Death Stranding Und wann darf ich endlich spielen?

Hannes Letsch25 Minuten Lesezeit

Übersicht
Sony PlayStation, 2019

Am 8. November 2019 konnten nach über zwei Jahre Marketingdauerbeschallung aus Tokio die bildlich gesprochenen Aluhüte abgesetzt werden. Kein Warten, kein Spekulieren mehr. „Death Stranding“, das im Vorfeld der Veröffentlichung fast penetrant versuchte, durchs Schlüsselloch in jedes wahrnehmbare Zimmer verschiedener Kunstformdiskurse zu kriechen, ist spielbar. Hideo Kojima, der nicht mehr unter der „Geiselhaft Konamis“ zu leiden hat und auch nie müde wurde, dieses in sozialen Medien explizit oder während öffentlichen Auftritten unterschwellig zu kommunizieren, kann seit Dezember 2015 endlich frei arbeiten, das heißt das erschaffen, was er intendiert. Für viele Grund genug davon auszugehen, dass es ein gutes bis herausragendes Spiel werden würde. Trotz des immensen Trubels ließen die letzten zwei Jahre tief blicken, weil genau dann, wenn der Japaner inhaltlich substanziell (heraus)gefordert wurde, entweder mit Absicht nichts Preis geben wollte oder nicht konnte. 46 Spielstunden später wird klar, dass letzteres der Fall sein muss.

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Marketing, Cameos und irgendwann danach das Spielen

„Death Stranding“ sollte möglichst naiv gespielt werden, weil nur so feinfühlig die kleineren Varianten etablierter Spielmechaniken und narrativer Erzählkniffe erfahrbar werden. Die zerbrochenen Vereinigten Staaten von Amerika sollen wieder verbunden werden. Die Totenwelt, die im Spielszenario parallel existiert, blutet an einigen Stellen durch eine unsichtbare Membran in die Welt der Lebenden hinein. Die resultierenden, katastrophalen Folgen für das Wohl der Menschen, zwingen diese sich in deren Städten isoliert zurückzuziehen. Boten werden zu Helden, weil es die einzigen Personen sind, die sich trotz allem nach draußen wagen, um den notwendigen Güteraustausch zwischen den Städteinseln möglich zu machen. Genauso müssen etwa Leichen verbrannt werden, weil diese als Tote automatisch zur Gefahr werden. Im doppelten Sinne soll diese laut dem Spiel fundamentale, dem Urknall vergleichbare Situation gelöst werden.

Death Stranding - Launch Trailer | PS4
Sony PlayStation, YouTube, 2019

Menschen sollen in mehrfacher Hinsicht (wieder) verbunden werden. Einerseits durch eine Art übernatürliches Internet, das Technik und Biologie vereint, um ähnlich eines Pilzmyzels zu funktionieren. Andererseits soll dadurch der Glaube an ein „Gemeinsames“ etabliert werden. Die Bevölkerung soll wieder an eine gemeinsame Sache glauben, an einem Strang ziehen. Schauplatz dieser Herausforderung sind die USA, die in ihrer optischen Ausgestaltung stark an Spitzbergen oder Island erinnern. Keine Bäume, keine komplexeren pflanzlichen Ökosysteme, sondern karge, mit Gras bedeckte Mondlandschaften, die ab und an mit Schluchten und Flüssen durchzogen werden, dominieren die Ausgestaltung der Open-World. Wie dem Twitter Kanal Kojimas zu entnehmen ist, war die grundlegende Vision des Spiels Island als Spiellevel zu verwenden. Dass es aber in den USA spielen soll, dürfte eine reine Marketingentscheidung gewesen sein. Schließlich sind diese nachweisbar einer der größten Absatzmärkte für die Werke des Japaners.

