Freemium Games Wenn es ums Geld geht, ist der Spaß zu Ende

Hannes Letsch24 Minuten Lesezeit

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Das hat Blizzard Entertainment nicht gemacht! Das kann doch gar nicht wahr sein, oder doch? „Diablo Immortal“ (Blizzard Entertainment, 2022) ist letztendlich zu dem geworden, was viele Interessierte in Empörung vor einigen Jahren bereits erahnten. Aus einem „april fools‘ joke“ wurde Realität – ein Freemium Game, wie es für manch einen Twitch-Streamer nachlesbar im Buche steht. Sobald „Diablo Immortal“ veröffentlicht wurde, stürzten sich finanziell stark ausgestattete Streamer wie „Quin69“ oder „Asmongold“ auf das Spiel, um zu demonstrieren, wie „Pay to Win“ dieses Missverständnis eines Spiels doch sei. Das heißt, sie wollten durch Einsatz eigener finanzieller Mittel zeigen, wie sehr Blizzard Entertainments Smartphone-Adaption aus dem „Diablo“-Universum versucht, Geld aus den Taschen des Konsumenten zu ziehen und wie wenig wirklich durch das eigentliche Spielen erreicht und genossen werden kann. Aufhören würden sie genau dann, wenn eines der großen Zwischenziele auf dem Weg zum Aufbau des stärksten Kämpfers im Spiel erreicht worden sei. Zum Zeitpunkt des Verfassens dieses Artikels hat beispielsweise „Quin69“ bereits mehr als 15.105,22 neuseeländische Dollar (≙ 9.151,87 Euro) versenkt und ist immer noch nicht an dem selbstgesteckten Zwischenziel angekommen. Frustration, Entsetzen und Galgenhumor wechselten sich bei Quintin „Quin69“ Crawford oftmals ab, was die Zuschauer des Streamers nachlesbar amüsierte und höchstwahrscheinlich dazu führte, dass Crawford summa summarum sogar mehr Geld verdient hat, als er in „Diablo Immortal“ widersinnig für ein Experiment versenken musste.

Es muss nur der Titel „Command and Conquer: Rivals“ (EA Redwood Studios, 2018) genannt werden, schon fröstelt es die meisten Aufgeklärten quasi automatisch. Nicht nur deshalb, weil die Präsentation im vergangenen Juni der E3 2018 aus der Sicht eines Konsumenten befremdlich kalt, schablonenhaft akkurat durchgezogen wurde, sondern weil ein Spielkonzept, das in vergangenen Jahrzehnten im Bereich der Strategie einen herausragenden Ruf genoss, zu einem Mobile-Spiel ohne Strategie und Tiefgang, schlicht generisch auf die Möglichkeiten des Touchpads eingekocht wurde. Auf die Schlachtbank des spielmechanisch langweiligen Mobile-Marktes hätte EA sein Franchise gezerrt, um Investoren zu beglücken respektive zu zeigen, dass man einen großen, wachsenden Markt womöglich finanziell sträflich nicht außer Acht lässt. Blizzard scheint einzustimmen, allerdings nicht mit einer etwas angestaubten Spielidee, sondern mit der Marke „Diablo“. Blizzard spielt ein gefährliches Spiel. Eines um Nostalgie beziehungsweise bedeutsamen Erinnerungen, falschen Versprechungen und Andeutungen und seiner eigenen Anhängerschaft, die bisher durchaus artig im Sinne eines Fans den Entscheidungen hinsichtlich „Diablo“ folgten.

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Das Videospiel als reine Verkaufsplattform

Hinter Freemium Games versteckt sich ein Geschäftsmodell, das ein Videospiel in Basisversion gratis anbietet. Das Vollprodukt, Erweiterungen respektive die Möglichkeit alle Inhalte genießen zu können ist hingegen kostenpflichtig. Hinter Bezahlschranken wird meist das versteckt, was den Spielspaß nachhaltig sicherstellt. „Free-to-play“ wird als Etikett genutzt, um möglichst viele Spieler anzulocken - in der Hoffnung, dass wenn ein Interessierter anbeißt, so schnell nicht wieder loslässt, sondern sich Spielminute für Spielminute immer mehr daran emotional bindet.

