Death Stranding Das Spiel mit der Popularität

Hannes Letsch9 Minuten Lesezeit

Übersicht
Sony PlayStation, 2017

Es war einmal die Idee, das Wissen einer Filmproduktion in Videospiele zu gießen. Seit dieser Idee wird versucht aus Konzept, Skript, Game Design, „Proproduction“, „Shooting“ und „Postproduction“ Interaktives, Immersives entstehen zu lassen. Mit dieser Idee kam der Aufstieg der „embeded Story“ in Spielen. Daraufhin folgte die nächste Idee. Sie soll „Death Stranding“ heißen. Entwickler Kojima Productions gilt seit 2005 respektive seit seiner Neugründung im Jahr 2015 zur Pioniertruppe der Videospielindustrie. Verkörpert durch den namensgebenden Kopf des Entwicklerteams, Hideo Kojima, wird jeder Schritt, Tweet, jedes Interview und jeder Satz, der aus Tokyo zu hören ist, zerfasert und auf verschiedenste Art und Weise wieder zusammengesetzt, um soviel Wissen und/oder Spekulation wie möglich generieren zu können. Oftmals überblasen verschwimmen Abbild, Trugbild und Urbild der Person und Werke Kojimas in einem Meer aus Enthusiasmus, substanziellen Analysen und kommerziellen Inszenierungen. „Death Stranding“ ist nach den insgesamt 31 verschiedenen „Metal Gear“ Videospielen, die seit 1987 bis 2015 veröffentlicht wurden, keine Ausnahme und trotzdem ein Bruch, weil nicht nur der Publisher respektive die Arbeitsumgebung anders sind, sondern auch das Konzept und das narrative Gerüst dahinter ein gänzlich neues und unabhängiges ist.

Drei Schritte zum Nichts: Bisherige Veröffentlichungen zum Spiel

Einfach zugängliche Trailer, das heißt verständliche Informationsschnipsel sind Hideo Kojima bewusst fremd, denn er versteht und schätzt die popularitätsbildende Wirkung des Rätselns und Spekulierens. Ob nun Director Kojima, Producer Imaizumi oder Artist Shinkawa, sie alle verstehen und versuchen ihre Gedanken in wenigen, abstrakten Sätzen mitzuteilen. Umso eher war von vorneherein klar, dass jegliche Trailer und Spielszenen von „Death Stranding“ im Vorfeld der Veröffentlichung ebenfalls kryptisch abstrakt verpackt präsentiert werden würden.

Death Stranding – E3 2016 Reveal Traile
Sony PlayStation, YouTube, 2017

Schier schüchtern wirkte Hideo Kojima auf Sonys E3 Pressekonferenz 2016, als er sein neuestes Projekt mit einem emotionalen, verstörend gefühlvollen Trailer ankündigte. Er spielt mit dem Urinstinkt des Menschen Schutzbedürftige zu umsorgen, der Privatsphäre des Körpers und dem Schock des Todes; dem symbolischen Entziehen der Lebensenergie durch Schläuche. Untermalt von Low Roars „I’ll keep coming“ war jegliche Art an Information kryptisch abstrakt in wenigen, gesungenen Zeilen verpackt zu hören beziehungsweise mitzulesen. Sein Ziel der Etablierung einer ersten Popularitätswelle nach „Metal Gear Solid V: The Phantom Pain“ (Konami, 2015) verfehlte der Trailer nicht. Der Bruch mit vorherigen Erzählweisen im „Metal Gear“ Universum wurde laut und deutlich in Medien, meinungsbildenden Foren und sozialen Netzwerken wahrgenommen, verstanden und kommuniziert. Dass die kurzen zwei Minuten unkalibriert und unsicherer hätten nicht sein können, störte die wenigsten. Als Kunstinszenierung in einem Kunstraum respektive in einer Ausstellung ist der erste Trailer um Protagonist Sam, gespielt von Norman Reedus, bemerkenswert. Dieser setzt in Manier eines Künstler-Chamäleons jedenfalls das „Self-Branding“ vor sein schauspielerisches Können und verweilt daher in seiner immerwährenden linksgescheitetelten Rolle als Daryl Dixon. Im Bereich der Videospiele war und ist der Trailer nichtssagend. Es wurde nicht einmal der Versuch unternommen, aus dem gescheiterten „P.T.“ Projekt (2014) heraus agierend mit ihm einen gänzlich neuen Charakter zu erschaffen.