Sony PlayStation, 2019

Diese Entscheidung ist der erste, knallharte Immersionsbruch, der einen während des Spielens konstant aus dem Geschehen reißt. Das Marketing bestimmt (zu)viele Spielelemente. Mit der Brechstange wird Product-Placement praktiziert. Perfekt beleuchtete Monster Energy Dosen stehen beispielsweise des Öfteren im Bildfokus – die eine Dose von vorne, und die danebenstehende von hinten gut lesbar, sodass kein Detail des Etiketts verborgen bleibt. Weder passen diese unästhetischen Dosen ins Szenario noch generell ins Design des Spiels. Der Hauptcharakter Sam Porter Bridges konsumiert sie wie Wasser. Dass diese einen Vorteil in Form von erhöhten Konditions- beziehungsweise Ausdauerwerte garantieren, ist die Ausrede einer Existenzberechtigung. Sie wirken nicht nur unsinnig, sondern sind es auch, weil das Spiel dem Spieler genauso präsentiert, dass eigentlich die Ressource Wasser lange Zeit in der Entwicklung war. Erst zu einem späteren Entwicklungszeitpunkt dürfte Monster Energy eine Rolle gespielt haben. Beweis hierfür ist die Tatsache, dass sich während den Missionen eine Flasche mit Wasser füllt, sofern es regnet. In der Konsumanimation wird dann aber der Energydrink geschlürft.

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Konsequent der Marketinglogik folgend dürfen die verwendeten Cameos, allen voran Norman Reedus als Sam Porter Bridges, ebenfalls Werbung in eigener Sache betreiben. Duscht sich dieser etwa nach getaner Arbeit, ist in der zugehörigen Kurzsequenz Werbung zu Reedus‘ AMC Sendung „Ride with Norman Reedus“ zu sehen. Zusätzlich darf man sich immer während eines Toilettengangs das Gebrumme eines Motorrads anhören, um ja nicht natürliche Geräusche vernehmen zu müssen. Das hat keinen Charme, genauso wenig wie die Idee, aus den Exkrementen Granaten herstellen zu können. Es sind Ausreden, Ausdrücke einer gewissen Konzeptlosigkeit und Hilflosigkeit ein schlüssiges, verbindendes Gesamtkonzept der einzelnen Spielmechaniken zu stricken. Im Zuge der Ausführungen Kojimas, die er immer wieder versuchte vollmundig im Bereich des Künstlerischen öffentlichkeitswirksam zu präsentieren, ähnelt „Death Stranding“ in diesem Bereich einer Bankrotterklärung, Popularität, Spielmechaniken, Marketing und Kunstform einer sinnigen Priorisierung zu unterwerfen.

Spätestens seit der Gamescom 2019 fliegt Hideo Kojima als Kopf des eigenen Studios kreuz und quer durch die Welt, um auf einer Art Tournee sein Prestige für sich sprechen zu lassen. „Death Stranding“ erntet momentan viele Vorschusslorbeeren, obwohl relativ wenig Zusammenhängendes offiziell ist. Im Zuge dieser Kampagne rührte offizielle Twitter-Kanal von Kojima Productions im Vorfeld des 14. Oktobers 2019 abermals ordentlich die Werbetrommel. Ohne explizit zu werden, wurde immer wieder zwischen den Zeilen suggeriert, dass Hideo Kojima als Gast eines Diskussionsforum auf dem Film Festival Cologne tiefere Einblicke in seine Philosophie von Videospiel und Immersion geben würde. Es sei eine echte Chance, tiefergehende Argumentation in der Ausgestaltung seiner zumeist hochgelobten Videospiele erfahren zu können. Was sonst könnte eine (echte) Diskussion, die als Rahmenbedingung durchaus enge und eindeutige Maßstäbe setzt, leisten? Sicherlich würde der Fokus auf den filmischen Aspekten, dem Storytelling, liegen aber immerhin: Es würde eine wesentliche Perspektive auf die Kunstform Videospiel bieten.

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Unausgegorene, aber interessante Geschichte

Nicht nur dadurch, sondern auch das Narrativ isoliert betrachtet, existieren erhebliche Logikfehler. Ein Beispiel: Die Idee, den Regen als „Time Fall“ und Verbindung der Welten spielmechanisch zu integrieren, ist interessant. Das lebenspendende Wasser wird zur Lebensbedrohung, weil es bei Kontakt einem tierischen Organismus die Jugend entzieht. Gleichzeitig dümpelt aber der eigene Spielcharakter nur mit Regenkaputze ausgestattet durch die Lande. Trivialer Weise müssten zumindest einige Tropfen sein Gesicht berühren. Genauso scheint Wasser auf dem Boden keinen Effekt mehr zu besitzen. Das Waten oder Schwimmen durch Flüsse, die unzähligen Pfützen und die alles durchziehende Nässe haben weder in Zwischensequenzen noch während des eigentlichen Spielens irgendeine Relevanz.