Diese kaufbaren, virtuellen Güter entwickelten sich im Zusammenhang des Aufschwungs von Freemium Games zu einer neuen, für Publisher und Videospielentwickler wichtigen Konsumkategorie im Online-Kontext. Neben physischen Gütern (z.B. Elektronik, Bücher und so weiter), die digital in Online-Shops gekauft werden können, und digitalen Gütern wie Musik im MP3-Format oder Bilder als JPG-Dateien sind virtuelle Objekte wie Avatar-Kleidung, Waffen, virtuelle Möbelstücke, Währungen, Charaktere und Token-Einheiten Produkte, die nur virtuell in einer bestimmten Umgebung, das heißt dem jeweiligen Spiel, existieren (Fairfield, 2005; Hamari & Lehdonvirta, 2010). Während digitale Güter wie Musik und Fotos dupliziert werden können, sind virtuelle Güter verknappt. Das heißt, sie können nicht beliebig oft von jemandem kopiert werden. Sie werden vom jeweiligen Entwicklerteam durch Regeln reguliert, die für das jeweilige Spiel (≙ virtuelle Ökonomie) designt wurden (Fairfield, 2005; Hariviainen & Hamari, 2015; Hamari & Keronen, 2017).

„Diablo Immortal“ ist ein aktuelles, prominentes Beispiel. Der Spieler wird in den ersten zwei Spielstunden gelockt, indem schneller Fortschritt erzielt werden kann. Man gewinnt durch die verschiedenen Spielmechaniken Gefallen an Blizzards Produkt. Die emotionale Bindung zum Videospiel als Vehikel für weitere In-Game-Käufe wird etabliert. Ab circa Spielstunde drei muss der Spieler allerdings sukzessive feststellen, dass alleiniges Spielen nicht ausreicht, um den immer stärker werdenden Gegnern zu widerstehen oder in kompetitiven Mehrspielerpartien zu gewinnen. Just in diesem Moment stellt sich Blizzard Entertainments Videospiel erneut in Form eines In-Game-Onlineshops vor. Es bietet verschiedene Kaufmöglichkeiten von funktionalen Gütern (≙ Mikrotransaktionen) an, die Stärke versprechen – entweder direkt durch einen relativ teuren Kauf verschiedener virtueller Güter oder aber leicht vergünstigt durch zusätzliches Erspielen. Der Zugang zum Erspielen muss hierbei bezahlt werden und der Spieler hat keine Garantie, dass er auch diejenigen virtuellen Güter erspielen wird, die er beim Kauf sich womöglich gerne wünscht.

Kurzum: Die Level von „Diablo Immortal“ respektive Dungeons sind spielbare Lootboxen. Hinzugesellen sich soziale Güter (vgl. z.B. Lehdonvirta, 2009), die das Erscheinungsbild eines virtuellen Charakters oder Avatars verändern und im Gegensatz zu funktionalen Waren keinen Einfluss auf das eigentliche Spielen haben. Zudem wird der Konsument nach einem einzigen Kauf dazu gedrängt, immer wieder das Spiel zu spielen, denn einige kaufbare Güter besitzen ein Verfallsdatum und gekaufte Währungen oder Token-Elemente können nicht in einer Anzahl gekauft werden, sodass keine Restbestände nach Einlösung übrigbleiben.

Und wer gibt für sowas Geld aus?

