Svoboda ist ein Wort, das gleich mehrere Bedeutungen mit sich bringt. Auf Deutsch übersetzt heißt es „Freiheit“ und im Nordosten Tschechiens liegt eine Stadt, die den Namen Svoboda nad Úpou (Freiheit an der Aupa)trägt. Der Titel des Spiels „Svoboda 1945“ deutet bereits an, um was es geht. So markiert die Jahreszahl das Ende des zweiten Weltkrieges: Freiheit vom Nationalsozialistischen Regime in Europa. Die kleine Stadt wurde, wie alle anderen in den Grenzbereichen des Deutschen Reichs und der Tschechoslowakei 1938 im Rahmen des Münchner Abkommens an das Deutsche Reich angeschlossen und gehörte zum sogenannten Reichsgau Sudeteneland. Die Geschichten der Menschen im Osten zu Zeiten des Deutschen Reichs und seinem Ende sind im Gegensatz zu anderen (Schreckens-)Geschichten nicht so populär.
Erschienen am
03. August 2021
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Die Geschichte der Sudetendeutschen wird bei „Svoboda 1945“ mit beispielhaften Schicksalen von Menschen, die das Ende des zweiten Weltkrieges in den Grenzgebieten von Deutschland und der Tschechoslowakei erlebten, anschaulich erzählt. Die SpielerInnen bewegen sich als StudentInnen durch das Spiel: Für eine historische Studie sollen Informationen über eine alte Schule in einem Dorf namens Bĕla gesammelt werden. Die Szenerie wechselt dabei immer wieder zwischen Animationen, filmischen Sequenzen mit Schauspielern, historischem Videomaterial und Comics. Jede Darstellungsart zeichnet sich auch durch unterschiedliche Interaktionsmöglichkeiten aus. In den Videospiel-typischen Sequenzen interagieren SpielerInnen per Mausklick mit Objekten, in den Schauspielsequenzen werden Antworten ausgewählt und der weitere Gesprächsverlauf beeinflusst. Letzters trägt besonders zur Authentizität des Spiels bei, denn die Schauspieler sprechen direkt in die Kamera, also zu den SpielerInnen. Aus dem Zusprechen wird durch die wählbaren Antwortmöglichkeiten ein Miteinandersprechen: Hier zeigt sich der Vorteil eines Videospiels gegenüber einem Film. Das Gefühl des wirklichen „Dabeiseins“ wird verstärkt. Konsequent authentisch bleibt „Svoboda 1945“ auch bei der Sprache, es gibt keine Synchronisation, es wird auf tschechisch erzählt. Der Mix aus den Darstellungsformen hält die Augen der SpielerInnen wach und macht die Aufnahme der Informationen leichter als beim Anschauen eines Fernsehfilmes, bei dem viele Zahlen und Fakten bei immergleichen Bildern heruntergerattert werden.
Während der sich der Vorgänger des Spiels, „Attentat 1942“ (Charles Games, 2017), um die Besetzung der Tschechoslowakei durch die Nationalsozialisten dreht, schließt „Svoboda 1945“ mit der Thematik der Vetreibtung der Sudetendeutschen nach dem Zweiten Weltkrieg an. Die Entnazifizierung traf auch die Bewohner der angeschlossenen Regionen: Die Tschechoslowakei siedelte Deutsche aus, die ihre antifaschistische Gesinnung nicht zweifelsfrei nachweisen konnten wurden zwangsausgesiedelt, teilweise landeten sie in Arbeitslagern. Auch jenen, die beweisen konnten, dass sie die Nationalsozialisten nicht unterstützt hatten, wurde nahegelegt, das Land zu verlassen. Etwa drei Millionen Menschen verloren so ihre Heimat und ihren Besitz.
Als „Serious Game“ ist „Svoboda 1945“ kein Spiel zur reinen Unterhaltung, sondern vermittelt auch Wissen. Mit der Darstellung der Ereignisse im osteuropäischen Raum greift Charles Games einen Teil der Geschichte auf, der in vielen Büchern, Filmen und auch anderen Videospielen selten erzählt wird. Auch in Deutschland konzentriert sich die Bildung über die Geschichte der NS-Zeit auf den Holocaust. Dieser ist zweifelsohne ein besonders wichtiger Teil, zeigt er doch nicht nur die Brutalität des Naziregimes sondern auch menschliche Abgründe. Für ein vollumfassendes Bild jüngster Geschichte fehlt jedoch die Bildung über die Zeugnisse weiterer Geschehnisse. Genau hier füllt Charles Games mit „Svoboda 1945“ eine Lücke. Die bestmögliche Abbildung der Geschichte in einem Videospiel bietet der Entwickler durch seine Kompetenz, denn das Team besteht aus LehrerInnen und SchülerInnen der Karls-Universität in Prag sowie KünstlerInnen. Für das Spiel arbeitete der Entwickler zudem eng mit HistorikerInnen der Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Republik zusammen. Geeignet wäre das Spiel auch für den Schulunterricht, denn grausamere Szenen werden als Comics verarbeitet. Svoboda 1945 ist jedoch nicht per se ein Unterrichtsmittel, sondern bietet einen Dialog zwischen SpielerInnen und bisher unbekannten Teilen der Vergangenheit.