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Entwickler um Kojima Productions spielen somit nur oberflächlich mit dem Potenzial einer vielversprechenden Symbolik. Kryptobiote, die überdimensionierten, tatsächlich als unzerstörbar geltenden Bärtierchen (vgl. z.B. Welt) ähneln, werden als Nahrung konsumiert, um außerhalb von Gebäuden dauerhaft überleben zu können. Sogenannte B.Ts (Beached Things), gestrandete, unsichtbare und Monsterlaute von sich gebende Wesen aus der Totenwelt verhalten sich wie der sympathischere Waldgott aus „Prinzessin Mononoke“ (Hayao Miyazaki, 2001). In gleicher Art und Weise nehmen und schenken diese das Leben. Pflanzen wachsen um die hinterlassenen Fußtritte herum, an anderen sterben die jungen Pflänzchen wiederum ab. Hideo Kojima versucht sich als Hayao Miyazaki, Kojima Productions als erwachsener(es) Studio Ghibli.

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„Death Stranding“ müht sich redlich, Unikate durch Charaktere (Cameos) einzubinden. Allerdings sind diese weit weg von einer Glaubwürdigkeit, weil sie alle einen Twist bieten müssen, anstatt diese nachvollziehbar zu entwickeln. Derart unnatürlich miteinander vernetzt fühlt man sich mit seinem eigenen Avatar Sam öfters fehl am Platz. In der ersten Spielhälfte sind einige Personen teilweise sogar nicht genuin Geschichte, sondern fungieren als Einleitung für ein ausuferndes Maß an zusätzlichen Spielfunktionalitäten. Der Charakter „Die-Hardman“ besitzt beispielsweise eine schwarze Schädelmaske, bewegt sich sehr bestimmt und mächtig mit seinen breiten Schultern, weshalb sofort düstere Geschichten, das heißt Interesse an dieser Figur geweckt wird. Die Entwickler adressieren dieses Potenzial in keiner Weise, sondern lassen ihn zu einer nervenden Farce verkommen, der nur darauf bedacht ist, aus der Distanz per Codec Kommunikationssystem (vgl. „Metal Gear Solid“) den Spieler daran zu erinnern, dass noch ein paar Lieferungen zu tätigen seien. Tommie Earl Jenkins, der Schauspieler von „Die-Hardman“ darf nach Kojimas Regie genau einmal sein Talent zeigen. Das schafft Jenkins grandios, wird aber nicht in Szene gesetzt.

Kurzum: „Death Stranding“ versucht ein herausragendes „Metal Gear Solid“ Charakterdesign des nie genug gelobten Yoji Shinkawa auf ein konzeptuelles Nichts Kojimas zu positionieren. Alle wesentlichen Charaktere wollen mit Sam Händchen halten respektive ihn spielmechanisch bemuttern. Es gibt keine substanziell große Varianz in den Beziehungen zwischen dem Hauptcharakter und dem Rest, sodass sich irgendeine Art von sozialem Netzwerk herauskristallisieren könnte.

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So wirklich kann Hideo Kojima von seinem Lebenswerk „Metal Gear Solid“ nicht ablassen. Nicht nur das angesprochene Codec System zeugt davon, auch der steuerbare Hauptcharakter weist einige Parallelitäten auf. Im Grunde ist Sam Porter Bridges ein Schatten Solid Snakes. Leicht depressiv, fast schon devot, in jedem Fall willenlos und erschreckend emotionskarg, lässt er alles über sich ergehen. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Spieler an irgendeinem Punkt sich verärgert fragt, warum Sam nie Kontra gibt oder wesentliche Fragen stellt, ist hoch. In jedem Fall ist eine notwendige Nachvollziehbarkeit nicht gegeben. Die Identifikation mit dem Hauptcharakter wird derart subjektiv und speziell, dass viele sich abgekoppelt fühlen dürften. Generelles Resultat sind zahnlose Spitznamen überzeichneter Comicfiguren, die im Konzeptdesign Shinkawas was gänzlich anderes suggerieren. Die Frage, wie man solche Charaktere überhaupt ernstnehmen kann, verbleibt.

Ich will aber spielen!