Die meisten Faktoren, die sich als Prädiktoren für das Kaufverhalten bewiesen haben (persönliche Einstellung, soziale Netzwerkgröße des jeweiligen Franchise, Selbstdarstellungsbedürfnis, wahrgenommener Wert des Spiels und dessen virtueller Güter, Spielspaß und -fluss, Service-Nutzungsabsichten, Benutzerfreundlichkeit und so weiter) stehen in direktem Zusammenhang zu Aspekten des Videospiel- respektive Plattformdesigns (Hamari & Keronen, 2017). Das heißt konkret, dass die Videospielentwickler sehr genau durch ihr Design steuern können, wieviel Geld und wieviel Spielspaß zu welchem Spielstand gegeben sein soll.

Zügellosigkeit, die Möglichkeit mit anderen zu interagieren respektive zusammenzuspielen, wie auch Wettbewerbsaspekte sind ebenfalls Prädiktoren dafür, dass in Freemium Games wie „Diablo Immortal“ Geld investiert wird (Syahrivar, Chairy, Juwono & Gyulavári, 2022).

Ein Wirkungsnetz, das erklärt, wie alles miteinander zusammenhängt, kann auf Basis der Ergebnisse von Hamari, Hanner & Koivisto (2020) abgeleitet werden: Wer über Mikrotranskationen Geld verdienen möchte, sollte sicherstellen, dass das Spiel zu keinem Zeitpunkt zu viel Spielspaß bereitet, denn dieser ist negativ mit In-Game-Käufen korreliert (Hamari et al., 2020). Sicherlich stellt Spielspaß sicher, dass der jeweilige Nutzer weiterhin das Spiel konsumiert, allerdings ist es intelligenter, Vergnügen zu beschränken respektive zu portionieren, um es beispielsweise durch soziale Aspekte zu kompensieren. Die Nachfrage oder der Drang zum Kauf von virtuellen Gütern wird durch Unannehmlichkeiten im Spiel gesteigert. Spielt man mit Freunden zusammen oder ist kompetitiv eingestellt und möchte sich mit anderen messen (≙ hoher sozialer Wert des Spiels), wird sowohl das Spiel weiterhin spielen als auch Geld investieren (Hamari et al., 2020). Bezahlschranken werden zwar wahrgenommen, allerdings – weil emotionale Bindung zum Spiel besteht – verklärt. Der Kauf wird so argumentativ für sich so etikettiert, dass er für sich wie für Außenstehende nachvollziehbar erscheint. Und weil die Qualität des Freemium Service eher nebensächlich ist (Hamari et al., 2020) muss der jeweilige Entwickler sich nur bedingt Gedanken um Kaufpreise oder die Qualität der kaufbaren virtuellen Güter machen. Derartige wirtschaftliche Aspekte werden erst dann relevant, wenn die Kaufbereitschaft beim jeweiligen Nutzer bereits erhöht ist, weil über diese erhöhte Bereitschaft die weitere Nutzung des Freemium Spiels verbunden ist (Hamari et al. 2020). Wer kurz auf Basis dieser Ausführungen einen Blick auf „Diablo Immortal“ wirft, wird bemerken, dass Blizzards Werk fast perfekt auf dieses Wirkungsnetz angewendet werden kann.

Wegbleiben, ab und an spicken und wann überhaupt spielen?

Der Konsument stimmt und kontrolliert mit seinem Portemonnaie – so zumindest die weitläufige Meinung vieler Verbraucherschützer oder / und Marktbeobachter (vgl. z.B. Stehr & Adolf, 2009). Der eigentliche Kern dieser Sichtweise ist Immanuel Kants Idee, dass kein Mensch sich als moralisch unabhängig deklarieren kann. Wenn etwas für sich selbst akzeptabel ist, dann ist dieser Umstand auch für andere moralisch akzeptabel und umgekehrt. Das heißt, dass ein Regelwerk nicht exklusiv für sich selbst gilt, während für andere Menschen ein anderes anzuwenden ist. Der Umgang miteinander muss somit rational verallgemeinerbar sein (Kant, 1785). Und wer dies nicht respektiert soll nach Argumentation von Verbraucherschützern durch ausbleibende Einkünfte sanktioniert werden.

