen von ihm mehr am Leben. Er selbst hatte keine Kinder, war starker Raucher und ist bereits 1968 verstorben.
Kim Sofer Matthias Das klingt fast nach einer Netflix Serie, was du mir gerade vorstellst. Was hat dir denn als Teil des Entwicklerteams während der Entwicklung thematisch am meisten zugesetzt?
Mona Brandt Das ist eine schwierige Frage. Das, was das Spiel behandelt, war auch damals schon ein Verbrechen. Sicherlich stellt sich die Frage, was denn eigentlich Verbrechen in einem Krieg sind; viele kennen wahrscheinlich in diesem Zusammenhang den Begriff des Kriegsverbrechens. In jedem Fall ist es aber so, dass das, was wir ins Spiel integrieren, schon damals als Verbrechen gewertet werden muss. Was aktuell etwa in der Ukraine passiert, zeigt immer wieder Parallelen auf. Man fragt sich oft, wie und ob man es hätte vermeiden können. Auch hier – im Aktuellen – fragt man sich, wie man so etwas rechtlich behandeln kann. Kann man dafür belangt werden und vor allem, wie?
Mona Brandt Mir persönlich hat am meisten wehgetan zu sehen, dass die damalige Justiz immer noch „tiefbraun“ war, weil alle Juristen und „Altnazis“ im Nationalsozialismus gelernt, gelebt und gerichtet haben. Den Justiz-Apparat konnte man allerdings nicht einfach austauschen. Das Interesse war zusätzlich eher gering, die ehemaligen Kolleginnen und Kollegen zu verurteilen. On-top wurden Geschädigte in den 1950er und 1960er Jahren immer noch nicht als Opfergruppe anerkannt. Homosexualität war immer noch illegal, was dazu führte, dass man auf Justizebene diese Personen nicht als Opfer respektierte. Das Gleiche galt für Sinti und Roma. Sowas zu lesen ist sehr berührend.
Mona Brandt Die Erinnerungskultur, die wir heute haben, gab es damals nicht. Ich denke, dass popkulturelle Medien dazu einen wichtigen Beitrag leisten können. Wenn man sich etwa „Shoa Education“ oder „Holocaust Education“ anschaut, dann ist nach Adolf Hitler Oskar Schindler die berühmteste Person des Holocaust, weil er durch den Film von Steven Spielberg namens „Schindlers Liste“ (1994) eine große Reichweite erfahren hat. Auch er, Schindler, ist eine ambivalente Person. Ich denke, dass dadurch, dass „Schindlers Liste“ der allererste Film dieser Art war, man einige Fehler begangen hat, die man heute so wahrscheinlich nicht mehr wiederholen würde.
Mona Brandt Als Videospielentwickler sind wir beispielsweise im Vergleich zum Film noch nah am Anfang. Dass in Deutschland Hakenkreuze und andere nationalsozialistische Symbolik in Spielen gezeigt werden dürfen, ist noch gar nicht lange her. Aber ich glaube und hoffe, dass wir als Branche irgendwann dort hinkommen, dass Videospiele wie Filme ordentlich thematische Schwungmasse erzeugen oder zumindest für das Thema sensibilisieren können, was passiert und passierte. Es geht womöglich in eine Richtung, die zeigt, dass in dem Moment, in dem man selbst handelt, ein gänzlich anderer, persönlicher Bezug zum Thema entsteht. Höre ich oder lese ich es „nur“ in der Schule, ist eine gewisse Distanz immer noch gegeben.
Kim Sofer Matthias Inwieweit seid ihr denn an das Bildungswesen dann angeschlossen?
Mona Brandt Das Interesse ist enorm. Wir bekommen fast täglich Anfragen von Lehrkräften aus der gesamten Bundesrepublik, die gerne unser erstes Spiel für den Unterricht einsetzen möchten. Sie fragen nach Schullizenzen, die leider nicht so einfach zu bekommen sind. Bisher gibt es keinen Präzedenzfall, der die Abwicklung beziehungsweise die Erstellung einer Schullizenz für ein Videospiel beschreibt. Zusätzlich sind die Schulen nicht technisch ungefähr vergleichbar gut ausgestattet. Meine Erfahrungen durch Workshops an Schulen in Berlin und Brandenburg zeigten mir, dass einige Schulen mit High-Tech operieren, während andere nur mit klassischen, veralteten Overheadprojektoren arbeiten. Die Voraussetzungen sind noch nicht gegeben, dass alle Schüler aber 12 Jahren die Chance haben, solch ein Spiel kennenzulernen. Ich könnte mir vorstellen, dass deshalb beispielsweise Verlage eher noch zögern.