„Death Stranding“ lässt den Spieler kaum etwas selbst herausfinden. Neben dem beschriebenen Problem des Einsatzes der verschiedenen Personen, die gegen einen Entdeckungsaspekt arbeiten, sind die ersten drei Spielstunden eine eindrückliche Illustration der Beschränkungen im Spiel. Mehr als zwei Drittel sind Zwischensequenzen, die spannende Momente bieten. Allerdings ist Zuschauen in einem Videospiel unbefriedigend. Genau das, was am Spiel interessant ist, möchte man gerne selbst spielen, das heißt in gewissen Grenzen gestalten. Stattdessen darf der Spieler die eher langatmigen oder positiv formuliert meditativen Laufaufgaben, die die Zwischensequenzen linear miteinander verbinden, erledigen und mehr Werbung genießen. Ein Beispiel hierfür ist etwa die dauerhafte Einblendung des Titels und Künstlers der plötzlich im Hintergrund einsetzenden musikalischen Untermalung.

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Es gibt keine Interaktionen, auch nicht mit NPCs. Wer eine Mission, das heißt eine Lieferung abschließt, wird vor ein Hologramm (selbstverständlich in einer Zwischensequenz) gesetzt, hört sich das Ganze als reiner Informationsempfänger an, um zur nächsten Aufgabe zu schreiten. Zu viele Zwischensequenzen und Animationen, die eindeutig filmisch gedacht wurden und Minimum im Laufe des Spiels einhundert Mal angeschaut werden dürfen, zersetzen den Spielfluss. Die meist 10-sekündigen, teilweise mehrgliedrigen Zwischensequenzen während des Duschens, Toilettenganges, Annehmens und Abgebens einer Lieferung, Aus- und Einsteigens in ein Fahrzeug und so weiter können nicht mit einem Tastendruck beendet werden. Stattdessen wird immer eine zusätzliche „Bist du sicher?“ Bestätigung fällig. Somit wird das mehrfache Zusehen, wie Sam sich duscht, zur Tortur, weil insgesamt drei Mal ein Abbrechen der jeweiligen Teilsequenzen vom Spiel eingefordert wird. Jede davon bricht in ihrer momentanen Ausgestaltung die Immersion.

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Unweigerlich drängt sich der Gedanke auf, dass Kojima und sein Team doch eher Filme anstatt Videospiele produzieren sollten (vgl. Filmstarts). „Death Stranding“ ist seine Interpretation von „Flatliners“ (Niels Arden Oplev, 2017). Design- und filmverliebt bietet das Spiel gute Kameraeinstellungen und isoliert wirkende Momente, ohne Yoji Shinkawas Ideen den Raum zu geben, die sie verdient hätten. Die Vision hinter dem Spiel, die unzählbar oft vor Veröffentlichung kommuniziert wurde, ist gut und schön, aber eben nur eine abstrakte Idee. Diese zu visualisieren, bedeutet eine gänzlich andere Herausforderung, der Shinkawa gewachsen zu sein scheint. Weil aber „Film“ und nicht „Videospiel“ beziehungsweise „Open World“ primär gedacht wurde und man sich mit den Befindlichkeiten und Bedingungen der Integration von Filmgrößen zu arrangieren hatte, entstand auf Kosten des Spielspaßes eine Sterilität, die fast nur schadet.

Auf der Suche nach der spielmechanischen Innovation

Sam ist Teil des Unternehmens „Bridges“, das Pakete als Dienstleister von A nach B trägt beziehungsweise transportiert. Das zentrale Spielelement, über das teilweise ungläubig im Vorfeld diskutiert wurde, ist Logistik. „Death Stranding“ ist eine Gamifizierung dessen, was DHL, Hermes, UPS, FedEx und so weiter tagtäglich leisten. Die Entscheidung dies konsequent umzusetzen, beweist unterstützenswerten Mut. Die Aufgabe besteht im gesamten Spiel darin, eine Lieferung zu einem definierten Ziel zu bringen oder eine verlorene erst zu finden, um sie anschließend an den eigentlichen Bestimmungsort zu transportieren. Nicht mehr und nicht weniger. Es ist ein klassisches Quest-Design in reduzierter Form. Die Wegstrecke kann auf unterschiedlichen Pfaden bewältigt werden, auf denen mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit Gegner (B.Ts oder andere Menschen) ihr Unwesen treiben. Die Mondlandschaften, die nicht irrsinnig variant zwischen Tundra, Schnee und Lava hin- und her wippen zeigen während des Reisens ab und an sogar harte Kanten ohne natürliche Übergänge. Flüsse, Schluchten und Gebirgszüge sind die Kernhindernisse des Spiels, nicht die möglichen Gegner. Sid Meiers Definition, dass ein Spiel eine Abfolge von interessanten Entscheidungen sei, wird hier rigoros als Spielspaßfaktor integriert.