Death Stranding - Teaser Trailer - PSX 2016
Sony PlayStation, YouTube, 2017

Der zweite Trailer wurde wie der erste zusammenhangslos dem Spielkonzept entrissen. Für diesen Asset-Trailer, der die technischen Finessen „Death Strandings“ präsentieren soll, wurde eine kurze, ebenso graue Szenerie aus dem Boden gestampft, um Mads Mikkelsen als Antagonist vorzustellen, der in moderner Soldatenuniform über Kabel Skelettsoldaten kontrolliert und befehligt. Guillermo del Toro wurde für Sam ausgetauscht – höchstwahrscheinlich als Hommage Kojimas an seinen guten Freund. Im Vergleich zum ersten Teil ging es in zweiten Trailer um den Moment der Angst, der Intransparenz und des Ekels, der durch das Spiel mit Kadavern und einer seltsam ölviskosen, schwarzen Flüssigkeit umgesetzt wurde. Guillermo del Toros Avatar lüftete das erste wesentliche Element „Death Strandings“: Erstmalig wurde ein Kleinkind in einem Behältnis ähnlich einer künstlichen Fruchtblase gezeigt, wobei noch nicht wirklich erkennbar war, welchen Stellenwert das alles haben werden würde.

Death Stranding - Teaser Trailer - TGA 2017
Sony PlayStation, YouTube, 2017

Alles verweilt bis zur Veröffentlichung des Spiels in Spekulationen und dennoch scheint sich mühselig nach dem dritten Trailer ein Bild zu ergeben: Sicher ist, dass Kojima die Idee der Parabiose in „Death Stranding“ umsetzt. Die Idee der Verbindung des Blutkreislaufs zweier Lebewesen der gleichen Spezies zum Ausgleich der Altersjahre der Zellen ist bereits bei Kleinsäugern erfolgreich durchgeführt worden. Die bisher nur schemenhaft vorgestellte, als schwebende Wesen verkörperte, bedrohliche Kraft, die Menschen und anderen Lebewesen die Jugend zu entziehen versucht, hat in Form von wandelnden Titanen ihren ersten großen Auftritt und bildet die entscheidende Verknüpfung zwischen dem Thema Parabiose und dem bereits im zweiten Trailer vorgestellten Kleinkind in einer künstlichen Fruchtblase. Dieses scheint zum Schutz vor einer drohenden Alterung mit dem jeweiligen erwachsenen Menschenkörper verbunden zu sein. Dass Protagonist Sam keinen Bauchnabel besitzt, somit anscheinend immun gegenüber dem Altersentzug zu sein scheint, dürfte einer der herausstechenden Merkmale des Protagonisten sein. Womöglich haben die Titanen des Öfteren versucht, Sams Jugend vergeblich anzuzapfen. Jedenfalls zeugen seit dem ersten Trailer die vielen, schwarzen Abdrücke auf seinem Körper, die mit den Fußstapfen der Titanen übereinstimmen, davon. Mächtig sind sie allemal: Ihre elektrostatisch, telekinetischen Fähigkeiten, die ansatzweise auch Psycho Mantis aus „Metal Gear Solid“ (Konami, 1998) besaß, sowie ihre Präsenz können zwar durch seltsam wackelnd, leuchtende, viergliedrig an der Schulter befestigte Detektoren geortet werden. Dennoch bedeutet die Möglichkeit der Umkehrung der Schwerkraft trotzdem Übermacht und nahezu Unantastbarkeit. Die Herkunft der Titanten ist offen: Es wird zwar von einem Knall gesprochen während gleichzeitig ein riesiger Krater gezeigt wird - ob nur symbolisch gemeint oder tatsächlich relevant für die Geschichte in Form einer außerirdischen Lebensform bleibt zu vage und deshalb offen.

