In weniger als zwei Wochen verkaufte sich „Horizon: Zero Dawn“ mehr als 2,6 Millionen Mal. Guerilla Games PlayStation 4 exklusiver Titel scheint allen Bedenken zum Trotz sofort solide und ohne Probleme all jenes abzuliefern, was man sich vorgenommen, erwünscht oder erträumt hatte. Die Tatsache, dass eine neue IP ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit Veteranen der Open-World Szene nicht scheuen muss, ist immer beeindruckend. Vor allem dann, wenn man bedenkt, dass im Triple-A Olymp der Videospielindustrie Fortsetzungen die gängigen Praxis sind, neue IPs hingegen als äußerst risikobehaftet angesehen werden. Allein deshalb sollte man als Videospielaffiner froh darüber sein, dass „Horizon: Zero Dawn“ entwickelt wurde. Allerdings gibt es noch mehr Aspekte, die die Industrie lernen sollte, sie höchstwahrscheinlich aber ignorieren wird.
Erschienen am
28. April 2017
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Neue Ideen sind kein pures Risiko
Erstens: Jedes Mal, wenn eine neue IP kommerziell durchstartet, ist es ein weiterer Schlag gegen Aussagen einer Vielzahl von Analysten und Führungskräfte, die momentan der Auffassung sind, dass originelle Charaktere, Welten und Geschichten am Markt nicht durchsetzbar seien. Genauso wie Hollywood, scheint man zurzeit schier blind überzeugt davon zu sein, Fortsetzungen, „Reboots“, „Soft Reboots“ und „Remasters“ zu veröffentlichen. Obwohl es bereits genug Beispiele, das heißt Belege, dafür gibt, dass neue Ideen erfolgreich sein können, wenn man sie nur richtig vermarktet, zögern Publisher, wenn es um Neuheiten geht. „Horizon Zero Dawn“ beweist, dass selbst hohe finanzielle Risiken sich auszahlen können.
Bewährte Ideen sinnig(er) eingesetzt
Zweitens: „Horizon: Zero Dawn“ ist eines jener „Open-World“ Spiele, das auf den ersten Blick genau in die Fallen schliddert, die solche Spiele so generisch, aufgesetzt und langweilig erscheinen lassen. Auf Karten verteilte Quests ohne die Karte selbst als Element für Spielmechaniken zu verstehen, Sammelstücke ohne wirkliche Spielinhalte, wie die bereits aus „Far Cry 3“ (Ubisoft, 2012) bekannten Radiomasten, gegnerische Lager, die man stumpf ohne Mehrwert abgrast und so weiter und so fort. Viele dieser Elemente verlangen nicht nur eine technische Umsetzung, sondern müssen handfest, nahtlos in Handlung wie Spielgeschehen integriert werden.
Der klein wirkende aber immens wichtige Unterschied ist, dass es Guerilla Games verstand, die erwähnten Elemente in eine Welt zu implementieren, die nicht einfach durch ihre Größe bestechen will, sondern nach der Dichte an Erkundbarem austariert ist. Von verschiedenen Biomen beziehungsweise Ökosystemen über diverse, komplett in Kultur und Lebensstil ausgearbeiteten Völker bis hin zu den populären Maschinen, die für sich gesehen jeweils kleine Quests wegen ihrer spielerischen Diversität sind, bietet das Spiel genau das, was Ubisofts Werke in den letzten Jahren verlernt haben. Selbst die ansonsten als eher nervig empfunden Aussichtstürme, die als laufende, riesige Robotergiraffen (Tallnecks) Wüsten, Gebirge und Dschungel durchstreifen, sind interessant, weil sie nicht ständig auf die gleiche Art und Weise zu erklimmen sind, sondern jeweils eine etwas andere Herangehensweise vom Spieler einfordern. Sammelbare Gegenstände sind nicht hundertfach auf der gesamten Karte zerstreut, um das Alter Ego namens Aloy mehr oder weniger grundlos zu beschäftigen. Selbst die verschiedenen Ganovencamps haben ihren Teil in der Geschichte und fügen weitere Sichtweisen auf die gesamte Spielwelt hinzu.