Die Vorstellung, dass Menschen fair behandelt werden müssen, führt unweigerlich zu einer anderen Betrachtungsweise ethischer Verpflichtungen, nämlich dass Menschen bestimmte Arten der Behandlung sich gegenseitig schulden – allein aufgrund dessen, weil sie Menschen sind (Neely, 2019). Es ist somit insbesondere falsch eine Person als Mittel zu benutzen, um zu bekommen, was etwa ein Entwickler möchte, ohne darüber nachzudenken, was der Konsument selbst will. Genauer: Menschen können nicht einfach als Mittel zum Zweck behandelt werden – sie haben einen intrinsischen Wert (Neely, 2019). Wie andere Beispiele ebenfalls zeigen, verklärt auch Blizzard Entertainment dies massiv durch das Gebaren, das es durch „Diablo Immortal“ offenbart.

Das Wirken von Spieldesignern ergibt sich aus verschiedenen Rollen, die sie einnehmen: Sie sind Mitglieder einer Community, Entwickler eines Spiels und Vertreiber eines Produktes. Diese Rollen bringen unterschiedliche, ethische Verpflichtungen mit sich (Neely, 2019). Das, was „Diablo Immortal“ schmierig dubios bis ablehnungswürdig werden lässt, sind die wirtschaftlichen Aspekte des Videospieldesigns, auf die sich Blizzard Entertainment primär konzentriert. Somit sind Designer und Entwickler vornehm Schöpfer und Vertreiber. Grundsätzlich ist nichts Unethisches daran, ein Produkt mit der Absicht Gewinn zu erzielen zu entwickeln und zu vertreiben. Es ist sogar vernünftig eine gewisse Kompensation für das Risiko und die Mühen, die man sich aufbürdet, einzufordern (Neely, 2019). Unethisch wird es aber genau dann, wenn das Unternehmen (oder die Spieleentwickler) nicht ebenbürtig die Bedürfnisse und Wünsche seiner Kunden berücksichtigt. Aus der Perspektive des Videospieldesigns ist es ethisch vertretbar, Videospiele mit dem Ziel zu entwerfen, sie zu verkaufen und von den Gewinnen seinen eigenen Lebensunterhalt bestreiten zu können. Es ist allerdings unethisch, wenn der Designer potenzielle Spieler nur als Mittel zur Generierung von Einnahmen behandelt (≙ Customer Life Time Value), anstatt darüber nachzudenken, was sie von dem Spielerlebnis erwarten können (Neely, 2019). Lootboxen bilden a) keine Ausnahme, sind b) klar darauf angelegt den Menschen als Mittel zum Zweck zu gebrauchen, weil sie c) psychologische Schwächen, die jeder Mensch besitzt, versuchen zu triggern.

Die vor dem „Digital Culture Media und Sport“ Komitee des britischen Parlaments getätigten Aussagen von Kerry Hopkins, Electronic Arts Vizepräsidenten für Rechts- und Regierungsangelegenheit, und Canon Pence, General Counsel von Epic Games, beinhalten Hypothesen zu Lootboxen, denen in diesem Artikel wissenschaftlich auf den Grund gegangen wird.

