Die PlayStation Experience ist wie die Blizzcon und andere Kurzmessen verschiedener Triple-A Publisher keine, die ausschließlich zum Austausch von Informationen zwischen Entwicklern und Kunden gedacht veranstaltet wird. Slogans wie „This is for the players“ oder „Eine Feier von epischen Spielen und epischen Fans.“ sind gezielte Bauchpinseleien des Veranstalters, um vom eigentlichen, meist weniger gut geheißenen aber dennoch legitimen Motiv abzulenken. Triple-A Kleinmessen sind zuallererst Veranstaltungen, die als lange Dauerwerbesendungen fungierend per Stream online angeschaut oder vor Ort besucht werden können, mit dem klaren Ziel, Vorbestellungen oder Käufe der präsentierten Software und Hardware anzukurbeln. Auf der kürzlich zu Ende gegangenen PlayStation Experience 2017 wurden zwei Titel auf Podiumsgesprächen behandelt, die die versteckte, alles durchdringende Werbemaschinerie hinter den vermeintlichen Expertengesprächen zu Tage fördert. Neben „Death Stranding“ war „Ghost of Tsushima“ eines der unbeschriebenen Blätter. Letzteres wurde, obwohl kaum Substanzielles Preis gegeben, eine dreiviertel Stunde behandelt.
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Zwischen Wunsch und Ziel: Das Spielen mit dem Feuer namens „Erwartungen“
Teilweise gleichzeitig beziehungsweise nach Beendigung des sogenannten „Panels“ wurden reihenweise „Previews“ mit heißer Feder geschrieben und veröffentlicht, um die neuesten Informationen zu teilen. Das ungeschriebene Gesetz, dass eine Vorschau immer das ein oder andere Auge automatisch zudrückt, wirkt beständig. Die Tatsache, dass jede Vorschau das Hoffen auf das Beste transportiert, lässt berechtigte Zweifel aufkommen, inwiefern solch ein „Preview“ tatsächlich keine Werbung ist. Der einbeschriebene, vorsichtige Optimismus schlägt den gleichen Takt wie die zugrundeliegende Veranstaltung. Abseits einer dokumentarischen Funktion, um zukünftige Soll-Ist-Vergleiche aufziehen zu können, sind „Previews“ somit immer Teil der jeweiligen Veranstaltung, weil sie meinungsbildend Inhalte präsentieren, die weder als objektiv noch informativ bezeichnet werden können. Kritische respektive tiefgreifende Fragen konnte man auch im Fall „Ghost of Tsushima“ gewiss nicht erwarten, denn einerseits trug Moderator Brian Altano die auf Kärtchen vordefinierten Fragen in der einen erwünschten Reihenfolge vor und andererseits war er sichtlich genug ausgelastet, den Schein eines Gesprächs aufrecht zu erhalten. Nate Fox (Creative Director), Jason Connell (Art Director), Billy Harper (Animation Director) und Ryuhei Katami (Producer) von Sucker Punch Studios strickten fleißig unkonkrete Antworten im generischen Frage - Antwort Spiel und dennoch gab es einige wenige Momente, die die Betondecke des doppeldeutigen PR-Unterhaltens bröckeln lies.
You play as a samurai that survives and fights back and develops the technique of the ghost.
– Nate Fox
Die Idee des Spiels ist weder revolutionär noch einzigartig: „Ghost of Tsushima“ handelt vom mongolischen Versuch einer Invasion Japans, dem „Einfall der Yuan“, der 1274 n.Chr. mit der Eroberung der japanischen Inseln Iki und Tsushima begann. Als Mitglied des Kriegerstandes der Samurai, der Armee des japanischen Kaisers, wird der Spieler als „Altgedienter“ namens Jin ins Geschehen geworfen, um im Laufe der Geschichte eine nicht näher beschriebene „technique of the ghost“ zu entwickeln respektive zu begründen. Historisch gesichert ist, dass die Mongolen versuchten mit zehntausenden Männern die kleine Insel Tsushima zu überrollen. 80 Samurai standen der Übermacht entgegen und konnten, so nobel die Aktion, recht wenig ausrichten. Es ist die erste Großinvasion in Japan, sodass weder ein Notfallplan noch das Wissen über den anrauschenden Gegner bekannt war.
Die Bürde des Spiels: Schnell gesagt, schwerlich umgesetzt
So „awesome“ und so sehr das Projekt eine „labor of love“ sein soll, so gewichtig ist der zitierte Satz über das Wohl und Weh des Spieles. Sollte es sich im spekulativen Rahmen um die Ablöse beziehungsweise die Erweiterung und Erneuerung des traditionellen Bujutsu handeln, das im 9. Jahrhundert n.Chr. mit dem Aufstieg der aristokratischen Kriegerkaste der Samurai entwickelt und zur Grundlage der Samuraikampfkunst wurde, so würde das daraus resultierende Potenzial die ständige Verwendung von Superlativen gerechtfertigen.