Ikonen und Vorschusslorbeeren: Die Genialität liegt bisher nicht im Spiel

„Death Stranding“ ist ein Vorzeigebeispiel dafür, warum eine ganz konkrete Trennung zwischen Werbung und formalen Inhalten hochgehalten werden muss. Wie jedes andere Videospiel baut es auf einem visuellen Medium auf, das in keiner Weise mehr textbasiert arbeitet, sondern rein visuell wirkt. Die Werbung beginnt, wenn ein Trailer – egal ob CGI oder geschnitten aus Gameplayszenen – veröffentlicht wird, weil ein leichteres „Immersieren“ des Zuschauers durch nacheinander abfolgende Spielsequenzen gelingt. Werden zusätzlich bekannte Persönlichkeiten wie Mads Mikkelsen oder Norman Reedus installiert, ist die PR-Wirkung um ein Vielfaches verstärkt. Jede Sequenz der drei behandelten Trailer sind klar im Sujet unterzuordnen, das heißt sie folgen einem Muster, das mit versteckten Botschaften absichtlich arbeitet. Der sprichwörtliche Knochen wird dem Konsumenten erst zum Schluss hingeworfen.

The strangest thing is that after you played the game for four or five hours all of that starts to make sense .

– Mark Cerny

Kojimas Trailer gelingt, was beabsichtigt war: Es werden gänzlich andere, unzusammenhängende Fässer auf den ersten Blick geöffnet. Es wird Ablenkung mit Ikonen betrieben (vgl. die Idolkultur der japanisch südkoreanischen Kultur) anstatt eine Diskussion darüber in Gang zu setzen, was man nun eigentlich von Kojima Productions erwarten kann beziehungsweise darf. Erst zum Schluss wird der beschriebene Knochen, das heißt die verschiedenen Schnipsel, die den Interessenten per Trailer auf YouTube, in Streams oder auf Magazinwebseiten zugeschmissen werden, ein Ganzes bilden.

Sony PlayStation, 2017

Jedes Gebinde hat somit mittlerweile seine eigene ästhetische Form, hält sich ganz klar an eine Narration. „Death Stranding“ hat seine Erkennungsmerkmale bereits etabliert: Tote Meeresbewohner, die des Öfteren kopfüber schwimmen, schlammig, eklig faulige Matschstrände und das überall vorkommende Grau in Grau reichen als umgebungsspezifische Charakteristik vollkommen aus. Ausgefüllt wird das Ganze durch Personen (Norman Reedus, Mads Mikkelsen und Guilmero Del Torro), die bereits eine gewisse Popularität und Beliebtheit besitzen und mittransportieren. Sie sind die Icons der neuen IP, eine Ikonografie, die so clever designt und zuvor determiniert wurde, dass man schlichtweg nichtmehr drum herumkommt. Diese realistischen Avatare sichern eine gewisse emotionale Bindung des Zuschauers mit dem Spiel und prägen dessen Psyche auf die präsentierte IP mit voller Absicht. Es entsteht ein designtes, künstliches Gefühl, das den wirtschaftlichen Erfolg sichern wird und sich qua Erlebnisgier immer wieder verstärkt. Die Belohnung für das Aushalten dieser Emotion sind die Trailer und das Merchandise, die wiederum diesen Reiz ständig am Laufen halten. Objektiv wirbt aber „Death Stranding“ bis jetzt wie jede nicht veröffentlichte IP für etwas, was es noch gar nicht gibt.

Sony PlayStation, 2017

Dass die gewünschte Entstehung verschiedener „Death-Stranding“-Ikonen, egal ob Darsteller im Spiel oder Entwickler sowie die dahinterstehende PR-Maschinerie funktioniert, lässt sich beispielsweise an der hohen Nachfrage an Merchandise illustrieren (vgl. Kojima Productions Shop). Man müsste eigentlich erkennen, dass man als Konsument am eigenen Bullenring in der Manege herumgeführt wird. Wenn aber die Mehrheit Taktgeber ist und die Deutungshoheit besitzt, ist die dadurch immerwährende Dynamik schwerlich zu identifizieren. Die entscheidende Frage verbleibt: Was hat Sony mit dieser IP vor? Was ist der Mehrwert des Spiels? Die Art des Spiels scheint klar und trotzdem ist „Death Stranding“ momentan eher eine Lachplatte. Es wird klar außerhalb und innerhalb Kojima Productions massenkompatibel gedacht, weil finanzieller Erfolg das erste Ziel ist. Es wird einen Helden geben, der die Story für den Spieler übernehmen wird. Mikkelsen ist der Gegenspieler, der Rest bildet das Beiwerk und ergibt sich von alleine. Und weiter?

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