„Horizon: Zero Dawn“ versteht nicht nur das Konzept „Open-World“, es setzt das Wissen auch richtig um, sodass man sich seit längere Zeit mal wieder die zeitfüllende Frage stellt, ob es sich nicht doch lohnen würde, alles im Spiel zu erkunden, bis die „100%“ in den Spielstatistiken erscheint. Nebengeschichten sind ausreichend detailliert gestaltet und in die Welt eingewoben, das heißt sie sind nicht jene generischen Füllelemente, wie sie etwa Ende 2016 in Square Enix‘ „Final Fantasy XV“ dem Spieler förmlich entgegengeschmissen wurden.
Genauso löblich ist, dass Guerilla Games einige Aspekte konsequent aus dem Spiel ausgeschlossen hat, anstatt dem gängigen Triple-A Hauptstrom zu folgen: Das Spiel besitzt keinen Shop, beinhaltet somit keine Mikrotransaktionen – auch nicht für Kosmetisches. Stattdessen belohnt das Spiel einen, wenn man einen neuen Händler auf der Karte entdeckt mit zusätzlichen Sammlerkisten, die man nach dem bekannten „Loot“-Konzept öffnen kann, um diverse Rohmaterialien zu erhalten. Keine Währung außer Maschinensplitter, die man hauptsächlich durch das Erlegen von Maschinen sammelt, wird eingeführt, keine Premium-Inhalte, keine DLCs oder sonstiges. Allerdings konnte man wohl nicht gänzlich widerstehen und baute einige Vorbestellerboni ein, die entweder rein kosmetischer Natur sind oder durch einfach zu erwerbende Alternativen deklassiert werden können - es ist jedenfalls kein „Augment“ namens „Vorbestellersystem“.
In einer Zeit in der viele hochrangige Publisher fast jedes noch so kleine Zusatzelement eines Spiels monetarisieren, ist das Konzept aus Amsterdam erfrischend konservativ: Es gibt das Spiel zu einem festen Preis und das war es – keine weiteren Investitionen sind nötig, um das volle Spiel zu genießen. Im Übrigen gibt es nicht einmal einen Season Pass, der genauer betrachtet, wenig Sinn für einen kritischen Käufer macht, weil man für Inhalte bezahlen soll, die zum jeweiligen Zeitpunkt gewiss nicht fertiggestellt wurden, ab und an noch nicht einmal seitens der Entwickler in Gänze durchdacht sind. Leider fand die Idee des „Season Pass“ Gehör, sodass mittlerweile nahezu alle großen Publisher solche zusätzlichen Kaufoptionen anbieten, egal ob es für das Spiel sinnig ist oder nicht. Es ist überraschend, was „Horizon Zero Dawn“ bisher alles ausschlug, dabei das Meiste davon zwar jüngere aber mittlerweile gängige Praxis ist.
Zwei Wochen nach Veröffentlichung wurden die ersten zarten Hinweise für Erweiterungen bekannt gegeben. Allerdings wurde nur bestätigt, dass man daran arbeitet; ohne Angaben zu Preis und Veröffentlichungsdatum. Es scheint so, als ob Guerilla Games tatsächlich zuerst ein vollwertiges, lückenloses Spiel entwickelt hat, es anschließend veröffentlichte, um sich danach Gedanken um das weitere Vorgehen zu machen – CD Red Projekts „Witcher 3: The Wild Hunt“ und dessen folgende Erweiterungen „Hearts of Stone“ und „Blood and Wine“ lassen grüßen.