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Der Beobachtung, dass Entwickler zusehends dazu tendieren Videospiele als Dienstleistungen und nicht als ein genuines Produkt zu verstehen sowie sich selbst als Dienstleister zu inszenieren, muss Rechnung getragen werden. Es unterstreicht nochmals klar und deutlich die Parallelitäten zu anderen Unterhaltungsformen (z.B. Freizeitparks, Kino und so weiter), die alle die Bedürfnisse und Erwartungen des Konsumenten bedienen respektive befriedigen müssen, um erfolgreich zu sein. Ansonsten würden sie nicht nur abgelehnt werden, sondern müssten auch rechtliche Konsequenzen befürchten (Neely, 2019). Sicherlich gibt es Unterschiede zwischen den verschiedenen Unterhaltungsformen. Beispielsweise gibt es im Vergleich zu einigen Videospielen keinen genuinen Wettbewerbsaspekt in Freizeitparks, selbst wenn sich die Besucher um die besten Plätze in Fahrgeschäften rangeln. Die Schnittmenge ergibt sich aber beispielsweise darin, dass sie alle Spaß bereiten sollen, echte Unterhaltung auf emotionaler wie kognitiver Ebene bieten müssen; und dies unter Berücksichtigung der Sicherheit und Wünsche der Konsumenten. In Summe können auf Grundlage Neelys (2019) klare Einschätzungen für Aspekte von Freemium Games gebildet werden, die sich gegenseitig weder widersprechen noch das Videospiel als Kunstform oder wirtschaftliches Produkt substanziell beschneiden.

Lootboxen sind abzulehnen

Lootboxen im Sinne von kosmetischen wie auch funktionalen, virtuellen Gütern sind ethisch problematisch (vgl. z.B. Zendle & Cairns, 2019); insbesondere, wenn der Spieler nicht weiß, wie wahrscheinlich die möglichen Belohnungen sind. Zumeist ist es für den Spieler praktisch unmöglich zu beurteilen, ob sich ein Kauf lohnt. Gegenargumente, wie etwa von Oh und Ryu (2007), dass Spieler nur für das bezahlen würden, was sie wollen, sind nur dann valide, wenn die Spieler wissen, welche virtuellen Güter sie durch Bezahlung erhalten. Dies ist bei Lootboxen nicht der Fall.

Freemium Games erlauben zwar, dass Menschen mit einem niederen sozioökonomischen Status ebenfalls partizipieren können. Aber auch dies ist nur valide, wenn Lootboxen und andere hohe Bezahlschranken ausbleiben. Wohlhabende Spieler können es sich leisten, den softwaretechnischen Pseudozufall immer und immer wieder zu bedienen – Ärmere können dies nicht.

Sofern Freemium Games auf Lootboxen setzen, bedienen sie klar Mechanismen des Glückspiels (vgl. z.B. Zendle & Cairns, 2019). Glückspiel hat im Allgemeinen einen besonderen Status und wird entgegnen anderer Spielformen klar reglementiert (Neely, 2019).

Eine der wichtigsten ethischen Aspekte ist das Motiv der Entwickler, warum Lootboxen und andere „Free-to-play“ Mikrotransaktionen in ihr Werk integriert werden. Sofern sie als Methode zur Monetarisierung einbezogen werden, kann dies akzeptabel sein, solange die Wünsche und Bedürfnisse des Spielers ebenfalls gleichwertig respektiert werden (Neely, 2019). Den Spieler als „Cash Cow“ zu behandeln ist ethisch nicht zulässig, da der Mensch als Mittel zum Zweck missbraucht wird. Lootboxen und andere randomisierte, kostenpflichtige Spielmechaniken sind im Verhältnis zu transparenten, direkten Käufen kaum zu rechtfertigen. Der Videospielentwickler müsste argumentieren und mehr oder weniger beweisen, dass der Zufallscharakter von kostenpflichtigen Belohnungen genuiner Teil der Bedürfnisse und Erwartungen der eigenen Kunden ist (Neely, 2019).