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Die Spielidee klingt auf den ersten Blick langweilig, weil sie keine große Bandbreite an grundsätzlichen Spielszenarios bietet, einen wiederholenden Charakter besitzt und unreflektiertes Ausführen irgendwelcher Botengänge bietet, ohne erkennbare Ansprüche zu stellen. Bewegung ist in „Death Stranding“ komplexer, weil der Analog-Stick des Controllers nicht einfach nur nach vorne gedrückt werden muss, um überall hin zu gelangen. Das Laufen wird zum Spiel, was funktioniert, da eine überzeugende Physiksimulation im Hintergrund gegen den Spieler arbeitet. Die zentrale Spielmechanik beschäftigt durch die verschiedenen Gewichte und die Zusammenstellung des zu transportierenden Gutes durch eher unpassierbares Gelände. Dieses wird dadurch immersiv spürbar. Konterkariert wird das Konzept durch die übermächtige Funktion des Stabilisierens des eigenen Ganges. Wer die Schultertasten des Controllers gedrückt hält, läuft unerschütterlich, ohne zu fallen, was die einzige Bestrafung (Beschädigung der Lieferung) im Spiel darstellen würde. Mehr noch: Mit dem Zugang zu Fahrzeugen und der Charakterentwicklung (mehr Balancepunkte) ist eine Adaption ans Gelände oder ein Abwägen mehrerer Botengänge beziehungsweise Teillieferungen durchzuführen hinfällig.

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Für den Spielspaß wird es ab einem bestimmen Charakterlevelpunkt hässlich. Wer penetrant als Dickschädel versucht, ein Gebirge direkt zu durchqueren, wird dies schaffen. Man glitcht einfach an Kanten einer Bergkette entlang, um recht einfach ohne Gegnerkontakt Missionen zu absolvieren. Es gibt keinen Berg, dem man nicht zu Fuß komplett bezwingen kann. Es braucht kein Seil, Leiter oder andere Hilfsmittel, die punktuelles Überwinden von Felswänden o.Ä. ermöglichen. Spätestens durch die Einführung und Nutzungsmöglichkeiten der übermächtigen Fahrzeuge (erhebliche Tragekapazitätserweiterungen) wird die Lernarbeit der ersten Stunde entwertet. Trucks oder moderne Motorräder sind keine seltene Ressource, sondern stehen durch die Online-Funktion / Garagenfunktion zu Hauf zur Verfügung. Ist das eigene Fahrzeug beschädigt, kann diese ohne große Probleme einfach ausgetauscht werden. Die Ausnahme zerbrechlicher Fracht, die beim Beschädigen die Mission sofort scheitern lassen, bestätigen die Regel.

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Mühsal und Fleißsysteme sind „Death Stranding“. Das Spiel ist nicht schwer, sondern wirft einem mit Absicht Hindernisse uninspiriert in den Weg. Die bereits angedeuteten Gegner sind nicht wirklich bedrohlich. Egal ob Bosskämpfe oder generelle Begegnungen, sämtliche Konflikte können recht elegant umgangen werden. Digitales Topfschlagen mit der Taktik sich stets entgegengesetzt dem B.T. Detektor zu bewegen, verhindert einen Konflikt mit den übernatürlichen Wesen. Wer langsam und geduldig vorgeht, wird durch jeden noch so dichten Wald an B.Ts durchkommen. Ist man doch einmal unaufmerksam und wird von den B.Ts in einer schwarzen Pfütze verschluckt, gibt es kein „Game Over“. Stattdessen wird man an einen unwirklichen Ort unterirdisch gezogen, um dort gegen einen Boss anzutreten. Der bisherige Missionsfortschritt ist zu Nichte gemacht, allerdings führen die Bosskämpfe leider ins nichts, weil sie nicht herausfordernd sind. Halbherzig angreifend, können diese recht leicht besiegt werden oder man stiehlt sich von vorne herein einfach davon. Somit sind sie geschichtliche Bremsklötze, Unwegsamkeiten, die stören, anstatt zu fordern. Ebenso die vereinzelt auffindbaren Terroristen, genannt MULEs, die in ihrer narrativen Ausgestaltung haarscharf am Unsinn vorbeischrammen. Anstatt diese als Banditen, Andersdenkende oder Opportunisten auszuweisen, sind diese Gruppierung die Kinder verstorbener Boten, die süchtig nach Lieferungen sind. Sie seien laut dem Narrativ einfach auf Fracht aus. Allerdings wird die erbeutete zu nichts gebraucht, sondern liegt unangetastet und nicht wertgeschätzt in Lagern herum. Anders ausgedrückt verliert sich das Spiel im zusammenhangslosen „Herumphilosophieren“, das das Mysterium „Death Stranding“ bis ans Spielende nicht auflösen wird. Zu keinem Zeitpunkt wird das Rätsel durch Spielmechaniken schlüssig auf den Boden der Tatsachen gestellt.