Guerrilla Games Stärke
Drittens: Guerrilla Games Werk ist trotz der opulenten Grafik auf technischer Ebene eine positive Überraschung. Die Kurzfilme, die beispielsweise Ende 2016 während der Neuvorstellung der PlayStation 4 Pro gezeigt wurden, boten optischen Detailreichtum, der eher nach hohlen Versprechungen klang – ein „Downgrade“ wurde von einigen Skeptikern erwartet. Die im Vorfeld gezeigten Szenen sind ohne Abstriche im Spiel zu finden, soweit hielt Guerilla Games Wort. DigitalFoundary analysierte besser als viele andere der Fachpresse, ob die vorweggenommene Kritik wirklich gerechtfertigt war:
Klischees brechen meint Stellung beziehen
Viertens: Wie festgefahren die Ansichten der Marketingabteilungen einiger großen Publisherhäuser zu sein scheinen, zeigen viele Beispiele, die die letzten Jahre durch die Magazine und Webseiten gepeitscht wurden. Eines der herausragenden Beispiele ist die Kontroverse um das langweilige Cover von „Bioshock Infinite“ (Irrational Games, 2013). Der dargestellte 0-8-15 Mann mit Schrotflinte dürfte vielen Anhängern immer noch im Gedächtnis sein. Die Ausrede seitens des Publishers, die Hauptperson Elizabeth auf die Rückseite zu verbannen, sollte ebenfalls nicht vergessen sein, war sie doch so seltsam und gänzlich ausflüchtig, dass manch einer begann, sich die Haare zu raufen:
I wanted the uninformed, the person who doesn’t read IGN … to pick up the box and say, okay, this looks kind of cool, let me turn it over. Oh, a flying city. Look at this girl, Elizabeth on the back. Look at that creature. And start to read about it, start to think about it.
– Ken Levine (Wired, 2012)
Die seltsame Argumentation seitens Levine, die spürbar versuchte die Wogen zu glätten, zeigt die Unsicherheit, die unter einigen Publisher grassieren zu scheint, wenn man nicht auf Altbewährtes zurückgreift. Zusammen mit Sony beweist das Team aus Amsterdam, dass nicht nur Männer mit Flinten Verkäufe ankurbeln können, denn 2,6 Millionen verkaufte Exemplare in zwei Wochen sind eine Hausnummer, egal welches Spiel es auch sein mag. Wer ein düsteres Setting erschafft und dabei gefühlt das gesamte Farbspektrum aushebt oder ein neuartiges Verständnis von Kämpfen als Miniquests vorstellt, fügt dem Spielemarkt Diversität hinzu und falsifiziert gleich nebenbei jene Indstruiestandards, die im Moment wie ein Mantra ohne Reflexivität gepredigt werden. Jegliche Art von Spiel, die die Möglichkeiten des Erfolgs erweitern, ist begrüßenswert.
Die alten herumgeisternden Marketingweisheiten, dass Videospiele mit weiblichen Protagonisten nur halb so profitabel seien wie diejenigen, die auf männliche Hauptrollen setzen, erschienen bizarr und fußten – so zumindest die Quellenlage – auf keinen handfesten, das heißt stabilen Erkenntnissen. Der zumeist verschwiegene Aspekt, dass Spiele mit Protagonistinnen auch nur halb so viel Martketingbudget im Schnitt spendiert bekamen, löscht die Sinnhaftigkeit der erwähnten Weisheit ob des Zirkelschlusses komplett auf. Die grassierende, mit Unsicherheiten unterfütterte Konformität lässt die Vielfalt im Spielemarkt zusehends schwinden. Spiele beginnen sich ähnlich anzufühlen, weil immer wieder auf die gleichen Spielmechaniken und narrativen Konzepte zurückgegriffen wird – nicht zu vergessen die vielen sogenannten „Reboots“, die maximal verbesserte Kopien des Originals sind. „Horizon: Zero Dawn“ wie auch das zuvor erschiene „For Honor“ (Ubisoft, 2017) sind seit längerem wieder zwei Aushängeschilder, die daran erinnern, wie die Videospielwelt beschaffen sein sollte. Federführend ist die Kreativität, selbst wenn sie von der wirtschaftlichen Sphäre und deren Logik abhängig ist, denn ohne sie erstickt der Markt in gähnendem Einerlei.