Direktkäufe sind auch nicht viel besser

Die Argumentation, dass Direktkäufe unproblematisch sind, weil der Spieler jederzeit transparent aufgeklärt wird, was für wieviel Geld erworben kann, ist nicht immer zutreffend: Pragmatisch womöglich sinnvoll, ist dieses Argument nicht immer theoretisch (und empirisch validiert) überzeugend. Es stimmt, dass Konsumenten eine gewisse Freiheit haben – und trotzdem haben sie einen Anspruch darauf ethisch vertretbar behandelt zu werden. Wie oben illustriert, kann beispielsweise das Bedürfnis dazuzugehören bespielt werden. Das bedeutet, dass es möglich ist, Menschen dazu verleiten etwas zu kaufen, selbst wenn die betreffende Person dies nicht wirklich will (vgl. Hamari & Keronen, 2017). Insbesondere bei Jugendlichen und Jungerwachsenen ist dies wesentlich, weil sie im Spannungsfeld von Individualentwicklung („Wer bin ich?“) und sozialer Anpassung („Zu wem möchte ich gehören?“) nach Orientierung suchen (Eschenbeck & Knauf, 2018) und daher besonders sensibel für derartige Angebote sind. Das Recht auf volle Teilhabe ist omnipräsent, sogar in Unterhaltungsbereichen und es ist die ethische Verpflichtung sicherzustellen, dass dies möglich ist (Neely, 2019).

Zwei weitere Gründe können angebracht werden, warum Mikrotransaktionen per se Aufmerksamkeit binden und somit besonders moderiert sein sollten:

  • Im Vergleich zum Bezahlen von physischen Gütern, ist der Kauf von virtuellen gänzlich neu. Erfahrungswissen und -werte bestehen in der breiten Masse bisher nicht (Neely, 2019), was als Einfallstor für Missbrauch genutzt werden kann.
  • Im Allgemeinen besitzen Spiele Ziele und Regeln, die das Spielfeld festlegen sowie bestimmen, was zulässig ist, um diese Ziele zu erreichen. Alles, was diese Regeln zu verletzen scheint, wird schier automatisch von der menschlichen Denkweise in Frage gestellt (vgl. z.B. Kimppa, 2018). Dies ist insbesondere bei Vorgängen der Fall, die die Art und Weise wie gespielt wird verändern. Es wäre somit falsch, wenn sich ein Spieler etwa beim Fußball einen zweiten Versuch für einen Elfmeter erkaufen könnte. Derartige Mikrotransaktionen sprengen das Spiel, das heißt sie sind mächtige Tools, um ein Spiel zu verändern. Somit sind die Designer in der Verantwortung, was sie erschaffen und welche Spielweise in ihrem Werk gefördert wird (Sicart, 2009).

Einschätzungen verschiedener Kaufoptionen

Fest käufliche, kosmetische Güter sind wahrscheinlich am wenigsten ethisch bedenklich. Neely (2019) argumentiert wie andere klar, dass diese Gegenstände ohne Mikrostransaktionen oftmals nicht existieren würden. Sie sind schlichtweg nicht für das Spiel wesentlich. Die Zeit, die die Designer damit verbringen, solche Spielfluss irrelevanten Items zu entwerfen, können gerechtfertigt hinter einer Bezahlschranke verborgen sein. Der Aufwand wird entschädigt, niemand der sich gegen den Kauf entscheidet, hat einen Nachteil zu befürchten. Das heißt allerdings nicht, dass ethische Probleme gänzlich ausgeschlossen sind: Designer müssen sich sehr wohl Gedanken darüber machen, wie sie diese Güter vermarkten. Kinder und Jugendliche, das heißt Personen, die auf eine gewisse Selbstdarstellung besonderen Wert legen, könnten verleitet werden ungerechtfertigte, das heißt zu hohe Preise zu bezahlen. Zusätzlich gibt es berechtigte Kritik daran, dass es möglicherweise durch die AGB der jeweiligen Spiele legal ist, zu einem x-beliebigen Zeitpunkt gekaufte virtuelle Gegenstände vom Dienstleister einfach löschen zu können (King, 2017).