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Anstatt Kämpfe und Begegnungen in der Einöde aufgrund mangelnder Versteckmöglichkeiten herausfordernd zu gestalten oder die unpräzise Steuerung gen Perfektion weiter zu schleifen, wird Nebensystem um Nebensystem unaufhörlich hinzugefügt. 30 bis 34 Stunden von insgesamt circa 45 werden durch das Hinzufügen weiter Features bestimmt. Nach dem Motto „Komplexität um des Komplexitätswillen“ wird das Spiel aufgeblasen, ohne spielerischen, das heißt immersiven Mehrwert zu schaffen. Informationen und optionales Gewackel des Spielkerns kommen in der Fülle an Details nicht zum Tragen, weil nicht klar ist, auf was eigentlich der Fokus gelegt werden soll. Vieles verschwindet in der Sinnlosigkeit.

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Die Flut an Zusätzen überschwemmt alles, auch das Bridge Baby, das im Vorfeld als Alleinstellungsmerkmal des Spiels inszeniert wurde. Vergleichbar zum Kanarienvogel, der im 18. und 19. Jahrhundert als Sauerstoffwarnanlage missbraucht wurde, ist das Bridge Baby, entrissen seiner Familie Mittel zum Zweck. Und trotz dieses Skandals, schafft es das Spiel, dass keine echte emotionale Bindung entsteht, weil man stets und ständig mit dem Kennenlernen neuer Steuerungs- und (überflüssiger) Adaptionsmöglichkeiten beschäftigt ist. Der Tod wird nicht zum Bedrohungsfaktor Nummer eins, das Baby verkommt zum zeitweilig genutzten Sensor.

Und jetzt?

Kojimas Vermächtnis bis heute ist aufgrund der Schaffung einer alternativen Realität der Kalten Kriegsperiode in Form der „Metal Gear Solid“ Franchise einzigartig. Die dadurch für „Death Stranding“ gewährten, rein auf Image begründeten Vorschusslorbeeren waren und sind falsch. Ohne die Kojimas oder anderer Entwicklers Integrität zu beschädigen, muss konstatiert werden, dass das (teure) Experiment „Death Stranding“ konzeptuell weitgehend nett gedacht aber als Videospiel schlecht gemacht ist. Es reicht sich im Nachgang in die Reihe der Enttäuschungen der letzten 10 Jahre ein. Als Konsequenz nicht erfüllter aber definitiv suggerierter Erwartungen entsteht eine Diskrepanz, die nicht durch Aussagen wie „The first strand type game“ kompensiert werden können. „Tomorrow is in your hands“, aber wo und wieso?

Das zu gamifizieren, was andere Spiele trivialisieren, ist mutig, hat konzeptuell betrachtet einiges an Potenzial, wird aber in „Death Stranding“ in eine sprichwörtlich tote Welt integriert. Wo die in Marketinghülsen versprochene, tiefgehende Innovation sein soll, bleibt offen. Der Online-Aspekt sich gegenseitig zu helfen, indem man in der Landschaft Hilfen (Straßenabschnitte, Brücken, Leiterkonstruktionen, Abseilhaken und so weiter) zurücklässt, funktioniert nur für Neulinge des Spiels. Sobald ein Areal an das Netzwerk vom Spieler angebunden wird, erscheinen unzählige Hilfen anderer Spieler. Diejenigen Hilfen, die Likes erhalten, verweilen, der Rest verschwindet. Die Idee des indirekten Mehrspieler in kooperativem Stil ist nicht gänzlich neu und muss in jedem Fall mit den anderen Spielmechaniken in einem ausbalancierten Herausforderungs-Belohnungssystem münden. In „Death Stranding“ bringt dieser Modus die Balance des Spiels zu sehr durcheinander. Überall werden Fahrzeuge platziert. An neuralgischen Punkten ist die Spielwelt mit spoilerhaften Icons anderer Spieler übersäht, die allein optisch nicht in die Welt passen.