Das heißt: Sofern die Anfänge der systematischen Entwicklung des Ninjutsu im Spiel erzählt werden, kann „Ghost of Tsushima“ tatsächlich ein organisches Open World Stealth Spiel sein. Historisch und narrativ ist das Thema eine große Spielwiese, gespickt mit verschiedenen, womöglich für die westliche Welt eher unbekannten Motiven und Motivationen sowie Weltanschauungen. Es verkörpert die Möglichkeit, künstlerisch eindrücklich das viel beschworene Eintauchen in eine glaubhafte Welt interaktiv umzusetzen. Die Kampfkunst der Ninja im feudalen Japan stellt eine Sammlung verschiedener Überlebungstechniken dar, um möglichst unbeschadet politisch-kriegerische Zeiträume zu überstehen. Die Herausforderung und gleichzeitige Chance nicht nur das Mittelalter einer gänzlich anderen Kultur vorzustellen, sondern auch die dort lebenden Menschen nachvollziehbar authentisch zu präsentieren, ist das Herausragende an Sucker Punch Studios neuestem Projekt. Gepaart mit den mystifizierten Ninjas und der dahinterstehenden Epoche, deren Genese selbst in den historischen Wissenschaften weitestgehend ungeklärt ist, birgt das in PR-Hülsen verpackte Material genug Substanz, um Stunden packender Spielstunden entstehen zu lassen. Sollte sich hingegen plakativ gesprochen herausstellen, dass die „technique of the ghost“ eine reine, nicht in tiefgreifende Geschichte eingebettete Stealth-Spielmechanik darstellt, verkommt das „Open World Stealth Action Adventure“ schnell zu einem weiteren, generischen Titel mit tollen gleichsam hohlen audiovisuellen Eindrücken.
Things are not okay in Tsushima which is good for videogames, right? Conflict is drama … if you have a katana, you wanna use it!
– Nate Fox
Braucht Drama actionlastigen Konflikt um jeden Preis? Erlebt man etwas nur dann, wenn es eine Zuspitzung repräsentiert? Fox Aussagen lassen vorerst den Schluss zu, dass man auch bei Sucker Punch Studios in Schablonen und nicht abseits narrativer Hauptstraßen denken möchte. Ist „Ghost of Tsushima“ wieder einmal ein schwarz-weiß gestreiftes Werk ohne klares Spektrum verschiedener Überzeugungen einzelner Charaktere? Noch ein weiterer Protagonist, der zum Ende der Geschichte heroisch gen Sonnenuntergang reiten wird? Die wenigen eindeutig geäußerten Neben- oder Hauptsätze schließen dies nicht nur nicht aus, sie bekräftigen teilweise das Bejahen dieser Fragen.
„Open World“ Konzepte erlebten in den letzten Jahren eine Verfestigung in ihrer Ausgestaltung in allen wesentlichen Dimensionen, die solch ein Videospiel ausmachen. Die Idee, kein großes Drama zu erzählen, sondern aus Kurzdramen respektive Kurzgeschichten das große Ganze zu bilden, hat sich bewährt (vgl. „The Witcher 3: Wild Hunt, CD Projekt Red, 2015; „Assassin‘s Creed Origins“, Ubisoft, 2017), widerspricht aber dem angeteaserten Vorhaben der Entwickler.
We actually have a team in Japan that helped with this trailer. We worked collaboratively to make sure hitting the right moments in the trailer. We assure that the representation is respective to the Japanese culture. That’s a huge part of the team.
– Ryuhei Katami
Gleichzeitig bemüht sich das Studio auf mehreren Ebenen um Authentizität. Die Repräsentation der dortigen Kultur ist Publisher Sony wie auch dem Entwickler sichtlich wichtig. Höchstwahrscheinlich primär aus finanziellen, sekundär aus künstlerisch narrativen Gründen wird ein Team den Entwicklern zur Seite gestellt, um eine „respektvolle“ Repräsentation des Spiels sicherzustellen. Auch dies ist zweischneidig: Es kann entweder bereichernd oder beschneidend wirken, wenn die politische Korrektheit moderner Ansichten eine Verschleierung spannender soziokultureller Dynamiken des feudalen Japans bewirken will, die selbst den Japanern nicht geläufig sind, weil das feudale Japan und vor allem die kleine Insel Tsushima keinen großen Stellenwert in der Historiografie besitzt. Der Wunsch der Zuschauer und Anhänger, das Spiel in japanischer Sprache weltweit spielbar zu machen, zeigt deutlich die Wahrnehmung und die Erwartungen, die an das Spiel gestellt werden. Eine Pointe des wahnwitzigen Aufwands des knapp zweieinhalb minütigen Vorschaufilms ist das Motion Capturing zweier respektive vierer Pferde mit zuckerbasiertem Markerkleber für eine drei Sekunden Sequenz. Eine mangelnde Begeisterung oder fehlendes Engagement der Entwickler ist definitiv nicht festzustellen. Die Frage der korrekten Kanalisierung der verfügbaren Ressourcen bleibt offen, erst Recht nach den Ausführungen von Animation Creator Billy Harper.
Die Geschichte des Spiels ist sicherlich das Sprungbrett, das zu fiktionalen Charakteren führen soll. Die actionlastige Herangehensweise, die aus den Äußerungen von Nate Fox klar herauszuhören ist, spricht für ein eher monotones Katanasäbeln. 750 Jahre nach dem entstehen der Inspirationsquelle versucht sich ein amerikanisches Studio an einer für westliche Standards kulturell schwer zugänglichen Epoche. Allein einen Zugang zu finden, wenn man als Entwickler selbst nicht Teil der im Spiel behandelnden Kultur ist, ist schwer. Erfolg und Scheitern von „Ghost of Tsushima“ liegen nahe beieinander. Letzteres ist wahrscheinlicher als der Erfolg, der vieles benötigt, um sich einzustellen: Zugang durch Authentizität und narrativer Tiefe plus einer offenen Welt als ein Konglomerat von Kleinstdramen, sodass sowohl das große Ganze wie das Kleinteilige Spaß macht, weil es immersiv wirkt.