Viele Einzelspieler erlauben es, den Schwierigkeitsgrad des Spiels anzupassen. Entweder nur zu Beginn auswählbar oder während des Spielens immer wieder veränderbar – in jedem Fall erlaubt diese Option dem Spieler selbstständig zu wählen, in welcher Art und Weise (Narrativ orientiert bis herausfordernd) das Spiel erlebt werden soll. Dadurch wird das jeweilige Werk für Interessierte mit unterschiedlich stark ausgeprägten Reaktions- und Koordinationsfähigkeiten zugänglicher. In eine ähnliche Kerbe schlägt das Verwenden von Online-Anleitungen. Diese Lösungssammlungen werden benutzt, um im Spiel schnell voranzuschreiten – höchstwahrscheinlich, weil die jeweilige Person nicht gewillt ist, die vom Designer vorgesehene Zeit zu investieren (Neely, 2019). Funktionale, virtuelle Gegenstände kaufen zu können sind eine weitere Methode, um Zeit durch Geld zu ersetzen. Vor diesem Hintergrund müssen Designer, die derartige Echtgeldtransaktionen integrieren, im Voraus klarstellen, dass sie auf Mikrotransaktionen setzen. Andernfalls wird riskiert, dass Spieler, die in das Spiel Geld investieren, in eine – wie Neely (2019) es bezeichnet - „Sunk-Cost“-Falle geraten. Mehr finanzielle Mittel werden sukzessive aufgebracht, weil bereits für funktionale Güter Geld ausgegeben wurde – auf halben Weg damit aufzuhören, würde doch keinen Sinn ergeben. Im Grunde halten Spieler es für eine Verschwendung, wenn sie nicht weiter Geld investieren würden (Neely, 2019). Diese räuberische Art Kunden zu „melken“ ist unethisch. Spieler müssen in die Lage versetzt werden, jederzeit aufhören zu können, wenn ihnen das Spieldesign sukzessive mehr und mehr missfällt oder es ihnen eigentlich zu teuer wird.

Mehrspieler sind schwieriger zu bewerten, weil das Problem „Balancing und Fairness“ ins Zentrum rückt. Innerhalb der Konsumenten von Videospielen ist die Vorstellung weitverbreitet, dass es unfair sei, Vorteile aus der realen Welt (z.B. unterschiedlich große Vermögen) in virtuelle Welten transferiert zu sehen (Grundy, 2008). Andernfalls könnten Wohlhabende schier automatisch immer die besten Spieler werden, weil ihr Portemonnaie dicker gefüllt ist. Dies gilt im Übrigen auch für die Spielzeit: Berufstätige haben beispielsweise meist am wenigsten Möglichkeiten in ein Spiel konstant viel Zeit zu versenken, während Schüler allein durch Schulferien mehr Freizeit besitzen. Mehrspieler neigen somit von Natur aus dazu Ungleichheit erleben zu können. Spieldesigner können zwar versuchen, ein Gleichgewicht innerhalb eines Spiels zu konservieren. Die Realität in Form von verschiedenen Lebensstilen der eigenen Konsumenten wird sie zwangsläufig einholen (Neely, 2019). Das Anbieten von kaufbaren Abkürzungen im Spiel kann als eine Möglichkeit angesehen werden, Ungleichheiten auszugleichen. Dem stehen viele Spieler negativ gegenüber, weil Mikrotransaktionen eine allgemein akzeptierte (implizite) Spielregel ändern: Der eigene Erfolg im Spiel sollte ausschließlich davon abhängen, was im Spiel passiert und nicht durch das, was jemand durch finanzielle Investitionen forciert (Neely, 2019). Kurz gesagt ist nichts dagegen einzuwenden, wenn ein Spiel klar und deutlich kommuniziert, dass es Mikrotransaktionen anbietet und somit nach anderen Regeln funktioniert als womöglich erwartet. Ethisch problematisch wird es dann, wenn die Regeln Mitten im Spiel geändert werden. „Diablo Immortal“ stellt sich beispielsweise nach zwei Stunden Spielzeit nochmals als Mikrotransaktionsspiel vor – das ist abzulehnen, weil die notwendige Transparenz nicht von Anfang an Teil der Spielerfahrung ist (vgl. Neely, 2019).