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Offensichtlich sollte das Laufen in eine ausgefeilte Spielmechanik umgewandelt werden. Ähnlich zu „Zelda Breath of the Wild“ (Nintendo, 2017), das das Klettern substanziell weiterentwickelte, sollte auf spielmechanischer Ebene eine Erweiterung Spielspaß generierend umgesetzt werden. Während viele Triple-A Spiele dazu tendieren, Fehlervermeidung zu betreiben und es bei simplen Animationen zu belassen, ohne dem Laufen etwas abzugewinnen, versucht sich „Death Stranding“ an dieser Herausforderung in einer überheblichen Art und Weise. „Super Mario Bros.“ (Nintendo, 1985) war nach Kojimas Definition das erste „first strand type game“ (Fokus auf Laufen als Spielmechanik), nicht sein neuestes Werk. Was das „first strand type game“ ist, ist ein Spiel, das sich erheblich auf die emerged (vom Spieler selbst gedachte) Immersion, die durch Musik, den Aspekt der Isolation und Einsamkeit lebt, stützt. Zum Ende des Spiels wird diese leider fast komplett abgeschafft.

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Vergegenwärtigt man sich das Potenzial der Decima Engine, mit der auch „Horizon Zero Dawn“ (Guerrilla Games, 2017) geschaffen wurde, fällt „Death Stranding“ in jetziger Version weit zurück. Erst recht, wenn bedacht wird, dass 70 Entwickler von Guerrilla Games für die Entwicklung abgestellt wurden. Kleine, bescheidene Wanderungen zu Beginn werden zum Sonntagstrott ohne Belohnungen, weil keine Veränderungen oder echte, faire Herausforderungen stattfinden. Es ist für den narrativen Fortschritt egal, wie gut man seine Lieferantenaufgabe bewältigt: Terminal öffnen, Monolog eines Holograms mit viel Sinnlosem aushalten, um anschließend von vielen Telemetriedaten erschlagen zu werden. Man will spielen, wird aber zum Arbeiten gezwungen. Spielspaß im Sinne der Verbundenheit mit dem Digitalen auf emotionaler, motivationaler und kognitiver Ebene ist Fundament jedes Spiels. Genau das fehlt in „Death Stranding“ zu oft. Es überschreitet in gewisser Weise die Grenze der spielmechanischen Kulanz deutlich. Es ist nicht bündig, nicht zusammenhängend, nicht das, was Videospiele als Kunstform definiert.

Kojima scheiterte ein wenig an seinem eigenen Ego, weil er versucht etwas zu verwirklichen, was er laut eigener Aussagen nicht greifen kann. Warum sollte man sich mit etwas auseinandersetzen, das weder Künstler (vgl. z.B. VG247) noch die Darsteller (vgl. Digital Trends) in irgendeiner substanziellen Form fassen oder verbalisieren können? Der auf seinem Twitter-Kanal beobachtbare Fanatismus, sich alles herausnehmen zu können, das heißt einen Freifahrtschein der Kreativität zu haben, ist für ihn nicht wirklich förderlich. Dass der Künstler Kojima dies für sich marketingtechnisch verbucht, hat einen leicht faden Beigeschmack. Es ist ein Missverständnis zu beobachten, das eine Person überhöht und nicht das honoriert, was jeder Spieler für sich leistet: Wer sich komplett auf das Spiel einlässt und ohne Rücksicht auf seine eigene Gedanken sich damit auseinandersetzt, ist in dem Wirrwarr, das ab und an nahe dem Lächerlichen vorbeischrammt, verloren. Wer aber das unzusammenhängende Narrativgeflecht interessanter, emotionsgeladener Ideen (Baby, Übernatürliches, Einsamkeit und Isolation, Dunkelheit und Tod und so weiter) für sich in eigener Gedankenarbeit neu ordnet, kann in seiner Fantasie großartige Geschichte erleben. Das Spiel leistet dazu aber nicht mehr als den Trigger.

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