Für Videospiele, die in einem (noch) größeren Umfang Echtgeldkäufe zulassen, hängt die ethische Integrität von der Begründung der funktionalen, virtuellen Güter und von der Art des Spiels ab. Es ist für Freemium Games einfacher zu rechtfertigen, warum Mikrotransaktionen notwendig sind, denn in irgendeiner Form muss das Produkt respektive Spiel sich finanziell rechnen. Tatsächlich ist es nicht akzeptabel die Erwartung an Videospielentwickler zu hegen, dass Spiele kostenintensiv entwickelt werden sollten, um anschließend ein gänzlich kostenloses Spielerlebnis anzubieten (Neely, 2019). Allerdings müssen auch Freemium Games die Wünsche und Ziele der Spieler in einem Balanceakt respektieren, ansonsten praktiziert der jeweilige Videospielentwickler ausbeuterische Strategien.

In Freemium Spielen sind Spieler oft gezwungen an verschiedenen Stellen Werbung ansehen zu müssen. Gegen eine einmalige Gebühr kann das Spielerlebnis von diesen störenden Elementen befreit werden. Sofern die Kosten angemessen sind, ist dies unproblematisch (Neely, 2019). Das Bereitstellen einer Option zum Entfernen von Werbeinhalten ist nach Neely (2019) eine vernünftige Strategie, weil es dem Spieler gänzlich obliegt, ob er Geld investieren möchte oder nicht. Zagal, Björk und Lewis (2013) nennen dies „pay to skip“. Kimpp, Heimo und Harviainen (2015) stehen sublim etwas kritischer dieser Art von Monetarisierung gegenüber, weil sie dieselbe Strategie als „pay to pass bore“ bezeichnen.

In kompetitiven Mehrspieler sind Echtgeldtranskationen grundsätzlich schwierig ethisch integer zu implementieren, weil sie oftmals das Spielerlebnis grundsätzlich verändern (Neely, 2019). Das, was die Spieler im Spiel tun, wird durch diese Mikrotransaktionen zumeist weitgehend irrelevant (Neely, 2019). Gewinnen oder nicht bestimmt sich somit allein daran, wer das meiste Geld ausgibt. Wenn aber das Gewinnen einer Spielrunde hauptsächlich eine Frage des Geldausgebens ist, dann ist der Versuch Erfolg durch das reine Spielen des jeweiligen Videospiels zu erzielen ein aussichtsloses Unterfangen. Im Wesentlichen ändern derartige Mikrotransaktionen die Spielregeln nicht. Stattdessen verändern sie das Spiel selbst (Neely, 2019). Und selbst wenn keine Wettbewerbsvorteile durch In-Game-Käufe existieren sollten, wird es dennoch diffizil Videospieldesigns zu verteidigen, die dieses sogenannte „Time-Gating“ implementieren: Wie bereits im vorherigen Kapitel illustriert respektive impliziert, argumentieren beispielsweise auch Hamari und Keronen (2017) explizit, dass ein Schlüsselaspekt der Entwicklung von Mikrotransaktionen darin besteht, das Spiel unterhaltsam genug zu machen, damit die Spieler weiterspielen, aber frustriert genug sind, sodass sie Käufe mit Echtgeld tätigen, um (weiterhin) erfolgreich zu sein. In diesem Fall scheint das Hauptziel der Designer darin zu bestehen, die Spieler – die „Cash Cow“ – im Spiel zu halten, um immer wieder Geld melken zu können. Jedes Spiel, das versucht Geld dem Spieler zu entlocken, um weiterspielen oder das Spiel beenden zu können, behandelt diese als ein Mittel zum Zweck. Die Person wird zur reinen Einnahmequelle degradiert (Neely, 2019). Dies ist und bleibt unethisch und sollte in keiner Form, auch nicht durch längeres Spielen in Streams auf Twitch und anderen Plattformen, unterstützt werden.

Literaturverzeichnis

  • Texte

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